ENGINE DOWN, AUXES, RAH BRAS, DIVISION OF LAURA LEE, DECAHEDRON, BATS & MICE, MILEMARKER, FRODUS, MONORCHID ... Die Liste der Releases von Lovitt Recoerds aus Washington, D.C. ist lang, das Programm ein Paradebeispiel für ein Label, dessen stilistische Ausrichtung alleine vom Geschmack und den musikalischen Interessen seines Betreibers geprägt ist. Ich stellte Brian Lowit, der auch für Dischord Records arbeitet, einige Fragen zu Lovitt.
Brian, wann und wie wurde dir zum ersten Mal klar, dass es so etwas wie „Labels“ da draußen gibt? Was dachtest du damals, würden Plattenfirmen tun?
Ich denke, erstmals wirklich von Plattenfirmen gehört habe ich so etwa in der Junior Highschool. Das war zu der Zeit, als ich anfing, mich über einen Freund, der mir Punk und Hardcore durch ein paar Mixtapes zeigte, für Punkrock zu interessieren. Davor hörte ich hauptsächlich Metal und anderes von den Majorlabels und ich hatte keine Ahnung von der Punk- und Independent-Szene oder von Plattenfirmen. Das war, wie ein komplettes neues Universum zu entdecken, und ich fing so gut wie auf der Stelle damit an, Massen an Punk/Hardcore- und Indie-Veröffentlichungen zu kaufen, und begann auch damit, eine Reihe von Heften wie das Maximum Rocknroll zu lesen. So informierte ich mich über neue Bands, aber auch über Labels und ihre Vorgehensweise. Da ich in DC aufgewachsen war, wurde ich natürlich ein großer Fan von Dischord und ihrer Art, ein Label zu führen, sowie aller regionalen DC-Bands.
Wie sah dein erster Kontakt mit einem D.I.Y.-Label aus?
Bevor ich in der Punk-Szene aktiv wurde, hatte ich mir nie viele Gedanken über die Vorgehensweisen von Plattenfirmen gemacht, also lernte ich die Techniken der Punk/Indielabels parallel zu denen der Majorlabels. Wahrscheinlich hätte ich dir nicht einmal sagen können, bei was für einem Label irgendeine meiner LPs erschienen ist, bevor ich mit Punk startete. Was mich an den Labels begeisterte, die die Musik, für die ich mich interessierte, rausbrachten, war, dass sie größtenteils D.I.Y. waren. Sie waren leidenschaftlich bei der Sache und agierten außerhalb des Mainstreams.
Inwiefern hat das deine Vorstellung eines Labels verändert?
Eine Weile lang betrieb ich einen kleinen Mailorder-Vertrieb und verkaufte Platten auf Shows. Das war zu der Zeit, als ich auf der Highschool und später dann auf dem College war. Nach einer Zeit langweilte mich das etwas und ich fragte mich, warum ich nur die Platten anderer Labels verkaufen und den Vermittler spielen sollte, wo ich doch mein eigenes Label machen konnte. Es gab ja auch Massen an guten Bands, die keine Platten draußen hatten und die gehört werden sollten. Also rief ich während meines zweiten Jahres am College einfach mal eine der Bands an, die ich mochte und die auch aus DC war, und fragte sie, ob sie die Chance nutzen und eine 7“ mit jemandem, der nie zuvor eine Platte rausgebracht hatte, machen wollten, da ich sie großartig fand und der Meinung war, sie sollten dokumentiert werden – und sie sagten ja. So ging es von einem zum anderen und ich brachte 7“-Singles und LPs von regionalen DC-Bands raus bis ich so um die siebte Veröffentlichung rum eine LP rausbrachte von SLEEPYTIME TRIO aus Richmond, etwa 100 Meilen von DC entfernt. Mein Freund Shelby, der bei FRODUS spielte und eine Zeit lang beim Label aushalf, hatte mich SLEEPYTIME TRIO empfohlen. Als ich sie zum ersten Mal hörte, haute mich das total von den Socken und ich wusste, dass ich eine Platte mit ihnen machen musste!
Wie alt bist du, womit finanzierst du deinen Lebensunterhalt beziehungsweise das Label?
Ich bin 34, und außer für Lovitt arbeite ich auch noch bei Dischord Records, die von meinem Haus aus gleich die Straße runter gelegen sind. Gleich nach dem College bekam ich durch eine Zeitarbeitsfirma einen Job, bei dem ich wenig arbeiten musste, aber viel Geld bekam, was sich eine Weile gut auszahlte, weil ich in der Lage war, den ganzen Tag an Lovitt-Material zu arbeiten, während ich von jemand anders bezahlt wurde. Dennoch schmiss ich den Job hin, als ich mit ENGINE DOWN auf ihre erste Europatour ging und mir klar wurde, dass ich in meinem Leben mehr Flexibilität haben wollte, um solche Sachen machen zu können. Letztendlich bot man mir kurz nach der ENGINE DOWN-Tour einen Teilzeitjob bei Dischord an, der sich schließlich als Vollzeitjob herausstellte. Es ist ein schöner Job, weil er einem Flexibilität lässt und es außerdem ein Privileg ist, bei einem der wichtigsten Punk-Labels überhaupt zu arbeiten.
Gibt es für dich eine Welt außerhalb der Musik?
