LINA HOLZRICHTER, LYSCHKO

Foto© by Lukas Kleimt

Frauenquote im Punk

Mit gerade mal 23 Jahren hat Lina Holzrichter schon viel erreicht und setzt sich vielseitig für die Musikszene ein, insbesondere in Solingen. Nicht nur im Vorstand des Solinger Kulturvereins Waldmeister und durch ihr Studium Soziale Arbeit, wo sie in der rassismuskritischen Kinder- und Jugendarbeit aktiv ist, sondern auch als Sängerin und Gitarristin der Band LYSCHKO und durch ihr Engagement im Vorstand des Band-Fördervereins Cow Club hat sie vielfältige Einblicke in die Szene und weiß aus erster Hand, wie es als Frau in der Rockmusik ist. Außerdem spricht sie im Interview über Lösungsansätze und Diversität auf Festivals.

Du bist noch jung, hast also einen etwas anderen Blick auf die Szene, würde ich sagen. Warum, denkst du, sind so wenige Frauen in Bands aktiv?

Das ist immer etwas schwierig. Ich bin in diesen Kontexten groß geworden und ich bin auch in Bands aktiv, seit ich 13, 14 Jahre alt war. Für mich war das immer gar keine Frage. Ich habe das einfach gemacht, aber ich muss auch dazusagen, ich war schon immer eine Cis-Frau, die viel in männerdominierten Feldern aktiv war und damit immer halbwegs gut zurecht kam. Ich habe auch einen Bruder, mit dem ich sehr close bin, und habe auch immer mit Männern zusammengelebt. Ich kann schwer von mir auf andere schließen, weil bei mir ganz oft eine „Jetzt erst recht“-Haltung eingesetzt hat. Die finde ich aber absolut nicht zu erwarten von anderen, aber ich war schon immer so, deshalb habe ich das ganz lange gar nicht so richtig hinterfragt und hatte auch selber diese eigenen „Cool girl“-Sexismen in mir, von wegen: Ja, warum macht ihr das denn nicht? Das geht doch total gut! Und da musste ich mich selber ganz viel hinterfragen, um mich nicht in dieser Rolle wohl zu fühlen, immer die einzige Frau im Backstage zu sein, die einzige Frau in der Clubleitung zu sein, sondern das als strukturelles Problem anzusehen. Ich selber habe auch zwei Jahre lang Gitarrenunterricht für junge Mädchen gegeben und von denen hatte tatsächlich auch nur eine Bock, in einer Band zu spielen. Alle anderen haben das nur für sich gemacht. Ganz erklären kann ich es mir natürlich immer noch nicht. Das Einzige, das mir da einfällt, sind die strukturellen Sachen. Die ganze Musikszene, vor allem die DIY-Szene ist einfach ein Bereich von weißen Männern. Ich kann total verstehen, dass man keinen Bock hat, sich darin aufzuhalten, und dann suchen sie sich eben ein anderes Hobby.

Wie bist du damals überhaupt zu Bands gekommen?
Ich bin in einer grundsätzlich sehr von Musik und vor allem auch für alles im Pop/Rock-Bereich begeisterten Familie großgeworden. Mein Vater hat auch immer in Bands gespielt und Konzerte organisiert. Für mich war das schon als kleines Kind immer Normalität. Das war auch für uns, für meinen Bruder und mich, mit dem ich auch gemeinsam in der Band spiele, immer das tollste Spiel. Wir waren als kleine Kinder krasse DIE ÄRZTE-Fans und ich war immer Farin und er Bela. Das war unser Lieblingsspiel, Lieder schreiben und mit dem Kassettenrekorder aufnehmen. Dann war es nur noch eine Suche nach anderen Menschen, die Bock hatten, bis wir dann mit Freund:innen gemeinsam unsere erste Band, damals hießen wir CUCKOO, gegründet haben. Ich bin in diese Kontexte reingewachsen und habe darin immer extrem viel Support von meinen Eltern erfahren.

Wie bist du auf die Gitarre gekommen? Hattest du Vorbilder oder hat sich das einfach so ergeben?
Ich wollte in erster Linie immer singen, das habe ich auch einfach immer gemacht. Die Gitarre war eher ein notwendiges Übel, weil nur Singen immer schwierig ist. Ich habe angefangen, Gitarre zu spielen, um mich selbst begleiten zu können, und damals auch für unsere Band, weil eine Gitarre gefehlt hatte. Dann habe ich mich ein bisschen mehr dahintergeklemmt, um auch E-Gitarre zu lernen, aber ich bin immer noch nicht die passionierte Gitarristin.

