MAGAZINE

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Less post-punk and more prog-rock, but in a good way

Angesichts der zahlreichen Reunions von Bands, deren letztes Lebenszeichen oft mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegt, ist man wenig überrascht, wenn sich eine weitere ehemals legendäre Band mit den noch existenten Originalmitgliedern erneut auf eine Bühne schleppt, um entweder etwas für die Rentenkasse zu tun oder ein tatsächlich erstzunehmendes kreatives Statement abzuliefern. Im Fall der 1981 aufgelösten MAGAZINE liegt die eigentliche Überraschung allerdings bereits zwei Jahre zurück, denn 2009 konnte man Howard Devoto, Barry Adamson, John Doyle und Dave Formula im Vereinigten Königreich für eine Handvoll Konzerte wieder zusammen auf einer Bühne bewundern, die auch von Kritikerseite her positiv bewertet wurden.

An die Stelle des 2004 verstorbenen Gitarristen John McGeoch, der nicht nur den Sound von MAGAZINE maßgeblich definierte, sondern danach auch den von SIOUXSIE AND THE BANSHEES, trat dabei Norman Fisher-Jones, kurz Noko genannt, der in den Achtzigern schon mit Pete Shelley oder THE CURE gespielt hatte. Das war zu diesem Zeitpunkt noch eine eher temporäre Angelegenheit, deren eigentlicher Ausgangspunkt Formulas 2010 erschienenes Soloalbum „Satellite Sweetheart“ war, an dem dieser bereits seit Januar 2007 gearbeitet hatte und dazu auch alte Weggefährten aus MAGAZINE-Zeiten wie Devoto, Adamson, Doyle und Robin Simon in sein eigenes Studio lud. Darauf enthalten ist ein sehr schönes Stück mit Devoto als Sänger, ansonsten handelt es sich eher um geschmackvolle arrangierte Popmusik, die nur wenig an MAGAZINE erinnert. Und zwei Jahre nach den erfolgreichen Live-Shows – das komplette Manchester Academy-Konzert wurde eindrucksvoll auf der „Real Life + Thereafter“-DVD eingefangen – erschien Ende 2011 mit „No Thyself“ tatsächlich auch ein MAGAZINE-Album mit zehn neuen Songs, auf dem allerdings Adamson fehlt, dem seine eigenen Projekte wichtiger waren.

Wer hier einen ähnlich großen Wurf erwartet wie beim Debütalbum „Real Life“ von 1978 mit seinen herausragenden Songs „The light pours out of me“ oder „Shot by both sides“, wird „No Thyself“ sicherlich ähnlich unversöhnlich gegenüber stehen wie den damaligen Folgewerken „Secondhand Daylight“ und „ The Correct Use Of Soap“. Auf denen prägten MAGAZINE einen Sound, der wenig mit dem oft einfallslosen Schema des sonstigen 77er-Punkrocks dieser Zeit zu tun hatte und mehr Prog als Punk war. Das Punk-Publikum hasste MAGAZINE dafür und hörte lieber die BUZZCOCKS, die Devoto 1976 zusammen mit Pete Shelley in Manchester gegründet hatte, nachdem die beiden einen Auftritt der SEX PISTOLS in London gesehen hatten. MAGAZINE waren eben immer schon mehr gewesen als reine Punk-Nostalgie und ließen sich auch mit Begriffen wie Post-Punk und New Wave nur schwer eingrenzen, auch wenn sie rückblickend wie das fehlende Glied zwischen Synthie-Pop, New Romantic und den eben genannten Kategorien erscheinen.

Auf jeden Fall hat das ihren Platten eine Zeitlosigkeit gesichert, die auch auf „No Thyself“ zu spüren ist, ein Album, das angenehm an die MAGAZINE erinnert, die ich persönlich immer sehr geschätzt habe, und das wie schon die erste 7“ „Shot By Both Sides“ von 1978 mit einer wundervoll bizarren Lithografie des französischen Symbolisten Odilon Redon versehen wurde. Insofern war es eine schöne Erfahrung, hintereinander am Telefon mit Sänger Devoto und Keyboarder Formula sprechen zu können.

Howard, du hattest 2002 ja einen kleinen, aber sehr amüsanten Auftritt in „24 Hour Party People“, in dem es um die aufkeimende Siebziger-Punk-Szene rund um Manchesters legendäres Label Factory Records geht. War der Film in deinen Augen eine akkurate Aufarbeitung der damaligen Geschehnisse?


Also ich sehe „24 Hour Party People“ als zweigeteilten Film an. In der ersten Hälfte geht es vor allem um JOY DIVISION und NEW ORDER, in der zweiten um die HAPPY MONDAYS, wozu ich nicht so viel sagen kann. Der Film ist generell sehr selektiv, es geht vor allem um Factory. Als die Produzenten mich wegen einer kleinen Gastrolle ansprachen, schickten sie mir zuerst das Drehbuch, das sehr fiktiv war, sie hatten sich viele Sachen ausgedacht. Aber als ich den fertigen Film dann sah, hatte ich schon das Gefühl, dass sie sich sehr bemüht hatten, alles möglichst wahrheitsgetreu darzustellen. Die Szene mit mir habe ich mir übrigens selbst ausgedacht. Im Drehbuch gab es zuerst nur eine Szene, in der der Darsteller, der mich spielt, in einer Herrentoilette ein Techtelmechtel mit Tony Wilsons Frau hat. Ich rief die Produzenten dann an und sagte, dass ich dabei auch selbst als Reinigungskraft auftauchen wollte, um direkt in die Kamera zu sagen, dass das so gar nicht passiert sei, haha. Und dem Regisseur Michael Winterbottom gefiel diese Idee.

Meinst du, der Film hat die Renaissance von Musik dieser Ära in den letzten Jahren begünstigt?

