KNOCHENFABRIK

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"Wenn ich einen pädagogischen Auftrag hätte, wäre ich Missionar oder Lehrer."

KNOCHENFABRIK war eine der wichtigsten und einflussreichsten deutschsprachigen Punkbands der 90er und erfreut sich noch heute mindestens genauso großer Beliebtheit wie damals. Fast jeder hört KNOCHENFABRIK: Der vollgekotzte Iro-Punker, der kiffende Hippie-Punk mit Fischerhut, der Studentenpunk mit Hornbrille, der Punk hörende Normalo - praktisch jeder, der überhaupt auf Punkrock steht. Leider war ich zum Zeitpunkt der Trennung erst zehn Jahre alt und konnte die Band deshalb nie anders erleben als durch die Boxen meiner Stereoanlage, und viel mehr als die Besetzung und deren entsprechende Nachfolgebands kannte selbst das Internet nicht. Als ich dann von den Reunionkonzerten diesen Sommer erfuhr, dachte ich sofort: Das ist die Gelegenheit für ein Interview, zumal ich trotz langwieriger Internetrecherchen nicht ein einziges Interview mit KNOCHENFABRIK finden konnte.


Einen Termin für ein Treffen zu finden, war dann doch ziemlich schwierig, also einigten wir uns auf ein E-Mail-Interwiew. Damit stand ich aber auch schon vor dem nächsten Problem: Was fragt man eine Band, die es eigentlich schon seit zehn Jahren nicht mehr gibt? Vieles wurde schon in Interviews mit SUPERNICHTS (Achim), CASANOVAS SCHWULE SEITE (Claus, Hasan) oder CHEFDENKER (Claus) geklärt. Deshalb sollte man sich bei Interesse auf jeden Fall die zahlreichen Interviews mit ebendiesen Bands zu Gemüte führen (im Internet zu finden) - das erklärt nämlich, warum einige durchaus interessante Fragen hier eben gar nicht erst auftauchen. Aber zuerst nehmt Haltung an und huldigt ihm: Eines der wenigen Interviews mit der absoluten Kultband KNOCHENFABRIK! Das Bandfoto ist übrigens noch von früher, neue Bandfotos gibt es keine. Laut Claus haben sich aber alle gut gehalten und sehen genauso frisch aus wie damals.

Wie kam es denn überhaupt zu der Idee mit den Reunionkonzerten und wird das eine einmalige Sache sein?

Claus: Achim hat Hasan und mich gefragt, ob wir Lust hätten, ein Benefizkonzert zu spielen. Da haben wir nicht nein gesagt. Im Grunde genommen sind alle vier Konzerte, die wir spielen werden, Benefizkonzerte. Das Open Air in Glaubiz ist ein Benefizkonzert für den Veranstalter, die restlichen drei sind Benefizkonzerte für unseren Jahresurlaub. Einmalige Sache? Schwer zu sagen. Ich würde sehr gerne meinen 75. Geburtstag auf der Force Attack-Bühne feiern. Wenn ich dann noch Haare habe, würde ich mir sogar einen Schlabber-Iro klarmachen. Muss ich die anderen mal fragen, ob die im August 2044 Bock auf ein Reunion-Konzert haben. Je nach gesundheitlicher Verfassung schaffen wir es dann vielleicht sogar, uns auf der Bühne tot zu saufen.

Hasan: Claus, oder war es Achim? Wie auch immer. Der eine oder andere hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, 2008 einige KNOCHENFABRIK-Konzerte zu spielen. Reunion nach zehn Jahren? Da dachte ich mir: Was TAKE THAT können, können wir schon lange.

Achim: Es sind viereinhalb Konzerte gebucht, insofern kann von einer Reunion keine Rede sein. Seit zehn Jahren sprechen mich immer wieder Leute an, doch mal wieder KNOCHENFABRIK zu machen. Aus Erfahrung habe ich gelernt, dann einfach zu sagen: "Jaja, organisier mal", womit ich mir meist ersparen konnte, den ganzen Abend vollgesülzt zu werden. Bloß, dass diesmal tatsächlich Taten folgten. Für mich war ausschlaggebend, ein Benefiz für die Frau und Kinder von Holger vom "Back To Future"-Festival" zu spielen, der letztes Jahr auf sehr tragische Weise starb.

Über eure Bandgeschichte ist wenig allgemein bekannt. Was war eigentlich der Grund für eure Trennung damals?

Claus: Bandgeschichten sind im allgemeinen überbewertet. Der Grund der Trennung ist so unspektakulär, dass ich mich selber gar nicht mehr daran erinnern kann.

Hasan: Zuviel Drogen, Sex und Rock'n'Roll - das war selbst einem Knochenfabrikanten zu viel, so dass ein Therapeut zu Rate gezogen wurde, der die Band beraten sollte. Er riet uns, einen Film über unsere Arbeit als Band zu drehen. Diesen Film hätten wir dann zu Analysezwecken benutzen können und ganz nebenbei verkaufen und damit Geld verdienen können. Da uns aber das Startkapital fehlte und uns keine Bank der Welt das Geld leihen wollte, haben wir die KNOCHENFABRIK betriebsbedingt geschlossen.

