Sie kommen aus Los Angeles, sind gerade mal 11, 14, 15 und 17 Jahre alt und werden als Girl-Punk-Sensation abgefeiert. THE LINDA LINDAS gelten als Speerspitze der neuen Riot Grrrl-Generation, die gegen Alltags-Rassismus, für mehr Gleichberechtigung von Frauen und zahllose andere feministische Themen kämpft. Anfang April ist ihr Debütalbum „Growing Up“ bei Epitaph Records erschienen. Am Pfingstwochenende war die Band in Deutschland, um bei Rock am Ring und Rock im Park aufzutreten. Dabei hat sich die Gelegenheit für ein Interview ergeben, die wir gerne genutzt haben, denn das für Ox 158 geführte Interview wirkte, bedingt durch den Umweg über E-Mails, eher statisch.
Wie ist das für euch, bei einem so riesigen Festival zu spielen?
Lucia: Das ist eine völlig neue Erfahrung für uns. Wir haben noch nicht wirklich viele Konzerte außerhalb von Los Angeles gespielt. Nicht einmal in Amerika, und jetzt treten wir in Deutschland bei diesem riesigen Festival auf. Wir sind zwar eine der kleineren Bands auf dem Billing, aber wir fühlen uns trotzdem sehr geehrt, hier sein zu dürfen. Nachdem wir so lange keine Shows spielen konnten, ist es erstaunlich, vor so vielen Menschen in der ganzen Welt aufzutreten.
Dieses Jahr gab es schon viele Diskussionen über Rock im Park und Rock am Ring, weil dort so wenige Frauenbands spielen. Nicht einmal zehn Prozent von allen Bands. Wie denkt ihr darüber?
Lucia: Wir hatten großes Glück, weil unsere Eltern uns schon sehr früh mit der Musik von Frauenbands vertraut gemacht haben. Sie haben uns Zugang zu diesem Teil der Musikszene verschafft, zu dem andere keinen Zugang haben. Das hat uns wirklich inspiriert und das wollen wir auch an andere Mädchen weitergeben, die glauben, sie dürften nicht auf der Bühne stehen. Es ist wirklich schwer, wenn du dich nicht selbst in der Popkultur entdecken kannst. Wir haben noch einen langen Weg vor uns. Ich würde allerdings nicht so weit gehen zu sagen, dass wir Role-Models sind. Aber ich würde sagen, dass es unsere Verantwortung ist, als Mädchen einfach kreativ zu sein. Das ist ein Mindset, das viele andere Künstlerinnen haben sollten.
In Köln gab es am Pfingstmontag sogar eine Art Gegen-Festival nur mit Frauenbands, nur um zu zeigen, dass es möglich ist, mehr Frauen auf die Bühne zu holen.
Bella: Bei Rock am Ring sind wir in den Catering-Bereich gegangen und haben uns gedacht: Wow, hier sind aber viele Männer. Wir sind scheinbar die einzigen Mädchen. Das ist schon ein bisschen traurig, aber wenigstens sind wir Künstlerinnen, die auf der Bühne stehen. Das braucht einfach seine Zeit, immerhin ist jetzt mal ein Anfang gemacht.
Lucia: Es ist nicht der Fehler von irgendjemandem, dass es bei diesem Festival zu wenige Frauenbands gibt. Allerdings haben jetzt viele Leute die Verantwortung, künftig auf die Suche zu gehen. Die meisten Leute wenden sich männlichen Bands zu, weil sie einfach da sind. Man kann sie buchen und sie sind großartig. Als wir bei Rock am Ring gespielt haben, habe ich viele Besucherinnen im Publikum entdeckt, die extra zu unserer Bühne gekommen sind, um uns zu sehen. Das hat uns total inspiriert. Das wollen wir sehen. Wir wollen nicht nur einen Haufen Typen mit freiem Oberkörper vor der Bühne stehen haben. Ich denke, es wird noch eine Weile dauern, bis wir wahre Gleichberechtigung erreicht haben. Und das ist alles, was wir wollen. Ich liebe die Idee eines Festivals nur für Frauen und es ist wirklich toll, dass die Leute langsam kapieren, dass die Welt mehr davon braucht.
Frauen und Mädchen Mut zu machen, ist ja auch Teil eurer Botschaft, oder?
