LEATHER NUN

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Gimme gimme gimme

Geht man auf der Zeitschiene zurück in die späten Siebziger und frühen Achtziger, als Punk, Wave und Co. in England, den USA und auch Deutschland zu höchster Kreativität aufliefen, fallen einem Dutzende relevante Bands ein. Versucht man das mit Skandinavien und speziell Schweden, ist langes Überlegen angesagt, und dann ... LEATHER NUN. Jenseits von ein paar Punk- und Hardcore-Bands war es tatsächlich nur diese eine Band, die Schweden in jenen Jahren international bekannt machte, lange bevor UNION CARBIDE PRODUCTIONS auf den Plan traten. Und noch viel länger, bevor deren Nachfolger THE SOUNDTRACK OF OUR LIVES, aber auch HELLACOPTERS, BACKYARD BABIES und GLUECIFER für einen Hype sorgten. Die Achtziger waren die große Zeit von Jonas Almquist und seiner Band, seit den frühen Neunzigern war der Ofen aus – bis im April mit „Whatever“ ein neues Album erschien.

Jonas, warum ein neues Album nach all den Jahren?


Wir haben das Album aufgenommen, ohne groß darüber zu überlegen, was andere darüber denken könnten. Ich hatte das Bedürfnis, das zu tun, und zum Glück glaubten auch noch ein paar andere Leute an das Projekt. Ich bin jetzt ziemlich zufrieden mit dem Album, es war ein weiter Weg, bis wir endlich mit den Aufnahmen beginnen konnten, und die Aufnahmen selbst dauerten auch noch eine ganze Weile. Mit dem Ergebnis sind wir sehr zufrieden, es ist ein starkes Album, und die bisherigen Reaktionen sind alle sehr positiv.

Wer ist LEATHER NUN außer dir? Im Booklet werden insgesamt 16 Namen genannt.

Ja, und das sind auch all jene, die zum Album beigetragen haben. Du findest hier viele vertraute Gesichter aus den Line-ups der späten Achtziger. Unser damaliger Drummer allerdings hörte vor zehn Jahren auf zu spielen, den mussten wir also ersetzen. Auch der Bassist ist ein anderer, der neue heißt Jeff Virgo. Live werden wir auch wieder spielen, und da hängt die Besetzung davon ab, wer gerade Zeit hat. Wir sind eben keine zwanzig mehr, viele von uns haben Verantwortung, da geht der Job auch mal vor. Aber irgendwer hat immer Zeit.

Wenn man sich mit einer Band beschäftigt, die zwanzig Jahre nicht aktiv war, stellt man fest, was das Internet „angerichtet“ hat: Bands, die sich vor Ausbreitung des Internets Mitte/Ende der Neunziger aufgelöst haben, sind online fast nicht zu finden: keine Interviews, keine Reviews. Was ist damals passiert, Anfang der Neunziger?

Willst du damit sagen, LEATHER NUN seien ein Prä-Internet-Phänomen? Hahaha! Wir waren Anfang 1992 in der unglücklichen Situation, vertraglich an ein Label gebunden zu sein, das bankrott ging, und unser Management wie auch unser Musikverlag kümmerten sich nicht weiter um unser Schicksal. Wir standen plötzlich völlig alleine da und versuchten zwei Jahre lang, wieder auf die Beine zu kommen, mussten dann aber feststellen, dass das unmöglich war, und so lösten wir die Band 1995 auf. Wir waren alle frustriert und wütend, denn wir hatten mit „Nun Permanent“ ein gutes Album aufgenommen, hatten eine fast ausverkaufte Europatour gebucht, und plötzlich war alles weg. Wir waren sehr wütend und frustriert. Als nach dem offiziellen Ende der Band dann der Aufstieg des Internets begann, war ich damit beschäftigt, viele neue Songs zu schreiben, so zwischen 1996 und 1998 – es müssen 250 bis 300 gewesen sein. Ich erkannte damals schnell die Möglichkeiten, die das Internet bot, um den Namen LEATHER NUN im Gespräch zu halten, baute eine Website. Meine einstigen Mitstreiter waren damals aber sehr verbittert, sie konzentrierten sich lieber auf ihr Leben jenseits der Musik, Familie und Beruf. Die hatten irgendwann einfach keine Zeit mehr für die Band. In jener Zeit sollte die Website dazu dienen, die Erinnerung an die Band aufrecht zu erhalten. Eine Folge davon war, dass sich um das Jahr 2000 das britische Easy Action-Label bei uns meldete und Interesse bekundete, unsere alten Platten neu aufzulegen. Das klang nach einem guten Plan, und ich dachte mir, so kann man wenigstens wieder unsere Platten kaufen, und wer weiß, vielleicht gibt es ja einen Neuanfang.

