Wieso in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Dummer Spruch, aber manchmal paßt er eben. Denn warum darauf hoffen, daß die RIVERDALES auch mal ohne GREEN DAY an den Start gehen, warum die QUEERS verfluchen, daß sie zu luschig sind, in Europa zu touren, warum vergeblich auf die nächste SLOPPY SECONDS-Tour warten? Es gibt doch LA CRY aus Hamburg, vier nette Burschen, die genauso bratzigen Punkrock spielen. Als die Typen in Duisburg Vorband der TRASH BRATS machen sollten, einer aber wegen Fischvergiftung auch ohne Bier schon am Kotzen war, setzten wir uns im Bandbus zusammen, um uns ein paar Takte zu unterhalten. Am Start waren neben meiner Wenigkeit die beiden LA CRY-Helden Sven und Uwe.
Anzumerken ist noch, daß das Interview unter denkbar ungünstigen Bedingungen entstand, denn zum einen wurden erhebliche Mengen Alkohol konsumiert, gerade auf Seiten der Band, zum anderen gesellte sich mitten drin noch der sturzbesoffene Jim-Bob (of RENT-A-COW-Fame) dazu. Aus diesem Grund enthalten wir euch die völlig zusammenhanglosen Gesprächsfetzen mit äußert abrupten Themenwechseln sowie bösen Attacken auf Szenegrößen wie Tom T. und Moses A. vor.
Ihr seid also die Hamburger Punkrockhelden...
Sven: Nein, nicht so ganz, wir kommen ja nicht direkt aus Hamburg, sondern aus den schönen Orten Thieshope, Wulfsen und Brakel.
Aha, deshalb die Autonummer WL.
Uwe: Richtig, das steht für Wilder Landwirt.
Sven: Das wird gerne so gesagt, aber es steht für Winsen-Luhe.
Dann gehört dieser S-Klasse-Daimler da vorne auch zu euch?
Uwe: Ja.
Im Ernst? Wem von euch gehört der?
Uwe: Das ist der Wagen von der Mutter von unserem Bassist. Der hängt irgendwo da draußen und kotzt. Markus hat so lange Beine, daß der in keinem anderen Auto fahren kann. Der hat zwar so ´nen kleinen Japaner, aber auf langen Strecken ist das nichts.
Sven: Die Eltern haben verdammt viel Geld, und da er vorhin noch seine Mutter zum Flughafen gebracht hat, hat er sich den eben ausgeliehen, weil der auch ein bißchen schneller ist.
Uwe: So hatte er auch mehr Zeit, sich noch kurz ´ne Fischvergiftung zu holen.
Ich sag´s ja immer: ihr Fischköppe freßt zuviel Fisch.
Uwe: Ich eß keinen Fisch.
Sven: Markus aber schon, der frißt alles. Ist ja selber jahrelang Fisch gewesen. Letztens haben wir zum Beispiel den Film "Gesichter des Todes" gesehen, wo Affenhirn gegessen wird. Und da meinte er, wenn dieser Affe vorher schon tot gewesen wäre, würde er auch das Affenhirn essen. Ihm war das nur zu widerlich, weil es noch so frisch war. Er meinte, er probiert alles. Das stimmt, der ißt auch Schnecken und Rote Beete. Der hat da keine Hemmungen.
Ich muß aber nochmal auf diese Bonzenkarre zurückkommen. Die ist doch echt ziemlich unpunkig.
Uwe: Nö, stimmt nicht. Bands wie GREEN DAY sind doch wohl richtiger Punkrock, und wenn die sich sowas leisten können, ist das also schon Punkrock.
Sven: Eigentlich können wir uns den gar nicht leisten.
Uwe: Die Geschichte mit der Mutter ist gelogen, das ist nämlich der Wagen von Sven.
Sven: Wir haben den gemietet, um hier Eindruck zu schinden.
Uwe: Quatsch, den haben uns Impact Records zu Verfügung gestellt.
Ach was! Ich wußte nicht, daß sich eure Platte so gut verkauft.
Uwe: Tut sie auch nicht, aber wir haben das zweite DÖDELHAIE-Album neu eingespielt, so mit englischen Texten, und das geht in Amerika riesengroß nach vorne los.
Deshalb seid ihr in den USA jetzt auch bei Lookout.
Uwe: Ja, genau, mit diesem DÖDELHAIE-Coveralbum. Das erste haben ja die LOST LYRICS neu aufgenommen, und um die Ehre, das dritte umzusetzen, streiten sich derzeit noch die SONIC DOLLS und die COLVINS. Was die Sache mit Lookout betrifft, so verhält sich das folgendermaßen: wir sind auf VML Records, dem Label von Joey Vindictive, und der vertreibt seine Sachen über Lookout Records. Joey hat in Chicago ´nen Plattenladen namens "Dummy Room", und darüber verkauft er in dieser Gegend die meisten Lookout-Sachen. Deshalb hat er ganz gute Connections zu Lookout und die verticken über ihren Mailorder seine Sachen. Das ist alles.
