„Tatort“-Kommissar Robert Karow aus Berlin, das ist die Rolle, mit der Schauspieler Mark Waschke bekannt geworden ist. Der 51-jährige ist aber auch in unzähligen Kinofilmen und Theaterproduktionen zu sehen. Geboren in Wattenscheid, hat der Schauspieler seine Jugend im Saarland verbracht. Dort kam Waschke in die Punk- und Hausbesetzerszene. Unter anderem war er Sänger der Band IGNAZ, bevor er nach Berlin ausgewandert ist und eine erfolgreiche Schauspielerkarriere gestartet hat. Im Folgenden erzählt Waschke über seine Erfahrungen in der Punk-Szene und welche Bands ihn heute noch begeistern.
Aktuell bist du in der Podcast-Serie „Marvel’s Wastelanders: Hawkeye“ vor allem zu hören. Worum geht’s?
Ich bin zu dem Projekt ein bisschen wie die Jungfrau zum Kind gekommen. Ich habe weder in meiner Kindheit noch in meiner Jugend großartige Erfahrungen mit Superhelden aus dem Marvel-Universum gemacht. Als ich das Skript bekommen haben, war ich erst ein bisschen skeptisch, habe dann aber die Figur Hawkeye für mich entdeckt. Denn der ist eigentlich kein Superheld mit Megakräften, sondern der Menschlichste aus diesem ganzen Universum. Der ist aufgeschlagen mit einem Abgrund, aus dem er herausschaut beziehungsweise in den er hineinschaut. Und im Trauma selbst liegt der Schlüssel, sich selbst zu retten. Das finde ich an der ganzen Geschichte spannend. So große Fragen wie: Wie will ich leben? Wie gehe ich mit Verantwortung und Schuld um? Warum scheitere ich immer wieder? Das sind alles sehr menschliche Fragen in einer archaisch überhöhten Geschichte. Das hat mich gereizt.
Du bist im Saarland aufgewachsen, hast dort Anschluss zur Punk- und Hardcore-Szene gefunden und in einer Band namens IGNAZ gesungen. Wie kam das?
Wir hatten leider nur einen großen Auftritt, dann habe ich mich entschieden, weiter Theater zu spielen, weil das mit der Zeit zu knapp wurde. Aber wir haben bis zu diesem Auftritt ordentlich und lang geprobt. In Saarbrücken und in Homburg gab es Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger eine sehr lebendige Hardcore-Szene. Als ich in die Szene reingerutscht bin, gab es eine Band namens CROWD OF ISOLATED, die damals sehr aktiv war. Die sind auch viel im Osten herumgetigert. Die SPERMBIRDS haben im AJZ Homburg ihre ersten Konzerte gespielt. Der Sänger Lee Hollis arbeitet heute noch zusammen mit Freunden in einer Kneipe in Saarbrücken. Ich bin da irgendwie so reingeschlittert. Punk war eigentlich vorbei und ich war auch nie ein Skater, aber ich hatte eben viel mit den Leuten aus dieser Ecke zu tun. Mich haben damals so unterschiedliche Bands begeistert wie FUGAZI, MINOR THREAT und diese ganze Straight-Edge-Ausrichtung, aber auch Bands wie MELVINS oder CRO-MAGS, also Bands mit richtig harten Gitarren. Als die anderen dann anfingen, NIRVANA zu hören, fand ich das auch sehr spannend. Das war schon sehr aufregend und fiel mit einer spannenden politischen Zeit zusammen, in der in Deutschland die Mauer fiel und im Osten dann die Nazis an Einfluss gewonnen haben. Wo auch schnell klar war, wie man sich als Antifa verhält. Mit Musik war es gut möglich, die Leute über ein gutes Lebensgefühl zu kriegen. Gerade Hardcore hatte damals einiges zu bieten, was die Hippies nicht zu bieten hatten. Oder eben diese klassische Rockszene, die zwar gut gemeinte Musik gemacht hat, aber zu wenig in den Körper gegangen ist.
Die Karriere von IGNAZ war relativ kurz. Es gab ein Konzert im Kurze Eck in Saarbrücken im Vorprogramm von CROWD OF ISOLATED. Fünf Songs, dann war alles vorbei. Ein Tonträger wurde mit IGNAZ nicht aufgenommen, oder?
