Sie sorgten in den Neunziger Jahren mit Alben wie „River Runs Red“ oder „Soul Searching Sun“ für Furore bei den Fans von harter Rockmusik abseits des Mainstreams – und auf einmal waren die New Yorker weg vom Fenster. Zwischen dem bislang letzten, eher durchwachsenen Album „Broken Valley“ und der neuen Platte „A Place Where There’s No More Pain“, die im April erscheint, lagen zwölf Jahre, viele Streitigkeiten, Auflösungserscheinungen und das Coming-out von Frontmann Keith Caputo. Der ist jetzt Mina. Und Mina nahm im Gespräch mit dem Ox erfreulich offen Stellung zu Vergangenheit und Zukunft der Band.
Mina, kürzlich hast du folgendes gepostet: „Das Spirituellste, was man manchmal tun kann, ist jemand anderem zu sagen, dass er sich verpissen soll!“
Das hast du auf meiner Facebook-Seite gelesen, oder? Ich erinnere mich, obwohl ich gar nicht mehr so häufig dort unterwegs bin. Facebook wird mir mittlerweile zu stark politisch genutzt. Da wird viel Hass und Hetze verbreitet.
Und wem hast du zuletzt gesagt, er oder sie solle sich verpissen?
Dem Typen, der mich auf Instagram angeschrieben hat. Ich machte mehrere Treffen mit ihm aus, weil er wirklich süß war, gut aussah und sehr gefühlvolle Nachrichten geschrieben hat. Aber er stellte sich als völlig unzuverlässig heraus. Er hat mit mir gespielt und war wohl nicht sicher, ob er mit mir zusammensein wollte. Also habe ich ihm eben gesagt: „Fuck off!“ Meine Zeit war mir zu wertvoll, als sie für so jemanden zu verschwenden.
Seit dem letzten LIFE OF AGONY-Album sind zwölf Jahre vergangen. Warum hat es so lange gedauert mit „A Place Where There’s No More Pain“?
Es hat mit meinem Leben zu tun, mit dem Business, mit vielen Dingen. Wir hatten Streit mit unserem alten Label. Wir brauchten eine Pause voneinander. Ich veröffentlichte meine Soloplatten und ging im Anschluss damit auf Tour. Da kam einiges zusammen.
Es ist noch nicht allzu lange her, da äußerte sich euer Schlagzeuger Sal Abruscato in mehreren Magazinen in etwa so: LIFE OF AGONY sind nicht mehr in der Lage, gemeinsam Songs zu schreiben. Offensichtlich irrte er sich.
Ach, weißt du: Wir sind bekannt dafür, uns zu streiten, auseinanderzugehen, uns wieder zusammenzuraufen. Es gab tatsächlich Zeiten, in denen wir nicht zusammen in einem Raum sein konnten. Und wenn du es als Musiker nicht mit den anderen in einem Raum aushältst – wie soll da ein Album entstehen? Das ging nicht. Aber wir haben das alles überstanden. Das ist eben so, wenn du seit fast dreißig Jahren miteinander Musik machst: Es gibt gute und schlechte Zeiten. Wie in einer Ehe. Viele Leute haben eine viel zu romantische Vorstellung vom Leben eines Rockmusikers. Sie denken an Spaß und Ruhm und Erfolg. Natürlich, es ist ja auch irgendwie cool. Aber eben bei weitem nicht so cool, wie viele glauben. Es ist vor allem harte Arbeit. Da ist kein Glanz und Glamour. Dazu kommt, meine Leidenschaft ist nun einmal das Schreiben von Songs, und das muss ich alleine machen. Deshalb bin ich sehr gerne isoliert von den anderen und auf mich selbst gestellt. Ich bin abseits der Bühne – wo ich ja aus mir herausgehen muss und wo ich das auch genieße – ein ganz anderer, eher stiller Charakter. Ich bin dann nicht groß daran interessiert, viel unter Menschen zu kommen. Auch das machte sich zeitweise bemerkbar.
Diese Einsamkeit ist, dem Namen eures neuen Albums entsprechend, dann sicher auch der „Place Where There’s No More Pain“.
Diese Sichtweise mag ich! Wobei es bei dem Namen eher darum geht, dass ich diesen Platz einerseits schon mein Leben lang suche, ohne ihn je zu finden. Und dass ich andererseits weiß: Schmerz, Drama, Tragödien gehören zum Leben. Dadurch kann ein Mensch stärker werden und wachsen. Sich dem Leben und seinen Problemen zu stellen, ist doch das Wundervollste überhaupt. Menschen, die vor ihren Problemen davonlaufen, sind bedauernswert. Schon Bob Marley hat das ja gesagt: „You can’t run away from yourself“. Er ist ein wahnsinnig großer Einfluss für LIFE OF AGONY.
Gab es einen Punkt in deinem Leben, an dem du gemerkt hast: Man muss seine Problemen offen angehen, um gut leben zu können?
Ja. Das war genau der Moment 2008, in dem ich mich für mein Coming-out entschieden habe. In dem ich mich dafür entschied, der Welt meine Weiblichkeit zu gestehen. Das war der wichtigste Entschluss meines Lebens. Eine Befreiung. Ich hatte ja 35 Jahre lang darauf gewartet, diesen Schritt zu gehen. Ich schluckte Pillen, weil ich verzweifelt war. Pillen, die mich müde gemacht haben. Durch die ich mich noch schlechter fühlte und die mir meine Kreativität raubten. Und mir ist klar: Jemand, der nicht transsexuell ist, kann unmöglich nachvollziehen, was das für eine Bedeutung hat. Und weißt du, was mich besonders stolz macht? Dass ich all das geschafft habe in einem Umfeld, in dem genau dieser Schritt am schwierigsten überhaupt ist: im Musik-, im Rockbusiness.
Du meinst, im Haifischbecken dieser nach wie vor stark von Männlichkeit dominierten Szene?
Genauso ist es. Immer noch. Leider.
Nun bist du aber auch – genauso wie Laura Jane Grace von AGAINST ME! – ein Vorbild, zu dem andere Menschen, die eventuell in derselben Situation sind, aufschauen. Das bedeutet eine Menge Verantwortung. Macht dich das stolz – oder ist dir das eher unangenehm?
Das ist mir nicht unangenehm. Denn eine gewisse Vorbildfunktion hatte ich als Mitglied von LIFE OF AGONY ja ohnehin schon immer – egal, ob als Mann oder Frau. Da draußen sind Millionen Menschen, die bisexuell, homosexuell oder transsexuell sind und Angst davor haben, das zuzugeben. Und wenn ich nur einigen von ihnen Mut machen kann mit meinem Coming-out, mit meinen Songs, mit meiner Musik – dann finde ich das wundervoll!
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #131 April/Mai 2017 und Frank Weiffen
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #38 März/April/Mai 2000 und Dominik Winter
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #91 August/September 2010 und Dominik Winter
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #131 April/Mai 2017 und Frank Weiffen