KINA/FRONTIERA

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Quasi Punk-Legende

Keine Ahnung, wie man so was nennt, vielleicht Schicksal. Eigentlich war die letzte Möglichkeit, KINA noch mal live zu sehen, schon vor ein paar Monaten beim Anti-G8-Festival hier in Berlin verstrichen. Das ganze Fest war nämlich fix ausverkauft, ich stand draußen und konnte mir Klassiker wie "Cosa farete" oder "Questi anni" vom Notausgang her anhören. So ein Dreck, dachte ich. Das war's gewesen. Klar, die Platten der vielleicht besten, vielleicht eigenständigsten frühen italienischen Punkband, die konnte ich mir immer noch anhören, bis sie einen Dekubitus von der Plattenspielernadel bekämen. All diese großartigen Dinger, von der frühen hektischen "Nessuno Schema Nella Mia Vita"-LP über die vielleicht Beste "Se Ho Vinto, Se Ho Perso" bis zur ruhigen "Città Invisibili" - aber live ist so was ja immer noch was anderes. Damals konnte aber keiner damit rechnen, dass KINA Ende Oktober 2007 plötzlich noch mal ein Gastspiel in Berlin geben sollten.

Gegründet 1982 im norditalienischen Aosta, existierte KINA bis 1997, seit der Auflösung machen Trommler Sergio und Gitarrist Alberto aber mit dem neuen Bassisten Roberto unter dem Namen FRONTIERA da weiter, wo KINA aufgehört hat. Allen Musikgeschmacksveränderungen zum Trotz war die Band in den letzten 15 Jahren für mich eigentlich immer präsent - entweder durch großartige Konzerte, meistens aber durch die Platten, die zwar schon immer irgendwie Punk/Hardcore waren, aber auf alle Fälle nicht das sind, was heutzutage unter dem Begriff "Hardcore" läuft. Vergleichen könnte man KINA vielleicht am ehesten mit Bands, die zu einer ähnlichen Zeit große Musik abgeliefert haben, zum Beispiel RITES OF SPRING, HÜSKER DÜ, TARGET OF DEMAND oder MEAT PUPPETS. Klischeefreier, intelligenter, nachdenklicher Hardcore-Punk mit teils politischen, aber auch recht philosophischen italienischen Texten. Aber eine klischeefreie Band sollte man am besten nicht mit Klischeeformulierungen beschreiben. Besonders nicht, wenn es sich um eine Quasi-Punk-Legende handelt, die eigentlich nicht mehr existiert und trotzdem im Kato in Berlin nach dem Konzert bereitwillig ein paar Fragen beantwortete.

Vor ein paar Monaten habt ihr hier in Berlin erst auf dem Anti-G8-Festival in der Maria gespielt; da dachte ich, das wäre euer letzter Gig als KINA gewesen. Jetzt seid ihr schon wieder hier, warum eigentlich?


Sergio: Weil Mauro uns gefragt hat, haha. Mauro ist der Besitzer einer Pizzeria in Kreuzberg - Due Forni, die Punkrock-Pizzeria - und ein guter Freund von uns. Er hat uns gefragt, ob wir noch einmal in Deutschland bzw. Berlin spielen können, und so kam es dann ...

Gibt es denn KINA als "richtige" Band noch oder war das eine einmalige Aktion?

Sergio: Nein, das war nur eine einmalige Sache. KINA existiert seit 1997 nicht mehr. Manchmal spielen wir bei speziellen Anlässen, Veranstaltungen. Wenn jetzt ein Freund Geburtstag hat, oder um einem besetzten Haus zu helfen, dann spielen wir ab und zu noch mal in Italien ...

Und das Anti-G8-Fest war so ein besonderer Anlass? Würdet ihr sagen, dass solche politischen Veranstaltungen immer noch sehr wichtig für euch sind?

Roberto: Ja, die politischen Sachen sind immer noch wichtig ...

Sergio: Oh ja, klar. Ich denke, wenn du nur zum Spaß spielst, nur für die Musik, ist das zwar gut, aber ich denke, Spaß und Vergnügen ist besser, wenn du noch was Intelligentes zu sagen hast.

Roberto: Ich denke, wenn eine Punkband nichts mehr zu sagen hat, ist die Musik ziemlich leer. Die Musik von KINA war immer verbunden mit politischen Aussagen.

