Nun ist es vorbei. Ich bin wieder im kalten Deutschland und blicke zurück auf neun Monate, während derer ich um die halbe Welt gereist bin, die mir faszinierende Naturerlebnisse, fremde Kulturen und unzählbare Eindrücke vermittelt haben. Diese Zeit "on the road" hat ihre Spuren hinterlassen, es fällt schwer, sich wieder auf deutsche Hektik, permanentes Handyklingeln und die "Ich muss schnell weiter, wir sehen uns später"-Mentalität einzustellen.
Viele Dinge, die ich vor meiner Abreise als selbstverständlich empfunden habe, erscheinen nun in einem völlig anderen Licht. Ich bin in vielen Ländern gewesen, wo die Menschen unter unwürdigsten Bedingungen leben müssen, oft erbärmlich arm sind und niemals in ihrem Leben etwas ihr Eigen nennen dürfen, ausser der Kleidung, die sie am Leibe tragen. Dennoch habe ich gerade in diesen Ländern die freundlichsten, hilfsbereitesten Menschen getroffen, die sich niemals über ihr Schicksal beklagen, sondern immer fröhlich und freundlich sind und dich stets mit einem Lächeln begrüssen.
Laos ist eines der Länder, wo mir die unglaubliche Freundlichkeit der Menschen besonders aufgefallen ist. Nur wenig wusste ich vor meiner Reise von dem südostasiatischen Land, welches an Thailand, Myanmar, China, Kambodscha sowie Vietnam angrenzt. Die "Sathalanalat Paxathipatai Paxaxon Lao" (Demokratische Volksrepublik Laos) besitzt in etwa die Fläche von Großbritannien, es leben jedoch nur fünf Millionen Menschen auf diesem Gebiet, was einem Anteil von acht Prozent der Bevölkerung Großbritanniens entspricht. 85 % des Landes sind nicht urbanisiert, etwa die Hälfte des Landes besteht aus Wald, grosse Teile davon sogar aus Primärwald (Waldgebiete, die niemals von Menschenhand berührt wurden). Laos gehört immer noch zu den ärmsten Ländern der Welt, wurde gebeutelt von wirtschaftlichen und politischen Unruhen. Politisch eingeordnet wird Laos häufig mit der simplen Formel "Chaos in Laos".
Laos stand lange Zeit unter französischer Herrschaft: 1893 machten die Franzosen das Land zunächst zu ihrem Protektorat, später zu einem Teil Französisch-Indochinas. Dieser französische Einfluss ist heute immer noch spürbar, viele Schilder tragen französische Bezeichungen und ältere Laoten plaudern gerne ein wenig auf Französisch. Zudem gibt es überall Baguette. Nach der Besetzung durch Japan im Zweiten Weltkrieg wurde Laos 1946 zunächst als Königreich wiedererrichtet, erreichte jedoch im Jahre 1953 durch das Französisch-Laotische Abkommen seine Unabhängigkeit. Während des Vietnamkrieges wurden weite Teile von Laos stark bombardiert. US-Cluster Bomben - von den lao people "bombi" genannt - sind noch heute überall gegenwärtig. Sie werden in das tägliche Leben integriert, in den Bergdörfern im Norden findet man immer wieder Bombenhülsen, die als Pflanzentöpfe oder Stützbalken für Holzhütten genutzt werden. Immer noch sind viele Regionen des Landes stark vermint, die meisten der "unexploded ordnance" werden von Männern, Frauen und Kindern "entdeckt", was zu grausamen Verstümmelungen und geschätzten 130 Todesfällen pro Jahr führt. Warnschilder sind nicht sehr effektiv, denn über die Hälfte der Laoten kann weder lesen noch schreiben und die abgebildete Bombe wird meist nur mit einem Lächeln und dem Ausruf "bombi" kommentiert.
Das "Land einer Million Elefanten" öffnete seine Grenzen für den Tourismus erst Mitte der neunziger Jahre. Zu diesem Zeitpunkt wurden vorher bestehende Reiserestriktionen gelockert, es ist nun theoretisch möglich, jeden Winkel des Landes zu bereisen. Wer in Laos unterwegs ist, muss viel Geduld und hartes Sitzfleisch mitbringen, die Strassenverhältnisse sind katastrophal, eine Strecke von hundert Kilometern kann leicht zu einer zehnstündigen Odyssee werden, häufig werden bis zu zwanzig Menschen mitsamt Gepäck auf die Ladefläche eines Pick-Ups gequetscht, dann rumpelt der Wagen stundenlang über unasphaltierte Strassen, durch Schlammpfützen und Schlaglöcher, eine Fahrt ohne Reifenpanne habe ich nie erlebt.
