In der Photobastei Zürich wird vom 15. September bis 23. Oktober 2022 die Ausstellung „Leni Sinclair – participant observer“ gezeigt. Als lebenslange Aktivistin nahm Sinclair an Antikriegsprotesten, Bürgerrechtsmärschen und -bewegungen teil, wie beispielsweise dem March on Washington und Detroits Walk to Freedom sowie seinem 25- und 50-jährigen Jubiläum, und dokumentierte 2020 die Black Lives Matter-Märsche in Detroit. Ihre zahllosen Fotografien zeugen von einer Person, die unermüdlich daran gearbeitet hat und ein Leben lang viel zu wenig Beachtung erhielt. Sie zeigen uns aber auch, dass es keinen erkennbaren Unterschied zwischen Rock’n’Roll und Revolution gibt.
Magdalene Arndt alias Leni Sinclair wurde am 8. März 1940 in Königsberg geboren, der vormaligen Hauptstadt Ostpreußens, das sechs Jahre später in Kaliningrad umbenannt wurde, nachdem die Sowjetunion das Deutsche Reich besiegt hatte. Sie wuchs im ostdeutschen Dorf Vahldorf bei Magdeburg auf, wo sie auf Radio Luxemburg zum ersten Mal amerikanischen Jazz hörte. Sie wollte raus aus der DDR und emigrierte zuerst 1958 nach Hildesheim und im Jahr darauf in die Vereinigten Staaten, lebte anfangs bei Verwandten in Detroit, während sie Geografie an der Wayne State University (WSU) studierte.
1964 lernte sie den Dichter und Jazzkritiker John Sinclair kennen. Mit 14 weiteren Personen gründeten sie am 1. November 1964 den Detroit Artists Workshop (Vorgänger des DAW war die Red Door Gallery, wo Leni auch zu den Gründungsmitgliedern gehörte). Diese Gruppe baute bald ein Netzwerk von Gemeinschaftshäusern sowie einen Veranstaltungsraum und eine Druckerei auf. Leni begann nun Jazzmusiker zu fotografieren, die in Detroit auftraten. Sie heiratete John 1965, mit dem sie die beiden Töchter Marion Sunny (1967) und Celia Sanchez Mao (1970) großzog. Im Oktober 1965 wurde der Detroit Artists Workshop von 25 Polizisten durchsucht und sechs Personen wurden wegen Marihuana-Besitz festgenommen, darunter Lenis Ehemann. John Sinclair, der aufgrund einer früheren Marihuana-Verhaftung bereits auf Bewährung war, wurde später zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Als er im August 1966 entlassen wurde, organisierte Leni eine Party mit dem Namen „Festival of People“ mit einer bis dahin noch unbekannten Band namens MC5. Zunächst mochten die Sinclairs, die ja Jazzfans waren, den Sound von MC5 nicht, aber bald kam man sich näher und war voneinander begeistert. John wurde nun für drei Jahre deren Manager und Leni erstellte Promotionbilder, fotografierte und filmte ihre Auftritte. Ihre Fotos von der Band gelten heute in der Musikszene als ikonisch.
Als der Grande Ballroom in Detroit am 6. Oktober 1966 eröffnete, tat sich Leni mit dem Plakatkünstler Gary Grimshaw zusammen und gründete die Magic Veil Light Company, um psychedelische Lichtshows bei den Auftritten zu produzieren. Gary kreierte unter anderem viele der Konzertplakate und Leni dokumentierte das Ganze fotografisch. John buchte MC5 als reguläre Hausband für Auftritte im Grande Ballroom, die als „Kick out the Jams“ bekannt wurden.
Im April 1967 gründeten die Sinclairs mit Gary die Ann Arbor Sun, eine zweiwöchentlich erscheinende Untergrundzeitung. Am 1. November 1968 wurde die antirassistische White Panther Party von den Sinclairs und Pun Plamondon gegründet. Die Organisation versprach, die Black Panther Party zu unterstützen, und gab sich ein Zehn-Punkte-Programm. Dieses forderte unter anderem die Abschaffung des Geldes, kostenloses Essen und medizinische Versorgung, freien Zugang zu Informationstechnologie, das Ende der Konzernherrschaft, Freiheit für alle Gefangenen und im Rahmen der Wehrpflicht eingezogenen Soldaten. 1969 wurde John zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er einem vermeintlichen Hippiemädchen, das eine verdeckte Drogenbeamtin war, zwei Joints übergeben hatte. Verschiedene Protestveranstaltungen gipfelten im Dezember 1971 in der „John Sinclair Freedom Rally“ in der Crisler Arena von Ann Arbor. Die Veranstaltung brachte viele Prominente und Musiker zusammen, darunter auch John Lennon und Yoko Ono. Auf Lennons Album „Some Time In New York City“ aus dem Jahr 1972 gibt es den Song „John Sinclair“, darin findet sich die Zeile „They gave him ten for two / What else can the bastards do?“.