Trotzdem ist es natürlich ´ne ganz nette Sache, ´ne Platte auf ´nem US-Label zu haben. Und musikalisch paßt ihr zu dem Label ja auch ganz gut.
Uwe: Mit der Musik hat das gar nichts zu tun, sondern eher mit unseren tänzerischen Einlagen. Wir sind im Grunde nämlich ´ne Showtanz-Band, so mit Formationstanz-Einlagen, und auch die ersten überhaupt, die diesen Formationstanz mit Punkrock kombiniert haben. Das ist ein ganz neues Ding, das kannten die in Amerika nicht, und so meinte Joey zu uns "Jungs, das ist Spitze, das machen wir". Auf englisch natürlich, weil sein Deutsch nicht so gut ist.
Sven: Aber es wird besser. Er will ja eventuell auswandern, nach Skandinavien. Das hat mir seine Frau am Telefon erzählt. Vielleicht kommen sie uns dann ja mal in Hamburg besuchen, denn seine Frau hat Vorfahren aus Hamburg.
Uwe: Seine Frau sieht nämlich gut aus. Ist überhaupt interessant, was Sven so alles weiß. Erzähl doch mal von der Tochter.
Sven: Die Vierzehnjährige?
Uwe: Ja, obwohl du meintest, die sei locker 21.
Sven: Ich kenn´ die ja nur vom Telefon. Viel besser ist allerdings sein Sohn, der heißt Antonio, ist acht, und hört nur BLACK SABBATH, die ganz alten Sachen.
Was für eine Bedeutung haben die DEVIL DOGS für euch?
Sven: Die machen den coolsten Rock´n´Roll der Welt.
Wieso machen? Ich denke, die gibt´s nicht mehr.
Sven: Ich höre die immer noch. Die leben in unseren Zimmern auf ewig fort.
Ich stand ja mal in New York vor ´ner Kneipe, wo irgend ´ne Band spielte. Als die fertig waren, sagte jemand, das seien die DEVIL DOGS gewesen. Tja, Pech für mich.
Micha: Wir haben mal mit denen gespielt, das war supercool. Die sind wirklich die beste Rock´n´Roll-Kapelle der Welt, sowas wird´s nie wieder geben. Selbst die LOS PRIMOS, die sehr gut sind, sind noch lange nicht SO gut. Und auch die "Vikings"-CD von Steve Bass ist lange nicht so gut.
Derzeit gibt´s ja ´ne ganze Menge Bands, die so Drei-Akkord-Punkrock zwischen RAMONES, DEAD BOYS und wegen mir DEVIL DOGS spielen.
Sven: Die Sache ist die: man macht ja nicht nur Musik, sondern hört auch viel Musik. Und wenn du den ganzen Tag SLOPPY SECONDS, DEVIL DOGS und so Zeug hörst, wirst du irgendwann automatisch cool. Die haben selber ja auch nur überall geklaut, und wir machen jetzt das gleiche mit den Bands, die wir hören. Das kann jeder hören, dazu stehen wir, aber lieber gut klauen als sich selber ´nen schlechten Stil zusammenbauen. Außerdem basiert Rock´n´Roll sowieso nur auf A, D und E, und auf diese Griffe hat niemand ein Patent angemeldet.
In diesem Augenblick hat irgendein Suffkopp die Schiebetür des LA CRY-Mobils ausgehängt, weshalb allerseits gotteslästerliches Fluchen ausbricht. Nach kurzem Tumult können wir das Interview dann fortsetzen.
Sven: Was wollte ich eigentlich sagen? Ach ja, Iggy Pop ist natürlich auch total wichtig. Der war mit seinen STOOGES der erste richtige Punkrocker. Nicht zu vergessen natürlich die SONICS, die haben mit ihren Platten wirklich die gesamte Rockwelt beeinflußt, von MOTÖRHEAD bis zu den CRAMPS. Wir sind deshalb am Überlegen, ob wir nicht mal ein Tribut-Album aufnehmen sollen. Ist zwar nichts neues, aber die haben sich das verdient.
Trotzdem muß ich anmerken, daß derzeit schon beinahe wieder zuviel des Guten von so Punkrock veröffentlicht wird, wie ihr auch spielt.