Welche sind eure heutigen KNOCHENFABRIK-Lieblingslieder und welche könnt ihr absolut nicht mehr hören?

Claus: Ich hab da keinerlei Präferenzen. Hören kann ich sie alle nicht mehr, weil der "Gesang" auf den Platten unter aller Kanone ist. Damals dachte ich, es sei cool, im Studio zu saufen. Sehe ich heute anders.

Hasan: Nach einigen Proben mit den Kollegen und zehnjähriger KNOCHENFABRIK-Musik-Abstinenz, muss ich feststellen, dass ich viele Songs mag. Momentan macht es mir sogar nichts aus, "Filmriss" oder "Grüne Haare" beim Spielen hören zu müssen.

Achim: Meine Favoriten? "Du bist so anders", "11 Uhr 11", "Ich hör dir nicht zu". Nicht mehr hören kann ich: "Filmriss", "Grüne Haare" und Konsorten.

Claus, die KNOCHENFABRIK-Texte sind oft direkter und politischer als die von CASANOVAS SCHWULE SEITE oder CHEFDENKER. Wie kommt's?

Claus: Bei CASANOVAS SCHWULE SEITE und CHEFDENKER werden vor allem musikalische Klischees zu Songs verarbeitet. Bei KNOCHENFABRIK gibt es nur ein einziges musikalisches Klischee: den Deutschpunk. Möglicherweise verwässern die vielen Gitarrensoli bei den erstgenannten Bands die - für Unterhaltungsmusik - unglaublich wichtigen politischen Botschaften.

Hast du denn das Gefühl, dass die Leute verstehen, was du mit den Texten rüberbringen willst, beziehungsweise spielt das überhaupt eine Rolle für dich?

Claus: Wenn ich einen pädagogischen Auftrag hätte, wäre ich heute Missionar oder Lehrer. Wie die Leute die Texte aufnehmen, war und ist mir scheißegal. In die meisten Texte habe ich weniger als 20 Minuten Zeitaufwand gesteckt. Da kommt es ziemlich häufig vor, dass die Intention auf der Strecke bleibt. Und ohne Intention gibt es auch keine Erwartungshaltung meinerseits.

Achim, du spielst mittlerweile bei SUPERNICHTS. Hast du dich auch noch anderweitig musikalisch betätigt?

Achim: Es gibt noch eine Country & Folk-Band namens WHISKY & COKE, in der lauter alte Punkrocker von DUMBELL und BACKWOOD CREATURES spielen.

Nervt euch der immer noch bestehende Rummel um eine Band, die schon seit zehn Jahren Geschichte ist? Im Fall von Claus beispielsweise die ewigen "Filmriss"-Rufe auf CHEFDENKER-Konzerten ...

Claus: Nein, die "Filmriss"-Rufe bei CHEFDENKER-Konzerten sind genauso wichtig wie das "Amen" in der Kirche. Quasi die Schlussformel einer Deutschpunk-Predigt. Ich betrachte das nicht als Rummel um irgendeine Vorgängerband, sondern als religiöses Bekenntnis der Fans.

Hasan: Von dem Rummel bekomme ich nichts mit.

Achim: Nein. Ich kann den Rummel nur nicht nachvollziehen.

Was hört ihr eigentlich privat für Musik?

Claus: Im Moment läuft Lightnin' Hopkins, heute Morgen habe ich Chris de Burgh gehört.

Hasan: Alles Mögliche, was gefällt - heute habe ich zum Beispiel die Filmmusik zu "Broken Flowers" gehört - sehr zu empfehlen: THE GREENHORNS with Holly Golightly - "There is an end". Manchmal höre ich auch Deutschpunk: SUPERNICHTS oder CHEFDENKER, oder so.

Achim: Ich mag Musik, die einfach und geradeaus ist. Das kann von Punkrock über Country bis Pop vieles sein. Aktuelle Favoriten: Townes van Zandt, FINK, BEASTS OF BOURBON, THE CHURCH.

Claus, letztes Jahr beim Force Attack hast du mir erzählt, du seist von Beruf Friseur. Immer noch in der Branche tätig?

Claus: Ich bin mittlerweile Maskenbildner.

Und was machen die anderen beruflich?

Hasan: Ich bin Verkäufer eines kleinen mittelständischen Unternehmens, das in der Handelsbranche tätig ist.

Achim: Erzieher, ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen in Köln-Ehrenfeld.

Eine obligatorische Frage nach den Hobbys gibt es in fast jedem Interview. Was sind eure außer der Musik?

Claus: Ich bin leidenschaftlicher Heimwerker. Zumindest heute und morgen. Ich war gerade im Baumarkt und hab mir Bretter für ein neues Bücherregal gekauft.

Hasan: Aha, das Interview steuert aber langsam auf Bravo-Niveau hin. Finde ich gut. Meine Hobbys sind: Musik, Radfahren, Fotografie und Fußball auch noch. Übrigens: Der FC ist wieder erstklassig, da geht das Geheule wieder los.

Achim: Nichts Besonderes: Lesen, Sport, Bier trinken.