Und was kam dann?

Tja, der Vertrieb von Easy Action, Pinnacle, ging bankrott, wegen der damals stark zurückgehenden Plattenverkäufe. Und damit war auch Easy Action angeschlagen und musste das LEATHER NUN-Projekt absagen. Also war die nächsten Jahre die Website weiterhin das Einzige, was an die Band erinnerte. 2007 oder 2008 kontaktierte mich dann über die Website Christian Fuchs von der österreichischen Band BUNNY LAKE.

Der war doch zuvor bei der Industrial-Rock-Band FETISH 69, oder?

Genau. Die waren damals recht erfolgreich und Fans von LEATHER NUN und sie wollten einen Song von uns covern. Sie waren bei Universal Österreich unter Vertrag, und deren Chef wiederum war auch ein alter LEATHER NUN-Fan. Wir blieben über die Jahre also durchaus im Gespräch, es gab auch Angebote, auf großen schwedischen Festivals zu spielen, aber wir lehnten das ab, denn das sollte nur eine einmalige Sache sein zu unserem dreißigsten Geburtstag. Wir sind aber keine Band, die nur wieder zusammenkommt, um ihre alten Hits zu spielen. Wir waren uns einig, dass wir nur wieder aktiv sein würden, wenn wir was zu bieten haben, das auch für uns relevant ist. So fingen wir an, darüber zu grübeln, ob wir überhaupt noch dazu in der Lage sind, Songs zu schreiben, die sowohl für uns wie für die Rockmusikwelt relevant sind. Das war 2010. Und dann fing ich an, neue Songs zu schreiben für ein eventuelles neues LEATHER NUN-Album. Die Leute in meinem Umfeld, darunter viele aus dem Musikgeschäft, waren recht angetan, und das motivierte mich, die ganzen alten Verträge nochmal durchzuarbeiten, um zu ergründen, ob wir rein rechtlich überhaupt eine Chance haben, eine neue Platte zu machen. Das hielt mich zwei, drei Jahre lang auf Trab, doch Ende 2013 schließlich hatte ich es geschafft, alle Rechte auf die Band zurückzuübertragen. Das war wirklich extrem aufwendig und es ist bislang kaum jemand gelungen. Und seitdem gehört uns auch der Bandname wieder, so dass wir überhaupt erst wieder anfangen konnten, eigenes Merchandise herzustellen, alte T-Shirt-Motive neu aufzulegen und neue zu entwickeln. Außerdem konnte ich durch Verhandlungen mit Universal Sweden erreichen, dass wir die Rechte an den alten LEATHER NUN-Platten zurückbekamen, etwa die an der „Prime Mover“-Single, so dass wir an Rereleases jener Platten arbeiten können. Und dann, als das alles klar war, konnten wir uns endlich ans Aufnehmen einer neuen Platte machen. Das war vor ungefähr einem Jahr.

Welche eurer alten Platten sind aktuell noch erhältlich?

Nun ... das ist so eine Sache. Wir sind gerade noch in einem Rechtsstreit mit einem Unterlabel von Universal verstrickt. Die behaupten, unsere alten Platten würden ihnen gehören. Aber wir hatten 1992 mit unserem Label einen Vertrag, in dem stand, dass dieser nicht an einen anderen Partner übertragen werden kann, aber die sehen das anders. Wir gehen aber davon aus, dass wir mit dem Bankrott aus dem Vertrag raus waren und alles wieder uns gehört. Irgendwann fand ich dann aber unsere Songs auf Spotify, und dann fingen die Fragen an: Wie kann das sein, wenn wir doch die Rechte an den Songs haben? Wer hat die Songs für Spotify freigegeben, wenn wir das nicht waren? Ohne unsere Zustimmung geht das nicht, die haben wir aber nicht gegeben. Universal sagen jetzt, sie hätten die Rechte mit den „Resten“ unseres damaligen Labels gekauft, aber haben wohl übersehen, dass unsere Rechte ausgenommen waren. Man sieht daran, dass man mit solchen Rechten immer noch Geld verdienen kann, und entsprechend wollen sie diese nicht so einfach rausrücken. Bis Ende des Jahres werden wir hoffentlich alles geklärt haben und dann werden neben den frühen Sachen auch Platten wie „Steel Construction“, „International Heroes“ und „Nun Permanent“ sowie das „Alive“-Album hoffentlich wieder erhältlich sein. Bei den frühen Sachen hatten wir uns erst mal für Digital-Releases entschieden, aber sobald alles klar ist, wird es Vinyl von allem geben.