Das wäre sicherlich eine gute Sache, aber das muss ich dir jetzt einfach mal glauben, denn ich bin bezüglich aktueller Musik überhaupt nicht mehr auf dem Laufenden.

Und was für Musik hörst du noch, womit beschäftigst du dich?

Vor allem mit dem Klang meines leeren Kopfes, haha. Ich befinde mich da in einer seltsamen Situation, denn vor 30 Jahren habe ich viele Bücher gelesen, mir viele Filme im Kino angeschaut, ging zu Ausstellungen und hörte mir Musik an, aber all das tue ich nicht mehr – I don’t do culture! Was ich noch lese, sind überwiegend historische Romane.

Erscheint es in diesem Licht nicht etwas seltsam, dass du dich jetzt wieder als Sänger von MAGAZINE auf eine Bühne stellst?

Haha, eigentlich ist es dadurch viel angenehmer geworden, da ich nicht mehr so viel mit Musik und Kultur am Hut habe. Es gibt ja genug andere Dinge, die auf der Welt passieren, viel wichtigere Dinge. Aber es besitzt natürlich nach wie vor einen wichtigen Platz in meinem Leben. Und vielleicht schränkt es mich ja tatsächlich etwas ein bezüglich meines neuen Jobs im Bereich Kultur, wer weiß.

Würdest du deine Rolle in MAGAZINE tatsächlich als Job definieren?

Also ich hatte ja in den letzten 16 Jahren einen ganz normalen Job im Bereich Fotografie. Aber da war ich nicht in kreative Prozesse eingebunden, ich habe eher im „Hinterzimmer“ gearbeitet. Ich weiß also, wie das ist, einen normalen Job zu haben, und es hat mir auch gefallen. Der Job eines Musikers ist natürlich ganz anders, auch wenn es durchaus viel Arbeit bedeuten kann. Und ich hatte in gewisser Weise auch vergessen, wie viel Zeit und Arbeit man in so ein Album stecken muss.

Aber als MAGAZINE 2009 das erste Mal wieder zusammen auf einer Bühne spielten, stand sicherlich noch eher der Spaß im Vordergrund, oder?

Ja, aber selbst das war mit viel Arbeit verbunden. Ich musste mich neu in die Songs hineinfinden und sie lernen, es ist schließlich 30 Jahre her. Und in meinem Alter, ich bin 59, kann man es sich nicht erlauben, das zu lässig anzugehen, man muss sich körperlich darauf vorbereiten, vor allem als Sänger. Ich habe letztens Keith Richards Autobiografie gelesen. Vor zehn oder 15 Jahren war er der Sänger einer Band namens THE X-PENSIVE WINOS. Im Buch erzählt er ja von all seinen Ausschweifungen und wie er nächtelang ohne Schlaf auskam, aber als Sänger ging ihm plötzlich dann doch mal die Puste aus und er musste gleich nach dem Konzert ins Bett, haha.

Ich muss sagen, dass deine Stimme fast noch besser klingt als vor 30 Jahren. Wie hat sich dein recht expressiver Gesangsstil überhaupt entwickelt, eher zufällig?

Danke, aber ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wo das herkommt. Es ist einfach das, was bei mir herauskommt, und damit muss ich irgendwie arbeiten. Ich habe damals mal überlegt, Gesangsstunden zu nehmen, aber Dave sagte: „Mach das nicht, Howard, das ist das Schlimmste, was du tun kannst!“ Aber ich habe dann doch Gesangsstunden genommen, aber nur für kurze Zeit.

Gab es damals Sänger, die dich beeinflusst haben?

Inzwischen sage ich zwar, dass ich zu alt bin, um mich von anderen Leuten beeinflussen zu lassen, aber auf der BUZZCOCKS-EP „Spiral Scratch“ war es sicher John Lydon. Und auch Iggy Pop. Generell mag ich Leute wie Bob Dylan oder Leonard Cohen, die im konventionellen Sinne zwar keine besonders schönen Stimmen besitzen, aber sehr ausdrucksstarke Sänger sind. Und sie dürfen dabei nicht zu perfekt klingen.

Würdest du auch JOY DIVISION-Sänger Ian Curtis zu dieser Kategorie zählen?

Auf jeden Fall, er hat viele Leute gerade wegen seiner Stimme begeistern können.

Ich komme darauf natürlich wegen des Songs „Hello Mister Curtis“ auf dem neuen MAGAZINE-Album. Es scheint da um selbstmordgefährdete Musikerpersönlichkeiten zu gehen, wenn ich das richtig sehe.

Ja, der Song ist allerdings schon zehn Jahre alt und somit das einzige Stück auf dem Album, das nicht neu ist. Es mag wie ein recht simpler Song klingen, aber es gibt darin jede Menge Bedeutungsebenen. Generell wollte ich natürlich etwas über die recht sonderbare Vorstellung sagen, dass Musikfans sich offenbar angezogen fühlen von Inhalten, in denen es um selbstzerstörerische Tendenzen geht. Als ich aufwuchs, war Selbstmord als Idee auch noch sehr wichtig für mich. Ich habe zwar nie konkret versucht, mir das Leben zu nehmen, aber Mitte der Achtziger durchaus mal mit dem Gedanken gespielt. Aber als ich älter wurde, habe ich mich immer zufriedener gefühlt und so verschwand auch die Idee von Selbstmord für mich. Mir wurde klar, dass ich nicht mehr so dachte und das gab den Ausschlag für diesen Song. Ich freundete mich mit dem Gedanken an, dass ich einen ganz gewöhnlichen Tod haben würde, vielleicht so wie Elvis im Badezimmer. Seltsamerweise bin ich den letzten Jahren wieder zu der Idee von Selbstmord zurückgekehrt, und zwar in dem Sinne, dass ich, wenn meine Zeit gekommen ist, hoffentlich auf möglichst angenehme Weise sterben werde, aber eben selbstbestimmt. Viele Leute sagen ja, dass sie am liebsten im Schlaf sterben wollen, aber ich bin zu sehr ein Kontrollfreak, als dass mich das ansprechen würde.

