LORDS OF THE NEW CHURCH

Apokalypse sofort

THE LORDS OF THE CHURCH waren immer ein komischer Haufen – und haben sich wirklich kein Stück verändert. Eine so genannte ‚Supergroup‘, hervorgegangen aus den Nachwehen der Punkrock-Explosion, bestehend aus Stiv Bator (ex-THE BOYS), Brian James (ex-THE DAMNED), Dave Tregunna (ex-SHAM 69) und Nick Turner (ex-BARRACUDAS). Die LORDS haben zwischen 1982 und 1984 drei einzigartige Alben herausgebracht, die in keine Schublade zu stecken sind: Punk, Glam, New Wave oder Gothic? 1985 löste die Band sich dann mehr oder weniger auf und veranstaltete ein paar Reunion-Konzerte, bis Stiv 1990 traurigerweise bei einem Autounfall in Paris ums Leben kam.

Letztes Jahr haben sich Brian und Dave mit ein paar neuen Musikern zusammengetan: Mit dem Sänger Steven Marque, dem Sänger und Gitarristen Adam BECVARE (THE LUSTKILLERS, ex-AMERICAN HEARTBREAK) – beides Amerikaner – und dem Schlagzeuger Steve Murray (FLATPIG). Nach einer Tour und einer CD („Believe It Or Not“ auf NDN Records) folgten weitere Konzerte, die die LORDS nach Kopenhagen führten, wo ich die Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem neuen Line-Up hatte.

Wie passen LORDS OF THE NEW CHURCH im Jahre 2003 in den momentanen Rock’n’Roll-Zirkus?

Dave:
Nun, wir machen immer noch Musik und eben kein Theater. Stiv ist nicht mehr da und wir werden nie wieder jemanden finden, der solche Scheiße baut wie er.

Könnt ihr euch an eure letzte Show in Kopenhagen im Ungdomshuset erinnern? Das war vor 20 Jahren und total chaotisch.

Dave:
Ja, Stiv hat da Flaschen ins Publikum geworfen – soweit ich mich erinnere.
Brian: Da mussten wir schnell den Rückzug antreten, haha. Haben wir danach überhaupt noch mal hier gespielt?
Dave: Nein, soweit ich weiß nicht. Stiv hat immer versucht, sich selbst zu zerstören ...

Ihr hattet 1989 ein seltsames Reunion-Konzert. Damals habt ihr eigentlich nach einem neuen Sänger gesucht, aber keinen gefunden und so hat Stiv bei dem Konzert ein T-Shirt mit einem Anzeigen-Text darauf getragen, auf die sich Sänger melden sollten. Oder wie ist das genau abgelaufen?

Dave:
Das ist eine längere Geschichte. Wir hatte ein paar Konzerte in Europa gebucht und eins in London. Stiv hat zu der Zeit in Paris gelebt und die meisten anderen von uns in London. Stiv meldete sich irgendwann und meinte, sein Rücken sei verletzt und er könne nicht spielen. Wir wussten nicht, was wir machen sollten, da wir das Geld dringend brauchten – wir hatten noch Steuern zu bezahlen. Wir sagten uns ‚scheiß drauf‘, haben eine Anzeige in die Zeitung gesetzt. Stiv hat dann herausgefunden, dass wir hinter seinem Rücken einen neuen Sänger gesucht haben ... Dann kam jemand aus Paris zurück und hatte Stiv gesehen, der offensichtlich doch nichts mit seinem Rücken hatte. Also meinte Stiv zu Brian: ‚Okay, ich spiele das Konzert in London mit, aber nicht die anderen.‘ Zu der Zeit war die Kommunikation zwischen uns nicht besonders toll. Jedenfalls kam Stiv dann für das Konzert in London an und war super nett zu uns allen und alles war gut. Er hat kein Wort darüber gesagt, dass ihn das ankotzt, dass wir nach einem neuen Sänger suchen oder irgendwas in der Art. Als wir dann für die Zugabe auf die Bühne gegangen sind, hat Stiv sein T-Shirt mit unserer Anzeige aus dem Melody Maker enthüllt. Er fing dann an, auf sein T-Shirt zu zeigen, während ich Bass spielte, und wenn ich Bass spiele, bin ich in einer vollkommen anderen Welt. Also dachte ich nur: ‚Cool, du hast ein neues T-Shirt‘. Ohne mir überhaupt die Mühe zu machen, den Text zu lesen. Ich wollte mich auch nicht auf der Bühne mit ihm anlegen. Stiv hat Kontroversen geliebt.
Brian: Stiv hatte wirklich einen tollen Sinn für Humor!

Ist Rock’n’Roll heutzutage noch so gefährlich wie früher?

Dave:
Na ja, es ist heutzutage schon mehr Theater mit Leuten wie MARILYN MANSON. Aber andererseits gab es diese theatralische Seite wie bei Alice Cooper schon immer.