Wenn Frauen in Bands sind, dann singen sie meistens. Glaubst du, dass das auch mit den Vorbildern in der Szene zu tun hat, dass es einfach nicht so viele Frauen gibt, die man sich anschauen kann, die selber Instrumente spielen?
Wir haben da neulich noch drüber gewitzelt, weil wir ja auch eine Schlagzeugerin haben. Wir haben über Gender in unserer Band gesprochen und sie meinte, dass wir jetzt eine Schlagzeugerin haben, passt ja eigentlich gar nicht in das Rockband-Klischee und eigentlich müssten mein Bruder und ich auch unsere Rollen tauschen, weil normalerweise darf die kleine Schwester immer nur am Bass dabei sein – das wäre dann das andere Klischee. Wenn es weibliche Vorbilder in der Popmusik gibt, dann sind es meistens Sängerinnen. Da fallen einem ja meistens wenigstens noch ein paar mehr ein. Ich habe auch selber ganz lange wenig Musik mit Frauengesang gehört. Gerade in meiner ganz krassen Punk- und Metal-Phase, da hat das gar nicht reingepasst. Es ist auch schwierig, seine eigene Identität als Künstlerin zu finden. Das ist wieder dieser Kreis, man hält sich in so einer Männerszene auf, überall sind immer nur Männer und dann muss man sich erst mal finden und wo man hinwill. Es ist echt schwierig, sobald eine Sängerin singt, ist es ja ein eigenes Genre, „female-fronted“ oder whatever, also es ist so, als wäre es direkt eine andere Form von Musik, nur weil eine weibliche Person singt. Es gibt ganz viel, was man sich strukturell erklären kann, aber es gibt auch ganz viele Sachen, bei denen man sich fragt, wie das immer noch so sein kann.

Ich komme noch mal auf die Gitarre zurück, hattest du damals auch Gitarrenunterricht?
Ja, ich hatte drei Jahre Gitarrenunterricht, aber auch bei einem Mann, natürlich.

Hast du dir das ausgesucht oder hat sich das einfach ergeben?
Das hat sich einfach ergeben. Ich weiß nicht, was du über Solingen weißt, aber das ist nicht die riesigste Stadt mit der besten Infrastruktur und dann war es einfach der Gitarrenlehrer um die Ecke. Der war total nett zu mir, aber da musste ich auch immer die ganzen Rock-Classics spielen.

Kannst du dir vorstellen, dass das Ungleichgewicht von Männern und Frauen in Bands bereits bei der Wahl des Instruments beginnt?
Auch darüber habe ich mit Doris, unserer Schlagzeugerin, ganz lange gesprochen, weil dieses Schlagzeugerin-Ding noch mal krasser ist als zum Beispiel für mich als Sängerin. Wenn, dann wird man als Sängerin noch ganz gut akzeptiert und man hat diesen Diva-Status: Die hat eigentlich gar keine Ahnung von der Musik, aber sie ist die Frontfrau. Den Rest fragt man dann die Männer. Das sind Erfahrungen, die ich, aber auch ganz viele Freundinnen von mir gemacht haben, die in Bands spielen. Zum Beispiel, dass man beim Soundcheck gar nicht selber angesprochen wird. Die Leute gehen von vornherein davon aus, dass die Männer in der Band deinen Sound besser kennen als du selbst. Das erlebe ich an der Gitarre, das erlebt sie am Schlagzeug, dass immer die Jungs angesprochen werden, wenn es da irgendwelche Probleme gibt. Ich glaube schon, dass auch die akzeptierte Rolle für eine Frau oder für ein Mädchen eher das Singen ist, weil singen mit so schönen Sachen assoziiert wird, und dann gibt es noch so was wie Chöre ... Ich habe tatsächlich auch ein paar Jahre mal im Chor gesungen, mit zwölf oder so. Aber ich glaube, es ist so: Das Schlagzeug ist ein riesiges Gerät, da musst du drauf prügeln wie eine Irre – das ist jetzt nicht das, was mit weiblichen Werten assoziiert wird. Gitarre war bei mir auch krass – ich habe zwei Jahre Gitarrenunterricht gegeben, die Mädels wollten alle nur Akustikgitarre spielen, während die Jungs alle direkt mit der E-Gitarre und schön laut anfangen wollten. Die Mädels haben sich da nicht so richtig gesehen. Ich glaube, gerade in so einer Zeit, wo die Pubertät anfängt, da möchte man oft eher der Rolle entsprechen.