Ich hoffe, du verzeihst mir die etwas pietätlose Überleitung, aber der ursprüngliche MAGAZINE-Gitarrist John McGeoch verstarb 2004 genau so, nämlich im Schlaf, und mit 48 Jahren viel zu früh. Viele Leute halten ihn für einen der innovativsten und einflussreichsten englischen Gitarristen der letzten 30 Jahre. Wie wichtig war er für dich, um deine Ideen bei MAGAZINE umzusetzen?

Er war wahrscheinlich wichtiger, als mir das zum damaligen Zeitpunkt bewusst war. Er war das erste Mitglied in der Band, mit dem ich zusammengearbeitet habe, und ich wusste damals sofort, dass er ein guter Gitarrist ist. Einige Monate später war die Band dann komplett und ich arbeitete an „The light pours out of me“. Und John meinte: „Ich habe hier, glaube ich, das Richtige dafür.“ Und dann spielte er uns diese beiden sehr euphorischen Gitarrenparts vor, ich nenne sie die „shiny light sections“, von denen einer den Song beendet. Als John uns das vorspielte, wusste ich, dass er in kreativer Hinsicht wirklich etwas drauf hatte. Es war so schön und simpel, aber so unmittelbar – eine kleine Verbeugung vor TELEVISION, vor ihrem Song „Guiding light“ vom ersten Album. Ja, John war ein fantastischer Gitarrist, und in einer besseren Welt wäre er immer noch da und würde mit uns in der Band spielen. Aber um ehrlich zu sein, war es für mich nicht immer ganz einfach, mit ihm klarzukommen, denn wie in jeder anderen Band auch muss man ja viel Zeit mit den anderen verbringen. Und John hatte seine individuellen Probleme, was Alkohol und so was anging. Ich habe damals irgendwann in mein Tagebuch geschrieben: „Ich muss hier raus.“ Ich war sehr erstaunt, als ich später noch mal darauf stieß. Wir haben ja noch das „The Correct Use Of Soap“-Album zusammen gemacht und danach verließ John die Band. Das Problem war dann, ohne ihn ein neues Album aufzunehmen. Rückblickend betrachtet hätten wir mehr Zeit darauf verwenden müssen, einen neuen Gitarristen zu suchen. Aber zu dieser Zeit war mein Allgemeinzustand nicht der Beste, meine Willenskraft war geschwunden, und Ben Mandelson zu nehmen, war für mich die einfachste Lösung. Er war ein alter Freund von mir, der auf seine Weise ebenfalls ein exzellenter Gitarrist war, aber eben ein ganz anderer. Ich hatte gehofft, dass sich MAGAZINE dadurch in eine andere Richtung entwickeln würden, was ja okay gewesen wäre. Die Wahrheit aber war, dass wir drei Platten mit einem speziellen Sound gemacht hatten und uns stärker daran hätten orientieren sollen, was wir mit dem neuen Album „No Thyself“ ja wieder versucht haben. Wir haben statt John jetzt Noko, der andere Dinge in die Band einbringt. Noko war ja schon in seiner Jugend ein Fan von MAGAZINE. Als wir 2009 wieder auftraten, hatte er sogar dieselbe Gitarre wie John, eine Yamaha SG-1000, und er benutzte auch denselben Verstärker, was er als Teil seiner Aufgabe ansah. Darauf versuchten wir dann auch den Sound des neuen Albums aufzubauen. Auch wenn wir uns darauf in andere Richtung bewegen, wird alles von dem zusammengehalten, wo wir ursprünglich herkommen.

Das erste Mal hast du mit Noko 1988 und 1990 bei den beiden LUXURIA-Alben zusammengearbeitet. War das damals eine Weiterführung von MAGAZINE mit anderen Mitteln oder etwas komplett anderes?

Sagen wir es mal so, es war nah dran an MAGAZINE, aber dennoch etwas anderes. Der Hauptunterschied war, dass es nur zwei Leute gab, die alles allein gemacht haben, und mit einer Band ist das etwas ganz anderes. Beim zweiten Album war zwar Dave als Produzent beteiligt und hat auch bei einigen Stücken mitgespielt, aber das ist immer noch etwas anderes, als wenn Dave Formula tatsächlich festes Mitglied gewesen wäre.

Nach LUXURIA hast du dich nahezu komplett aus dem Musikbiz zurückgezogen, sieht man mal von deiner Zusammenarbeit mit Pete Shelley im Jahr 2001 für das Album „Buzzkunst“ ab. Woran lag es? Am mangelnden kommerziellen Erfolg, der ja schon bei MAGAZINE ein Problem war?