Was ist denn überhaupt das Wesen von Rock’n’Roll?

Brian:
Attitude!
Dave: Amen!
Steven: Autoritäten in Frage stellen, für sich selber denken.
Dave: Rebellion. Rebellisch sein.
Steve: Rock’n’Roll sollte immer deine Eltern nerven.

Na ja, heutzutage scheint die Elterngeneration einen besseren Musikgeschmack zu haben als deren Kinder ...

Dave:
Hm, hoffentlich finden sie irgendwann heraus, wo Rock’n’Roll und Punkrock herkommt. Es wird schon klappen.
Brian: Ich hab ein 14-jähriges Kind, das einen super Musikgeschmack hat ...
Dave: Selbst die Jungs mit den Baggypants werden irgendwann erwachsen, oder versuchen zumindest, einen anständigen Geschmack zu entwickeln. Aber ernsthaft: Es gibt so viele geile Bands da draußen und wir hatten viele junge, lokale Bands als Support. Und alle lieben Rock’n’Roll und wollen wissen, wo und wie alles angefangen hat.

Wo haben die LORDS im Moment ihre Basis?

Dave:
Im Moment in Brighton, England. Es gibt da ein Studio und da proben wir auch, wenn wir zusammen sind.

Ihr habt ja auch ein neues Album draußen. Vorab gab es auf NDN Records aus Texas die Single „Believe It Or Not“. Auf welchem Label wird die neue CD erscheinen, oder habt ihr euch noch nicht auf ein Label festgelegt?

Steven:
Das Album heißt ‚Hang On‘ und wir haben es auch heute Abend dabei. Wir haben noch kein Label dafür. Wir hatten bis jetzt noch keine Zeit, da wir mit dem Mischen erst drei Wochen vor Tourbeginn fertig waren. Um diesen ganzen Scheiß werden wir uns kümmern müssen, wenn wir wieder zurück sind. Die drei Songs, die auf dieser NDN-Single sind, sind auch auf der CD, neben sieben neuen Stücken.

Auf der Single „Believe It Or Not“ gefällt mir der Song „Hashashin“ besonders. Mich erinnert er an HAWKWIND, da schwingt auch so ein arabisches Feeling mit ...

Dave:
Na ja, ich bin halt ein alter HAWKWIND-Fan und mochte sie, seit sie angefangen haben – die sind Rock’n’Roll. Und da gibt es solche orientalischen Einflüsse. Witzig, dass du HAWKWIND erwähnt hast, weil die mir dabei nie in den Sinn gekommen sind. Aber du hast Recht, das ist schon teilweise ziemlich abgespacet.

Ich hatte mir nach langer Zeit euer erstes Album wieder angehört und das klingt wie „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“. Worum geht es inzwischen in euren Texten?

Steven:
Zum Beispiel ein Song wie ‚Hashashin‘ wurde geschrieben, lange bevor die terroristischen Aktivitäten in der Welt so zugenommen haben. Aber viele Leute stellen einen Zusammenhang zwischen diesem Song und dem 11. September und dem Irak-Krieg her. Das Lied hat überhaupt nichts damit zu tun! Es handelt von einer Figur aus einer alten Geschichte, Hashashin, und ist wohl mehr Folklore als Zeitgeschichte. Aber es ist schon lustig, wenn sich einer deiner Songs als prophetisch und wahr herausstellt.

Und wovon handelt „Baby Babylon“?

Steven:
Er handelt von vielen verschiedenen Dingen und vielen verschiedenen Leuten. Es geht darum, dass sich in der Geschichte alles wiederholt und alles ein Kreislauf ist. Menschen oder Gruppen neigen dazu größenwahnsinnig zu werden und dann passiert irgendwann etwas fatales, was alles unter ihnen zusammenbrechen lässt.

Eure Gesangsstruktur mit zwei Leadsängern ist ziemlich ungewöhnlich, das gab es bei den alten Sachen nicht ...

Steven:
Ich denke, dass das ein sehr moderner Ansatz ist.
Brian: Stimmen sind wie Instrumente und klingen genau wie Gitarren total unterschiedlich und können unterschiedlich benutzt werden. Das kann in die Stücke auf sehr viele Arten eingebaut werden.

Wenn ihr ein paar Platten auf eine einsame Insel mitnehmen könntest, welche würden das sein?

Adam:
MOTÖRHEADs ‚Ace Of Spades‘.
Brian: Was von John Coltrane, und wahrscheinlich ‚Only The Lonely‘ von Frank Sinatra. Hättest du mich dasselbe vor zehn Jahren gefragt, hätte ich dir aber eine komplett andere Antwort gegeben.
Dave: VELVET UNDERGROUNDs ‚White Light/White Heat‘. Und einen Reggae-Sampler, den Steve mir gegeben hat.
Steve: Möglicherweise ‚Greatest Hits‘ von THE SKALITERS.

Foto: Sponge