Sven: Naja, als wir vor sechs Jahren mit der Band anfingen, habe ich noch KISS gehört, da hatte ich mit Punkrock nix am Hut. Ich war 19, und mit dem ganzen ´77er-Kram habe ich eigentlich nichts am Hut, da bin ich zu spät geboren oder habe vielleicht auch zu spät Wind von bekommen. Aber da es auch jetzt so viele neue Bands gibt, kann ich die ganzen alten Bands gar nicht mehr nachholen. Als wir damals mit der Band anfingen, haben Markus und ich nur so Rock´n´Roll-Kram wie Chuck Berry und Elvis gehört. Die Musik fanden wir cool, und dann kam Uwe an, der schon ewig Punk ist, und meinte, wir sollten ´ne Band gründen und auf den Punk-Zug aufspringen, weil man da sicher in ein paar Jahren sicher richtig Geld verdienen könne. Wir sind also keine reine Punkband, sondern vielmehr sogar richtige Rock´n´Roller. Und deshalb freue ich mich, daß sich in der Richtung in letzter Zeit ganz gut was tut. Wir machen ja auch noch das Stay Wild-Fanzine, und da bekomme ich die ganzen herrlichen Scheiben von Screaming Apple Records und Pin Up, die alle irgendwo zwischen Rock´n´Roll und Punk anzusiedeln sind. Rock´n´Roll ist für mich einfach etwas spaßiger als nur so Punk.
Aha. Ich finde es immer interessant, daß es auf der einen Seite so richtig engagierte Bands gibt, auf der anderen solche wie euch, denen es eigentlich nur um den Spaß und die Musik geht.
Sven: Ich finde es ja gut, daß es Bands gibt, die sich zu politischen Themen äußern und zum Nachdenken anregen, aber unser Ding ist das nicht. Ich schaue keine Nachrichten, und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht, was in der Welt so vorgeht. Ändern kann ich auch nichts an der Scheiße, ich habe selber genug Probleme mit mir und meinem Leben, und was soll ich mich da noch groß um die Probleme kümmern, die sie in Israel haben? Das müssen die alleine lösen. Nee, ich mache mir darüber keine Gedanken und versuche, möglichst viel Positives aus dem Leben rauszuziehen. Darunter verstehe ich, mit Freunden Party zu machen, in der Band zu spielen und einen zu trinken.
Und auch, für ´nen Kasten Bier quer durch Deutschland zu fahren?
Sven: Ja, das ist einfach ´ne gute Sache. Geld ist nicht das Wichtigste im Leben, und heute abend kriegen wir keine Gage. Aber wir sehen jede Menge Freunde wieder, und so ist das schon o.k.
Sag mal, wie kommt man den auf so ´nen bekloppten Namen wie LA CRY?
Sven: Naja, wir hießen früher OFFSIDE, und das klang nach Hardcore, obwohl wir keinen Hardcore gespielt haben. Und dann hat ´ne andere Band mit dem Namen ´ne Platte rausgebracht und wir mußten uns was anderes suchen. Wir haben dann überlegt und sind auf nichts besseres gekommen als LA CRY. Eine besondere Bedeutung hat das nicht, aber immerhin besteht da keine Gefahr, daß sich eine andere Band so nennt. RAMONES war leider schon vergeben.
Was macht man sonst so in den Suburbs von Hamburg?
Sven: Fernsehen. Ich bin arbeitslos, Uwe ist arbeitslos, Jörn fährt mit so ´nem Imbisswagen durch die Gegend und Markus ist reich geboren. Ich schlafe lang und viel, stehe dann so gegen halb elf auf, dusche, putze mir die Zähne, zieh mich an, setz mich vor den Fernseher, schau "Kerner", danach "Vera am Mittag", esse kurz was, um eins kommt dann "Trapper John M.D", um zwei wahlweise "Arabella" oder "Bärbel Schäfer", um drei "Ilona Christen" oder auf Pro 7 "Unsere kleine Farm", und um vier "Hans Meiser". Von fünf bis halb sechs mache ich Pause, und dann um halb sechs kommt auf RTL "Unter uns", das it so ´ne tägliche Soap Opera, die das wahre Leben zeigt. Das ist ganz praktisch, weil ich kein Geld habe und so wenigstens mal was vom Leben da draußen mitbekomme. Ich bin nämlich so arm, ich kann es mir nicht mal mehr leisten, mit dem Auto zum Zigarettenautomat zu fahren. Ich muß zu fuß gehen, mit meinen Filzschlappen zum Automaten schlurfen!
Und was hast du gemacht, bevor Helmut Kohls Rezession dich in die Arbeitslosigkeit getrieben hat?
Sven: Das darf ich gar nicht erzählen... Na gut, Uwe und ich waren selbständig. Wir hatten eine eigene Firma für Schul- und Büroausstattung, Schwämme, Kreide, Tafeln, Computertische und sowas halt. Die gab es 29 Jahre, aber dann haben wir die übernommen, und obwohl sie den Vietnamkrieg, die Kubakrise und die Maueröffnung überstanden hatte, waren Uwe und ich dann zuviel. Tja, jetzt hat jeder von uns über 20.000 Mark Schulden am Hals und wir sind arbeitslos. Wenn also jemand einen GmbH-Mantel kaufen will, so mit richtig steuermindernden Schulden, der kann sich vertrauensvoll an Uwe oder mich wenden.
Danke!
Ach ja, LA CRY spielten dann leider doch nicht, wegen Fischvergiftung und so.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #24 III 1996 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #22 I 1996 und Joachim Hiller