MALE

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Jürgen Engler gibt wieder ‘ne Party

Teipel-Leser wissen es: die erste deutsche Punkband hieß MALE und kam aus Düsseldorf. Völlig überraschend verbreitete sich im November die Kunde, dass die Truppe um KRUPPS-Mastermind Jürgen Engler wenige Tage vor Weihnachten ihr 25jähriges Bühnenjubiläum feiern würde – natürlich mit einem Konzert. Damit boten die vier Düsseldorfer einen würdigen Abschluss des “Verschwende deine Jugend”-Jahres. Ich traf Jürgen Engler am Tag vor dem Konzert.

Du bist schon vor Jahren in die USA ausgewandert, kommst aber nach wie vor gerne nach Düsseldorf zurück, oder?


Absolut. Ich bin häufiger hier zu Besuch. Ich habe vorher vier Jahre lang in New York gelebt und wohne jetzt in Austin, Texas.

Und der Anlass deines Besuches ist ein ganz besonderer, nämlich das Jubiläumskonzert von MALE. Wie kam es dazu?

1980 haben wir eines der wichtigsten Konzerte gespielt, im Vorprogramm von THE CLASH hier in der Philipshalle in Düsseldorf. Kurz danach haben wir uns dann mehr oder weniger aufgelöst, d.h. ich habe mich entschlossen, etwas radikalere Musik zu machen und daraus sind dann DIE KRUPPS geworden, die ich dann quasi für den Rest meines bisherigen Lebens weitergeführt habe. MALE habe ich 1976 gegründet und mit der Band viereinhalb Jahre halbprofessionell gearbeitet. Durch Teipel ist die Reunion übrigens nicht zustande gekommen, sondern durch eine Freundin. Sie rief mich an und fragte, ob ich das nicht machen wolle. Das war so ein Ding, wo ich dachte, sie hat eigentlich Recht, denn mittlerweile sind es 25 Jahre seit dem ersten MALE-Konzert im März 1977. Das passte ganz gut und das sollte man noch vor Jahresende mitnehmen, habe ich mir gedacht.

Sind denn die alten Mitstreiter alle dabei?

Bis auf den Bassisten. Der ist ersetzt durch den ehemaligen KRUPPS-Bassisten. Ansonsten sind wir komplett die alte Originalbesetzung. Das Konzert wird auf alle Fälle eine Lektion im Sinne, so war es und so sollte es sein. Da werden viele Leute ihren Spaß haben.

Warum habt ihr euch damals überhaupt aufgelöst?

Durch Bands wie PERE UBU und SUICIDE bin ich vom reinen Punk mehr in die industrielle Richtung gekommen. Diese Strömung weg vom rein Riff-orientierten Punk hin zu elektronischen Instrumenten. Das lief zunächst parallel zu MALE. Ich habe damals PERE UBU im Ratinger Hof gesehen, wo David Thomas mit einem Hammer auf einen Amboss geschlagen und zu den punkriffigen Geschichten eine Schleifmaschine eingesetzt hat. Das war für mich der Anlass, da war klar, in diese Richtung zu gehen, aber noch radikaler, ohne Punkriffs und mit noch mehr Elektronik. Daraus ist dann das Stahlofon geboren worden, mit dem ich percussiv Stahl zu elektronischen Rhythmen geschlagen habe. [/b]

Was war das vorher überhaupt für eine Zeit im Jahr 1976, als du Punk wurdest?

Die Zeit wurde beherrscht von massiven Superstar-Bands wie GENESIS, PINK FLOYD oder SUPERTRAMP, die ich alle gehasst habe. Ich war eigentlich ein Riesenfan von BOWIE, den frühen ROXY MUSIC, LOU REED oder auch den KINKS und THE WHO. Ich habe dann irgendwann festgestellt, dass sich das immer mehr in Richtung von zwanzigminütigen Songs entwickelte. Das war für mich völlig uninteressant, wie auch Glam Rock. Spätestens 1976 kam dann die Wende. Ich wusste, dass das alles in die falsche Richtung geht und das da was anderes kommen würde. Ich hab das gespürt. In mir war einfach der Drang, genau das Gegenteil zu machen. Durch die erste Platte der RAMONES fühlte ich mich dann bestätigt. Da war noch was, es gab Verbündete. Dazu gibt es eine lustige Geschichte zu erzählen: Wir waren damals Deutschlands erste Punkband. Dementsprechend gab es noch kein Publikum für solch eine Musik. Das erste MALE-Konzert fand in einer Schulaula statt, vor vielleicht sechshundert Leuten. Es gab einen einzigen Menschen, der aus der Masse rausstach, weil er stachelige Haare hatte und eine Sonnenbrille und Sicherheitsnadeln am Revers. Hinterher haben wir uns natürlich unterhalten, weil man das so machte, wenn man einen Verbündeten traf. Und dieser Typ war Peter Hein, d.h. wir kennen uns seit dem ersten MALE-Konzert im März 1977.

In dem Teipel-Buch sagst du, die Szene sei damals sehr davon geprägt gewesen, dass man sich im Ratinger Hof immer sehr genau beobachtet habe und dass das fast schon faschistoid gewesen sei. Was meinst du damit?

