Meine erste nachhaltige Begegnung mit schwedischen Punkbands – abgesehen von Bands wie CRUDE SS, THE BRISTLES oder ANTI-CIMEX – fand erst recht spät in den frühen Neunzigern statt. Einige äußerst Schweden-Punk-affine Freunde in Hannover verpassten mir einen ersten Grundkurs. Hilfreich war dabei die „Varning!! För Punk“-CD-Box.
Doch einen Schritt zurück ... 1977: die SEX PISTOLS hinterlassen auf ihrer Tour in Schweden einen nachhaltigen Eindruck. Die ersten Punkbands werden gegründet und entwickeln schnell einen ganz eigenen Stil. Auch die Hardcore-Punk-Welle erfasst Schweden – und deren schwedische Variante beeinflusst bis heute zahlreiche Bands weltweit. Ab Mitte der Neunziger Jahre beginnen einige schwedische Labels damit, diverse Sampler zur Geschichte des Schweden-Punk herauszubringen. Und es ist wirklich unglaublich, wie ein Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern so viele geniale Bands hervorbringen konnte und auch noch kann.
Die Box enthält auf drei CDs insgesamt 54 Bands mit 150 Songs aus den Jahren 1978 bis 1985, bei einer Gesamtspielzeit von insgesamt 225 Minuten. Bei der Zusammenstellung wurde zumeist auf die Demotapes oder die ersten EPs der Bands zurückgegriffen. Neben den „großen“ Namen wie ASTA KASK, MOB 47 oder den schon erwähnten BRISTLES und ANTI CIMEX gibt es eine Unzahl unbekannterer Bands zu entdecken – von P-NISSARNA, TROGSTA TRÄSK, ERNST & THE EDSHOLM REBELLS bis hin zu AB HJÄRNTVÄTT, GODS OF MASTURBATION oder RÖVSVETT. Dabei ist vom 77er-Punkrock wie bei THE PAST bis hin zu Geballer wie bei MODERAT LIQUIDATION eigentlich alles an Punkstilen vertreten, was Schweden damals zu bieten hatte. Und keine Band klingt wie die andere!
Die meisten Bands singen auf Schwedisch – eine harte, aber dennoch melodische Sprache und wie geschaffen für Punkrock-Songs. So lassen sich leider viele Songtexte nur bedingt erschließen. Aber ein Titel wie „Anti Oi“ von SWANKERS PMS zeigt unmissverständlich, dass es in Schweden die gleichen Probleme mit Naziskins gab wie bei uns in dieser Zeit. Auch der Kalte Krieg hinterließ seine Spuren, wie bei dem Song „Anti war“ von NYX NEGATIV deutlich wird. Und hier liegt auch mein einziger Kritikpunkt an dieser Box. Zwar liegt jeder CD ein fettes Booklet mit vielen Fotos und Infos zu den einzelnen Bands bei – meist die Cover und Textblätter der jeweiligen Veröffentlichungen –, aber es ist ebenfalls alles auf Schwedisch. Noch nicht einmal das Einleitung von Distortion Records ist auf Englisch verfasst. Und das ist eigentlich verwunderlich, da ich mir nicht vorstellen kann, dass das Label nicht um die über die Landesgrenzen hinaus wirkende Faszination von Schweden-Punk wissen konnte. Ansonsten eine sehr gelungene Zusammenstellung, die eine Neuauflage wirklich verdient hätte.