Die Suche nach den spannenden Schlagzeuger:innen dieser Welt führt uns dieses Mal nach Schweden. Magnus von THE SENSITIVES fällt auf den Alben der Band durch sein sehr variables Drumming auf einem äußerst kleinen Drumset auf und daher hatten wir uns im Herbst 2021 auf der 10-Jahre-Jubiläumstour der Band zum Interview verabredet. Leider kam dann Tante Corona wieder zu Besuch und die Tour musste abgesagt werden, so dass dieses Interview am Ende doch online geführt wird.
Magnus, wenn du an deine Kindheit zurückdenkst, gibt es da Geschichten, dass du schon auf allen möglichen Dingen herumgetrommelt hast?
Man hat mir erzählt, dass ich schon immer auf laute Musik stand, und als ich aufwuchs, war bei uns zu Hause immer Musik um mich herum. Als ich so um die zwei oder drei Jahre alt war, muss ich immer total aus dem Häuschen gewesen sein, wenn mein Vater diese wirklich verrückte japanische Fusionrock-Platte auflegte, die wohl offensichtlich meine erste Lieblingsplatte war. Auf irgendwelchen Töpfen habe ich wahrscheinlich nicht mehr getrommelt als andere Kinder auch und ich glaube, dass ich damals eher dazu bestimmt war, Gitarrist zu werden.
Kommst du aus einer musikalischen Familie und hast du frühzeitig ein Instrument erlernt?
Mein Vater ist Gitarrist und von daher lagen bei uns zu Hause immer viele coole Gitarren herum. Außerdem hatte er schon damals eine wirklich gute Vinyl-Sammlung. Meine Mutter und meine Schwester spielten keine Instrumente, aber sie liebten Musik ebenso, und meine Mutter ermöglichte es mir und meiner Schwester, Klavierstunden zu nehmen. Ich würde nicht sagen, dass ich dazu gezwungen wurde, aber es hat mich auch nicht wirklich begeistert. Der Klavierlehrer hat mir zum Glück auch ein paar Akkorde auf der Gitarre beigebracht und daran war ich definitiv mehr interessiert.
Welche Art von Musik hat dich damals als Erstes begeistert?
Ich war total hin und weg, als meine Augen das erste Mal die KISS-Platten von meinem Vater erblickten. Schau dir diese Platten heute an und du verstehst, warum ein Sechsjähriger denkt, dass das die coolste Band auf Erden sein muss. Ich habe aber nicht nur die Outfits geliebt, sondern fand auch die Musik toll. Ein bisschen später bin ich dann auf THIN LIZZY, BLACK SABBATH, LED ZEPPELIN und dieses ganze Zeug gestoßen. Meine Schwester, die ein paar Jahre älter ist, hatte großen Einfluss darauf, dass sich mein Blickwinkel erweiterte. Sie hatte begonnen, NIRVANA und METALLICA zu hören, und brachte immer mehr Punk- und Metal-Sachen nach Hause, von denen mein Vater überhaupt nicht begeistert war. Aber irgendwann hat er aufgegeben und selbst Punk-Platten gekauft. Ich erinnere mich an EBBA GRÖN, eine extrem wichtige und einflussreiche schwedische Punkband, an die RAMONES und „Dookie“ von GREEN DAY. Das war für mich sehr wichtig, denn es war natürlich einfacher, die Platten bei meinen Vater zu entwenden als bei meiner Schwester.
Wann hast du realisiert, dass das Schlagzeug das richtige Instrument für dich ist?
Ich erinnere mich nicht an einen bestimmten Moment, aber ich dachte irgendwann, dass das Schlagzeug das coolste und lauteste Instrument sei. Das hatte wohl auch damit zu tun, dass bei uns zu Hause so viele Gitarren gab und Gitarre zu spielen von daher die natürliche Wahl gewesen wäre. Schlagzeug spielen zu wollen, war also so eine Art von Rebellion. Die Rebellion hat aber nicht so gut funktioniert, weil meine Eltern mir mit elf Jahren mein erstes Schlagzeug gekauft haben. Sie haben mich also von Anfang an unterstützt und sich nicht dagegengestellt.
Hattest du die Möglichkeit, bei deinen Eltern im Keller zu üben, oder bist du den Nachbarn auf den Geist gegangen?