Ich war damals eigentlich sehr zufrieden mit dem zweiten LUXURIA-Album „Beast Box“, für mich war es ein Fortschritt im Vergleich zum Vorgänger „Unanswerable Lust“, weil Noko und ich wesentlich harmonischer aufeinander eingestimmt waren. Was den kommerziellen Erfolg anging, waren MAGAZINE eine „Platz eins“-Charts-Band im Vergleich zu der Resonanz auf LUXURIA, haha. Niemand konnte uns kulturell irgendwie unterbringen oder interessierte sich überhaupt für uns. Wir konnten nichts damit verdienen und irgendwann reichte es mir einfach. Es wurde zu dieser Zeit langsam, aber sicher ernst für mich. Und ich sagte dann damals zu mir und zum Rest der Welt: Also gut, dann werfe ich jetzt das Handtuch, haha. Bei MAGAZINE war es so, dass wir auf Tour oft Geld verloren. Wenn wir in größeren Läden aufgetreten wären, wäre das sicherlich anders gewesen, aber nicht auf dem Level, auf dem sich das bei uns abspielte. Also hoffte man, dass man irgendwie mit Platten Geld machen konnte, aber selbst das war im Fall von MAGAZINE nicht ganz einfach, auch wenn unsere Singles und Alben damals in den Charts waren. Aber man wollte ja auch nicht nur in die Charts wegen des Geldes, sondern wegen des Ruhms, oder? Vor allem, wenn man bedenkt, was man anstellen musste, um das zu bewerkstelligen. Insgesamt haben wir die Musik gemacht, die wir für uns selbst machen wollten, und hofften, dass die Leute das auch mögen würden. Wenn man nicht von Hause aus reich ist, versucht man natürlich als Musiker, damit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Und darum ging es auch bei MAGAZINE immer. Ich weiß noch, als wir bei Virgin unterschrieben, wie Simon Draper, der damals Virgin leitete, zu mir sagte: „Howard, du musst eine Sache verstehen, in diesem Geschäft verdienst du entweder sehr viel Geld oder gar keins.“ Ich habe damals darüber nicht weiter nachgedacht, man war einfach froh, dass man Platten machen konnte und genug Geld hatte, um sich von Woche zu Woche zu hangeln. So lief es bei MAGAZINE bis zum Ende im Jahr 1981. Und jetzt ist es anders, da wir alle andere Projekte haben und MAGAZINE nur eines davon ist. Wir sind nicht finanziell davon abhängig und das macht es für mich angenehmer. Damals war ich in vielerlei Hinsicht ein sehr unglücklicher Mensch.

Ein Kommentar zur neuen Platte war „Was? Dafür haben sie 30 Jahre gebraucht?“ Wie gehst du mit so einer Erwartungshaltung um?

Also erst mal hat es natürlich nicht 30 Jahre gedauert, um dieses Album aufzunehmen, sondern ein Jahr und acht Monate. Aber ich höre so einen Kommentar auch zum ersten Mal, denn bisher haben wir recht gute Reaktionen darauf bekommen. Ich bin mit dem Album so zufrieden, wie es auch bei jedem anderen MAGAZINE-Album der Fall war. Die Emotionalität der gesamten Klanglandschaft, die dabei entsteht, ist genauso gut wie alles, was MAGAZINE zuvor gemacht haben. Ich meine, die Songs wären auch nicht auf dem Album, wenn wir sie nicht mögen würden. Es ist nicht „MAGAZINE goes Easy Listening“ oder „MAGAZINE goes Jazz“ – it’s just us being us!

 


Dave, als ich mich mit deiner Biografie beschäftigt habe, fiel mir auf, dass es vor deiner Zeit bei MAGAZINE anscheinend keine wirkliche Verbindung zur damaligen englischen Punk-Szene gab, oder täuscht dieser Eindruck?

Nein, das siehst du ganz richtig. Möglicherweise kam das, weil ich schon etwas zu alt für die damit verbundene Drei-Akkorde-Aggression war. Ich war als Musiker schon vorher länger aktiv gewesen und diese Art zu spielen war irgendwie zu simpel für mich. Ich fand es natürlich als Jugendbewegung sehr interessant, aber für mich war es in diesem Stadium einfach zu rabiat. Ich besuchte auch regelmäßig die beiden Clubs in Manchester, in denen damals Punkbands spielten. Ähnlich wie Howard hatte ich mich schon immer für Fotografie interessiert und machte dort Bilder von den ganzen Bands, die damals nach Manchester kamen. Mich interessierte zu dieser Zeit aber mehr der soziale Aspekt als die Musik. Der ausschlaggebende Faktor, warum ich dann Mitglied bei MAGAZINE wurde, war Martin Hannett, der bekannte Produzent. Er rief mich damals an und machte mich auf eine Band aufmerksam, die beim lokalen Fernsehsender Granada vorgestellt werden sollte – das Programm moderierte Tony Wilson. Er sagte: „Dave, die musst du dir ansehen, die sind wirklich interessant!“ Natürlich gab es da schon die Verbindung zu den BUZZCOCKS, deren „Spiral Scratch“-EP er produziert hatte. Er hatte die BUZZCOCKS zur selben Zeit aufgenommen wie SLAUGHTER AND THE DOGS, aber ich kannte damals keine der beiden Bands. Er spielte mir beide EPs vor und fragte mich, welche von beiden mir besser gefallen würde. Und natürlich fand ich „Spiral Scratch“ deutlich interessanter. Jedenfalls sollte ich an diesem Abend wegen MAGAZINE das Programm anschauen, da sie einen Keyboarder suchten, was für mich vielleicht interessant sein könnte. Es war, glaube ich, ihr dritter oder vierter Live-Auftritt, den Granada damals filmte. Es lief ziemlich spät, um 23 Uhr oder so, und es war sofort offensichtlich, wie sehr sie sich vom Rest der Punk-Szene unterschieden. Und ich dachte: Ja, das ist es, damit kann ich mich musikalisch identifizieren, das ist wirklich aufregend und ansprechend. Ich rief Martin gleich danach sofort zurück, sagte ihm, dass ich interessiert sei, und er arrangierte ein Treffen zwischen mir und Howard. Howard kam dann zu der Einschätzung, dass ich von der Persönlichkeit her gut in die Band passen würde, bevor er mich überhaupt hatte spielen hören. Wir probten einige Male und irgendwie klappte es wohl ganz gut.

Im Gegensatz zu Howard bist du ja in Manchester aufgewachsen. Wie hast du damals Martin Hannett kennen gelernt?

