Das Kölner Trio, das bereits seit 2004 aktiv ist, hat mit den Jahren eine interessante musikalische Entwicklung hingelegt: vom gitarrenorientierten Indierock zu einem Sound, der nicht nur aufgrund des Drumcomputers stärker „Elektronic“ ist und vielleicht als poppigere Version von GEWALT beschrieben werden kann. Dazu kommen deutsche Texte, die assoziativ vorgetragen werden und bewusst eher Fragen stellen als beantworten. Das erledigen Bassist Frank, Sänger Tobias und Gitarrist Volker nun per Live-Videochat.
Die Welt ist verrückt geworden: Wir wohnen gar nicht so weit voneinander entfernt, müssen wegen der Pandemie aber auf Videokonferenz-Kontakt ausweichen ...
Frank: Ich komme gerade aus Kanada zurück und bin noch etwas verwirrt: Außer im Supermarkt merkt man die Situation kaum, die Straßen und Parks sind voll!
Volker: Wir sind durch die Technik, die wir als Band haben, so eng zusammengerückt, dass diese existentielle Krise nicht so große Auswirkungen auf das hat, was wir miteinander tun. Manche Bestandteile fallen weg und andere treten stärker in den Vordergrund, wie diese Art der Kommunikation hier.
Tobias: Die Situation ist natürlich sehr speziell. Als Band kommunizieren wir viel miteinander, in Bezug auf Musik mit Files. Aber darüberhinaus stellt sich ja jetzt grundsätzlich eher die Frage, was für Themen man überhaupt noch verhandelt. Wie geht das alles weiter? Was sagt man noch?
Lasst uns trotz allem auch über Musik sprechen: Euer neues, selbstbetiteltes Album ist derzeit von meinem Plattenteller kaum wegzudenken. Gratulation! Seid ihr mit dem Ergebnis immer noch zufrieden?
Volker: Ich kann jetzt rückblickend sagen, dass sich die Platte für uns noch sehr frisch anfühlt. Wir haben viel Neues ausprobiert, was wir nach wie vor für gelungen halten, so dass wir auf das Ergebnis immer noch stolz sind.
Wie erklärt sich denn eure doch recht radikale musikalische Veränderung weg vom SONIC YOUTH-beeinflussten Indierock, hin zu mehr elektronischen Klängen?
Tobias: Unsere Bandgeschichte teilt sich im Grunde in zwei Teile auf: die ersten beiden Alben als Gitarren-Rockband, dann ein Break von etwa vier Jahren, in denen wir auf der Suche nach unserer neuen Identität waren. Die beiden 2016er Download-EPs „Amerika, hol mich hier raus 1 & 2“ waren wichtig für uns, um herauszubekommen, ob wir noch miteinander Musik machen können und das ganze Bandkonzept überhaupt weiter funktioniert.
Frank: Volker und unser ehemaliger zweiter Gitarrist zusammen mit unserem ehemaligen Schlagzeuger haben diesen Indie-Gitarrenrock, den wir machten, entscheidend geprägt. Als dann zwei von den dreien plötzlich weg waren, sind wir wie erwähnt auf die Suche gegangen. Wir haben auch neue Schlagzeuger getestet, aber es hat sich niemand gefunden, der unser Gefühl in Bezug auf die Band teilen konnte. Dann war klar, dass wir zu dritt mit Drumcomputer weitermachen. Wir haben zwischendurch sogar mal überlegt, ob der Bandname überhaupt noch passt. Aber Tobi als Sänger hält das Ganze auch irgendwie zusammen, so dass es sich für uns nach wie vor wie KOMPLIZEN DER SPIELREGELN angefühlt hat. Wir haben uns dann sehr viel mit Technik und Elektronik auseinandergesetzt und sind an den Punkt gekommen, wo sich die Musik zwar stark verändert, aber für uns immer noch diese spezielle Energie einer Rockshow hat.
Ihr veröffentlicht auf Offshore Tabernakel Records, eurem eigenen Label.
Tobias: Ja, unser altes Label Sitzer Records existiert nicht mehr und wir sind erfolglos auf die Suche nach einem neuen gegangen. Da kann man sich dann hinsetzen und heulen, oder aber alles selber machen. Wir fanden, unsere Musik war es wert, veröffentlicht zu werden, und wollten auf jeden Fall auch Vinyl rausbringen.
Frank: Das Label ist auf mich angemeldet, aber es ist unseres.
Der Song „Version“ vom Album „Lieder vom Rio d’Oro“ wurde 2011 von der inzwischen nur noch online existenten Spex-Magazin in die Kategorie der besten zehn Protestsongs des Jahres gewählt. Wie kam es denn dazu?
Tobias: Es gab einen Wettbewerb und wir haben das Stück ungefragt eingereicht. Darüber hinaus hat sich aber bei der Spex niemand für uns interessiert.
