Kaum habe ich mich selbst vom "Stay Wild"-Chefredakteur zum unterworfenen "Ox"-Schreiberling degradiert, um meiner latent devoten Ader Befriedigung zu schenken, werde ich auch gleich schon vom Boss dazu verdonnert, einen "Kneipenreport" von Hamburg zu verfassen. Haste da noch Töne? Hast du schon mal versucht, aus einem Ameisenstaat jede Arbeiterin namentlich einem Kollegen vorzustellen? Aber gut, sämtliche Schankwirtschaften der Hansestadt will, möchte und soll ich euch auch nicht vorstellen. Nun liegt es also an mir, aus einer Unzahl von Lokalitäten so zu selektieren, daß es den Geschmack des Durchschnittslesers treffen könnte. Mein persönliches Urteil wird dabei natürlich an entsprechenden Stellen miteinfließen.
Seit gut vier Jahren wohne ich jetzt in Hamburg und kann wohl mit Recht behaupten, in dieser Zeit das Nachtleben der Stadt ausgiebig und intensiv kennengelernt zu haben. Nicht umsonst ist der Großteil meines Geldes in den Wirtschaftszweig der Gastronomie geflossen. Daß dabei die Lokalitäten regelmäßig gewechselt wurden, liegt auf der Hand. Da sich das hauptsächliche Nachtleben Hamburgs in St. Pauli, dem Kiez, abspielt, beschränke ich mich in meinem Artikel auch auf diesen Stadtteil und stelle euch mal ohne besondere Reihenfolge die Kneipen vor, die für den gemeinen Punkrocker, Rock´n´Roller, Hardcoreler, Skinhead oder was auch immer von Interesse sein könnten. Auf Vollständigkeit lege ich dabei allerdings keinen Wert.
Anfangen will ich mal mit der von mir meistbesuchtesten Bar, dem Seemannsgarn (Gerhardstr.). Es gab mal Zeiten, da konnte ich auch von meiner Stammkneipe sprechen. Ganz so hart ist es inzwischen zwar nicht mehr, aber nichts desto trotz besuche ich nach wie vor regelmäßig das "Garn", wie es viele Zeitgenossen zeitsparenderweise nennen. In dieser vom Einrichtungsdesign her typischen, ein wenig urig anmutenden Kiezkneipe finden sich neben einigen hereinschneienden Touristen stets zahlreiche Vögel aus dem Untergrund ein. Ob Punk, Rock´n´Roller, Skinhead oder einfach nur Spinner, beim gemeinsamen Bier und Sauren läßt es sich aushalten. Ärger gibt es nur mit den HSV-Hools aus benachbarten Läden oder den Zuhältern von gegenüber. Das "Seemannsgarn" liegt nämlich direkt gegenüber des Einganges zur Herbertstraße. Wenn nun also einige Gäste, in der Regel alkoholisiert, vorm "Seemannsgarn" rumgammeln, was zu Stoßzeiten manchmal unausweichlich ist, sehen sich die Zuhälter in ihrem Geschäft geschädigt und lassen sich das nicht gefallen. In der Regel bekommt der normale Gast dies alles aber nicht mit und kann ungestört zu den Klängen der DJ´s feiern. Diese legen jeweils Freitags und Samstags auf und wechseln von Tag zu Tag. Je nach dem unterscheidet sich auch das Programm, aber Schwerpunkt ist stets Punkrock und seine diversen Spielarten. Lediglich der monatlich stattfindende Schlagerabend fällt aus dem Rahmen, bringt den Laden aber regelmäßig zum Bersten. Auch ich lege seit zwei Jahren hier einmal im Monat bei der "Stay Wild Party" (Abel, wie sieht´s aus, das Heft gibt´s ja nicht mehr so richtig, nenn´ das doch in Zukuft "Ox Party". jh) auf und habe nach wie vor dort lustige Abende. Letztlich sogar zum bisher ersten und einzigen Male stocknüchtern.
Schräg gegenüber vom "Seemannsgarn" befindet sich die Rote Laterne (Gerhardstr.), wo ich die letzten Male, wenn ich dort vorbeikam, ebenfalls punkrockige Klänge vernahm. Allgemein scheint das Publikum hier etwas jünger zu sein. In Sachen Musik wird hier weniger traditionelles und antikes zugunsten von aktuellem Melody-Core und Pop-Punk gespielt. Der Laden ist nicht sonderlich groß, aber wirkt recht gemütlich.
In gleicher Straße hat auch das Komet (Gerhardstr.) seine Räumlichkeiten. Bei etwas Glück hat man dort einen DJ erwischt, der Rock´n´Roll, Surf, Ska oder 60´s auflegt, bei Pech wird man aber auch von den Houseklängen nach einiger Zeit ziemlich gaga. Außerdem ist es im "Komet" oftmals so voll, daß man von einem gemütlichen Kneipenabend hier, weiß Gott, nicht mehr sprechen kann. Aber, wie gesagt, es kommt hier wirklich auf den DJ an.
