LIFEWENTPEAR sind aus dem Rheinland, könnten aber auch aus den britischen Midlands kommen oder ein Nebenprojekt von LEATHERFACE sein. Ja, die Bezugspunkte zu den Briten sind zahlreich. Nein, das ist deshalb kein plumper Abklatsch. Im Interview reden wir über die Berechtigung von musikalischen Schubladen und Nostalgie im Punkrock.
Wie hat alles angefangen, was habt ihr vorher gemacht und welche Motivation fürs Musikmachen habt ihr?
Hannes: Ich habe vor zwanzig Jahren angefangen, Gitarre zu spielen, weil ich Bands wie RANCID und GREEN DAY gesehen und gehört habe. Und da wollte ich unbedingt so sein wie die zwei Armstrongs. Dann habe ich viel klassischen Deutschpunk gehört und meine erste Band gegründet. Das ging dann so weiter mit verschiedenen Punk- und Hardcore-Bands. Heute macht es einfach nur Spaß. Wir sind eine kleine Family und machen das, was uns glücklich macht. Oder machen das als Ausgleich, damit wir nicht wahnsinnig werden.
Flo: Bei mir hat auch schon im Kindesalter angefangen, dass ich zu Musik auf Kissen oder diversen anderen Utensilien herumgekloppt habe, bis ich dann schließlich in den Schlagzeugunterricht gesteckt wurde. Das war aber auch alles nicht von langer Dauer, ich wollte lieber zusammen mit Freunden in Kellern und Proberäumen herumlärmen, statt irgendwelche Noten zu lernen. So bin ich dann auch über gemeinsame Freunde bei LIFEWENTPEAR gelandet, die noch einen Schlagzeuger gesucht haben. Jon hatte da auch schon einige Demo-Songs aufgenommen, die mir direkt beim ersten Hören gefallen haben. Bei den anfänglichen Treffen haben wir direkt festgestellt, dass es persönlich und musikalisch fantastisch zusammenpasst. Das war so Ende 2015. Anfang 2016 war dann der erste Auftritt im AK47 in Düsseldorf, dann kam im Sommer das Demo ...
Eure Hinwendung zu den Neunzigern verbinde ich spontan mit Nostalgie. Hat eure Musik etwas Nostalgisches für euch?
Hannes: Ich würde es nicht als etwas Nostalgisches bezeichnen. Wir haben alle in den Neunzigern angefangen, Musik zu hören und unsere Instrumente zum ersten Mal in die Hand zu nehmen. Ich glaube, dass wir alle nur einen Höhepunkt im x-ten Punk-Revival Anfang/Mitte der Neunziger sehen, was uns geprägt hat, wobei ich auch selbst oft Punk aus der Zeit höre.
Ferdi: Ich finde, das mit der Nostalgie gibt es bei uns schon, aber würde auch sagen, dass das bei fast allen Bands eine Rolle spielt. Einfach weil man die prägendsten musikalischen Erfahrungen im Kinder- und Jugendlichenalter macht. Die bleiben dann fast automatisch ein wichtiger Bezugspunkt. So war das, wenn man genauer hinsieht, auch schon im frühen Punk, auch wenn der oft als harter Bruch gesehen wird. Die RAMONES waren eigentlich nur eine schnelle und verzerrte Sixties-Bubblegum-Pop-Band. Ich glaube, ganz viel musikalische Weiterentwicklung hat damit zu tun, dass man versucht, etwas Altes so umzubauen, dass es sich nicht mehr verbraucht anhört und wieder funktioniert.
Ab wann wird Nostalgie zu Kitsch beziehungsweise unangenehm?
Hannes: Ich finde es dann unangenehm, wenn es zu einer Glorifizierung führt, die sich wie eine Art Scheuklappen auswirkt. Ich meine damit, dass ich es unangenehm finde, wenn man alles am Punk von damals messen und vergleichen würde. Wenn man sich sozusagen nicht auf Neues einlassen kann, weil der Höhepunkt ja schon 1991 war „und es kann und wird niemals so geil wie früher“. Zumal wir alle da überhaupt keinen Szenebezug hatten, weil wir da noch im Sandkasten gespielt haben.
Ferdi: Genau, „früher war alles besser“ ist immer Blödsinn. Musikalisch, politisch und auch sonst. Spannend finde ich, wenn eine Beziehung zwischen Gegenwart und Vergangenheit hergestellt wird. Also wenn es um beide Pole geht und um das, was dann wieder neu aus dieser speziellen Verbindung entsteht. Wenn es nur noch darum geht, möglichst authentisch so zu klingen wie irgendwelche Leute früher, ist das auf jeden Fall unangenehm.
„I like you more than you like yourself“, heißt es in „About about“. Spielt das auf das Verhältnis zwischen Fan und Künstler an? Oder auf zwischenmenschliche Beziehungen?