In einer gerechten Welt wären Songs wie „Oh Lucy!“, „Dazwischen“, oder auch das ruhige „Wenn du dich auskennst“ längst bundesweit bekannte Indie-Hits, oder würden gar im Formatradio laufen. Euer Kommentar?
Volker: Das sehen wir genau so, haha!
Tobias: Wenn wir uns immer an der Meinung anderer orientiert hätten, würde es uns schon längst nicht mehr geben. Für uns ist das normal, was wir da machen, aber für andere sind wir wenig zugänglich, auch in der Art, wie ich singe und texte.
Und was passiert, wenn der verdiente Erfolg euch doch überrollt?
Volker: Äh, haha, ich denke, wir sind in der Art und Weise, wie wir Musik machen, gut aufgestellt. Wir sind gerade in der Lage, mit allen Umständen gut umzugehen.
Es gibt auffallend viele Videoclips von euch bei YouTube. Wie wichtig ist euch der visuelle Aspekt? Und warum ist euer Live-Video-Künstler Schaupau seit 2016 nicht mehr dabei?
Frank: Schaupau ist wie unser Schlagzeuger und Gitarrist auf der Strecke geblieben. Wir drei stecken viel in die Band rein, dazu ist nicht jeder auf Dauer bereit. Was die Videos angeht: Es gibt heutzutage eine Bildschirmkultur und da wollen wir stattfinden! Früher hatten wir zu jedem Song eine visuelle Unterstützung für den Live-Kontext. Das machen wir jetzt nicht mehr und lenken die Konzentration des Publikums mehr auf uns drei. Stattdessen haben wir jetzt über die Clips eine stärkere Präsenz im Netz.
Stimmt es, dass euer Bandname dem Roman „Stiller“ von Max Frisch entlehnt ist?
Tobias: Ja, denn sowohl im Roman als auch bei uns stellen sich Fragen zu grundsätzlichen Themen: Was habe ich eigentlich zu sagen? Es geht für uns immer auch darum, Standpunkte zu verhandeln über die Wahrheiten, die es hier in diesem System gibt. Da steckt auch die Idee des Agitpop drin. Ich finde es wichtig, auch sich selbst und sein Tun in Frage zu stellen. Dazu gehört auch immer wieder die Frage: Warum mache ich eigentlich ein Album und stelle mich auf eine Bühne?
Spiegeln die assoziativen Texte, so wie der Roman, auch deine Suche nach Sinn und Identität wieder?
Tobias: Wenn ich einen Lauf habe, schreibe ich meine Gedanken einfach runter und puzzle dann in Verbindung mit der parallel entstehenden Musik in Cut-up-Technik alles zusammen. Diese vagen Momente, die ich in meinen Texten anbiete, halten manche gar nicht gut aus und denken, ich will sie überführen oder überlisten. Daran bin ich aber nicht interessiert. Wörter in Verbindung mit der Musik sind nur eine verdichtete Suche nach dem Sinn im Allgemeinen und im jeweiligen Song. Für manche hört sich das dann vielleicht abgefahren an.
Euer Kommentar zum Tod von Gabi Delgado?
Tobias: Tanz den Christoph Schlingensief! Haha. Aber im Ernst: Sein Tod und zum Beispiel auch der von Genesis P-Orridge haben sicherlich einen größeren Bezug zu dem, was uns als Band ausmacht und beeinflusst hat. Wozu im Übrigen auch Jim Jarmusch und David Lynch gehören, obwohl die beide natürlich noch leben.
Wie steht ihr als Kölner zu eurer Stadt?
Volker: Köln ist super, wenn man denn lernt, mit der allgemeinen Selbstüberschätzung umzugehen. Hier kann man definitiv machen, was man will!
Niemand weiß derzeit, wie es im Bezug auf den Kulturbetrieb weitergeht. Wie ist euer Umgang damit?
Tobias: Aus der jetzigen Isolation heraus generieren wir gerade viel neues Material. Im Herbst dann auch eine neue Single mit dem Titel „Mehr Fakt“. Im April wurde unser aktuelles Album in einer CD-Version mit Bonustracks veröffentlicht und die beiden eben erwähnten „Amerika ...“-EPs kommen zusammen auf einer CD im Digipak heraus. Für „Oh Lucy“ wird es einen Videoclip geben. Bereits vor Corona hatten wir den Plan, ein Streaming aus unserem Proberaum anzubieten. Das wird jetzt umgesetzt.
Frank: Falls das Virus es zulässt, werden wir im Oktober mehrere Konzerte spielen. Fest stehen aber bislang nur zwei Gigs: am 9. in Köln im Basement und am 10.10. in Chemnitz im Aaltra.
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