Wir kannten damals die gleichen Leute, etwa Tosh Ryan, der Mitte der Siebziger ein wichtiger Teil der Musikszene in Manchester war. Und Martin und ich spielten dann zusammen in einer Kabarett-Truppe, mit der wir in erster Linie Geld verdienen wollten. Er spielte dort Bass. Er war ein ziemlich guter und ungewöhnlicher Bassist, aber er konnte keine Noten lesen, die wir für diese Art Musik nun mal brauchten und es funktionierte deswegen nicht sonderlich gut. Wir hatten auch einen schrecklichen Schlagzeuger. Und nach einem Auftritt meinten dann einige der Leute, mit denen wir zusammenarbeiteten, dass sie den Bassisten nicht mehr gebrauchen konnten. Mir passte ihre unfreundliche Art überhaupt nicht und ich sagte, dass ich auch gehen würde. Ich weiß auch nicht, vielleicht sind wir Freunde geworden, weil ich damals zu ihm stand und mit ihm zusammen diese Band verließ.

Hat Martin Hannett zu dieser Zeit überhaupt schon irgendwas mit dem Produzieren von Bands zu tun gehabt?

Also zu dieser Zeit war er noch mit seinem Universitätsabschluss beschäftigt. Er redete viel über wissenschaftliche Dinge und war sehr an Elektronik und HiFi interessiert, und er war ein großer Phil Spector-Verehrer. Wir blieben oft lange auf, tranken zusammen und hörten uns Platten an, und er hatte bereits damals Ambitionen, Platten zu produzieren, das muss so um 1975 gewesen sein. Aber es war ziemlich schwierig. Es war genauso, wie zu sagen: Ich will ein berühmter Schauspieler werden. Im Gegensatz zu heute, wo ja jeder Plattenproduzent ist. Aber wenn man ein junger Mann im Manchester des Jahres 1975 war, gestaltete sich das alles andere als einfach. Aber er schaffte es, was durch die Punk-Sache natürlich begünstigt wurde.

Du sagest vorhin, dass dir Punk zu simpel war. Was hast du überhaupt zu dieser Zeit gehört, Bands wie KING CRIMSON oder PINK FLOYD? Zumindest kann man diese Einflüsse bei MAGAZINE heraushören.

KING CRIMSON stimmt, PINK FLOYD weniger. Wobei ich PINK FLOYD durchaus in den späten Sechzigern gehört hatte, mich aber dann nicht weiter dafür interessierte. Aber als Miles Davis begann, elektrische Instrumente wie Keyboards einzusetzen, begann ich, viel Jazz zu hören. Bands wie WEATHER REPORT oder Chick Corea, dafür konnte ich mich begeistern. Dann kamen erst KING CRIMSON, die ganz offensichtlich gute Musiker waren, äußerst interessante Sachen machten und auch sehr britisch klangen. Es war ein schöner Kontrast zu der amerikanischen Jazz-Musik, die ich eben erwähnte. Außerdem habe ich mich schon sehr früh für schwarze Musik interessiert. Ich wuchs in der Nähe des Stadtteils Moss Side auf, wo sich in den Fünfzigern die erste Welle schwarzer Immigranten aus der Karibik niederließ. Es gab einen tollen Plattenladen im Einkaufszentrum von Moss Side, wohin mich meine Eltern am Wochenende mitnahmen. Der wurde von einem Weißen betrieben, der erkannte, dass es für diese Art Musik einen Markt gab, und begann, Platten aus Jamaika zu importieren. Er hatte Lautsprecher vor dem Laden und drinnen standen immer coole Schwarze, die sich dort Platten anhörten. Ich war immer sehr an Blues und Soul interessiert, und die erste Band, in der ich mit 17 spielte, war auch eine Bluesband.

Punkrock stellte ja eine Reaktion auf die ganzen Dinosaurier-Rockbands der Siebziger dar, insofern ist es natürlich komisch, dass eine Band wie MAGAZINE, die aus dem Punk-Umfeld stammte, ausgerechnet solche Einflüsse aufgriff, oder wie siehst du das?

Ja, in vielerlei Hinsicht war es Howards Reaktion auf Punkrock. Es war klar, dass viele der Bands, die vor Punk als Dinosaurier galten, für Howard ein Einfluss waren. Aber es war nicht ganz unproblematisch, sich auf solche Einflüsse zu berufen, selbst in Zeiten von New Wave, sieh dir nur an, wie einige Kritiker auf unsere zweite Platte „Secondhand Daylight“ reagierten. Sie fragten: Was soll Punk für einen Sinn gehabt haben, wenn ihr solch eine Platte aufnehmt?! Wir waren da wohl nicht vorsichtig genug, aber es war uns auch egal. MAGAZINE waren immer wie ein Haus, das jedem offen stand und in dem jeder seine musikalischen Ideen einbringen konnte, die im Kontext der Band Sinn ergaben. Das war für mich das Tolle an MAGAZINE, wir waren immer allem gegenüber aufgeschlossen. Ich behaupte nicht, dass das völlig einzigartig war, aber ich habe oft bei Bands den Eindruck, vor allem, wenn sie erfolgreich sind, dass sie sich ansehen, was sie schon vorher gemacht haben, und darauf alles aufbauen: „Wie weit können wir noch gehen? Lieber nicht zu weit, denn es könnte ja die Leute gegen uns aufbringen.“ Wir haben nie etwas in solch kalkulierter Form gemacht.

Haben MAGAZINE überhaupt in den damaligen Post-Punk/New-Wave-Kontext gepasst, oder wart ihr generell zu seltsam für die meisten Leute?

