In Münster sitzt das „erste offiziell sexistische* Musiklabel der Welt“. Meine Fragen dazu beantwortete Johanna Bauhus.
Ihr bezeichnet euch als das „erste offiziell sexistische* Musiklabel der Welt“. Das bedeutet ... was?
Sexismus gibt es leider überall, wir alle wachsen damit auf und selbst betroffene Personen haben ihn internalisiert. Indem wir uns selbst als „offiziell sexistisches* Musiklabel“ bezeichnen, implizieren wir, dass uns diese Tatsachen bewusst sind – das macht sie veränderbar. Das ist unser unique selling point – wir wollen das ändern. Bei anderen Labels steht zum Beispiel ein bestimmtes Genre im Vordergrund, bei uns ist es der Kampf gegen den Sexismus in der Musikindustrie. Und der ist uns genauso wichtig wie unsere Liebe zur Musik.
Und da gebt ihr dem „Macho-Männerheftchen“ Ox ein Interview?
Das Musikbusiness ist sehr männerdominiert, wie viele andere Branchen auch. Es lässt sich daher nicht umgehen, mit „Machos“ zu reden und im besten Fall sogar welche mit ins Boot zu holen. Denn manchmal können „Ex-Machos“ hilfreich sein, um anderen ihre Privilegien vor Augen zu führen, indem sie proaktiv auf diese hinweisen. Wenn ein „Macho-Männerheftchen“ Stellung bezieht und seine Leserschaft auf sexistische Strukturen und Verhaltensweisen in der Szene hinweist, erreicht die Redaktion damit andere Leute, als wir es tun. Deshalb ist es wichtig, miteinander zu reden.
„We discriminate discrimination“ ist euer Claim. Bedeutet ...?
Wir diskriminieren die Diskriminierung, indem wir niemanden aufgrund irgendwelcher Merkmale ausschließen. Wir arbeiten bevorzugt mit Ladys* zusammen. Eine Lady kann nach unserer Definition jeder Mensch sein, der das Ungleichgewicht in der Musikbranche scheiße findet und etwas dagegen tun möchte. Das Geschlecht beziehungsweise die Geschlechtsidentität steht für uns nicht im Vordergrund. Wir setzen uns dafür ein, traditionelle Rollenbilder zu durchbrechen.
Wer steckt hinter dem Label?
Wir sind vier Ladys mit unterschiedlichem Background: eine Produktdesignerin, eine Keyboarderin, eine Ingenieurin, eine Psychologin, eine Mama, eine Gitarristin, eine Künstlerin, eine Schlagzeugerin, eine Talentfinderin, eine Therapeutin, eine Managerin, eine Pressesprecherin und eine Bassistin – zudem sind wir beste Freundinnen.
Was hat es mit dem Labelnamen, mit Ladys und Ladies auf sich?
Der Wortstamm von Lady liegt beim altenglischen „hlæfdige“, was so viel wie „Brotmacherin“ bedeutet, interessanterweise bezeichnet der Begriff Lady eine vornehme oder adelige Frau – oder auch ein Frau, die Grundbesitz hat. Ziemlich cool eigentlich: Vom Herd in die Machtposition. Für uns impliziert eine Lady Showcharakter: Ein Mensch auf einer Bühne wird zu einer echten Lady. Obwohl „Lady“ gesellschaftlich meist weiblich konnotiert ist, sind wir kein Label nur für Frauen. Das würde nun mal Menschen ausschließen und damit diskriminieren. Deswegen haben wir uns den Begriff Lady zu eigen gemacht und selbst definiert: Jeder Mensch ist eine Lady, der keinen Wert auf klassische Rollenbilder legt, niemanden sexistisch oder diskriminierend behandeln möchte und etwas gegen das Ungleichgewicht in der Musikindustrie tut. Wir sind ein Label von Ladys für Ladys – &Ladies. Wir wussten am Anfang nicht, wie man das schreibt und wollten uns dann nicht auf die deutsche oder englische Version festlegen. Und wir drücken damit die Vielfältigkeit aus, wir wollen Menschen eine Bühne bieten die im Ungleichgewicht der Musikindustrie zu wenig stage time bekommen.