Ich schätze, es kostet eine Menge Energie, so viel Lebenszeit in das Ausfechten solcher rechtlicher Streitigkeiten zu investieren. Warum tust du dir das an?

Ich gehöre zur ersten Generation des Punk, und jenseits von Nostalgie, die mich nicht interessiert, ist es eben die Band LEATHER NUN, die mich über all die Jahre beschäftigt hat. Ich sagte ja schon, dass ein neues Album für mich die Voraussetzung war, mich überhaupt mit all dem zu beschäftigen. Seit dem Bankrott des Labels damals hatte außer mir sonst keiner in der Band Interesse daran, sich mit dieser verwirrenden, komplexen Materie auseinanderzusetzen. Von denen war keiner interessiert, da irgendwie aktiv zu werden. Das Festival-Angebot 2010 war dann der Auslöser, sich zusammenzusetzen und zu diskutieren, was es für Möglichkeiten gibt – eine Reunion aus nostalgischen Gründen schied aus. Wir schauten uns daraufhin die Musiklandschaft an und stellten fest, dass es eigentlich keine Band gibt, die das fortführt, war wir einst 1979 begonnen hatten. Ein Grund für die Bandgründung war ja gewesen, dass keiner die Musik machte, die wir hören wollten, also machten wir die eben selbst. 35 Jahre später ist Rockmusik immer noch das wichtigste Genre im Musikgeschäft, wichtiger als HipHop und R&B. Gleichzeitig gibt es aber nur wenige wirklich spannende neue Bands, denn die meisten bereiten nur das auf, was es schon mal gab, ob das nun Rock, Metal oder Punk ist. Wirklich frische neue Bands, die neue Wege gehen, die gibt es nicht. Das war damals, 1979/80, ganz anders, als wir Punk- und New-Wave-Bands eben nicht wie die alten, bestehenden Bands klingen wollten. Wir wollten neue, aufregende Musik für die Zukunft machen! Und das bringt mich zurück zu unserer Diskussion 2010, als wir beschlossen, nur wieder aktiv zu werden, wenn wir etwas Relevantes zur Rockmusik beitragen können. Und wir wussten irgendwie, dass wir das draufhaben, hahaha. Langweilige Musik gibt es schon genug!

Aufgeben kam also nie in Frage?

Das ist ja so schade an der Punk- und New-Wave-Szene jener Jahre, dass so viele Bands und Musiker mit viel Energie starteten, aber irgendwann aufgaben. Die verloren den Schwung und den Spirit, den es braucht, um Neues für die Gegenwart und Zukunft zu schaffen, und nur darum geht es beim Musikmachen für mich. Nachzumachen, was andere bereits gemacht haben, ist sinnlos. Neulich las ich, dass jemand über ein Mark Lanegan-Konzert in Berlin geschrieben hatte, es habe geklungen wie LEATHER NUN 1985. Ich schätze Mark Lanegan sehr, der in Interviews erzählt hat, wie sehr ihn LEATHER NUN beeinflusst hätten, aber heute Musik zu machen, die auf dem basiert, was andere vor dreißig Jahren gemacht haben, das kann man doch nicht als kontemporäre Musik bezeichnen. Soll das irgendwelche Kids inspirieren, selbst eine Band zu gründen und einen eigenen Sound zu entwickeln? Also ich würde sicher nicht 2015 zu einem LEATHER NUN-Konzert gehen, wenn ich wüsste, dass die nur dreißig Jahre alte Musik aufbereiten. Das fände ich langweilig. Nein, die Maxime muss sein, dass die Band klingt, als sei sie 2013 gegründet worden – das ist unser Ansatz, und ich denke, wir haben das ganz gut hinbekommen.

Als ihr anfingt, wurdet ihr dem sehr innovativen Industrial-Genre zugerechnet.

