Im Proberaum von UNGLAUBLICHER VORFALL in Hennigsdorf an der Havel treffe ich Liane Schweiger, die nicht nur in dieser neuen Combo den Bass spielt, sondern auch nach wie vor – seit der Gründung im August 1988 – zur populären Ex-DDR-Band ZUSAMM-ROTTUNG gehört. Zum Gespräch unter anderem über die Vergangenheit im Unrechtsstaat gesellte sich auch Andi, der Sänger und Gitarrist von UV.
Liane, ich habe dich bei unseren wenigen Kontakten als sensibel und reflektiert kennen gelernt, wie kommt man da zu einer Band wie ZUSAMM-ROTTUNG?
Liane: Eher zufällig, weil ich mit dem damaligen Gitarristen Alex zusammen war und wir die Band bei uns in der „Platte“ in Hennigsdorf gegründet haben. Wir versuchten dann mit dem, was man so Spielen nannte, die ersten zwei Songs zu komponieren. Der Bandname kam übrigens durch den hiesigen ABV, den Abschnittsbevollmächtigten zustande, wir spielten zu viert in der Wohnung und der Mann von der Staatsmacht stellte dann fest, dass mehr als die erlaubten drei Leute sich versammelt hatten und es sich folglich um eine „Zusammenrottung“ handele. Aber zur Eingangsfrage; ich war eigentlich schon immer sehr schüchtern und so brachte dieses in einer Band sein für mich persönlich sehr viel, denn so konnte ich mal aus mir herausgehen, und das anschließende „auf der Bühne stehen“ war für mich wie eine Art Therapie.
Woran habt ihr euch musikalisch zu diesem Zeitpunkt orientiert?
Liane: Es war ja zu Ostzeiten bei mir in der frühen Jugend im thüringischen Sonneberg so, dass ich den Westberliner Radiosender RIAS empfangen konnte, also mit etwa 14 Jahren etwas von TON STEINE SCHERBEN, EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN, TRIO oder RAMONES mitbekam. Ein Jahr später war ich im Urlaub im Plänterwald, wo ich auf die ersten Punks traf, die übrigens auch aus dem Westen anreisten, mit mächtigen Iros, was mich sehr faszinierte. Mein erster Freund war dann auch Punk und das hat mich geprägt.
Die Band hat eine bewegte Geschichte hinter sich, inklusive eines Deals bei Aggressive Rock Produktionen. An was erinnerst du dich aus dieser Zeit?
Liane: Wir hatten 1990 ein Demotape in 250er-Auflage in echtem D.I.Y.-Verfahren produziert, das wir überallhin versandten. Zwei dieser Songs schafften es auch in die Hörercharts des DDR-Jugendradios DT64, das von Lutz Schramm moderiert wurde. Da bekamen wir das erste Mal ein positives Feedback von den Leuten. Dem Manager von SANDOW, der uns mal live sah und dem wir das Demo in die Hand drückten, haben wir alles Weitere zu verdanken, weil der jemanden bei AGR kannte. Wir unterschrieben dort einen Vertrag über drei LPs. Unterm Strich bleiben gute und schlechte Dinge hängen, denn wir wurden ja ins kalte Wasser geschubst. Bei den Aufnahmen lernten wir, dass man nicht jedem Produzenten vertrauen kann. Dass eine Band schon von allein wissen muss, wo aufnahmemäßig die Reise hingeht, und das auch mit in die eigene Hand nehmen sollte.
Aber bei allem Negativem, euer Bekanntheitsgrad ist doch dadurch enorm gestiegen?
Liane: Natürlich, im Nachhinein kann man konstatieren, dass es das Beste war, was uns hatte passieren können. Kein Schwein hätte wohl damals sonst von uns gehört. Aber man hatte eben Verpflichtungen,. Wobei das letzte Album durch eine Umbesetzung, aber auch wegen des Zeitdrucks, den du bei einem Major hast, etwas krampfhaft war, da erwartet wird, in einem engen Zeitrahmen abzuliefern.
Das Thema DDR ist vielschichtig. Je mehr ich lese und aufsauge, desto komplexer erscheint es, da eben alles individuell erlebt worden ist. Blieb für dich auch etwas Gutes hängen?
Liane: Die Kindheit war durchweg positiv! Die Jugend wohl auch, weil man da den Instinkt hat, das Beste daraus zum machen. Da empfindet man es wohl überall als schön, egal, wo man sich befindet. Und die Entdeckung der Nische „Punk-Bewegung“ war meine eigene kleine Rebellion, was mir guttat. Ansonsten hätte ich es hier nicht ausgehalten.
Ein Song auf der ersten LP hieß „Deutsche Einheit“. Ihr wolltet raus aus dem Grauen, aber als Punk ließ sich ja die Einheit nicht einfach mal so abfeiern, oder?