Drei Tage nach der Kundgebung wurde John aus dem Gefängnis entlassen, als der Oberste Gerichtshof von Michigan entschied, dass die Marihuana-Gesetze des Staates verfassungswidrig seien. Diese Ereignisse inspirierten die Gründung von Ann Arbors jährlicher Hash Bash Rally für die Legalisierung, die schlussendlich am 1. Dezember 2019 im Staate Michigan in Kraft trat. John leitete nach seiner Haftentlassung bis 1974 das Ann Arbor Blues und Jazz Festival. In dieser Zeit entstanden viele der Porträts prominenter Musiker von Leni.
1977 ließen sich die Sinclairs scheiden. Leni widmete sich weiterhin der Fotografie und lebte mehrere Jahre in New Orleans, bevor sie in den Neunziger Jahren nach Detroit zurückkehrte. Sie selbst sieht sich bis heute als „urbane Nomadin“ und sagt, sie sei sicher allein dreißigmal innerhalb Detroits umgezogen. Dabei habe sie immer alle ihre Fotonegative, Kontaktadressen, die Schallplattensammlung und ihr Tagebuch mitgenommen. Heute lebt sie mit ihren beiden Töchtern und ihrer Enkelin Biance, die sie Bienchen nennt, in einem Haus nicht weit von John entfernt, der im Frühjahr 2022 einen Herzinfarkt erlitt.
Für dieses Interview habe ich Leni einige Male um zehn Uhr morgens Detroiter Zeit telefonisch kontaktiert. Wir haben uns auf Anhieb bestens verstanden und die heute 82-Jährige raucht doch nebenbei ganz legal ein Jointchen. Sie meint, sie habe ja auch dazu beigetragen, dass dies heute in Michigan ganz legal möglich sei.
Leni, in deinem neuesten Buch „Participant Observer“, das 2021 zur gleichnamigen Ausstellung in Halle erschienen ist, sagst du: „Ich bin wegen der Musik 1959 in die USA ausgewandert – wegen des Jazz. Für Menschen wie mich aus der DDR war Jazz die Musik der Freiheit. Es war Befreiungsmusik. Ich hatte erwartet, an jeder Ecke einen Jazzclub zu sehen.“
Als ich 15 Jahre alt war, besuchte uns mein Cousin Otto aus den USA und meinte: „Wenn du willst, kannst du ja auch nach Amerika kommen.“ Da wurde das Saatkorn gestreut. Drei Jahre später verließ ich die DDR und im November 1959 fuhr ich mit dem Dampfschiff SS United States nach New York. Mit dabei in meinem Koffer eine Taxona-Kamera und mein Tagebuch. Ich hatte natürlich relativ große Angst, dass es die DDR-Beamten an der Grenze lesen könnten, da stand einiges darin, das ihnen nicht gefallen hätte. Schon am Tag der Ankunft ging es nach der Besichtigung des damals höchsten Gebäudes der Welt, dem Chrysler Building, weiter mit dem Zug nach Detroit, wo Verwandte von mir lebten, die schon früher aus der DDR emigriert waren. Zuerst war ich von der tristen Architektur der Gebäude und der Atmosphäre in Detroit geschockt. Doch schon bald sah ich das Leben dahinter, das war eine pulsierende Großstadt, eine Jazz-Hochburg, und der Motown-Sound beeinflusste damals die Popmusik. Ich bin bis heute auf der einen Seite fasziniert von der Stadt, auf der anderen Seite fühle ich mich aber noch immer wie im Exil. Ich verließ ja anfangs Detroit nochmals, da ich mir noch nicht ganz sicher war, ob ich hierbleiben wollte, und reiste für eine kurze Zeit zurück nach Europa. Bei meiner Rückkehr beantragte ich zuerst die Staatsbürgerschaft der USA und lernte dann meinen zukünftigen Ehemann John Sinclair kennen, der wie ich an der WSU studierte.
1964 hast du den Dichter und Jazzkritiker John Sinclair kennen gelernt und am 1. November 1964 habt ihr mit 14 anderen Leuten den Detroit Artists Workshop gegründet. Der Plakatkünstler und Grafikdesigner Gary Grimshaw war auch dabei, oder?