Der Grund, weshalb LEATHER NUN gegründet wurden, war ein Plattenvertrag mit Industrial Records, dem Label von Genesis P-Orridge von THROBBING GRISTLE. Ich war begeistert von dem, was die Band und das Label machten, und ließ mich davon inspirieren, zumindest bis 1983/84. Bis dahin sahen wir uns als Teil der Industrial-Bewegung – die Punks damals sahen uns nicht als Punkband an, und wir liefen ja auch nicht im typischen Sicherheitsnadel-Look herum. Wir entsprachen nicht dem schwedischen Punk-Klischee. Wir orientierten uns aber am ursprünglichen Punk-Ethos und machten unser eigenes Ding – was den Leuten nicht gefiel. Uns ging es darum, Einflüsse aus Heavy Rock und Industrial zu einem eigenen Sound zu entwickeln.

Später nahmt ihr dann eine recht krasse Kurskorrektur vor, wurdet melodiöser und zugänglicher, alles war eher „normale“, recht eingängige Rockmusik.

Der Wandel hing damit zusammen, dass sich eigentlich die ersten fünf Jahre keiner in Schweden für LEATHER NUN interessierte. Wir konnten kaum mal ein Konzert spielen, kein Label interessierte sich für uns – wir entsprachen eben nicht dem Punk-Klischee. Fünf Jahre lang kämpften wir als Band ums Überleben, Industrial Records stellte 1982 seinen Betrieb ein. Wir überlebten wegen der Unterstützung der internationalen Industrial-Szene, aber seitdem Genesis P-Orrigde das Kapitel THROBBING GRISTLE beendet hatte und mit PSYCHIC TV neue Wege ging, standen wir wirklich alleine da. Um unseren alten Sound weiterzuentwickeln, hätten wir damals einen entsprechenden Produzenten, ein passendes Label, ein Umfeld gebraucht, aber all das fehlte. Wir spielten damals höchstens zwei, drei Konzerte im Jahr. 1984 hatte sich einfach alles geändert, der einstige Punk-Spirit war verflogen, und Punk hatte sich in Genres wie Oi! und Hardcore aufgespalten, die Industrial-Szene hatte sich verflüchtigt, Post-Punk war angesagt, Goth und Synthie-Pop. Alles war in Bewegung in der Musiklandschaft, und wir torkelten umher. Wir waren wie blind, hatten keine Bezugspunkte mehr. Außerdem hatten wir uns als Individuen in den Jahren bis dahin verändert. Unsere Herangehensweise an Rock war entsprechend von viel Augenzwinkern geprägt, und auch wenn wir viel Spaß hatten, war ein Gefühl für uns damals immer stärker tragend: Hass. Das mag seltsam klingen, aber unser Gitarrist Nils Wohlrabe, der von 1983 bis 1989 in der Band war, sagte später mal: „Als ich einstieg, gab es Leute in der Band, die zwei Jahre lang nicht mit mir redeten. Die ignorierten mich einfach.“ So war das wirklich! Als sich unser Label verabschiedet hatte, war das nur ein Konflikt mehr, der unser Leben bestimmte. Alles war so verwirrend, und so traten alle persönlichen Konflikte in der Band zutage.

Was hielt die Band zusammen?

Ich sah neulich eine Doku über die Entstehung des „Never Mind The Bollocks“-Albums der SEX PISTOLS, und da wurde Steve Jones gefragt, was die Band damals zusammengehalten habe, und dessen Antwort lautete: „Hass!“ Malcolm MacLaren schaffte es, dass sie sich alle gegenseitig und sich selbst hassten. Und so war es auch bei uns, Frustration und Hass hielten uns zusammen. Und irgendwann waren wir an dem Punkt, an dem wir uns hätten auflösen müssen. Stattdessen entschieden wir uns, Songs zu spielen, auf die wir alle uns gerade noch so einigen konnten. Wobei die Songs das Einzige waren, worauf wir uns einigen konnten, der Hass und die Lagerbildung in der Band gingen weiter. Und ich stand inmitten von all dem und schaute mich um und hatte diese ganze Misere auch noch gegründet. Ich hatte ein Monster geschaffen, so wie bei METALLICA auch, das uns alle nach und nach zu verschlingen drohte. Ich konnte nichts tun, außer weitermachen und Songs schreiben und sie live spielen. Wir kamen nie an den Punkt, dass wir wirklich hätten experimentieren oder kreativ sein können, oder gar die ursprüngliche musikalische Vision weiterentwickeln. Stattdessen fühlten wir uns in die Ecke gedrängt wie ein gejagtes Tier, es ging nur ums Überleben. All das führte dazu, wie LEATHER NUN dann Mitte und Ende der Achtziger klangen.

Immerhin stellte sich dann doch Erfolg ein.