Aus dieser Zeit gibt es nur eine Aufnahme aus dem Proberaum in schlechter Qualität. IGNAZ haben dann mit meinem Nachfolger am Mikrofon ein Tape aufgenommen und veröffentlicht. Sie haben noch ein paar weitere Konzerte gespielt und sind dann in andere Bands gewechselt. Unser damaliger Bassist Helge spielt heute noch bei STEAKKNIFE. Da sind auch Lee von SPERMBIRDS und Leute von 2BAD dabei. Die spielen so richtig klassischen Punkrock. Bei IGNAZ hatten wir einen unglaublich guten Schlagzeuger, der inzwischen ganz andere Sachen macht, glaube ich. Der war technisch wahnsinnig versiert, wir haben es nie geschafft, ihn dazu zu bewegen, einen Beat mal straight durchzuspielen. Der musste ständig irgendwelche Fill-Ins einbauen und allen zeigen, was er alles kann. Das Besondere an IGNAZ war also die Einfachheit von unserem Bassisten und mein intuitiver Gesang und Geschrei, gepaart mit diesem unglaublichen Techniker am Schlagzeug, der auch gut Jazz-Drummer hätte werden können. Das konnte nur eine Zeit lang gut gehen. Aber das war auch okay.
Du hast dich vor nicht allzu langer Zeit als queer geoutet. Als wie maskulin hast du damals die Punk- und Hardcore-Szene erlebt?
Ich kann mich an Bands wie SHUDDER TO THINK erinnern, die hatten einen Sänger, der in Knobelbecher-Stiefeln und ganz kurzen Pants aufgetreten ist. Der hatte so einen hohen Falsettgesang, obwohl die Musik sehr hart und sehr schnell war. Das war so eine Kuriosität, das wurde zwar freundlich aufgenommen und belächelt, aber die ganze Körper- und Tanzkultur hatte etwas Machistisches. Es war eine Welt, in der Männer ganz klar dominiert haben. Frauenbands oder Bands, in der eine Frau gesungen hat wie JINGO DE LUNCH, waren die absolute Ausnahme. Genauso wie ein queerer Sänger. Ich hatte damals mal Freunde aus der linken Szene in Hamburg zu Besuch, die völlig baff waren über Sprüche, die im AJZ Homburg im Saarland gefallen sind. Zum Beispiel gab es damals noch das ernstgemeinte Schimpfwort „Lutscher“. Es war üblich zu sagen: „Ey, hör auf mit dem Scheiß, du Lutscher!“ Und das war nicht ironisch gemeint. Als er das hörte, sagte mein Kumpel, das wäre in Hamburg undenkbar. 1990 hätte keiner in Hamburg mehr gesagt: „Du Lutscher!“ Das ist mir jetzt erst wieder eingefallen. Ich würde mich da als sich orientierender Jugendlicher verorten, dem einerseits die Musik gefallen hat, der aber gleichzeitig auch seine Sexualität entdeckt hat. Da gab es keinen Raum für Queerness. Den habe ich da nicht erlebt. Für mich ist es sowieso ein Missverständnis am Punk, dass diese Jugendkultur so stark an einer Ästhetik festgemacht wird. Zu viel an Äußerlichkeiten oder an bestimmten musikalischen Kategorien und zu wenig an der Haltung. Ich war kürzlich in Portugal und habe in Lissabon Streetart gesehen, da war zu lesen: „Question everything.“ Alles zu hinterfragen, das ist für mich Punk. Vor allem das, wo man sich scheinbar am sichersten ist, alles, worauf man sich scheinbar einigen kann. Ich finde es wichtig, sich selbst auch immer zu hinterfragen.
Hast du das Kapitel Punk inzwischen abgeschlossen oder gibt es immer noch Platten im Schrank, die du herausholst und auflegst? Wie sieht es mit Konzerten in Berlin aus?
Also es gibt ein paar Bands, die ich sehr schätze und über die Jahre immer noch verfolge. Da gehe ich auch hin, wenn sie in der Nähe spielen. MELVINS zum Beispiel sehe ich gerne alle Jahre wieder. Eines meiner schönsten Konzerte war von dieser Superband FANTÔMAS mit Mike Patton von FAITH NO MORE am Mikrofon, Buzz Osborne von MELVINS an der Gitarre und dem legendären Dave Lombardo von SLAYER am Schlagzeug. An dieser Musik mochte ich vor allem, dass sie sehr kraftvoll und gleichzeitig auch sehr humorvoll war. Die hatten Platten mit teilweise dreißig Stücken drauf, in denen der Rhythmus ständig wechselte und Mike mit seiner Stimme völlig wahnsinnige Sachen machte. Eine sehr spielerische Band, die keine Angst davor hatte, sich selbst zum Deppen zu machen. Das mag ich. Musik, die sich selbst zu ernst nimmt, hat mich nie besonders interessiert. Mir sind Momente sehr nah, in denen sich Künstler auch mal selbst zum Vollpfosten machen. Als ich 17 oder 18 Jahre alt war, habe ich nur solche Sachen gehört. Diese Phase ist aber definitiv vorbei. Im Moment höre ich zum Beispiel brasilianische Popmusik aus den Siebzigern. Ich entdecke ständig neue Dinge, die mich faszinieren. Das ist das Unheimliche am Internet, dass man vom Algorithmus Sachen vorgeschlagen bekommt, die man früher in irgendwelchen versteckten Plattenläden hätte suchen müssen.