Falls ihr schon angefangen habt, zu proben: Wie ist das, wenn man die alten Lieder nach zehn Jahren wieder spielt?

Claus: Bislang habe ich nur einmal mit Hasan zusammen bei mir zu Hause die Akkorde rausgehört. Wir haben dabei Kaffee getrunken und Schokoladenkekse gegessen. Fühlt sich auf jeden Fall anders an als früher, denn damals haben wir während der Proben immer Alkohol getrunken und Fastfood gegessen.

Hasan: Ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt und denke mir: "Gar nicht mal so übel."

Achim: Etwas befremdend. Es dauert ein bisschen, wieder reinzukommen.

Was hat euch früher dazu motiviert, Musik zu machen, und was motiviert euch heute?

Claus: Heute wie früher dieselbe Motivation - ich muss bei Konzertwochenenden mein Gehirn nicht benutzen. Bandproben früher waren okay - sechs Stunden Probe, davon vier Stunden Billardspielen im Jugendzentrum. Heute sind Bandproben eher lästig, direkt nach der Arbeit schlecht gelaunt in den Proberaum, anschließend schlecht gelaunt nach Hause.

Hasan: Damals wie heute steht der Spaß im Vordergrund.

Achim: Früher: Ruhm und Anerkennung. Heute: Nach wie vor die für mich am besten geeignete Möglichkeit mich auszudrücken. Außerdem eine tolle Art, Orte zu sehen und Situationen zu erleben, die mir auf normalem Weg verschlossen geblieben wären.

KNOCHENFABRIK ist nach all den Jahren immer noch vom Iro-Punk mit Straßenköter bis zum Student-mit-Brille-Punk beliebt und wird von vielen als eine der wichtigsten deutschen Punkbands betrachtet. Wo seht ihr die Gründe dafür?

Claus: Kann ich nicht beurteilen, was uns von anderen Deutschpunk-Bands unterscheidet, da ich selber keinen Deutschpunk höre und auch nie gehört habe. Vielleicht ist das ja auch genau der Grund - wir sind quasi wie die Jungfrau zum Kind gekommen.

Hasan: Keine Ahnung - die Musik ist doch gar nicht so schlecht, obwohl Deutschpunk draufsteht. Vielleicht liegt es daran.

Achim: Vor allem hatten wir großes Glück, damals unglaublich vom Plastic Bomb abgefeiert zu werden. Ich glaube, das gab den größten Ausschlag. Außerdem war es zu der Zeit selten, betrunken und kindisch zu sein, aber trotzdem etwas im Kopf zu haben.

Claus hört also selber gar keinen Deutschpunk. Wie ist das bei den anderen?

Hasan: Na ja, manchmal halt: CHEFDENKER oder SUPERNICHTS oder so. Da geh ich auch schon mal auf ein Konzert, aber nur, wenn die in der Nähe spielen.

Achim: So ähnlich.

Wie in aller Welt kommt man denn darauf, Deutschpunk zu machen, wenn man selber gar keinen Deutschpunk hört?

Claus: Weil Deutschpunk von allen musikalischen Dialekten der primitivste ist. Am einfachsten zu machen und am langweiligsten anzhören. Texte interessieren mich grundsätzlich gar nicht. Da ich Texte beim Musikhören automatisch ausblende, bleibt nur noch die Musik übrig und die ist bei Deutschpunk in der Regel unter aller Kanone. Aber die taugt immerhin dazu, den Eltern ordentlich auf die Nerven zu gehen. Was ja in der Pubertät enorm wichtig ist. Ich habe allerdings fünf Jahre nach meiner Pubertät mit dem Musikmachen angefangen, da musste ich meinen Eltern nicht mehr beweisen, dass ich ein Outlaw bin. Vielleicht lag darin der besondere Reiz, Deutschpunk zu machen.

Hasan: Na ja, Punkrock ist schon mal gar nicht so übel und Deutsch ist halt die Sprache, mit der wir groß geworden sind, auch wenn man das von früheren KNOCHENFABRIK-Konzerten her nicht ganz glauben mag. Diese Kombination und die Aussicht auf einige Bühnenauftritte in heruntergekommenen besetzten Häusern oder Jugendcafés verleiteten uns Hallodris dazu, solche Musik zu machen.

Achim: Zum einen muss man dafür nicht viel können, und gute Musiker waren wir nie und sind es bis heute nicht. Zum anderen ist der Begriff Deutschpunk für mich kein Schimpfwort und bedeutet Punkrock mit deutschen Texten. Das finde ich gut - aber da gibt's nicht viel Gutes von! Das Beste, was ich in der Richtung seit langem gehört habe, ist die NONSTOP STEREO-CD "Solides Grundrauschen" vom ehemaligen BASH!-Sänger Frank mit neuen Leuten.

Letzte Frage geht an Claus: Mit Erstaunen habe ich festgestellt, dass du wieder dem Biergenuss frönst. Ist die Zeit der Abstinenz vorbei?

Claus: Saufen wird irgendwann langweilig. Nicht Saufen wird aber leider auch irgendwann langweilig.