Wir wohnten in einem kleinen Haus und einen Keller hatten wir nicht, aber es gab einen kleinen Raum hinter der Garage, in dem mein Vater seinen Verstärker hatte, und dort landete auch mein Schlagzeug. Und ja, von dort aus bin ich unseren Nachbarn kräftig auf die Nerven gegangen. Ich habe Geschichten gehört, dass die Leute in unserem Viertel immer sagten: Oh je, es ist wieder so weit, der Gunnerfeldt-Junge fängt wieder an zu trommeln.
Hast du für dich allein geübt oder irgendwann auch Unterricht genommen?
Eine gute Sache daran, in Schweden zu leben, ist es, dass wir die Möglichkeit haben, von der vierten bis zur neunten Klasse kostenlos, oder in einigen Städten für einen sehr geringen Preis, Musikunterricht zu bekommen. Ich hatte also ab der siebten Klasse Unterricht bei einem richtigen Schlagzeuglehrer, bis ich mit dem Gymnasium fertig war. Das Problem war nur, dass ich es immer gehasst habe zu üben und lieber mit Bands gespielt habe. Ich bin also wirklich schlecht, wenn es um technische Feinheiten geht, obwohl ich da in den letzten Jahren schon etwas disziplinierter geworden bin. Ich mag es heute immer noch nicht, allein zu üben, aber manchmal muss man sich eben zusammenreißen, damit man mit den Rhythmen, die man jeden Tag spielt, nicht zu bequem wird.
Zu welchen Lieblingsplatten hast du am liebsten geübt?
Zu bestimmten Platten zu spielen gehört zu den Dingen, die ich definitiv öfter hätte tun sollen, damit habe ich leider erst viel später angefangen. Ich erinnere mich aber daran, dass in dem kleinen Übungsraum meines Vaters die CD „Gran Turismo“ von THE CARDIGANS herumlag und zu der habe ich häufig gespielt. Eine verrückte Wahl, aber im Nachhinein war sie zum Üben gar nicht mal so schlecht.
Ab wann hast du in deiner ersten Band gespielt?
Ich habe mit zwölf Jahren angefangen, mit Freunden Coverversionen zu spielen, aber die erste richtige Band hatte ich, als ich vierzehn war. Wir hatten viele verschiedene Bandmitglieder, aber der Kern der Band spielte für ungefähr sechs Jahre zusammen. Wir waren von allem beeinflusst, was wir an Musik hörten. Von THE CURE bis zu den RAMONES und den ROLLING STONES haben wir alles in uns aufgesogen und als unseren eigenen Mix aus Pop-Rock mit Punk-Vibes wieder ausgespuckt. Es ging uns nur darum, gute Songs zu schreiben und vielleicht irgendwann außerhalb unseres Heimatortes spielen zu können, wobei wir häufig vergaßen, dass wir wirklich nicht gut spielen konnten. Die Welt ist irgendwie schon sehr weit weg, wenn du aus einem kleinen Ort tausend Kilometer nördlich von Stockholm kommst. Neben der eigentlichen Band hatte ich im Laufe der Zeit bestimmt zehn unterschiedliche Projekte von Punk über Garage-Rock bis zu Rockabilly und Soul am Start.
Gab es in deiner Jugend irgendwelche Schlagzeuger, die deine Helden waren?
Als ich um die fünfzehn war, habe ich angefangen, THE HELLACOPTERS zu hören, und deren Drummer Robert Eriksson war und ist mein Vorbild. Ich glaube, es gibt keinen Drummer, dem ich so gerne zusehe oder zuhöre wie ihm. Eigentlich spielt er sehr unspektakulär, er ist nicht der Schnellste, sein Schlagzeug ist kein Panzer, der Flammen spuckt, er macht auch keine Tricks mit seinen Drumsticks, aber hat eben diese unvergleichliche Energie, die mich begeistert. Er hat die perfekte Mischung aus Rock’n’Roll, Punk-Attitüde und Energie, und alles, was er macht, klingt einfach großartig. Ich mochte auch immer Drummer wie Bill Ward von BLACK SABBATH, John Bonham von LED ZEPPELIN und alle diese klassischen Drummer sowie später Joey Castillo von QUEENS OF THE STONE AGE und Atom Willard von THE OFFSPRING und AGAINST ME!, aber Robert Eriksson ist immer noch meine größte Inspiration.