Lucia: Es ist ein wichtiges Thema für uns geworden, auch weil man das von uns erwartet. Viele Menschen wollen, dass wir über all diese Ungerechtigkeiten sprechen. Es ist aber ganz schön hart, in so jungem Alter schon so viel Verantwortung auf seine Schultern zu laden. Ich habe das Gefühl, ich muss immer das Richtige sagen, sonst enttäusche ich andere. Gleichzeitig schreiben wir aber auch Songs über Dinge, die um uns herum passieren. Da geht es natürlich oft um Rassismus und Sexismus, denn das sehen wir ständig in unserer Schule. Es ist hart, damit umzugehen, weil es Teil des täglichen Lebens ist. Viele Songs beschäftigen sich aber auch mit anderen Dingen, die so passieren. Leider müssen wir über dieselben Dinge singen, mit denen sich schon andere Girl-Bands, POC-Künstler:innen oder Minderheiten seit Jahrzehnten beschäftigen mussten. Eigentlich wollen wir ja nur Musik machen. Darum sind wir hier.
Der erste Song, mit dem ihr bekannt geworden seid, war „Racist, sexist boy“. Die Reaktion auf eine Erfahrung, die Mila machen musste. Was ist passiert?
Mila: Das ist mir zur Mittagszeit in der Schule passiert. Etwa eine Woche vor dem Lockdown, der uns alle voneinander getrennt hat. Da kam ein Junge aus meiner Schule zu mir und meinte, dass ihm sein Vater gesagt hätte, er soll sich wegen des Virus von Asiat:innen fernhalten. Das hat mich total verstört. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich von dem Virus noch nicht viel gehört und wusste gar nicht, wovon er redet. Außerdem machte es für mich keinen Sinn, dass er Abstand von Asiat:innen halten sollte. Was hat das mit mir zu tun? Ich habe ihm dann erzählt, dass ich chinesische Wurzeln habe, und er ist sofort zurückgewichen. Später habe ich dann mit meiner Familie und der Band über den Vorfall gesprochen. Je länger wir geredet haben, desto klarer wurde mir, wie scheiße das von ihm war. Er hat das einfach gesagt und getan, ohne zu begreifen, dass es rassistisch war.
Geht ihr noch in die Schule? Wie bekommt ihr das unter einen Hut mit dem Alltag einer Rockband?
Lucia: Wir gehen alle noch zur Schule, bis auf Bella, die gerade ihren Highschool-Abschluss gemacht hat. Im Moment wurschteln wir uns irgendwie durch. Das heißt manchmal, dass wir unsere Hausaufgaben im Flugzeug oder im Backstage machen. Zum Glück haben wir sehr verständnisvolle Freunde und Lehrer, die wollen, dass wir als Band erfolgreich sind. Das ist wirklich etwas Besonderes, dass wir diese Community haben, die uns unterstützt. Genauso, wie uns unsere Eltern immer unter die Arme greifen. Die passen auf, dass wir nicht zu viel arbeiten, sondern eben auch Zeit für schulische Dinge haben. Wir werden zu nichts gezwungen. Außerdem ist unser Label nicht so drauf, dass uns drängt, so schnell wie möglich drei weitere Alben zu veröffentlichen. Oder Manager, die von uns wollen, dass wir fünf Interviews am Tag geben. Wir sind umgeben von Menschen, die wollen, dass wir Musik machen und glücklich sind. Das ist wirklich toll.
Ihr habt einen Vertrag bei Epitaph Records unterschrieben. Was bedeutet das für euch?
Eloise: Es ist wirklich saucool, dass wir auf demselben Label wie DESCENDENTS, RED AUNTS oder BAD RELIGION sind. Ich reibe mir immer noch die Augen, dass wir jetzt auch dazugehören, zu Bands, die wir immer sehr bewundert haben. RED AUNTS zum Beispiel sind zu einem Konzert von uns gekommen, um Hallo zu sagen. Außerdem haben wir Tim Armstrong von RANCID bei einer Superbowl-Party getroffen. Wenn wir nach London reisen, treffen wir DESCENDENTS, das wird ein großer Spaß. Das finde ich alles ziemlich aufregend.
Ihr habt mir erzählt, dass ihr Bands wie SLEATER-KINNEY oder BIKINI KILL toll findet. Ihr werdet oft als nächste Generation der Riot Grrrls bezeichnet. Wie denkt ihr darüber?
Lucia: Ohne diese Bands wären wir nicht hier. Diese Bands haben eine Bewegung ins Leben gerufen. Vor ihnen wurde es nicht akzeptiert, dass Mädchen in Bands spielen und auf Bühnen stehen. Wir haben Geschichten gehört, wie sie aus Clubs flüchten mussten, weil sie von wütenden Männern im Publikum gejagt wurden. Jetzt lachen wir vielleicht darüber, weil es aus heutiger Sicht so unwirklich klingt. Deshalb ist es wichtig, sich daran zu erinnern, warum wir hier sein können. Die Riot Grrrls sind ein Teil der Musikgeschichte und ich liebe es, wie man inzwischen darüber spricht. Für mich ist das ein wirklich wichtiger Teil von Punk und sehr wichtig für Mädchen. Weil wir selbst Mädchen sind, gehören wir natürlich auch zu dieser Szene. Und darauf sind wir wirklich stolz.