Trotz dieser ungemütlichen Reisevoraussetzungen ist Laos eines der faszinierendsten Länder, welches ich jemals bereist habe. Noch gibt es in Laos viele Regionen, welche touristisch unerschlossen sind und wo die Bevölkerung teilweise noch nie einen weisshäutigen Menschen zu Gesicht bekommen hat. In vielen Gegenden leben die Menschen ohne Elektrizität oder fliessend Wasser, "geduscht" wird mit Regenwasser, welches in grossen Ölfässern aufgefangen und aus einem Plastikbottich über den Körper gegossen wird. Aufgrund des unvollständigen Strassennetzes werden viele Wege auf dem Fluss zurückgelegt. Der "Hauptverkehrsweg" ist der Mekong River, auf dem in kleinen Holzbooten Passagiere und Waren von einem Ort zum nächsten transportiert werden. Die Fahrer der Boote kennen den Flusslauf wie ihre Westentasche, manövrieren die Boote sicher und geschickt durch Stromschnellen und umschiffen felsige Bereiche. Mittlerweile rasen Touristen-Speedboote in sechs Stunden den Fluss hinunter, wofür die traditionellen Holzboote mit Zwischenübernachtung zwei Tage benötigen. Wer das Speedboot als Transportmittel wählt, muss sich auf eine ungemütliche Fahrt einstellen, Ohrenstöpsel sind dringend zu empfehlen, denn der Lärm ist ohrenbetäubend. Die Boote erreichen eine Geschwindigkeit bis zu 80 km/h, die Fahrer kennen die Strecke bis ins kleinste Detail, dies ist auch dringend erforderlich, da der Wasserspiegel des Mekong River während der Regenzeit ansteigt, Felsen und Steine somit nicht mehr sichtbar, häufig jedoch nur ein wenig unter der Wasseroberfläche verborgen sind. Bootsunfälle sind dennoch keine Seltenheit, meist mit tödlichem Ausgang. Nicht nur dieser Aspekt sollte Reisende davon abhalten, das Speedboot zu nutzen, der Lärm dieser Transportmittel vertreibt die Fische aus dem Fluss und raubt somit den Fischern ihre Existenzgrundlage.
Die Luang Nam Tha Provinz im Norden von Laos ist die Heimat vieler ethnischer Minoritäten, welche abgeschnitten von der Aussenwelt in den Bergregionen leben. Diese "Hill Tribes" haben ihre eigene Sprache, Rituale, Kleidung und Religion. Viele der "mountain people" sind seminomadischen Ursprungs und stammen ursprünglich aus Tibet, China oder Myanmar. Die meisten der Hill Tribe Villages bauen traditionell Opium an. Das "Goldene Dreieck", welches Teile von Myanmar, Thailand und Laos umfasst, ist das Hauptopiumanbaugebiet der Welt. Der Opiumkonsum ist tief verwurzelt in der Kultur der Akha, Hmong oder Mien Hill Tribes, bisher war es jedoch den Dorfälteren vorbehalten, am Abend ein Opiumpfeifchen zu rauchen. Seitdem immer mehr Touristen auch abgelegene Gebiete besuchen, werden die negativen Auswirkungen des Tourismus spürbar, viele Traveller besuchen die Bergdörfer, um erste Opiumerfahrungen zu machen. Ihr "Dhan", der sich während des Rausches um sie kümmert, die Pfeifen reinigt und neu präpariert, ist meistens ein junger Mann, welcher ebenfalls häufig an der Pfeife zieht. Mittlerweile sind viele junge Leute stark opiumabhängig, was in einigen Dörfern zu Diebstählen und Überfällen führt, denn selbst der ärmste Traveller muss den Laoten unermesslich reich erscheinen. Noch ist es eine eher niedliche Art von Kriminalität, die sich bemerkbar macht. Freunde erzählten von dem Diebstahl eines Walkmans aus einem Gästehauszimmer, in der nächsten Nacht kehrten die Diebe zurück, um auch noch den Adapter zu stehlen, ohne den das Gerät unbrauchbar wäre. Viele der Hill Tribes leben immer noch ohne Bargeld, die notwendigen Dinge werden auf dem Markt getauscht, vieles vollzieht sich über den Schmuggel zwischen Laos, Myanmar, China und auch Thailand. In Laos gibt es überall "free trade" Märkte, wo Waren zum Tausch feilgeboten werden.
Das Drogenproblem nimmt mittlerweile bedrohliche Ausmasse an. Nicht nur Opium ist das Problem, auch Heroin ist weit verbreitet. Zudem häufen sich Zeitungsberichte über gigantische Funde chemischer Substanzen, insbesondere kleine rote Pillen sind im Umlauf, deren Inhaltsstoffe weitgehend unbekannt sind. Schätzungen zufolge sollen bis zu 30% der Jugendlichen in Thailand und Laos bereits abhängig von dieser Droge sein. Die Pillen werden zerbröselt, auf einer Folie geraucht und rufen amphetaminähnliche Wirkung hervor.
Laos ist ein wunderschönes, ein faszinierendes Land, welches mich tief berührt hat. Bleibt zu hoffen, dass sich der "Sightseeing-Reisebus-auf den Auslöser drücken und weiter"-Tourismus dort nicht etablieren kann, sondern dass sich Reisende den Gegebenheiten des Landes anpassen und nicht umgekehrt. Es muss doch möglich sein, trotz steigender Besucherzahlen die Schönheit und Eigenheit eines Landes zu bewahren Es liegt in der Verantwortung jedes Reisenden, dazu beizutragen. Ach ja, übrigens: Die Überschrift des Artikels ist in laotischer Sprache verfasst und meint so viel wie "Guten Tag, klebriger Reis, geh geradeaus". Und eins ist gewiss: Ich werde zurückkommen! In diesem Sinne: bis zum nächsten mal
Tina Willenborg
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #40 September/Oktober/November 2000 und