Erinnerst du dich an die ersten Gigs, die du gespielt hast?
Da muss ich so ungefähr dreizehn Jahre alt gewesen sein. Wir hatten in unserem Heimatort ein Jugendzentrum, in dem die Leute DIY-Shows organisieren konnten. Damals besuchten die Leute solche Shows noch regelmäßig, aber heute ist diese Art von Clubs in Schweden leider sehr selten geworden. Ich habe bestimmt meine ersten zehn Shows dort gespielt und es fühlte sich immer an, als wäre es die größte Sache der Welt. Wenn fünfzig Leute vor Ort waren, fühlte es sich an wie 5.000 und für uns ging es jedes Mal um Leben und Tod. Wir hatten keine Ahnung, was wir taten, aber ich suche noch heute bei jeder Show nach diesem speziellen Funken, der überspringen muss, und dann bin ich sehr glücklich.
Wann bist du das erste Mal in einem Tonstudio gewesen und wie war diese Erfahrung für dich?
Ich war fünfzehn, als meine erste Band ihre erste Single aufgenommen hat. Wir haben damals die Drums in unserem Übungsraum aufgenommen und alles andere in dem Wohnzimmer von dem Typen, der die Aufnahmen gemacht hat. Wir hatten keine Ahnung, wie der ganze Aufnahmeprozess funktionierte, und wussten auch nicht wirklich, wie wir klingen wollten, aber der Typ war wirklich sehr geduldig mit uns, so dass das Ganze für uns an Ende sehr lehrreich war. Damals habe ich Aufnahmen gehasst. Hauptsächlich, weil ich darin nicht gut war, und es waren harte Zeiten, bis ich mich irgendwann bei Aufnahmen wohler gefühlt habe. 2012 habe ich eine musikalische Ausbildung in Sachen Songwriting und Bandarbeit begonnen und von da an hatte ich auch beim Aufnehmen Spaß, weil ich da entspannt in meinem eigenen Tempo arbeiten konnte und gelernt habe, das ganze Bild zu sehen. Ich glaube aber immer noch, dass live zu spielen tausend Mal mehr Spaß macht, und wenn wir heute mit THE SENSITIVES im Studio sind, versuchen wir immer so zu spielen, als würden wir live auftreten. „Punch“ haben wir größtenteils live im Studio eingespielt und das half wirklich sehr, um auch im Studio Spaß zu haben.
Wie bist du in die Punk-Szene gerutscht und wann hast du THE SENSITIVES getroffen?
Die ersten Live-Shows, zu denen ich gegangen bin, waren Punk-Shows, weil die Konzerte in unserem Jugendzentrum von den Punks organisiert wurden. Es sieht so aus, als ob überall auf der Welt die Punks diejenigen sind, die am härtesten arbeiten, um Shows zu organisieren. Als ich 2012 mit meiner musikalischen Ausbildung begann, musste ich nach Dalecarlia County umziehen, was 900 Kilometer südlich von meinem Heimatort liegt und wo THE SENSITIVES ihre Homebase haben. Ich spielte dort in einer Rockband und als ich 2014 meine Ausbildung beendete, sah ich eine Facebook-Anzeige, in der THE SENSITIVES einen Aushilfsdrummer für eine dreiwöchige Europatour suchten. Ich schrieb ihnen eine Mail, aber ich bekam nie eine Antwort. Ich dachte, sie wären nicht interessiert, aber später stellte sich heraus, dass sie einfach Probleme mit ihrem Mail-Account hatten und meine Nachricht nie gelesen hatten. Der Sänger meiner damaligen Band kannte THE SENSITIVES, denn er hatte auf ihrem Album „Dogs On The Run“ Backingvocals gesungen. Er hörte im Studio von der verfahrenen Drummersituation der Band und erzählte ihnen, dass ich ihnen vor einiger Zeit bereits eine Mail geschrieben hatte. Also riefen sie mich an und dann haben wir in den wenigen verbleibenden Wochen vor der Europatour wie verrückt geprobt. Ich habe seitdem einfach nicht wieder aufgehört, mit der Band zu spielen.
Hattest du jemals vor, von deiner Musik leben zu können und Profi zu werden?