Ich glaube mich zu erinnern, ja, er lebte da auch mit uns. Er war schon in seiner Jugend mit Rob Tyner und Wayne Kramer von MC5 befreundet und galt als äußerst talentiert. Er gestaltete später einige ikonische Plakate für sie. Er trat in die US Navy ein, um nicht in die Armee eingezogen zu werden. Er diente auf der USS Coral Sea, einem Flugzeugträger, der während des Vietnamkriegs im Südchinesischen Meer stationiert war und von dem aus Flugzeuge zu Bombenangriffen nach Vietnam flogen. Er kam zum ersten Mal mit psychedelischer Konzertkunst in Kontakt, als sein Schiff in der San Francisco Bay Area repariert wurde. Dort besuchte er den Avalon Ballroom und The Fillmore. 1966 wurde er aus der Marine entlassen und kehrte nach Detroit zurück. Sein Plakatstil war psychedelisch und berauschend, mit leuchtenden Farben und fließendem Text. Ich dachte mir immer, du musstest eigentlich schon vorher wissen, wer da auftreten wird, weil anhand der Plakate war das nicht immer für alle ersichtlich. Er war dann auch Mitglied der White Panthers. Wir veröffentlichten zusammen das Buch „Detroit Rocks! A Pictorial History of Motor City Rock and Roll 1965 to 1975“. Es erschien am 1. Januar 2013 bei uns im Detroit Artists Workshop Press Verlag. Im Jahr darauf verstarb Gary leider nach längerer Krankheit.
Welche Rolle hat damals die Fotografie für dich gespielt?
Wir brauchten damals einfach die Bilder für unsere Publikationen, um die Bands zu promoten und so weiter. Mein Hauptfokus im Leben war nie die Fotografie. Mein Mantra ist bis heute: Don’t worry about money, instead live a good live. Ich konnte bis heute immer meine Miete zahlen, um ein Dach über dem Kopf zu haben.
Hast du ein Lieblingsfoto?
Nun, es gibt da ein Foto, das ich aber nicht selbst gemacht habe, aber es ist eines meiner Lieblingsfotos. Darauf stehe ich 1989 an der Berliner Mauer, drei Tage nach ihrem Fall, und schlage diese mit einem Hammer ganz alleine kurz und klein. Ich habe meine Kamera damals einem Passanten gegeben und diesen gefragt, ob er dieses Foto von mir machen könne. Und so ist es entstanden, es ist mein Bild, aber es ist nicht mein Foto.
Hattest du schon von Anfang an den Anspruch, mit deiner Arbeit eine Bewegung, deren Teil du warst, für die Ewigkeit zu dokumentieren?
1995 kam ein Freund zu mir nach Hause und hat einige Fotos von mir gekauft. Da habe ich zum ersten Mal realisiert, dass sie wirklich einen Wert darstellen. Ich gehe zum Beispiel bis heute gerne zu Schallplattenbörsen. Dort setzte ich mich an einen Tisch und verkaufe Abzüge meiner Fotos, signiere diese, falls gewünscht, und treffe alte Freunde, was gerade jetzt sehr wichtig für mich gewesen ist, da ich in den letzten beiden Jahren wegen der Pandemie etliche sehr lange nicht mehr hatte sehen können.
Was genau soll „Participant Observer“ zum Ausdruck bringen?
Der Titel für das Buch und die Ausstellung in Halle, die 2021 stattfand und im September/Oktober 2022 in Zürich in der Photobastei seine Fortsetzung findet, stammt von mir. Die beiden Kuratoren Thomas Blase und Moritz Götze, der in Halle in den Achtziger Jahren Sänger und Gitarrist der Punkband GRÖSSENWAHN war, experimentierten mit etlichen Wortspielen herum und fanden meiner Meinung nach keinen treffenden Titel. Er kommt daher, dass ich nicht aus Detroit stamme, ich war lange nur eine Beobachterin vor Ort. Aber ich habe auch mitgemacht und ich glaube, das sieht man auch in meinen Fotos.
2013 hast du ein Stipendium von der John S. and James L. Knight Foundation für ein einjähriges Projekt zur Erstellung eines öffentlichen Archivs erhalten. Alle deine Negative, die die Detroiter Musik- und die linke Politszene über einen Zeitraum von einem halben Jahrhundert dokumentieren, wurden eingescannt.
Ja, die Backstage Galerie hat das finanziert, es wurden 82.000 Scans – viele doppelt und in unterschiedlicher Qualität – erstellt, darunter circa 57.000 unterschiedliche Fotos. Die gingen während dieser Zeit aber in Konkurs. Zum Glück wurden mir davor noch alle meine Negative und eine externe Festplatte mit diesen Scans übergeben. Leider sind die Scans darauf alle nicht benannt, sondern nur nummeriert. Somit ist es eine riesengroße Herausforderung, überhaupt bestimmte Bilder darauf zu finden. Thomas Blase hat wochenlang dafür gebraucht, eine Auswahl für die Ausstellung und das Buch zu treffen.