Was sind eure ersten Releases, was steht an?
Die ersten Releases laufen gerade: RIOT SPEARS haben am 05.02. ihre erste Single „Harvester“ bei uns veröffentlicht. Am 26.03. folgte ihr Debütalbum „Bad“, das übrigens sehr, sehr gut geworden ist. Außerdem kommt diesen Sommer das jahrelang erwartete Debütalbum von WENN EINER LÜGT DANN WIR. Es wird das erste Album für Popmusik-Deutschland, an dessen Produktion kein einziger Cis-Mann beteiligt war – prove me wrong!? Darüber hinaus arbeiten wir an einem Musikvideo und sobald es wieder möglich ist, organisieren wir auch Konzerte und Festivals. Was mich zum letzten Punkt bringt, denn wir haben mit zwei weiteren Ladys eine Agentur gegründet und entwickeln mit „Save The Dance“ zudem Awareness-Konzepte und bieten Schulungen und Vorträge zum Thema „Safer Spaces“ an.
Label so ganz klassisch mit Tapes, LPs, CDs ...? Oder eher nur digital?
RIOT SPEARS werden auf Tape, LP und natürlich digital erscheinen. Das Album von WENN EINER LÜGT DANN WIR kommt vermutlich digital, auf LP und eventuell auch auf CD heraus. Die Zeiten, in denen es unsere Mucke nur selbstgebrannt gab, sind definitiv vorbei.
Deine Mailadresse lautet hoehledermoesen@xxx – das könnte in Sachen Wording feinfühlige Menschen ja schon mal ins Schwitzen bringen ... und bei Kommunikation mit offiziellen Stellen. Ich stelle mir gerade vor, wie du das am Telefon buchstabierst ...
Wir benutzen geschäftlich mittlerweile unsere @ladiesundladys-Adresse, auf die @hoehledermoesen greifen wir nur zurück, wenn es zum Kontext passt. Hat funktioniert, denn du hast uns am 08.12.2020 geantwortet: „Schicke Mailadresse :-)“. Darüber haben wir sehr geschmunzelt. Zum Hintergrund: Der Ausdruck ist eine Anspielung auf die Sendung „Höhle der Löwen“, in der hauptsächlich reiche weiße Cis-Männer in einer Jury darüber urteilen, wem sie ihr Geld geben. Das bildet die patriarchalen Strukturen ziemlich gut ab. So ist der Wortwitz mit Mösen statt Löwen entstanden. Der Penis ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig, die Möse nicht. Wir haben uns seitdem viele Gedanken darüber gemacht, ob wir den Ausdruck weiterhin verwenden wollen, weil sich manche Menschen dadurch ausgeschlossen fühlen. Schließlich haben nicht alle Frauen und Ladys* eine Möse. Der Begriff „Geschlecht“ hat viele Facetten und beschreibt eben nicht nur körperliche Merkmale.
„Wir bereiten da gerade eine gleichnamige Music Show vor“, schreibst du. Was erwartet uns da?
Bereits vor drei Jahren hatten wir die Idee für eine Castingshow, in der das Talent nicht von einer Jury gecastet wird – sondern selbst zur Jury wird. Das kann beispielsweise eine Band sein, die sich selbst zusammencastet, mit wem sie an ihrer Karriere arbeiten will. Das Showformat finden wir weiterhin gut und das besagte Wortspiel immer noch funny, aber wir haben uns in den vergangenen drei Jahren weiterentwickelt und es ist nicht mehr unser Aushängeschild. Dennoch haben wir vor ein paar Wochen begonnen, das Show-Konzept ernsthaft weiterzuentwickeln, weil wir der Meinung sind, dass Bands und Künstler:innen neue Möglichkeiten bekommen sollten, sich der Welt zu präsentieren.
© by - Ausgabe # und 14. Februar 2022
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