Neben dem "Seemannsgarn" kann man mich gelegentlich auch als DJ im Radau (Taubenstr.) beim "Retro Fun Club" erleben. Die kleine Eckkneipe ist noch relativ neu und muß sich noch einen Namen machen, findet aber mehr und mehr Zulauf. Vor allem im Sommer, dank der Tische und Stühle vor dem Laden im Freien. Drinnen im "Radau" gibt´s, wie auch im "Seemannsgarn" und der "Roten Laterne" einen Kicker, frischgezapftes Bier (das ist für den Kiez relativ untypisch - in der Regel wird Flaschenbier ausgeschenkt), Longdrings und eine freundliche Bedienung. Auch hier legen freitags und samstags wechselnde DJ´s auf, wobei das Programm schon von Punk, Rock´n´Roll über Surf und Beat bis hin zu gelegentlichen Elektroklängen reichen kann. Aber insgesamt ist es stets mehr oder minder gut. Ab und an treten hier sogar auf rund vier Quadratmetern diverse Bands mit Mini-Equipment auf. Allein durch die Enge im Raum haben diese Konzerte immer ein ganz besonderes Flair.
Nicht weit vom Radau" entfernt, befindet sich auch der Beat-Club (Hopfenstr.). Diese Kellerbar hat jeden Tag bis in die frühen (teilweise auch späten) Morgenstunden geöffnet und ist daher Anlaufstelle für alle, die die Nacht nicht enden lassen wollen. Normalerweise fängt das Leben hier erst gegen drei, vier Uhr morgens an zu blühen. Vor allen Dingen nach Konzerten oder Parties finden sich stets noch einige Unentwegte, um hier endgültig alle Feierregister zu ziehen. DJ´s gibt es gelegentlich, ansonsten weiß aber auch die Kassettenmusik meistens gut zu gefallen. Die unzähligen Geschichten, die sich hier im Kickerraum, den Toiletten oder einfach an der Bar selbst abspielten, würden ganze Bücher füllen, allerdings niemals jugend- und damit auch straffrei bleiben.
In der Hafenstraße, der ehemals besetzten und berüchtigten Häuserzeile gegenüber der Waterkant, befindet sich das Onkel Otto (Bernhard-Nocht-Str.). Von außen macht der Laden nicht viel her und wirkt ziemlich heruntergekommen. Auch innen wird auch modernes Ambiente wenig Wert gelegt. Statt dessen werden die Getränke zu humanen Kursen ausgeschenkt und mit Zivi-Bullen muß man hier, im Gegensatz zu anderen Kiezlokalitäten, nicht rechnen. Zu harten Punk- und Oi-Klängen kann man die Sieger am Kickertisch herausfordern, in Ruhe ein Tütchen rauchen oder über gute alte Zeiten plaudern.
Nebenan liegt das Störtebecker, der Live-Club in der Hafenstraße, der aber seit geraumer Zeit, wie Großteile der H_user auch, grundrenoviert wird. Wann hier wieder Hardcore- und Punkbands die Wände wackeln lassen werden, entzieht sich meiner Kenntnis, es wird aber wohl noch einige Zeit dauern. Bands können statt dessen gelegentlich im "Onkel Otto" selber auftreten, was meistens eng aber gemütlich ausfällt, oder in der angrenzenden "Volksküche", wo schon ein paar Leute mehr Platz finden.
Ein Stückchen weiter in Richtung Fischmarkt liegt am Fuße der Hafentreppe der Golden Pudel´s Club (St.Pauli-Fischmarkt). Dieser Laden wird u.a. von Rocko Schamoni und Schorsch Kamerun (GOLDENE ZITRONEN) betrieben. Auch hier finden gelegentlich Konzerte statt, die eher den Flair eines Wohnzimmerauftrittes haben als alles andere. Ansonsten legen DJ´s der unterschiedlichsten Richtungen auf, in der Regel aber eher elektronische Klänge, manchmal auch Garagiges, Surf, Soul oder Easy Listening. Das eher studentische Publikum lungert im Sommer gerne auf der Außentreppe mit herrlichem Hafenblick oder im dazugehörigen Biergarten rum, diskutiert und palavert zu einem Glas Rotwein und versucht häufig den Eindruck zu vermitteln, den völligen Durchblick zu haben. Auch wenn ich mit den Gästen in ihren Kordhosen und Hornbrillen gelegentlich so meine Probleme habe, erlebte ich auch so manch lustigen Abend im "Pudel´s Club", zum Beispiel erst letztlich, als dort die Monochords einen Auftritt zum besten gaben.