Ich denke, nicht nur unsere Musik hat die Leute verwirrt, auch unser Aussehen hat verhindert, dass wir stärker wahrgenommen wurden. Wenn du dagegen die SIMPLE MINDS nimmst, mit denen wir zusammen auf Tour waren, und die irgendwie von MAGAZINE beeinflusst waren, gelang ihnen gut der Übergang hin zu ihrem späteren Stadionrock, mit dem sie enorm erfolgreich wurden. Man muss entweder in das Schema der sonstigen Rockbands passen, was für die SIMPLE MINDS mehr als uns galt, oder man musste schon sehr extrem sein, was mehr das Aussehen als die Musik betrifft. Andererseits war es auch nicht so, dass wir nicht darüber nachdachten, wie wir uns auf der Bühne präsentieren konnten. Aber es gab bei uns keine Treffen, wo wir darüber entschieden, welche Klamotten jeder zu tragen hatte. In den Anfangstagen von MAGAZINE kann man sehen, dass John McGeoch Bondagehosen trug. Und unser erster Schlagzeuger Martin Jackson hatte blondierte Haare. Es sah mehr nach Punk aus, als wir auf unserer ersten Platte dann klangen.

Wobei ein Song wie „The light pours out of me“ auch für ein Punkrock-Publikum nach wie vor attraktiv sein dürfte.

Absolut, genauso wie „Shot by both sides“ oder „Recoil“ vom „Real Life“-Album, die alle eine ausgeprägte Punk-Energie besitzen.

Angesichts deiner frühen Verbindung zu Martin Hannett, der ja dann euer drittes Album „The Correct Use Of Soap“ produzierte, wundert es mich fast, dass ihr nie auf Factory wart.

Wir hatten ja auch eine starke Verbindung zu Factory-Gründer Tony Wilson, der die Band anfangs sehr unterstützte. Aber ich bin mir nicht sicher, ob Factory zu der Zeit, als Howard den Vertrag mit Virgin für die Single „Shot By Both Sides“ unterschrieb, überhaupt schon ein funktionierendes Label war. Als Martin begann, JOY DIVISION zu produzieren, habe ich übrigens mit zusammengewohnt, zu der Zeit, als sie sich noch WARSAW nannten. Ich hatte so einen recht guten Einblick, was er mit JOY DIVISION tat und wie sie klangen. Es wäre sicher interessant gewesen, zusammen mit JOY DIVISION auf dem selben Label zu sein.

Inwiefern hat es sich damals für euch ausgezahlt, auf einem recht großen Label wie Virgin zu sein?

Virgin umgab ja immer die Aura eines Independent-Labels, und sie haben unsere Band immer sehr unterstützt. Ich denke, dass sie noch nicht mal enttäuscht wegen der geringen Plattenverkäufe waren, nach der ganzen Publicity für „Real Life“ und den positiven Reaktionen auf die Platte. Denn Simon Draper, der Virgin mitbegründet hatte, war ein großer Fan unserer Band. Auch wenn wir, wie gesagt, nicht viele Platten verkauften, hatten wir einen Kultstatus, der gut für das Label war. Und Virgin ermöglichte uns, viel auf Tour gehen zu können, da sie das nötige Geld dafür hatten. Ich denke, es funktionierte so gut, wie es eben möglich war. Und man sah Virgin generell als tolles Label an, bei dem jeder gern unter Vertrag sein wollte. Geschadet hat uns das sicherlich nicht.

War denn der ausbleibende kommerzielle Erfolg ein ausschlaggebender Faktor für das Ende von MAGAZINE 1981, oder hatte ihr in kreativer Hinsicht einfach alles gesagt, was ihr sagen wolltet?

Nein, ich denke nicht, dass wir alles gesagt hatten, deshalb spielen wir wohl auch wieder zusammen und haben ein neues Album aufgenommen. Aber wir hofften damals, dass „The Correct Use Of Soap“ kommerziell erfolgreicher sein würde. Wir sind damals zwar nicht verhungert, wir konnten uns als professionelle Musiker behaupten, aber unser Leben war dennoch nicht ganz einfach. Vor allem John McGeoch war ziemlich aufgebracht wegen dieses enttäuschenden kommerziellen Erfolgs, weshalb er dann Mitglied bei SIOUXSIE AND THE BANSHEES wurde. Und als er weg war, passierte auch etwas innerhalb der Band. Auch wenn wir noch ein weiteres Studioalbum ohne ihn aufnahmen, war eine Kombination zerstört worden, die bisher recht gut funktioniert hatte. Es fühlte sich irgendwie nicht richtig an, auch wenn einige gute Songs auf „Magic, Murder And The Weather“ waren. John McGeoch war nicht mehr dabei, und es wäre wichtig gewesen, dass er dabei ist. Howard war auch ziemlich enttäuscht, ebenso wie ich, insofern traf er damals die richtige Entscheidung, die Band aufzulösen.

Also bist du ähnlich wie Howard der Meinung, dass MAGAZINE ohne John McGeoch nicht mehr dieselbe Band waren?

Ja, durch das, was John zu den Platten beigetragen hat. Ich meine, wir reden über eine recht kleine Gruppe von Leuten, insofern ist der Sound, den John auf den Platten prägte, unheimlich wichtig gewesen. Natürlich neben meinen Keyboards oder Barrys Bass, durch all diese Dinge konnte man uns leicht erkennen. Und weil durch Johns Tod diese Basis fehlte, war es nicht ganz leicht, uns zu entschließen, neue Songs aufzunehmen. Ich will damit sagen, dass diese Sounds einfach wichtig für MAGAZINE waren. Und Noko hat versucht, auch wenn er ein anderer Gitarrist als John ist, die besten Teile von dessen Gitarrenspiel aufzugreifen und mit seinem speziellen Stil zu adaptieren, und dabei nicht nur John zu kopieren, wie es Robin Simon auf dem „Play.“-Live-Album getan hatte. Noko hat es gut geschafft, sich dabei treu zu bleiben und dennoch Johns Werk zu erhalten. Man sagt zwar immer – und ich denke, dass das auch wahr ist –, dass jeder Musiker identifizierbar ist, wenn man ihn spielen hört, weil jeder eine individuelle Note besitzt. Insofern ist es schwierig, so etwas zu reproduzieren, aber Noko war schon ein großer Fan von John McGeoch, bevor er mich oder Howard persönlich kannte beziehungsweise mit Howard bei LUXURIA zusammengearbeitet hatte. Er hatte viele Ideen und Sounds von John verinnerlicht, weil ihn das schon so lange begleitete. Und bei den Live-Auftritten 2009 musste er natürlich auch ähnlich wie John spielen, weil die Platten nun mal so klingen, man kann da keinen anderen Gitarrensound benutzen, das hätte nicht funktioniert.