Liane: Wir sahen das schon von Anfang an kritisch und die D-Mark allein konnte ja nicht die Rettung sein. Die Löhne im Osten sind ja nicht sofort nach der Einheit gestiegen. Ich musste nach der Wende noch für 300 DM im Monat arbeiten, die Mieten erhöhten sich aber bereits. Wir waren Realisten und sahen, dass das Versprochene nicht eingehalten wurde und nun eben jeder sein eigenes Leben in die Hand nehmen durfte. Das war schon schwer für uns, denn wir wurden ja zuvor immer an die Hand genommen ...
Nach der Jahrtausendwende pausierte die ZUSAMM-ROTTUNG für geschlagene neun Jahre. Hatte dein Bass schon Spinnweben angesetzt oder hast du bloß auf ein neues Zeichen gewartet?
Liane: Es hat sich durch meinen jetzigen Freund ergeben, der mich wieder verstärkt auf Konzerte mitnahm. In den Jahren, in denen die Band ruhte, war ich wohl auf nur vier Konzerten. Von der Urbesetzung bin jedenfalls nur noch ich übrig, obwohl wir mit vier Bandenmitgliedern starteten und zwischenzeitlich zu fünft spielten. So trat im Übrigen auch Andi indirekt in mein musikalisches Leben, er sollte nämlich für ZUSAMM-ROTTUNG singen, aber wir stellten erstaunt fest und mussten es einsehen, dass er dafür zu gut singt, haha. So kamen per Zufall UNGLAUBLICHER VORFALL zustande beziehungsweise ich in diese Band.
Andi, treten die Texte bei UV im Gegensatz zur ZUSAMM-ROTTUNG eher etwas in den Hintergrund, weil ihr ja auch recht metallisch klingt und ein breiteres Publikum ansprechen dürftet?
Andi: Musikalisch inspiriert wurde ich zuerst von englischsprachigem Hardcore und Metal, aber gesanglich tendiere ich eher in die Liedermacher-Ecke, dahin gehen meine Ideen. Hymnen und Ohrwürmer sind das Ziel und die Texte sind schon immens wichtig. Sie sind das eigentliche Kapital der Band, also Worte ironisch in Deutsch zu verpacken, die dem Hörer auch Interpretationsspielräume lassen – unpolitischer Natur, Emotionen, Menschen, Probleme, um es auf den Punkt zu bringen.
Liane, wenn man so wie du noch die Stasi miterlebt hat, erscheint da heute nicht das Theater um die NSA-Abhöraffäre fast hysterisch?
Liane: Der Vergleich liegt schon nah. Also für uns ist es ja nichts Neues. Gerade ich als Punk in Hennigsdorf hatte stets zwei Herren in Hawaiihemden im Wagen vor der Haustür stehen, die sich sehr für mich interessierten.
War das nicht wesentlich bedrohlicher, als wenn jemand heute vermeintlich danach schaut, was sich Krethi und Plethi im Netz so schreiben?
Andi: Meines Erachtens ist die Problematik jetzt schon ein bisschen tiefgreifender, weil man durch die vielen Infos im übergeordneten Sinne auch Ströme lenken kann.
Etwa beim Kaufverhalten ...?
Andi: Ja, aber vielleicht auch Wahlergebnisse, wenn man schon Trends absehen kann und noch entsprechend reagiert. Meinungsfreiheit ist halt Grundlage der Demokratie und wenn man diese durch solche Vorkommnisse beeinflussen kann, wird es heikel, denn die ist unser höchstes Gut.
Mal kurz zur Mauer, die nur rund fünfzig Meter von hier entfernt stand ...
Liane: Richtig und mein jetziger Freund hat diese von der Ostseite sogar bei seinem Fluchtversuch angefasst beziehungsweise eine Leiter, bevor ihn sechs Grenzer mitnahmen und er in den Knast wanderte. Die Mauer ging kurz danach auf, und er saß ein.
Geht es um die friedliche Revolution von ’89, spricht man zuerst von den Montagsdemos, ganz wenig von der Bürgerrechtsbewegung und Kirche und ganz zuletzt wird das Dasein der Punks thematisiert. Waren die aber nicht mit die Ersten, was gelebte Zivilcourage anging?
Liane: Im Osten war es wirklich gefährlicher, weil du real auffielst. Meiner Meinung nach war es im Westen doch mehr eine Modesache. Also Dankbarkeit erwartet man da auf die DDR bezogen auch im Nachhinein nicht. Dabei waren bei der Kirche von Unten zwar sowohl Langhaarige als auch sogenannte Peacer dabei, aber auch viele Punks, die am Alexanderplatz kleine Demos abhielten, die sich dann langsam ausweiteten. Durch unsere Besuche in der KvU konnten wir bereits spüren, dass ein heißer Herbst heraufziehen würde. Es trafen sich dann konkret etwa zwanzig Punks dort mit den herbeigebetenen Westmedien von ARD und ZDF, also schon organisiert. Das wird aber leider heute gar nicht mehr erwähnt. Schließlich hat das ja alles Frau Merkel gemacht ...
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #118 Februar/März 2015 und Markus Franz