Direkt neben "Cats" und dem "Panoptikum" an der Reeperbahn findet der Kiezbesucher die Meanie Bar (Spielbudenplatz) und das "Molotow" im Keller darunter. Während die "Meanie Bar" vom Ambiente her sich ganz dem 70er Kitsch mit entsprechenden Easy Listening- und Soulklängen verschrieben hat, entwickelte sich das "Molotow" im Laufe der Jahre zu dem Underground-Liveclub der Stadt gemausert. Um nur mal einen kleinen Überblick zu geben, versuch ich es mal mit ein paar Bands, die hier bereits aufgetreten sind, als da wären NEW BOMB TURKS, TOTEN HOSEN, LOKALMATADORE, BIOHAZARD, MONSTERS, GROOVIE GHOULIES, GUITAR WOLF, CELLOPHANE SUCKERS, BRUISERS u.v.m. Wie gesagt, das ist nur ein kleiner Ausschnitt. Die Pächter und somit auch das Booking wechselten zwar im September, sollen aber die eingeschlagenen Pfade weiter beschreiten. Hier gibt´s leckere Frozen Margharitas, unten einen Kicker und im Allgemeinen ein gefälliges Publikum.
Auf der anderen Seite der Reeperbahn zweigt die Straße "Hamburger Berg" ab. Auch hier grenzt Kneipe an Kneipe, die die unterschiedlichsten Gäste anziehen. Vom Brückenpenner über Hafenarbeiter und Transe bis hin zum Rock´n´Roller, Student und Tourist findet hier jeder seine entsprechende Lokalität. Drei davon will ich euch ebenfalls kurz vorstellen. Als erstes wäre das Lunacy (Hamburger Berg) zu nennen, welches sich in letzter Zeit zunehmender Beliebtheit erfreut. Zu rockigen Klängen, oftmals punkig oder rollig, läßt es sich in der engen Bar - eigentlich nur ein Schlauch - gut aushalten. Schaut man aus dem Fenster, fällt der Blick fast direkt auf das
3 Hufeisen, besser bekannt unter dem Namen Rosi´s Bar (Hamburger Berg), das vor einigen Jahren noch als DIE Szenekneipe des Kiezes gehandelt wurde. Inzwischen amüsieren sich hier bei hauptsächlich elektronischen und alternativen Klängen vor allem am Wochenende zahlreiche Kieztouries und Abiturienten aus dem Umland, die mal das Nachtleben auf St.Pauli kennenlernen wollen. An der Ecke zur Simon-von-Utrecht-Straße liegt noch der Blaue Peter IV (Hamburger Berg), wo billiges Bier und Schnaps deutlich unter den gängigen Kiezkursen angeboten wird. Am Wochenende sorgen auch hier DJ´s für die musikalische Untermalung. Je nach dem, wer gerade an den Turntables steht, gibt es Ska, Soul, Punkrock, Britpop, Artverwantes oder von allem ein wenig. Auch das Publikum wechselt hier den jeweiligen DJ´s entsprechend recht doll.
Zum Schluß, ein Stückchen weiter von der Reeperbahn entfernt, kommen wir zur Max Bar (Paul-Rosen-Str.), die bis vor einigen Monaten noch "Bang" hieß. Hier finden neben Punks und Skins auch zahlreiche FC St.Pauli-Fußballfans ihre Lokalität. Auch hier kann Tischfußball gespielt und Frozen Margharitas getrunken werden. An Musik bekommt man hier Punk, Hardcore und Oi ins Gehör geblasen. Insgesamt wurde die "Max Bar" in unseren Kreisen in letzter Zeit immer beliebter.
Neben diesen ganzen Kneipen, die allesamt von der U-Bahnhaltestelle "St. Pauli" oder dem S-Bahnhof "Reeperbahn" zu Fuß erreicht werden können, gibt es auf dem Kiez noch die drei großen Live-Clubs Dock´s (Spielbudenplatz), Große Freiheit 36 (Große Freiheit) und Grünspan (Große Freiheit). Hier kann man sich dann größere Acts für größeres Geld, wie z.B. GREEN DAY, BRIAN SETZER ORCHESTRA, SOCIAL DISTORTION, NOFX, MOTÖRHEAD, OFFSPRING, EL-VEZ, BAD RELIGION etc., zu Gemüte führen. Ansonsten gibt es in diesen Läden regelmäßig Disco-Veranstaltungen, die aber nicht weiter der Erwähnung bedürfen.
Wie bereits zu Anfang des Artikels geschrieben, sind das noch lang nicht alle interessanten Lokalitäten auf dem Kiez, aber wenn ihr das nächste Mal nach Hamburg kommt, dürftet ihr anhand dieser Stützen doch schon einen netten Kiezbummel zustande bringen. Seine Lieblingskneipe, Neuentdeckung oder Geheimtip muß eh jeder selbst für sich finden. Ich für meinen Teil wünsche jedenfalls viel Spaß beim Erkunden und Kennenlernen. Vielleicht sehen wir uns ja auf der ein oder anderen Toilette oder am Tresen.
Wenn dieser Exkurs in Hamburgs Nachtleben gefallen hat, besteht die Möglichkeit im nächsten Ox selbiges für den Rest von Hamburg zu machen, denn auch in Altona, Eimsbüttel, Schanzen- oder Univiertel gibt es noch so manche Lokalität, die einen Besuch wert ist.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #36 III 1999 und Abel