Mit Punk verbindet man vor allem Nonkonformismus. Nicht um Erlaubnis fragen, sich nicht an Regeln halten. Wie viel Punk steckt in deiner bekanntesten Rolle als Robert Karow im Berliner „Tatort“?
Haha! Das überlasse ich lieber anderen, das zu kategorisieren. Wenn man sich hinstellt und sagt: Mein „Tatort“-Kommissar ist auch so ein alter Punk, das ist so wie vor einigen Jahren, als es bei H&M ein T-Shirt gab, auf dem stand „Punx not dead“. Ähnlich würde ich mich jetzt fühlen, wenn ich sagen würde: Robert Karow ist ein alter Punkrocker. Mir ist es wichtig, unkonventionelle Sachen zu machen, aber eben auch nicht zur Masche werden zu lassen. Für mich ist der „Tatort“ so was wie modernes Volkstheater. Und das hat ja auch was mit Punk gemeinsam. Punk hat Menschen die Möglichkeit geboten, die musikalisch nicht wahnsinnig versiert waren, trotzdem auf die Bühne zu gehen. Du konntest aber auch als toller Musiker einfach reinspringen. Dilettantismus war nicht die einzige Bedingung. Sich von diesen Rändern, an denen man sich befindet, immer wieder in eine neue Richtung zu bewegen, finde ich beim Schauspielern sehr spannend. Was Meret Becker und ich da sieben Jahre lang gemacht haben, aber vor allem auch dieser Solo-„Tatort“, bevor ich mit Corinna Harfouch weitergemacht habe, da bin ich total stolz drauf. Das ist besser als viele Kinofilme, die ich gedreht habe. Weil man da Sachen in den Mainstream reinplumpsen lassen konnte, die eigentlich aus der Subkultur kommen, da aber einen ganz anderen Nachhall haben und anders scheppern. Ich finde es ganz wichtig, das einfach zu machen und nicht zu erklären, deshalb scheue ich mich davor, mich irgendwie selbst zu kategorisieren.
Dafür, dass du es nicht erklären wolltest, hast du es aber sehr schön erklärt gerade. Du warst ja nicht nur in der Punk- und Hardcore-Szene, sondern auch in der Hausbesetzerszene unterwegs. Was hast du da so erlebt?
Meine Politisierung fand noch vor dem Mauerfall statt, also noch in den Achtzigern. Das war eine Mischung aus Antifa-Bündnis und Umweltinitiativen. Aber eben auch aus der kleinen, aber sehr aktiven Hausbesetzerszene im Saarland, die damals Kontakte nach Frankfurt und in viele andere Städte hatte. Damals gab es große Netzwerke, die uns motiviert haben, auch in Saarbrücken ein Haus zu besetzen. Vordergründig, um ein Autonomes Jugendzentrum zu etablieren, aber natürlich auch, weil es damals schon ein großes Wohnungsproblem gab. Damals ging diese blöde Gentrifizierung schon los. Da gab es ein tolles Viertel, in dem plötzlich mit Sanierungen angefangen wurde. Wo schnell klar wurde, da findet eine soziale Verdrängung statt, die nicht okay ist. Zu dieser Zeit habe ich offiziell noch bei meinen Eltern gewohnt, deshalb habe ich die Besetzerszene zwar tatkräftig unterstützt, bin dann aber abends immer nach Hause in mein Jugendzimmer gefahren, haha. Die Räumung von einem Haus habe ich allerdings hautnah miterlebt. Das ist auch sehr prägend, wenn man als 16-Jähriger mitbekommt, wie in einem damals sozialdemokratisch regierten Bundesland unter Oskar Lafontaine die Polizei sehr martialisch aufgetreten ist. Wie die da so standen und mit ihren Knüppeln auf ihre Schilder geschlagen und damit langhaarige, junge Menschen eingeschüchtert haben. Das habe ich damals meinem Vater erzählt. Der hat dann gesagt: „Das kann nicht sein, das gibt es hier nicht.