Wie sieht es bei befreundeten Bands von euch aus? Sind Frauen da auch eher in der Unterzahl?
Definitiv. Klar, bei diesen ganzen Schülersachen, wo es auch viele Coverbands gibt, da gibt es ein paar weibliche Personen, das sind meistens aber auch Sängerinnen. Als es dann mehr in Richtung Semi-Professionalität ging, so mit 16, 17, 18, da haben wir jahrelang mit keiner anderen Frau zusammengespielt, ganze Abende lang nicht. Dann wird es krass männerdominiert und jetzt, da ich ein paar mehr Bands kennen gelernt habe, wo Leute zum Teil auch davon leben oder das zumindest versuchen, und wir uns mehr in unserem eigenen Genre aufhalten und nicht mehr so random Abende in irgendwelchen Jugendzentren oder AZs spielen, haben wir wieder mehr Frauen getroffen, aber auch wirklich sehr in der Unterzahl. Ich habe jetzt vielleicht vier, fünf Freundinnen, die auch in Bands sind, aber die meisten sind eben Männer.

Singen die dann auch oder spielen sie Instrumente?
Die meisten spielen Gitarre und singen. Das sind meistens auch ihre Projekte, mehr oder weniger, wo sie auch die Lieder oder zumindest die Texte schreiben. Instrumentalistinnen kenne ich jetzt, außer unserer eigenen Schlagzeugerin, kaum welche.

Du hast vorhin schon ein paar Sexismus-Erfahrungen angesprochen, die du gemacht hast. Was hast du sonst noch für Erfahrungen als Frau in der Szene gemacht?
Dieses Soundtechniker-Ding – ich sage jetzt explizit Soundtechniker, weil es nie Frauen sind –, das habe ich selber sehr oft erlebt und auch alle meine Freundinnen, die Musik machen. Das ist dann dieses: „Die kann gar keine Ahnung von der Technik dahinter haben. Die kann gar nicht wissen, wie das zu klingen hat, und ich weiß das auf jeden Fall besser als sie.“ Ganz extrem ist es, die einzige Frau im Backstage zu sein und die ganze Zeit von irgendwelchen komischen Typen angebaggert zu werden. Das sind die krassesten Erfahrungen, dass einem die Professionalität abgesprochen wird und dass alle automatisch sexuell fokussiert auf dich sind und dass auch einfach kein Nein akzeptiert wird, wenn du keinen Bock auf die Gespräche hast. Ich leite auch das Waldmeister als Club und das sind auch Erfahrungen, die ich in dem Kontext gemacht habe, da kommt, glaube ich, bei mir auch noch der Aspekt des Alters dazu, dass ich mit 21 angefangen habe, diesen Club zu leiten, als Frau in einem sehr männerdominierten Feld. Mir wird oft meine Kompetenz abgesprochen, man darf gefühlt keine Schwäche zeigen, weil dann alle sofort darauf einhaken und einem wird sofort immer unterstellt, in Bezug auf Musik oder in Bezug auf die Clubleitung, man würde das ja gar nicht selber hinkriegen, sondern man bräuchte immer irgendjemanden im Rücken, der einem sagt, was man zu tun hätte.