Es gibt sicherlich eine Welt außerhalb der Musik, aber die meisten meiner guten Freunde, mit denen ich Sachen, die nichts mit Musik zu tun haben, unternehme, habe ich durch die Musik kennen gelernt. Ich genieße es, ab und an mal etwas Distanz zur Musik zu gewinnen, da es leicht ist, zwischen Lovitt hier und Dischord da auch mal auszubrennen. Meine Familie hat ein Haus in Nähe eines Nationalparks in Maine und ich liebe es, dort hinzufahren und mich zu entspannen, wenn ich kann.
Was braucht eine Band, damit sie dich so sehr fasziniert, dass du sie auf deinem Label haben willst?
Ich arbeite nur mit Bands oder Künstlern, mit denen ich mich sowohl durch ihre Musik als auch als Person verbunden fühle. Es ist wichtig, dass ich die Leute, mit denen ich quasi in einer Partnerschaft zusammenarbeite, mag, ihnen traue und sie respektiere. Ich habe über die Jahre mit einem ganzen Haufen großartiger Leute gearbeitet und betrachte sie als Familie.
Für viele, schätzungsweise etwas ältere Leute haben Labels oder Bands aus der Region um Washington einen bestimmten Stil und eine bestimmte Attitüde inne – den „Dischord Factor“. Trifft das heutzutage noch zu oder ist das pure Nostalgie?
Viele Leute beziehen sich immer wieder auf den Dischord-Sound oder -Stil, aber ich bin mir nicht sicher, was sie meinen, da Dischord für mich nie einen anderen Sound oder Stil hatte als den, ein Punk-Label zu sein. Es dokumentiert einfach die DC-Punk-Szene. Die frühen Sachen wie MINOR THREAT und SOA oder GOVERNMENT ISSUE unterscheiden sich sehr von den Sachen aus den Neunzigern wie JAWBOX, SHUDDER TO THINK, HOOVER und FUGAZI, was wiederum anders ist als manche der neuen Sachen wie Joe Lally, ANTELOPE, THE AQUARIUM und THE EVENS. Es gibt keinen einheitlichen Sound bei Dischord-Veröffentlichungen.
Wo siehst du die Zukunft von Indielabels unter dem Einfluss der Veränderungen, die das Internet mit sich brachte?
Deine Einschätzung wäre wohl genau so wie meine, da ich auch vor zehn Jahren nie gedacht hätte, dass die Sachen heute so sein würden, wie sie es sind. Es ist wirklich beeindruckend, wie schnell sich der Status einer Plattenfirma – bezüglich ihres Tonträgerverkaufs – verändert hat, da die meisten Leute ihre Musik nun aus dem Internet beziehen. Damit meine ich nicht nur iTunes oder eMusic, sondern auch Blogs oder Torrent-Seiten, die sie kostenlos anbieten. Es ist einfacher denn je, Musik zu finden, und ich bin mir sicher, dass mehr Leute denn je zuvor die Musik, die wir herausbringen, hören. Was eine großartige Sache ist, da man sich keine Sorgen machen muss, dass jemand deine Releases nicht finden könnte, was an manchen Orten der Welt durchaus ein Problem ist. Der Nachteil aber ist, dass deutlich weniger Geld durch jede Veröffentlichung reinkommt, da ein großer Teil der Leute sich die Songs einfach frei aus dem Netz zieht, was es immer mehr erschwert, neue Veröffentlichungen rauszubringen und das Label am Leben zu erhalten.
Was ist da die Strategie deines Labels?
Lovitt zahlt größtenteils die Aufnahmen, das Mastering, das Packaging und die Promotion – und wenn die Leute die Tonträger nicht mehr kaufen, wird es schwierig, das weiterhin zu tun. Heutzutage geht es darum, die richtige Balance zu finden: Einerseits muss Musik zur Verfügung gestellt und zu bezahlbaren Preisen angeboten werden, andererseits muss man immer noch in der Lage sein, den Bands die Aufnahmen zu bezahlen und ihnen auszuhelfen. Wir legen unseren LP-Veröffentlichungen nun mp3-Codes bei und werden wohl mehr Limited Editions und Ähnliches machen, um die Leute zu motivieren, die Platten auch zu kaufen. Wir sind glücklich darüber, dass viele Fans unserer Bands und des Labels uns immer noch aktiv unterstützen, aber es braucht einen Ausgleich für das verlorene Geld und somit neue Ideen, wie man die Leute dazu kriegen könnte, Musik zu kaufen. Hoffentlich werden wir das Label fortführen können und die Leute unsere Musik nicht nur gut finden, sondern uns auch helfen, indem sie uns und unsere Künstler unterstützen, damit wir in der Lage sind, ihnen auch in der Zukunft gute Musik präsentieren zu können!
Was sind eure aktuellen und anstehenden Veröffentlichungen?
Viele Tonträger kommen Ende des Jahres raus. Die nächsten sind die QUIETING SYRUP-CD „Songs About A Sick Boy“, THE MERCURY PROGRAM-LP/CD„Chez Viking“, Alben von Ben Davis, DES ARK, FIN FANG FOOM sowie eine 7“ von BATS & MICE und vielleicht noch ein paar andere. Wir veröffentlichen derzeit viel innerhalb kurzer Zeit, aber die Platten sind alle wirklich fantastisch und ich bin auf jede Einzelne richtig stolz.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #86 Oktober/November 2009 und Joachim Hiller