“ Der hat das zuerst abgestritten, bis ich ihm die völlig verwackelten VHS-Aufnahmen gezeigt habe, die wir davon gemacht haben. Für uns war das wie Bürgerkrieg im kleinen Saarbrücken. Das war schon sehr prägend für mich, zu merken, was der Staat macht, wenn man nicht tut, was er will. Wenn ich das allerdings vergleiche mit Demonstrationen aus den letzten Jahren, auf denen zum Teil ähnliche Parolen gerufen wurden, will ich nichts mehr damit zu tun haben. Diese Systemkritik hatte für mich damals eine völlig andere Bedeutung, weil es immer ein ökonomisches System beschrieb. Ein ökonomisches System hat nicht immer nur einen bösen Schuldigen, der dicke Zigarren raucht, sondern unterdrückt einfach Menschen und beutet sie aus. Die Welt ist einfach ein bisschen komplizierter. Und wenn heute Leute über das System schimpfen, dann sind sie meistens antisemitischen Verschwörungserzählungen aufgesessen und die bekämpfe ich aufs Härteste. Ganz viele Leute auch aus der linken Szene tun das unter dem Deckmäntelchen einer schönen Gut-Böse-Erzählung. Die Bösen sind die Unterdrücker und die Guten sind wir. So ist die Welt leider nicht. Die ist viel komplexer, sonst säßen wir nicht heute hier.
Gibt es noch Kontakt zur Punk- und Hardcore-Szene, zu Protagonisten von damals?
Es gibt durchaus noch ein paar Kontakte ins Saarland, das ist aber sehr sporadisch. Ich nehme unser Gespräch als Anlass, die noch einmal aufzufrischen. Ich bin da ein bisschen hin- und hergerissen. Mir geht auch manchmal diese Nostalgie auf den Keks. Die Verklärung von irgendwelchen glorreichen Zeiten. So tief und lange war ich dann auch nicht drin in diesem Klüngel, als dass mir das Herz heute noch bluten würde. Manchmal schwingt da heute noch eine Ästhetik mit, die ein bisschen stehengeblieben ist. Das ist für die alle aber okay. Das soll auch so sein, mich interessiert mehr der Wandel. Das ist manchmal auch unfreiwillig komisch. Diese Männer gehen inzwischen alle auf die sechzig zu oder sind es bereits und das finde ich auch wieder schön. Aber es darf eben nicht im Blick zurück erstarren, sondern muss ein Verhältnis zum Heute haben, damit es Sinn macht.
Es gibt auch junge Punk- und Hardcore-Bands aus dem Saarland oder dem nahen Rheinland-Pfalz wie PASCOW oder LOVE A. Beschäftigst du dich mit denen?
Da kenne ich zu wenig, muss ich ganz ehrlich sagen. Ich stoße immer wieder zufällig auf Bands, aber ich verfolge das zu wenig, um gut informiert zu sein. Diejenigen, mit denen ich in Berührung gekommen bin, fand ich kurz interessant, verstehe aber viele Dinge einfach nicht mehr. Als wir damals Ende der Achtziger BAD RELIGION gehört haben, haben die alten Punks gesagt: „Ach, das haben STIFF LITTLE FINGERS vor fünf Jahren schon viel besser gemacht.“ Man vergleicht die Bands immer wieder mit Musik, die man schon kennt, obwohl das natürlich Unfug ist. Man kann es auch als schöne Tradition betrachten, die fortgesetzt wird. Irgendwann werden wir unseren Enkeln BAD RELIGION vorspielen und die werden mit den Augen rollen. Genauso wie NOMEANSO, die ich damals ganz toll fand. Das sind für mich immer noch große Helden. Denen bin ich sogar in mehrere Städte hinterhergefahren. Die fand ich auch in ihrer Haltung grandios, weil die sich nicht so ganz klar einordnen lassen wollten. Die haben zum Beispiel Stagediving gehasst, was ich ganz großartig fand. Wenn da einer auf die Bühne geklettert ist, dann hat ihnen Rob Wright immer einen Tritt gegeben und klar gemacht: Die Bühne gehört uns. NOMEANSNO habe ich vor ein paar Jahren auch noch mal im SO36 gesehen und mich gefreut.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #170 Oktober/November 2023 und Wolfram Hanke