Jon: Bei dieser Zeile geht es um eine ganz konkrete zwischenmenschliche Beziehung. Es geht aber auch um die Art „Ersatzfunktion“, die zum Beispiel Liebesbeziehungen manchmal zu haben scheinen: Dass da jemand ist, der Dinge für mich tut, die ich selbst nicht kann, zum Beispiel das Mögen. Ganz ohne Augenzwinkern darf man die Zeile aber bitte nicht sehen. Sowieso nichts in den Lyrics. Sowieso nichts auf der Welt.
Eure Bezüge – JAWBREAKER, LEATHERFACE, PEGBOY – müsste man jeweils ergänzen um den Zusatz: Frühphase, bevor deren Kanten glatter wurden. Findet ihr euch da wieder? Welche Alben nach dem kritischen dritten Album dieser Bands packen euch noch?
Jon: Ja zu Kanten! Egal ob Frühphase oder nicht. Auf LEATHERFACE bezogen ist zum Beispiel „Horsebox“ neben „Mush“ meine absolute Lieblingsplatte, obwohl es die sechste ist.
Ferdi: Also die Diskussion um diese drei Bands ist bei uns ja erst im Studio entstanden, als es darum ging zu erklären, wie wir uns den Sound der Platte vorstellen. Und genau, da ging es uns viel um die Kanten und deswegen um die frühen Alben. Sollte aber gar keine Aussage darüber sein, wann die ihre stärksten Phasen hatten. Ich finde: Frühe PEGBOY, mittlere LEATHERFACE, späte JAWBREAKER.
Hannes: Ich muss ja sagen, dass ich viele Bands, mit denen wir verglichen werden, erst spät entdeckt habe. Aber JAWBREAKER fand ich schon immer richtig gut. Und da finde ich die Alben fast durchweg genial. Für mich stechen „Unfun“ und „Bivouac“ heraus. Aber auch das, was Herr Schwarzenbach mit JETS TO BRAZIL gemacht hat!
Der LEATHERFACE-Vergleich drängt sich insbesondere durch den Gesang – aber auch durch die „Dickie-Hammond-Gedächtnis-Gitarre“ – förmlich auf. Schränkt ihr eure Eigenständigkeit damit nicht ein? Oder ist eine gute Hommage besser als eine halbgare Innovation?
Jon: Eigenständigkeit wird sowieso überbewertet. Wir haben eine Tonleiter mit zwölf Tönen, wir zählen in Vierteln oder Achteln. Alle Riffs, die ich schreibe, finde ich, zumindest was Grundtöne angeht, früher oder später irgendwo wieder – wenn es schlecht läuft, bei NICKELBACK. Musik ist eingeschränkt. Rockmusik erst recht. Bei Innovation denke ich zuerst an Freejazz und Mathcore und nichts davon berührt mich wirklich. Das Gute an einer LEATHERFACE-Hommage ist natürlich: Selbst wenn sie nie so gut wird wie das Original, kann sie trotzdem noch ziemlich gut werden, weil das Original einfach so verdammt gut ist.
Ferdi: Ich finde das auch immer schwierig mit der Eigenständigkeit. Viele junge Bands gehen das erste Mal in den Proberaum, sagen „wir machen einfach unser eigenes Ding“ und klingen dann alle gleich. Eigenständig kann man nur sein, indem man auf andere Musik antwortet, nicht an allem schon Dagewesenen vorbei. Und speziell zu uns und LEATHERFACE: Der Einfluss ist eben sehr einfach herauszuhören, aber er spielt nicht für alles an der Band eine Rolle.
Ernster, trocken gespielter Punkrock von Thirtysomethings wie eurer wird gerne auch mal als Adult Punk bezeichnet. Könnt ihr dem Begriff etwas abgewinnen beziehungsweise was bedeutet er für euch?
Jon: Klingt richtig furchtbar. Ich bevorzuge Emo für Erwachsene oder spätkapitalistische Arbeiter*innenlieder.
Flo: Urgh, ja grausam. Aber wenn sich darunter eine gewisse Abgrenzung zu so Kartoffel-Wohlfühlpunk fassen lässt, auch okay.
Hannes: Ich kann dem Begriff auch nichts abgewinnen. Was soll das heißen? Wie erwachsen kann Punk denn sein? Ernste Themen gab es schon immer im Punk und ich fühle mich gar nicht so erwachsen. Unsere Musik behandelt zwar ernste Themen, aber ich finde, dass wir doch auch ordentlich Spaß haben, und das kriegt man glaube ich auch mit, dass wir nicht nur ernst sind.
Ihr habt im No Plans For Any Future Studio aufgenommen. Ist der Name Programm? Wenn ja, ist das als „carpe diem“ oder Resignation gemeint?
Hannes: Das ist das Studio von Nils, der aus unseren Aufnahmen das Beste herausgeholt hat. Aber ich denke nicht, dass der Name Programm ist. Wir haben schon noch Pläne, was Neues rauszubringen, aber da steht noch nichts Konkretes an. Fest steht aber, dass wir das wieder dort machen, weil ich glaube, dass er das unglaublich gut macht, weiß, was wir wollen, und er uns aushält ...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #148 Februar/März 2020 und Daniel Schubert
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