LES JACKS

Rock´n´Roll ist sicherlich einer der strapaziertesten Begriffe in der Musikpresse. Das gilt für diese im Allgemeinen, im Besonderen aber für das - im weitesten Sinne - Punkrockzeitungswesen und damit nicht zuletzt auch für just die Publikation, die sie gerade in ihren schorfigen Händen halten.

Dabei muß die Bezeichnung Rock´n´Roll für so ziemlich jede Stilrichtung herhalten, in der so etwas wie eine Gitarre auch nur im entferntesten eine Rolle spielt. Das ist indes verständlich, schließlich hat jeder Schmock da so seine höchsteigene Vorstellung, die natürlich die einzig richtige und heilsbringende ist, denn schließlich ist er es ja gewesen, der höchstpersönlich und allein das Schießpulver erfunden hat.

In letzter Zeit gewinnt jedoch eine dieser wirren Einzelmeinungen mehr und mehr an Aufmerksamkeit, die den Eindruck vermittelt, Rock´n´Roll habe optisch ausschließlich etwas mit an Ketten befestigten Portemonnaies, Gel im Haar und Flammentätowierungen und akustisch allein mit Skandinavien oder aber SOCIAL DISTORTION zu tun - alles in allem also die Formel: harte Eier signalisierender böser Blick plus Gitarristen-Spreizschritt macht Rock´n´Roll-Star! Eine Rechnung, deren Ergebnis es etwas an Subtilität mangelt, wie ich meine. Aber sei´s drum, wirklich subtil sind die LES JACKS eigentlich ebensowenig, wenn allein der frankophone Bandname da auch schon anderes verspricht.

Auf jeden Fall sind die LES JACKS aber (natürlich!) eine Rock´n´Roll-Band, obwohl sie definitiv anders aussehen (klingen sowieso) als die oben beschriebenen Design-Rocker. Gut, auch die LES JACKS stehen gerne breitbeinig auf der Bühne und ihr Haar klebt ihnen am Schädel, aber die hier fallen viel öfter um, und ihre Haare sind schlicht fettig. Außerdem sehen sie überhaupt irgendwie schmuddelig aus, und sie tragen so komische Klamotten. Man könnte vielleicht sagen, sie sehen aus wie echte Dortmunder, weil das auch Sinn macht, denn da kommen sie ja her. In diesem Fall macht die Herkunftsbenennung aber auch mehr Sinn als bei einer x-beliebigen anderen Band, deren Mitglieder einfach alle in der selben Stadt wohnen. Die LES JACKS sind nämlich einfach deshalb schon mehr mit ihrer Heimatstadt verbunden, weil sie in den ersten Jahren ihrer Existenz (die Band gibt´s immerhin schon seit ´93) irgendwie gar nicht aus Dortmund herausgekommen sind, oder besser gesagt, aus den Dortmunder Kneipen, denn das ist ihr eigentliches, ihr angestammtes Revier. Der Duft der typischen Dortmunder Schankwirtschaft hängt ihnen einfach in der Hose. Daher verwundert es auch nicht, dass die Hafenkneipe "Kanal" sowas wie ihr Hauptquartier ist, da veranstalten Sänger Bart und Bass-enfant terrible René regelmäßig ihre Rocket Ball Explosion (Bands + Plattenauflegen, jeder 1. Freitag im Monat), und da fällt man auch sonst gerne mal vom Barhocker.

Als LES JACK´sche Barfly-Existenz hängst du aber nicht nur in unmodernen Kneipen herum, zwangsläufig klingt auch deine Marke Rock´n´Roll nicht besonders modisch. Von 50´s- über 60´s- bis 70´s-Einflüsse verwursten die Jacks alles, was die Plattensammlung abwirft und umgehen dabei bewußt kein musikalisches Klischee, sei es auch noch so zöpfig. Gleiches gilt für den lyrischen Aspekt der Komposition. Nachdem er, wie mir Bart berichtet, zu Beginn ihrer Laufbahn den Druck verspürte, sich bedeutungsschwer mitteilen zu müssen, sei nach drei Songs aber bereits alles gesagt gewesen, und er habe sich seitdem auf ständiges Neusortieren gebräuchlicher Versatzstücke aus dem Textfundus der Rock´n´Roll-Geschichte verlegen können. Das spart Zeit und klingt auch noch besser.

Die leicht ungewöhnliche Namensgebung in französischer Zunge erklärt sich übrigens aus einem Versehen bei einer Wandschmiererei im Backstageraum am Karriereanfang der Band. Damals wollte Gitarrist Chopper, vom Alkohol gehandicapt, den seinerzeitigen Bandnamen an eine Wand malen. Was "Applejacks" werden sollte, wurde dann irgendwie LES JACKS, und man blieb dabei. Das war so um ´93/´94 herum, und zu dieser Zeit ließ es die Band ohnehin an jedweder Ernsthaftigkeit mangeln. Auftritte dienten einzig als Gelegenheiten für ausschweifende Bacchanale und gingen zumeist anarchisch aus. Beliebt waren in jenen Tagen auch sogenannte Striptease-Shows, bei denen sich Bart und Co. für jeden Zehner vom Publikum eines Kleidungsstücks entledigten, was dann meist so endete, dass 30 DM auf der Bühne lagen und die Band trotzdem nackt war.

Mit etwas mehr Ernst ließen es die LES JACKS schließlich ab ca. ´95 angehen, als sich nämlich inzwischen alle anderen Bands, in denen man sonst noch so spielte, aufgelöst hatten. Jetzt war es Zeit, mal an eine Plattenveröffentlichung zu denken (da gab es zwar schon eine Single aus Anfangstagen, aber die hat man mittlerweile kollektiv aus dem Bandbewußtsein verdrängt (wg. Scheiße). Wie in Film und Fernsehen gerieten die Jungs dabei doch tatsächlich an einen windigen Manager, der ihnen Ruhm und Reichtum versprach und sie dazu brachte, für sage und schreibe 5.000 DM sechs Songs in einem Nobelstudio aufzunehmen, die sie schließlich dann doch nicht herausbringen wollten, weil das Resultat keinem so richtig gefiel. So nahm man noch einmal auf (für etwas weniger Geld), war wieder nicht zufrieden, und erst als die Band dann mal selber produzieren durfte, kam etwas heraus, was man auch veröffentlichen wollte. Diese Aufnahmen sind nun auf der ´98 erschienenen 7" "The phenomenon of spontaneous self-undressing" (Clash City Rec) und auf dem "Weird, waxed and wired"-Sampler von Ox und Radio Blast Rec. zu hören.

Zwischenzeitlich sind die LES JACKS (bei denen übrigens mittlerweile Ox-Kolumnist Antek Pistole hinter´m Schlagzeug sitzt!) nun sogar vollkommen autark geworden und haben sich ihr eigenes kleines Studio eingerichtet. Die ersten Aufnahmen sind jüngst als 7" auf dem eigenen Black Jack-Label erschienen, und momentan sind sie dabei, ihre erste LP aufzunehmen, die Anfang 2000 erscheinen soll.

Nach 6-jähriger Existenz haben es die LES JACKS nun also endlich geschafft, ihre Bandkarre so richtig in Gang zu kriegen. Hat ein bißchen gedauert, aber hat sich doch gelohnt!

Stefan Moutty