Wie Howard mir sagte, hat Noko mit den gleichen Gitarren wie John gespielt. Wie sah das bei dir aus, hast du irgendwelche Vintage-Synthesizer benutzt?

Für die Platte habe ich den Original-Synthesizer aus dieser Zeit benutzt, den ARP Odyssey, der auf allen MAGAZINE-Platten zu hören ist und den ich damals auch live gespielt habe. Aber 2009 gefiel mir der Gedanke nicht, mit dem ARP Odyssey wieder auf Tour gehen zu müssen, da der sehr anfällig ist, denn die Einstellungen verändern sich ständig und man muss ihn vor jedem Song neu programmieren, und diesen Stress hätte mein Herz nicht ausgehalten, haha. Aber es gab damals eine deutsche Firma namens Creamware, die klassische Synthesizer mit Hilfe digitaler Technologie nachbaute, wie eben den ARP Odyssey, und sie hatten das wirklich gut hinbekommen, es ist schwer, da einen Unterschied festzustellen. Bei den Shows 2009 habe ich ihn auch benutzt.

Speziell diese Keyboardsounds kategorisierte jemand in einer Besprechung zur neuen Platte allerdings als „eighties cheesiness“. Meinst du, dass MAGAZINE inzwischen eine Form angestaubter Achtziger-Aura umgibt?

Ich denke nicht, zumal diese Interpretation auch musikhistorisch völlig falsch ist ...

Natürlich, Anfang der Achtziger hatten sich MAGAZINE ja bereits aufgelöst ...

Ja, und diese Hammondorgel-Sounds stammen bereits aus den Sechzigern oder noch früher und der ARP Odyssey wurde Anfang der Siebziger eingesetzt. Es ist immer leicht für Leute, so was falsch zu interpretieren, auch wenn man gar nicht zu diesem Bereich gehört. Wahrscheinlich wegen meiner Beteiligung an VISAGE und durch die ganzen Synthie-Bands in den Achtzigern.

Apropos VISAGE, deren Song „Fade to grey“ ja zu einem dieser unverwüstlichen Achtziger-Jahre-Hits wurde. Wie sehr warst du tatsächlich kreativ bei dieser Band eingebunden?

In finanzieller Hinsicht habe ich es in gewisser Weise vermasselt, denn der Song entstand schon vor VISAGE, weil bei einer Sache, in die Midge Ure und Billy Currie von ULTRAVOX involviert waren, noch Studiozeit zur Verfügung stand. Ich hatte damit also hinsichtlich des Songwritings nichts zu tun, aber ich war sehr wohl an den anderen Songs auf den ersten beiden VISAGE-Alben beteiligt. Es fing damit an, dass ich, Barry Adamson und John McGeoch von Rusty Egan gefragt wurden, der MAGAZINE und ULTRAVOX sehr mochte, ob wir uns vorstellen konnten, etwas zusammen aufzunehmen, weil der Londoner Club Blitz, wo er DJ war, nach elektronischer Musik suchte, und die einzige elektronische Musik, die sie mochten, kam aus Frankreich oder Deutschland. Also mussten sie noch andere Musik bei den Club-Veranstaltungen spielen, die aber nicht passte. Bei VISAGE ging es also darum, schnell Musik aufzunehmen, die man dort im Club spielen konnte. Es war für uns drei aber nur ein Nebenprojekt, weil wir zu der Zeit noch mit MAGAZINE beschäftigt waren, Platten aufnahmen und auf Tour waren. Mir hat das nie so viel wie MAGAZINE bedeutet. Es war ein Hobby, die Musik war seicht, es war Popmusik, aber das ist ja nichts Schlechtes. Wir hatten das Ganze auch schon längst abgehakt, nachdem wir das erste Album aufgenommen hatten, und machten mit MAGAZINE weiter. Wir hatten VISAGE innerlich bereits zu Grabe getragen, denn Ende 1979 hatten wir eine Single namens „Tar“ veröffentlicht, die nur wenig Interesse erregte. Ein Jahr lang passierte überhaupt nichts. Eines Tages lief ich dann durch Soho und plötzlich rief jemand meinen Namen. Es war ein Manager von ULTRAVOX, der auch mit VISAGE zu tun hatte, und er sagte zu mir: „Dave, weißt du eigentlich, dass du auf Platz eins der deutschen Charts bist?“ – „Was?!“ – „Ja, auf Platz eins der Single- und Album-Charts!“ Und da ich zu der Zeit gerade pleite war, fragte ich ihn direkt, ob er mir denn fünf Pfund leihen könnte und er gab mir gleich zehn, haha. Mehr wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht über VISAGE, aber wir hatten dann in ganz Europa ähnliche Chartsplatzierungen. Für mich kam das völlig überraschend.

Zwei Jahre später entstand dann ein weiteres VISAGE-Album, das aber diesen Erfolg nicht wiederholen konnte, oder?

