13. DEZEMBER, KÖLN, DIE KANTINE. Exklusive LIVING COLOUR-Show in Köln - Crossover wird niemals alt.
Wir schreiben das Jahr 2023, Mittwoch, den 13.12.. Eine Ziffernfolge, die kontrovers ist - und in der Tat, wird es heute auch in gewisser Weise kurz um ein polizeiliches Thema gehen - jedoch auch als All Colours Are Beautiful verstanden werden kann. Und heute sind es speziell LIVING COLOUR(s).
1984 in New York City gegründet, gelten sie als Mitbegründer des Crossover und Funk Metal durch ihren Stilmix aus Funk, Soul, Pop, Rock und Metal. Niemand Geringeres als Mick Jagger unterstützte die Band schon vor der ersten LP-Veröffentlichung, produzierte Demos, half als Musiker aus oder nahm das Quartett ins Vorprogramm der ROLLING STONES - eine große persönliche Geste, die heute unter Musiker:innen rar bis unvorstellbar ist.
Doch bevor die mit Gold und Platin ausgezeichneten Vollblutmusiker Vernon Reid (Gitarre), Doug Wimbish (Bass), Will Calhoun (Drums) und Corey Glover (Gesang) die Bühne betreten, sorgt die Crossover-Hoffnung SLOPE aus Duisburg gegen 20:00 Uhr erst einmal für’s Aufwärmprogramm.
Nach ihrem 2021 LP-Debüt „Street Heat“ soll am 02. Februar mit „Freak Dreams“ der zweite Longplayer folgen, dann erstmals via Century Media. Als kleine Besonderheit hat die Band zwei Sänger an Bord, die sich als Rapper ausschließlich dem Mikro widmen. Simon, Fabio, Chin, Flow und Paddy geben von Minute Eins an Vollgas. Kein Wunder, denn die Chance, das Publikum zu überzeugen und neue Fans zu gewinnen, war vermutlich noch nie so günstig wie heute. Denn abgesehen vom fehlenden Clean-Gesang verstehen auch SLOPE es, Stile wie Hip Hop, Rock, (ein bißchen) Thrash und Metal zu kombinieren und eine homogene Einheit zu formen, die mit Recht als moderner Crossover mit deutlichen Reminiszenzen an die Ursprünge des Genres in den 90ern bezeichnet werden kann. Auffällig für den Sound sind immer wiederkehrende Tempowechsel, die Teil des prägnanten Groove-Arrangements der Band sind und Beatdown Fan-Herzen höher schlagen lassen. So folgen auf träge simplere Patterns plötzlich gummibandartig schnelle Parts, die mit Stakkato-Phrasen an den Mikros eine treibende Atmosphäre entwickeln. Die Schusswaffengesten von Simon und Fabio sind hier ganz zutreffende visuelle Untermalungen des Gesamtbilds. Überhaupt kümmern sich die Beiden darum, dass sich auf der Bühne was bewegt. Wer am Ende die ehrenvolle Aufgabe erhält und die dutzendfach überkreuzten Mikrokabel der Beiden entwirren darf, wird vermutlich vor den Shows ausgelost.
Die Nummer funktioniert und das Publikum spielt mit. So erhalten SLOPE deutlich mehr als freundlichen Achtungsapplaus trotz des verhaltenen Feedbacks auf die Frage, wer die Band denn bereits live gesehen habe. Über ca. 40 Minuten spielt sich der Fünfer durch ein buntes Set aus alten und neuen Songs der ersten EP, der Debüt-LP und der kommenden Platte. Wem das nicht gereicht hat oder wer neugierig geworden ist, kann sich SLOPE 2024 auf einer Tour durch die Republik (noch einmal) ansehen.
Nachdem schon während der Umbauphase bei der Enthüllung des Drumkits von Will Calhoun applaudiert wurde, fährt um 21:00 Uhr das Licht langsam runter und die Vorfreude auf LIVING COLOUR steigt. Das Intro erklingt…und endet abrupt. Irgendwas oder irgendwer scheint noch nicht fertig zu sein und die Fans müssen sich ca. weitere zehn Minuten gedulden, bis Vernon Reid als Erster die Bühne betritt und die Menge zum Jubeln auffordert. Hinter ihm folgen Corey Glover und Doug Wimbish, während sich Will Calhoun heimlich hinters Drumset geschlichen haben muss.