Als wir 1984/85 endlich einen Plattenvertrag hatten, war ich glücklich, denn ich verband damit die Hoffnung, einen Produzenten zu haben, der in der Lage ist, Konflikte zu klären, für Ruhe zu sorgen, so dass wir wieder kreativ arbeiten können. Wir hatten gehofft, John Cale als Produzent für die Produktion des „Lust Games“-Albums gewinnen zu können, wir hatten großen Respekt vor seiner Arbeit, etwa mit Patti Smith. Wir dachten, er sei der Richtige, weil er Rockmusik versteht. Leider hatte Cale sich genau zu dieser Zeit entschieden, sich für ein, zwei Jahre zurückzuziehen. Unser Label schlug dann Bill Buchanan vor, der allerdings als Produzent nicht sehr erfahren war, was uns also nicht weiterhalf. Wir kamen nicht weiter, wir waren nur noch verwirrter. In Folge entschieden wir uns dann, „Steel Construction“ selbst zu produzieren, aber waren nicht zufrieden, und so arbeiteten wir bei „International Heroes“ mit Kim Fowley zusammen. Wir kannten ihn als erfahrenen, kreativen Produzenten und erhofften uns von ihm, dass er wieder etwas Kreativität und Verrücktheit in unsere Musik einbringt. Ich war schon lange vorher mit seiner Arbeit vertraut, der Arbeit mit den RUNAWAYS, und erhoffte mir viel. Als wir dann aber in die USA reisten, um mit ihm zu arbeiten, hatte er gerade ein kreatives Tief ... 90% der Studiozeit verbrachte er damit, Brieffreundschaftsanfragen in Heavy-Metal-Magazinen zu beantworten! Der schrieb 13, 14 Jahre alten Mädchen, prahlte damit, dass er mit KISS und Jimi Hendrix gearbeitet habe – und fragte, ob sie ihn kennen lernen wollten. Kims Einfluss auf das Album war äußerst minimal, auch wenn sein Name darauf stand. Wir mussten zuhause sehr viel neu abmischen. Aber es war lustig, mit ihm zu arbeiten und wir blieben über viele Jahre freundschaftlich in Kontakt, obwohl das Album nicht so geworden war, wie wir uns das erhofft hatten. Und ja, ich erkenne natürlich, wie sich unser Sound von Anfang bis Ende der Achtziger verändert hat, und das ist eben den sich verändernden Umständen geschuldet.

Und wie habt ihr das neue Album aufgenommen?

Eigentlich wollte ich, dass mein alter Freund Alexander Hacke es produziert, aber das scheiterte an Terminschwierigkeiten, und so arbeiteten wir mit Carlos Sepulveda im Belly Of The Whale-Studio in Göteborg. Carlos war früher bei der Band PSYCORE.

Wie entwickelte sich dein Leben nach dem Ende der Band? Angesichts deiner Beschreibung eben muss da doch eine Last von deinen Schultern genommen worden sein.

Ich habe die Band sehr vermisst. Ich hätte sie niemals aufgelöst. Ich hatte mich der Band komplett verschrieben. Wir hatten uns zwar stilistisch verändert, aber wir waren eine richtige Live-Band geworden und es viele gute Aspekte an der Band. Wir hatten einfach etwas Besseres verdient, als uns auflösen zu müssen, weil das Label pleite war. Aber es war unsere einzige Option. Vor einigen Jahren fing ich dann wieder an darüber nachzudenken, was mich einst dazu gebracht hatte, die Band zu gründen, was mich 1979 motiviert hatte. Und dann fing ich an, wieder Songs zu schreiben. Zwei Jahre lang schrieb ich wie besessen neue Songs, und das ging sogar so weit, dass meine Frau mit den Kindern übers Wochenende wegfuhr, und als sie zurückkamen, saß ich da mit riesigen Augenringen, weil ich die Tag und Nacht durchgearbeitet hatte. Ich trieb meine Frau fast in den Wahnsinn, aber ich versuchte, an die Kreativität unserer frühen Tage anzuknüpfen.

Was hast du sonst so gemacht in all den Jahren?