Wie hat das alles angefangen mit THE LINDA LINDAS? Und welche Rolle hat Kristin Kontrol von DUM DUM GIRLS dabei gespielt?
Mila: Kristin hat uns eingeladen, mit einer Reihe von anderen Mädchen und ohne jegliche Erfahrung bei einer Girlschool LA-Show aufzutreten. Dabei ging es darum, Spenden zu sammeln. Wir standen mit Karen O von YEAH YEAH YEAHS und BEST COAST auf der Bühne und das war wirklich super. Im gleichen Sommer hat uns Bella gefragt, ob wir sie nicht bei einem Konzert unterstützten könnten, zu dem sie eingeladen worden war. Zu dieser Zeit hießen wir noch nicht THE LINDA LINDAS, sondern BELLA AND FRIENDS, aber das war unser erstes Konzert in dieser Besetzung. Damals haben wir Coversongs von Bands gespielt, wie wir lieben. Natürlich in einer vereinfachten Variante, weil wir unsere Instrumente noch nicht so gut beherrschten. Zum Beispiel „Manic monday“ von den BANGLES oder „Our lips are sealed“ von GO-GO’S. Später kamen dann Songs von RAMONES, X-RAY SPEX oder BIKINI KILL dazu.
Wie hat sich euer Leben durch THE LINDA LINDAS und den Erfolg mit der Band verändert?
Lucia: THE LINDA LINDAS haben mein Leben auf jeden Fall hektischer gemacht, aber ich mag das alles. Wir können Musik machen, viel reisen und zusammen sein. Bis jetzt haben wir nur auf einem Arm unterschrieben. Ich glaube Bella wäre sehr froh, wenn es noch mehr werden. Inzwischen werden wir auch auf der Straße erkannt. Eloise war auf dem Weg in die Schule, als ihr jemand aus dem Auto zugerufen hat: I love you! Ein anderes Mal waren wir in der Bücherei und haben ein Mädchen mit einem LINDA LINDAS-Shirt gesehen. Mila ist dann hingegangen und hat gesagt, dass sie das Shirt mag. Das Mädchen hat sich bedankt und gar nicht bemerkt, dass Mila die Schlagzeugerin der Band ist. Das war wirklich lustig.
Wie haben eure Mitschüler und Lehrer darauf reagiert, dass ihr jetzt kleine Rockstars seid?
Eloise: Für meine Freunde war das keine große Sache, wir kennen uns schon seit dem Kindergarten. Da hat sich eigentlich nichts geändert.
Mila: Meine Klasse kommt gut damit klar. Manchmal kommen meine Mitschüler auch zu Konzerten von uns. Das finde ich immer ein bisschen komisch, wenn sie vor der Bühne stehen. Aber komisch auf eine gute Art.
Eloise: Am Tag, bevor wir nach Europa aufgebrochen sind, wollte ich mich noch von meiner Lehrerin verabschieden, als sie in einer anderen Klasse unterrichtet hat. Sie hatte sechs LINDA LINDA-Shirts dabei und die sollte ich dann vor den anderen Schülern unterschreiben. Dann erst hat ihre Klasse bemerkt, dass ich in einer Band spiele, und ich musste alles Mögliche signieren. Notizblöcke, Schulhefte und so weiter. Deshalb habe ich sogar mein Mittagessen verpasst. Die dachten wohl, sie würden alle reich werden, wenn sie mein Autogramm verkaufen. Egal, ich weiß auf jeden Fall den Gedanken zu schätzen.
Wo seht ihr THE LINDA LINDAS in fünf oder zehn Jahren? Wollt ihr professionelle Musikerinnen werden?
Lucia: Schwer zu sagen. Es würde mir das Herz brechen, mir eine Zukunft ohne THE LINDA LINDAS vorzustellen. Jetzt im Moment haben wir Spaß und machen Musik. Vielleicht machen wir das noch viele weitere Jahre, vielleicht aber auch nicht. Mila ist ja gerade mal elf Jahre alt und erst in sechs Jahren mit der Schule fertig. Es ist irgendwie beängstigend, dass wir irgendwann eine Entscheidung treffen müssen, wie es weitergeht.
Eloise: So lange wir Spaß mit der Band haben, wird es weitergehen. Das ist das Einzige, worauf es ankommt.
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