Ich hatte immer den Traum, irgendetwas mit Musik zu meinem Beruf machen zu können, aber ich glaube, mein Desinteresse am regelmäßigen Üben stand wohl einer Karriere als Profidrummer im Wege. Musik ist aber immer ein wichtiger Teil in meinem Leben und wird es auch immer sein. Immerhin kann ich meinen Traum leben, weil mein täglicher Job mit Musik zu tun hat und ich in meiner Freizeit mit einer großartigen Band auf Tour sein kann.
Würdest du dich am Schlagzeug eher als Arbeiter oder als Techniker beschreiben?
Auf alle Fälle als Arbeiter, aber ich glaube, dass es auch sehr wichtig ist, Teil der Show zu sein. Nur weil man hinter dem Schlagzeug sitzt, bedeutet das nicht, dass man sich dort auch verstecken sollte. Insbesondere dann nicht, wenn man in einem Trio wie THE SENSITIVES spielt. Ich mache zwar nicht viele Tricks, aber wenn wir spielen, bin ich zu 100% Teil der Show und reflektiere die ganzen Emotionen und die ganze Energie in meinem Spiel.
Hat sich dein Drumset im Laufe der Jahre stark verändert?
Nein, viel hat sich in den Jahren nicht geändert, außer dass ich das Set ein bisschen verkleinert habe. Bevor ich bei THE SENSITIVES angefangen habe, habe ich zwei Crash-Becken und ein Ride-Becken gespielt, aber nachdem ich bei ihnen eingestiegen war, habe ich mich schnell auf nur ein einziges Ride/Crash-Becken reduziert, weil ihr erster Drummer Anton auch so gespielt hat. Es dauerte etwas, bis ich mich daran gewöhnt hatte, und ich bin immer noch auf der Suche nach dem perfekten Ride/Crash-Becken, aber mit nur einem Becken zu spielen ist eine spaßige Herausforderung und sieht außerdem cool aus.
Übst du zwischen euren Touren viel für dich allein oder nur zusammen mit der Band?
Wir versuchen immer, so viel wie möglich zusammen zu üben, und schreiben ständig neue Songs. Das ist unser Weg, in diesen beschissenen Zeiten klarzukommen und in Form zu bleiben. Ich finde es toll, neue Songs auszuprobieren, und es ist für mich viel schwerer, mich hinzusetzen und selbständig zu üben. Aber ich versuche trotzdem, manchmal auch für mich allein zu proben.
Könntest du dir vorstellen, vorn am Bühnenrand zu stehen, um zu singen oder Gitarre zu spielen?
Ich spiele zwar Gitarre, aber ich habe es bisher noch nie in einer Band getan. Wir spielen ja manchmal Akustik-Shows mit der Band und da habe ich jetzt tatsächlich angefangen, mehr Gitarre zu spielen. Bei YouTube gibt es ein Video, wo wir „Beväpna er“ von EBBA GRÖN covern und ich singe. Das hat mir viel Spaß gemacht, aber ich bin nicht sicher, ob ich es besonders gut gemacht habe. Hinter dem Schlagzeug fühle ich mich definitiv mehr zu Hause.
Kannst du dir vorstellen, mit anderen Leuten ganz andere Musik als Punkrock zu spielen?
Aktuell habe ich neben THE SENSITIVES eine ganze Reihe kleinerer Projekte, in denen wir viel mit Musik experimentieren, die so gar nichts mit Punkrock zu tun hat. Ich träume auch davon, mal eine D-Beat-Band zu gründen, aber ich bin nicht sicher, ob ich dafür schnell genug spielen kann.
Wie hat Corona dich und die Arbeit mit der Band beeinflusst?
Ich bin wirklich stolz darauf, wie wir als Band mit der Situation zurechtgekommen sind. Natürlich sind viele Gigs ausgefallen und Touren sind verschoben worden, aber wir haben nie den Kopf in den Sand gesteckt, sondern einfach immer weitergemacht. Wir waren produktiv, haben Songs geschrieben und so viel Zeit wie möglich mit der Band verbracht. Als Live-Band war es natürlich blöd in den letzten zwei Jahren und manchmal fühlte sich alles einfach nur scheiße an. Aber wir haben nicht aufgegeben und sind jetzt schon wieder dabei, mit unserem Booker Hage von Spider Promotion neue Touren für die Zeit nach der Pandemie zu organisieren.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #160 Februar/März 2022 und Christoph Lampert