Nein, auch nicht ansatzweise. Ich hatte aber längst das Interesse daran verloren, ebenso wie Barry und John. Aber ich verstand mich immer noch recht gut mit Billy Currie, dem Keyboarder von ULTRAVOX, und blieb deshalb wahrscheinlich länger bei VISAGE, als es tatsächlich nötig war.

Hast du eigentlich noch Kontakt zu VISAGE-Sänger Steve Strange?

Er besuchte mich mal vor ein paar Jahren zu Hause. Er wollte, dass ich einen Song namens „Diary of a madman“ mit ihm aufnehme, was ich auch tat. Ich hatte ihn davor jahrelang nicht gesehen, und er wollte auch nur ein oder zwei Tage bleiben, war dann aber die ganze Woche bei mir, haha. Aber er ist ansonsten wirklich ein liebenswerter Mensch. Ich habe nie gehört, dass er etwas Böses über jemanden gesagt hätte, höchstens im Scherz. Aber er hat natürlich Probleme und ist zu sehr in diesem ganzen Popstar-Ding hängen geblieben. Er muss 24 Stunden am Tag Steve Strange sein, was ziemlich anstrengend ist.

War eine mögliche MAGAZINE-Reunion vor John McGeochs Tod im Jahr 2004 jemals ein Thema für euch gewesen?

Nein, wir haben zu Lebzeiten von John nie über eine Reunion geredet, das war nie ein Thema.

Wie kam es dazu, dass Barry Adamson nicht auf dem neuen Album mitgespielt hat, obwohl er ja bei den Live-Auftritten dabei war?

Nachdem wir 2009 zusammengespielt hatten, haben wir uns alle getroffen, inklusive Barry. Howards Meinung war, wenn wir weiter live als MAGAZINE auftreten wollten, wäre es nicht richtig, ausschließlich alte Sachen zu spielen, er wollte auch neue Songs aufnehmen. Ich hielt das auch eine für gute Idee. Aber Barry war nicht allzu enthusiastisch und wollte wissen, wie viele Songs uns überhaupt vorschwebten. Howard meinte dann, glaube ich, zwei oder drei. Barry stimmte dem zu. Wir tauschten dann einige Ideen untereinander aus und Barry wollte einige Bassparts hinzufügen. Aber das passierte nie, weil er mit seinem Filmprojekt beschäftigt war, was ihn zeitlich sehr einspannte. Wir kamen dann an den Punkt, an dem er sagte, dass er es nicht machen könne. Es war ein echter Rückschlag und ich dachte: Was machen wir jetzt? Aber als wir dann über die Songs sprachen, waren wir sehr überzeugt davon und wollten weitermachen.

Hast du dir im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, was die Leute für eine Erwartungshaltung bezüglich neuer MAGAZINE-Songs haben könnten? Als Band kann man da ja eigentlich nur verlieren, entweder man klingt zu wenig oder zu stark nach dem, was man vor 30 Jahren gemacht hat.

Auf jeden Fall. Aber wie alle Bands sind wir natürlich von unserem neuen Album überzeugt, sonst könnte man so was ja auch nicht machen. Für mich persönlich war das Album eine Erweiterung meiner Erfahrung, als ich 2009 nach 29 Jahren das erste Mal wieder auf einer Bühne stand. Es hätte alles fürchterlich schiefgehen können, aber das ist nicht passiert. Man kann ja auch nicht nur rumsitzen, alles genau durchplanen und am Ende dann doch nichts tun. Also haben wir uns gesagt: Machen wir es einfach und sehen, was passiert.


 


Der frühere BAUHAUS-Sänger Peter Murphy über seine Coverversion von „The light pours out of me“:

Als BAUHAUS in der britischen Musiklandschaft das erste Mal richtig wahrgenommen worden waren, kurz nachdem wir bei dem noch jungen Label Axis unterschrieben hatten, aus denen wenig später 4AD wurde, spielten wir als Vorband für MAGAZINE auf ihrer Tour nach der Veröffentlichung des Albums „The Correct Use Of Soap“ im Jahr 1980. Es war quasi der Schwanengesang dieser Band. Das war nicht nur meine erste Begegnung mit der Musik von MAGAZINE, sondern auch mit deren Gitarrist John McGeoch, dessen spezieller Stil ein wesentliches Element der musikalischen Ausrichtung seiner Band war. Später dann, im Jahr 1985, als ich mein erstes Soloalbum „Should The World Fail To Fall Apart“ aufnahm und beabsichtigte, den MAGAZINE-Song „The light pours out of me“ zu covern, war meine erste Wahl als Gitarrist der Mann, der für den markanten Gitarrensound des Songs verantwortlich war: John McGeoch. Bei diesem kurzen Zusammentreffen, als John sich bereit erklärte, für mich diesen einzigartigen Gitarrenpart einzuspielen, war ich sehr darüber erfreut, dass er meine Wahl, diesen Song zu covern, als großes Kompliment bezüglich seiner wichtigen Rolle bei der Entstehung des Originals ansah, und wir trennten uns anschließend als gute Freunde. In den darauf folgenden Jahren, bis zu seinem Tod 2004, begegneten wir uns allerdings leider selten, und wenn dann eher zufällig als geplant, und wie so viele andere war ich sehr schockiert und traurig, als ich von seinem unerwarteten Ableben erfuhr. Rückblickend betrachtet inspirierte mich auch das Thema des Songs dazu, „The light pours out of me“ zu covern, in dem es meiner Meinung nach um den besonderen Glanz der menschlichen Seele geht, so lange diese noch intakt ist. Und bei unserer Version Johns Gitarrenspiel zu hören, ist nach wie vor äußerst befriedigend für mich und erfüllt mich gleichzeitig mit sehr viel Stolz. Peter Murphy, 13. Dezember 2011