In den frühen Neunzigern versuchten wir zunächst, ein neues Management und ein neues Label zu finden, aber wir erkannten bald, dass wir uns Jobs suchen müssen. Mir wurde dann angeboten, Chefredakteur des schwedischen Musiklehrer-Magazins zu werden. Ich fand das interessant, denn ich hatte vom Musikunterricht in der Schule mal abgesehen keine Musikausbildung genossen – ich war ein Punk! Aber ich hatte 15 Jahre Erfahrung im Musikbusiness und ich konnte schreiben, hatte zudem viele Freunde, die als Musiklehrer arbeiten. In Schweden ist das ein typischer Nebenjob für Musiker, die gerade nicht auf Tour sind. Man war außerdem der Meinung, dass ich die Kids gut verstehe, die noch zur Schule gehen und Musikunterricht nehmen. Letztlich habe ich diesen Job dann fast zwanzig Jahre gemacht, ihn aber vor einer Weile aufgegeben, um wieder Vollzeit als „Musik-Gammler“ tätig sein zu können. Ab 2010 hatte die Arbeit an den ganzen rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit LEATHER NUN begonnen, immer mehr von meiner Zeit und Energie in Anspruch zu nehmen, da blieb keine Zeit mehr für einen normalen Job. Außerdem waren die Reaktionen auf die neuen Songs so gut, dass ich wieder eine Perspektive für die Band sah. Man kann das als mutig ansehen, auf ein sicheres Einkommen zu verzichten für eine unsichere Musikerzukunft, aber ich wusste eben auch, dass uns seit der Labelpleite viel Geld entgangen war, und das wollte ich ändern. Abgesehen davon fand ich die Arbeit mit und für LEATHER NUN auch einfach interessanter als meinen alten Job.

Was sind die weiteren Pläne für LEATHER NUN?

Wir unterhalten uns mit Booking-Agenturen und planen eine Tour für den Herbst, mit Daten in Deutschland. Denn schon damals waren wir vor allem in Europa bekannt, aber kaum in Schweden. Deutschland, Großbritannien, Belgien, da hatten wir Fans.

 


Vor ihrer Neugründung

... waren LEATHER NUN von 1978 bis 1995 aktiv. Die Schweden galten damals als vielversprechende Band, die es schaffte, eine Brücke von Garage-Rock über Gothic bis zu Industrial zu schlagen. Gegründet wurde die Band in Göteborg von Sänger Jonas Almquist, nachdem er die Zusage für die Veröffentlichung seiner ersten Single bei Industrial Records bekommen hatte. Ihm schlossen sich Gitarrist Bengt „Aron“ Aronsson, Bassist Freddie Wadling und Schlagzeuger Gert Claesson an, die zuvor alle bei der Band STRAIT JACKET gespielt hatten. Der Name LEATHER NUN gründet sich Gerüchten zufolge auf eine Londoner Stripperin oder den amerikanischen Underground-Comic „Tales from the Leather Nun“, erschien der Band in Wahrheit aber einfach als passende Umschreibung für ihren Musikstil.

Nachdem 1979 die Debüt-EP „Slow Death“ erschienen war, verließ Wadling die Band, um BLUE FOR TWO beizutreten. Die übrigen LEATHER NUN-Mitglieder veröffentlichten weitere Singles und 1987 das Debütalbum „Steel Construction“ (1985 erschien mit „Alive“ allerdings bereits ein Live-Album), das nur bedingt Anklang fand. Mit ihrem 1988 folgenden Album „International Heroes“ erlangte die Band jedoch größere Aufmerksamkeit und ihr Song „Jesus came driving along“ (von der 1986er-EP „Lust Games“) wurde als Soundtrack des Films „Dudes“ von Penelope Spheeris genutzt. Der Anfang vom Ende der Band begann 1991, als ihre Plattenfirma Bankrott anmeldete und das dritte Album „Nun Permanent“ nicht länger vertreiben konnte. Die Gruppe spielte noch einige Gigs, wurde aber nicht wieder erfolgreich und löste sich schließlich 1995 auf. Zehn Jahre später schaffte die Band ein kurzes Comeback, veröffentlichte aber keine weiteren Alben. 2009 gab es Auftritte von Sänger Almquist mit LEATHER NUN: RELOADED.

Diskographie (Auswahl)

„Slow Death“ (7“, Industrial, 1979) • „Prime Mover“ (7“, Scabri/Subterranean, 1983) • „Alive“ (LP, Wire, 1985) • „Gimme Gimme Gimme!“ (7“/12“, Wire, 1986) • „Lust Games“ (12“, Wire, 1986) • „Radio One Sessions: The Evening Show“ (12“, Strange Fruit, 1986) • „Steel Construction“ (LP, Wire, 1987) • „International Heroes“ (LP, Wire, 1988) • „Nun Permanent“ (LP, Wire/Rough Trade, 1991) • „Whatever“ (LP, Wild Kingdom/Sound Pollution, 2015)