Da du ja bis heute fotografierst und filmst, hast du sicher unzählige Negative. Wie sind diese archiviert, sind sie in irgendeiner Form zugänglich und was passiert in der Zukunft damit?
Ich besitze bis heute alle Rechte an meinen Fotos und Filmen. Meine Filme werden von Retro Film Inc. – siehe retrovideo.com – in Kalifornien vertreten. Meine analogen Negative und Abzüge verwalte ich selbst von mir zu Hause aus. Diese sind in chronologischer Reihenfolge archiviert. Leider bin ich bis heute nicht dazu gekommen, alle Negative zu benennen, und das mit der Digitalisierung ist auch so eine Sache. Meine Töchter werden sich nach meinem Ableben um meinen Nachlass kümmern.
Ab 1964 formierte sich die Band MC5, die aus Jazz-Elementen, Rock’n’Roll und Blues einen neuen Stil kreierte, den man heute auch Proto-Punk nennt, damals hieß das vermutlich einfach Rock. Wayne Kramer und Fred „Sonic“ Smith gründeten zuerst in Detroit die BOUNTY HUNTERS, als Bassist stieß noch Rob Tyner dazu, er wurde später ihr Sänger bei der Nachfolgeband. Mit dem Bassisten Michael Davis und den Schlagzeuger Dennis Thompson nannten sie sich dann MOTOR CITY FIVE, sprich: MC5. Du hast die Bandmitglieder 1966 auf der Willkommensfeier für deinen Mann John, als der aus dem Gefängnis entlassen wurde, zum ersten Mal getroffen. An was kannst du dich da erinnern?
Wir nannten es „Festival of People“ und es spielten dort einige Bands. Ganz am Schluss des Abends, es war schon sehr spät, trat eine uns noch unbekannte Band auf. Sie waren enorm laut und ich habe schließlich den Stecker gezogen. John war ja gerade erst aus dem Gefängnis raus und ich wollte nicht, dass die Polizei kommt und ihn gleich wieder mitnimmt. Die Mitglieder der Band waren richtig sauer auf mich. Daraufhin unterhielten sie sich mit John. Rob Tyner, ihr Leadsänger, wollte ja eigentlich keinen Rock’n’Roll machen, er wollte lieber Jazz spielen. Er änderte sogar seinen Namen von Robert Derminer zu Robert Tyner, zu Ehren von McCoy Tyner, der ein Pianist von John Coltrane war. Somit verstanden sich John und Rob natürlich auf Anhieb und er fing an, sie auf ihre Konzerte zu begleiten und sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern. Das bekannteste Foto von mir von MC5 ist sicher dasjenige, wo die fünf Mitglieder sich mit nacktem Oberkörper in Pose werfen. Dieses war über die ganze Innenseite des Klappcovers ihrer Debüt-LP „Kick Out The Jams“ zu sehen. John und Rob Tyner wurden schnell Freunde. Sie sprachen darüber, einige Jazz-Elemente in ihren Sound zu integrieren und eine neue Art von Musik zu machen. Sie nannten es Avant-Rock, aufgrund der Anleihen beim Avantgarde-Jazz. Als ich sie fotografierte, waren sie immer kooperativ, es gehörte damals dazu, wenn man berühmt werden wollte, gute Fotos zu haben. Bei allen Fotos, die ich von MC5 gemacht habe, hatte ich immer im Hinterkopf: Wenn ein Bild wirklich gut wird, kann es als Werbefoto für sie verwendet werden. Aus diesem Grund habe ich mir dann auch eine 16-mm-Kamera zugelegt und angefangen, Filmaufnahmen zu machen. Wir wollten einen kleinen dreiminütigen Film drehen, um ihn potenziellen Veranstaltern zu zeigen, damit sie die Band in Action sehen konnten und sie daraufhin zu buchen. Es ging darum, Auftritte zu bekommen und etwas Geld zu verdienen, weil wir damals alle kein Geld hatten. Wir wurden nicht bezahlt. Es gab da eine ganze Gruppe von Leuten, die sich buchstäblich jedes Wochenende um die Lichtshow kümmerten, Bühnenoutfits für die Band nähten und Plakate und Flyer gestalteten.
Wie kam es zu dem Foto mit Wayne Kramer, das ihr für den Buchumschlag von „Participant Observer“ verwendet habt?