Hauptattraktion des Abends ist das 30. Jubiläum des 1993er Albums „Stain“, das mit Hits wie „Ausländer“ und „Leave it alone“ für Chartplatzierungen sorgte. Dass die Vier Ende 50 bzw. Anfang und Mitte 60 sind, merkt man ihnen zu keiner Sekunde an. Allein Corey Glovers Stimme ist konkurrenzlos frisch wie in frühen Tagen. Altersmüdigkeit kennt hier niemand.
Bevor jedoch „Stain“ in Gänze gespielt wird, arbeiten sich LIVING COLOUR erstmal durch „Middle man“ vom Album „Vivid“ und das TALKING HEADS Cover „Memories van’t wait“.
Corey Glover motiviert das Publikum während des Jubiläumsteils, „Ausländer“ mit ihm gesanglich zu beenden, was erstaunlich gut klappt. Als kleine, traurige und ebenso schöne Überraschung bauen sie eine kurze Version des Sinead O‘Conner Covers “Nothing compares 2 u” zu Ehren des Schauspielers Andre Braugher in die Setmitte ein. Bekannt wurde er u. a. durch seine Rolle als Captain Raymond Holt in der Polizei-Comedyserie „Brooklyn99“. Braugher verstarb überraschend am 11. Dezember 2023 nach kurzer Krankheit im Alter von nur 61 Jahren. Das Publikum erwidert ohne zu zögern den Wunsch Glovers, die Zeilen des Refrains zusammen mit ihm zu singen. Gänsehaut.
„Nothingness“ ist im Rahmen der Performance von „Stain“ am heutigen Abend vielleicht als der Ausnahmemoment zu erwähnen. Der Song baut eine unglaubliche Atmosphäre auf und Glover singt ihn mit einer faszinierenden Leidenschaft, dass es mich als Zuhörer von Anfang bis Ende kompromisslos fesselt.
Zum Abschluss des „Stain“ Sets spielt Doug Wimbish sein Bass-Solo bei „Wall“ als akrobatische Einlage, teilweise mit dem Mund, unterstützt durch Synthesizer-Effekte von seinem Effektboard.
Doch das Jubiläum der Band soll nicht das Einzige bleiben. So feierte Hip Hop jüngst den 50. Geburtstag und Wimbish lässt es sich nicht nehmen und rappt ein Medley aus Songs von Grandmaster Flash und der SUGARHILL GANG, u. a. „White lines (don‘t don‘t do it)“ und „Apache“.
Wimbish ehrt dadurch nicht nur eine der wichtigsten Jugendkulturen des vergangenen Jahrhunderts, sondern zitiert gleichzeitig seine eigene Geschichte. So gehörte er in den frühen Tagen des Hip Hop zur Rhythmusfraktion des Labels Sugarhill Records und spielte einst erwähnte Songs selbst ein. Darüber hinaus finden sich in der Diskographie der Band immer wieder Kollaborationen mit Hip Hop Artists wieder, darunter zum Beispiel Queen Latifah oder Doug E. Fresh.
Zum Ende des Abends baut die Band bei „Elvis is dead“, der ursprünglich mit Little Richard aufgenommen wurde, noch eine kurze Sequenz von „Hound Dog“ ein, damit auch wirklich alle verstehen, um welchen Elvis es hier heute geht.
Der vielleicht bekannteste Song der Band, „Cult of personality“, welcher der Opener ihres Debüts „Vivid“ ist, wird bis kurz vor Schluss aufgespart und zündet wie beabsichtigt die letzten Reserven. Die Nummer verbindet Generationen, so ist sie jüngeren Personen sicherlich als Teil der Guitar Hero-Setlist bekannt und ging dadurch in die Geschichte der Videogames ein.
Mit „Time‘s up“ endet der Abend in der logischen Konsequenz. Das Publikum, das in Köln exklusiv Zeuge des „Stain“ Jubiläums wurde, hat nicht nur rund 24 Meilensteine des Rock, Pop, Hip Hop und Metal für die persönliche Erinnerungsschublade erhalten, sondern auch die Gesellschaft von vier sympathischen Profimusikern in ihren besten Jahren genießen dürfen, die seit knapp 40 Jahren - kleinere Unterbrechungen sind zu entschuldigen - Feuer und Flamme für ihre Musik sind. Dieses Gesamtpaket tröstet auch über den Kritikpunkt hinweg, dass der Sound für Teile des Publikums an diesem Abend Raum für Optimierungen gelassen hat.
LIVING COLOUR würden gerne wieder das gesamte Land bereisen, so Corey Glover. Wir würden uns freuen und drücken die Daumen.
© by Fuze - Ausgabe #104 Februar/März 2024 und Sebastian Kaiser