Was muss die Szene anders machen, um für Frauen attraktiver zu werden? Wenn man es jetzt zum Beispiel mit dem Pop-Bereich vergleicht, wo Frauen sehr präsent sind, während es bei uns in der Szene leider nicht der Fall ist.
Ich weiß nicht, ich sitze ja auch ein bisschen zwischen den Stühlen. Unsere Band ist ein bisschen Punk, aber für die Punks eigentlich auch zu poppig und andersrum. Deswegen kann ich das auch ein bisschen von außen betrachten. Gerade im Punk/DIY/Hardcore-Bereich ist auch eine ganz große Arroganz vorhanden – es gibt ein Nonplusultra und alles andere ist falsch oder komisch. Ich glaube, das lässt sich auch auf ganz viele Bereiche übertragen. Ich selber habe das Problem auch in der Clubleitung vom Waldmeister, weil ich die ganze Zeit überlege, wie man es schaffen kann, dass wir uns diverser aufstellen. Natürlich ist die ganze DIY-Szene in Deutschland und vielen anderen, gerade europäischen Ländern, einfach weiß und männlich und das muss man so anerkennen. Was Rassismus- und Sexismus-sensible Standpunkte angeht – ich glaube alle stempeln sich selber ab mit: „Wir sind alle links, weil wir finden Nazis scheiße.“ Und dann ist aber auch Ende der Fahnenstange und der eigene Sexismus und der eigene Rassismus werden null reflektiert. Das ist, glaube ich, das Problem. Ich glaube, dass grundsätzlich die meisten Menschen sich nicht mit diesem Discomfort anfreunden möchten. Es reicht nicht zu sagen: „Ich finde Nazis scheiße, ich finde Sexismus scheiße“ oder „Sollen die Frauen doch kommen, ich habe doch nicht gesagt, die dürfen nicht!“, sondern dass man einfach mal was dafür tun muss, um ein Safe Space zu werden und um Möglichkeiten zu eröffnen, und das beinhaltet auch, dass man seine eigenen Privilegien abgibt. Das sind nur die kleinen Beispiele. Ich glaube, da muss ganz viel Reflexion passieren, um diese Strukturen, die Jahrzehnte gewachsen sind, aufzubrechen.

In letzter Zeit ist auch viel darüber diskutiert worden, dass Festival-Line-ups nicht besonders divers sind und dass Frauen da nur einen sehr kleinen Anteil haben. Ist es nicht schwierig, mehr Frauen-Bands auf die Bühne zu holen, wenn es in erster Linie nicht so viele Frauen in Bands gibt?
Theoretisch ja. Es gibt zum Beispiel das Primavera Festival in Spanien, die explizit ein 50/50-Line-up haben und das auch so promoten. Das kann man natürlich auch wieder kritisieren. Für mein Empfinden ist das ein guter Anfang. Es gibt weniger Frauen in Bands, das ist ein Fakt. Aber dann immer zu sagen „Ja, das ist jetzt so“ und nichts an den Strukturen zu verändern, ist auch ein bisschen kurz gedacht. Das ist wie mit der Frauenquote. Es ist noch niemandem geholfen, wenn auf einmal in privilegierten Positionen, wie bei den großen Festivals oder in Führungsetagen, ein bisschen darauf geachtet wird, dass mehr Frauen dabei sind, aber das ist immerhin schon mal besser als nichts. Die Strukturen sind damit natürlich nicht aufgebrochen, es ist kein revolutionärer Akt, aber für mein Empfinden ist das das Mindeste. Bei den Shows, die ich buche, achte ich auch darauf. Wenn wir Festivals buchen, dann ist eigentlich unsere Maßgabe, dass in jedem Act nicht nur weiße Cis-Hetero-Männer sind. Man muss seine Privilegien nutzen und die hast du als Booker:in auch. Es geht nicht darum, alleine die Welt zu verändern, sondern darum, in deinem Arbeitskontext zu schauen, was du innerhalb dieses kleinen Kreises bewirken kannst. Und da finde ich, ist es das Mindeste, die Ressourcen, die du hast, mit deinen Plätzen auf Shows, mit deinen Gagen, die du zahlst, dann auch die Frauen, schwarzen Menschen, generell BiPOC, queere Personen, alle zu supporten und das Geld nicht wieder an weiße Männer zu geben.

Was würdest du jungen Mädchen raten, die darüber nachdenken, eine Band zu gründen?
Diese „Fuck it, dann erst recht“- und „Mach es auf jeden Fall“-Mentalität, die ich früher hatte, greift zu kurz – ich sage das trotzdem allen jungen Mädchen, die Bock haben. Wenn ihr diese Kämpfe nicht kämpfen wollt, dann verstehe ich das auch. Für mich hat es sich gelohnt, da Energie reinzustecken und viel zu machen, aber ich kann auch nachvollziehen, wenn man diese Kräfte nicht hat. Das finde ich auch ganz wichtig, das so zu sagen. Einfach nur dieses „Mehr Mädels ran“ finde ich zu kurz gedacht. Es ist nicht einfach. Ich habe echt keine schönen Erfahrungen gemacht. Dieses typische „Du musst das Doppelte geben, um dasselbe zu bekommen“ – das stimmt. Ich kann verstehen, wenn man darauf keinen Bock hat, aber wenn, dann sucht euch Unterstützung, bildet Allianzen, tut euch zusammen, meldet euch bei mir – das kriegen wir schon irgendwie hin.