Es war schon etwas umstritten, dass die Mitglieder der Band für einige meiner Fotos auch mit Waffen posierten. Dabei entstand eben auch diese Aufnahme von Wayne Kramer, der auf seinem Rücken die Gitarre und das Gewehr gekreuzt trägt. Dies vor der US-Flagge und den rechten Arm zur Faust erhoben. Ich glaube aber, dass es nur Posing war, denn ich habe nie gesehen, dass einer von ihnen wirklich abgedrückt hätte. Ich weiß nicht einmal, ob sie wussten, wie man so ein Gewehr benutzt. Jemand hatte sie damals einfach zum Set mitgebracht und wir haben sie als Requisiten verwendet, um ein provokantes Foto zu machen. Aber es ist nicht so, als hätten sie sich für Militarismus interessiert. Nein, es war nur zum Spaß. So denke ich darüber.
Es gab schon davor eine Band mit dem Namen DEATH, ebenfalls aus Detroit, bestehend aus den drei Brüdern Bobby, David and Dannis Hackney, übrigens Afroamerikaner, die, das was MC5, die STOOGES oder UP spielten, schon Jahre zuvor vorwegnahmen. Hast du davon was gewusst? Kennst du die drei Brüder?
Nein, aber ich habe Bobby und Dannis zusammen mit LAMBSBREAD-Gitarrist Bobbie Duncan 2009 bei einem Pressetermin anlässlich der DEATH-Reunion hier in Detroit getroffen.
Im Jahr 1967 gründeten sich zwei weitere wichtige und musikalisch ähnlich klingende Bands aus dem Raum Detroit. Die PSYCHEDELIC STOOGES, besser bekannt als IGGY POP AND THE STOOGES mit James Osterberg aka Iggy Pop am Mikro sowie Dave Alexander und den Brüdern Ron und Scott Asheton. Und die zweite, bis heute komplett unbekannte Band UP, mit Sänger Frank Bach, Gitarrist Bob Rasmussen, seinem Bruder Gary am Bass und dem Schlagzeuger Vic Peraino, der im Jahr darauf von Scott Bailey ersetzt wurde. Sie waren mit den MC5 ebenfalls verbandelt. Einige der Mitglieder von UP und MC5 lebten ebenfalls in dem Haus an der Hill Street 1250 in Ann Arbor, wie unter anderem auch du und dein Mann John. Wie kam es dazu?
In dem Haus lebte auch mein Schwager Dave Sinclair. Er managete UP. Sie waren alle gute Musiker, aber sie waren musikalisch nicht so drauf wie MC5. Wir hatten alle zu der Zeit wenig bis kein Geld und es lebten zeitweise bis zu zwanzig Personen dort. Wir ernährten uns makrobiotisch, nicht weil es wie heute en vogue war, sondern weil es uns einfach nicht möglich war, für zwanzig Personen Fleisch zu kaufen. Das Hauptaugenmerk lag bei mir aber immer auf MC5. Ich habe mich weniger auf Iggy und die STOOGES konzentriert. Das war nie mein Hauptziel. Iggy zu fotografieren war jedes Mal ein Abenteuer, weil man nie wusste, was er als Nächstes tut. Doch dieses eine Foto von einen Auftritt von Iggy aus dem Grande Ballroom aus dem Jahr 1968, wo er ausgestreckt auf der Bühne liegt und sein Mikrofon hält, die Zunge herausgestreckt, die Beine auf dem Boden, aber die Brust fast senkrecht aufgerichtet, so als wäre er eine Rock’n’Roll-Meerjungfrau, das war einfach Glück, dass es so schön geworden ist, und ich ihn genau in dem Moment erwischt habe, in dem er sich so hinlegt. Ich bereitete mich eigentlich nur darauf vor, MC5 zu fotografieren, weil die STOOGES für sie eröffneten. Ich stand vor der Bühne, ich war bereit, die Kamera war bereit, ich hatte einen Schwarzweißfilm eingelegt. Als ich sah, wie Iggy auf der Bühne diese Verrenkungen machte, schoss ich sofort ein paar Bilder davon. Ich habe später einmal zu Iggy gesagt: „Ich möchte dir danken, dass ich in den Sechzigern diese Fotos von dir machen durfte. Weil der Verkauf dieser Bilder bis heute ab und zu Brot auf meinen Tisch bringt.“ Er erwiderte: „Oh, es freut mich sehr, das zu hören.“ Er war überhaupt nicht sauer, sondern er war damit vollumfänglich einverstanden.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #164 Oktober/November 2022 und Lurker Grand