Das ist leider Tatsache gewesen, dass man sehr an den Dingen gemessen wurde, die man trug und die man sich leisten konnte, haha. Das ist wirklich blöd, denn eigentlich ist Punk das genaue Gegenteil. Es war aber tatsächlich so, dass die wenigen Leute, die es gab, sich misstrauisch beäugt haben und dann versuchten, die andere Fraktion ein bisschen runterzuspielen. Ich weiß nicht, warum das so war, denn wäre der Zusammenhalt besser gewesen, hätte man sicher mehr erreichen können. Auf der anderen Seite waren wir alle jung, und da ist man wahrscheinlich eher ein bisschen unoffener für Dinge. Es gab dann halt immer Richtlinien. Man musste so aussehen, man musste die Platte kaufen, man durfte nur so einen Badge tragen und solche Geschichten. Wir haben uns aber trotzdem ganz gut verstanden. Es ist nicht so, dass wir uns bekriegt hätten. Das kam eigentlich erst später mit der Szene, die aus den Vororten angereist kam, diese ganzen Pseudo-Vorstadtpunks, die am Wochenende nach Düsseldorf kamen und versuchten, sich zu profilieren und sich natürlich mit uns nicht so gut verstanden.

Dem Vernehmen nach sollen einige der damaligen Protagonisten die “Verschwende deine Jugend”-Vermarktung mit gemischten Gefühlen verfolgen. Wie siehst du das?

Ich finde, das ist völliger Blödsinn, und zwar aus mehreren Gründen: Teipel hat unheimlich viel Zeit investiert und halbwegs gut verkauft. Na und? Soll er doch. Schließlich hat er das aus Enthusiasmus gemacht. Er hat nicht gesagt, ich mache jetzt ein Buch über Britney Spears und verkaufe Millionen. Er hat ein Buch über die deutsche Punk-Szene der Siebziger geschrieben. Das ist doch wunderbar. Wer hat das bis jetzt gemacht? Keiner! Ich bin vor allen Dingen glücklich darüber, dass er es geschafft hat, die ganzen Leute ausfindig zu machen und sie endlich mal wieder zusammenzubringen. Ich habe viele Leute in letzter Zeit getroffen, die ich 20 Jahre nicht mehr gesehen habe. Allein schon deswegen klopfe ich Jürgen auf die Schulter und finde das Buch super und ganz wichtig.

Die erste Single der TOTEN HOSEN hieß “Jürgen Engler gibt ’ne Party”. Was war das für eine Party?

Es gab keine Party, denn ich gebe grundsätzlich keine Partys. Ich kann nur mutmaßen, was es mit Song auf sich hat. Das Ding ist so: Campino hat uns mit ZK häufig supportet. Er kam auch gerne zu uns auf die Bühne und hat mit mir zusammen ‚Ampelstadt’ gesungen. Ich hab dann ja irgendwann den Dreh gemacht und mich von dieser Punkszene, die immer proletenhafter wurde, abgewandt. Ich kann nur mutmaßen, dass es damit zu tun hat oder damit, dass er mir damals meine Freundin ausspannen wollte, was nicht geklappt hat. Keine Ahnung. Er hat wohl versucht, sich für irgendwas zu rächen. Wir haben uns aber in den Neunzigern häufiger geschrieben und telefoniert, und hatten nie ein Problem, auch wenn wir uns gesehen haben.

Kannst du denn ähnlich gut von deiner Musik leben?

Ich lebe gut. Ich habe alle möglichen Sachen am Laufen: DIE KRUPPS laufen immer noch, auch der Backkatalog, DKAY.COM mach ich jetzt seit ein paar Jahren und die alten Klamotten von MALE werden wohl auch wiederveröffentlicht. Mal schauen, was da noch kommt. Wir haben richtig Spaß an der Sache. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das ein einmaliges Ding bleibt, denn es macht wirklich Spaß. Und das muss ich hier ganz klar betonen: Da geht es nicht um Geld. Wir mögen uns alle und sind immer noch gute alte Freunde. Das ist einfach der Hauptgrund, warum wir es überhaupt noch mal machen.

Könnte das auch eine neue Scheibe bedeuten?

Absolut, klar. Ich kann mir alles vorstellen und bin für alles offen, und die anderen Jungs auch.

Also bist du im Herzen immer noch Punk?

Absolut, definitiv. Den 77er Geist, den trage ich in meinem Herzen. Das ist einfach so. Ich sehe die Dinge immer noch genauso, wenn auch nicht ganz so verbissen, sondern mit Weitsicht, die ich früher nicht hatte. Ich gehe die Dinge immer noch genauso an und bin immer noch genauso spontan und abenteuerlustig und gegen so viele Dinge, gegen die man sein sollte. Das bewahre ich mir.

Nachtrag: Zwei Tage nach dem MALE-Konzert im Düsseldorfer Haus der Jugend erhielt Engler überraschend einen Anruf von Campino, der ihn für denselben Abend nach Oberhausen zu einer Show der HOSEN einlud. Gemeinsam gab man dort einen Klassiker von THE BOYS zum Besten und konnte anschließend auch die Frage nach dem Grund für den Titel der ersten DTH-Single klären: Es war die damalige Freundin von Jürgen, die Campino nicht rumkriegen konnte. In Zukunft wollen beide Parteien übrigens häufiger zusammenarbeiten – ohne sich dabei die Freundinnen auszuspannen.