Sergio: Als wir 1982 anfingen, vor 26 Jahren also, dann aus dem Grund, dass wir das sind, was wir dachten. Wir sahen nicht nach irgendeiner Mode aus, hatten nicht irgendeinen Stil. Wir haben das gespielt, was wir auch waren. Heutzutage wollen viele Bands diese und jene Art von Musik spielen, aber es ist nicht das, was sie wirklich in sich drin haben. Es ist nur ein Style. Wir haben nie auf diese Art von Stil geachtet, auf so einen "Way of life", der nur auf modischen Aspekten beruht ...

Aber wenn ich mir die Texte von KINA anschaue - und das hab ich recht häufig gemacht -, habe ich den Eindruck, dass die von Platte zu Platte immer persönlicher, fast schon philosophisch geworden sind, mehr introspektiv. Seht ihr das auch so?

Sergio: Ja, das kommt vielleicht daher, weil sich halt auch viele Dinge um uns verändert haben. Freunde haben sich verändert, unsere Situation ...

Roberto: Ich finde, es ist besser, in einem Song über seine Gefühle zu singen, als irgendwelche Slogans zu wiederholen, so was wie "Ich hasse die Bullen". Denn ich finde, heutzutage sind solche Parolen einfach leere Worte.

Sergio: Zu einer bestimmten Zeit war das vielleicht ein Grund, aber nach 25 Jahren kannst du nicht immer die gleichen Slogans und Parolen singen.

Sergio, wenn du dir so die Entwicklung von KINA anschaust, von 1982 bis zur letzten Platte - was waren da die wichtigsten Entwicklungsschritte für dich?

Sergio: 1982, als wir angefangen haben, konnten wir eigentlich gar nicht spielen. Wir waren so jung, hatten soviel Energie und wollten Krach machen, immer schneller, und dazu rumschreien. Dann lernten wir ein bisschen zu spielen, und wenn man spielt, wird man natürlich auch besser. Als wir geprobt haben und neue Songs gemacht haben, wollte jeder versuchen, bestimmte Dinge in der einen oder anderen Art auszuprobieren. Die Songs wurden also im Laufe der Zeit komplexer ...

Roberto: Auch wenn wir Punk oder Hardcore gespielt haben, hören wir das aber nicht nur. Wir hören alles Mögliche, aber wir spielen halt Hardcore-Punk.

Ich finde, das hört man bei KINA auch. Ist zwar alles noch Punk, aber man ahnt schon, dass da noch andere Einflüsse sind. Ich weiß nicht, ob ihr den Vergleich mögt, aber ich finde, es klingt teilweise wie Bob Dylan oder Neil Young auf Punk ...

Roberto: Ja, in Italien sagen viele Leute, dass KINA so ähnlich klingt wie viele traditionelle italienische Folk-Sänger, wie zum Beispiel Fabrizio Andrei.

Was ich an KINA immer sehr gut fand und was euch, meiner Meinung nach, auch von anderen Punkbands unterscheidet, ist, dass ihr auf den Platten auch manchmal recht untypische Instrumente verwendet habt, eine Orgel, ein Banjo, Mundharmonika und solche Sachen.

Sergio: Es war eigentlich nur so eine Idee, aus einem Jam heraus. Als wir die Platten aufgenommen haben, dachte ich, es ist gut, etwas anderes mit drauf zu nehmen. Die verschiedenen Instrumente sind nur ein kleiner Teil der ganzen Platte. Für uns ist Hardcore nicht nur ein Stil, sondern eine Art zu leben. Ich denke, wir können mal schneller spielen, mal langsamer, aber es ist immer noch Hardcore. Heute nutzen Leute dieses Wort nur für einen Style, und wenn du jetzt einen Blick auf ein Plakat wirfst, dann siehst du Bands, die spielen Skacore, Ska-Punk, Emo, Ultra-Anarcho-Violent-Core oder so. Als wir anfingen, haben all diese Bands so wie KINA verschiedene Sachen gemacht, haben Noise, Rock'n'Roll oder Hardcore gespielt und es war einfach Punk-Musik. Als mich mal jemand vor vielen Jahren gefragt hat, welche Musik KINA macht, hab ich gesagt: Es ist Punk-Musik, es ist Hardcore-Musik. Aber in unserer Stadt, einer kleinen Stadt, verstehen die Leute den Begriff Hardcore nicht. Deshalb sagen wir, es ist Punk. Es ist nicht nötig, das weiter zu erklären. In der Szene waren wir so einig, da machte es dann nichts, wenn du schneller spielst oder langsamer oder krachiger, wir waren alle Hardcore.

Interessiert ihr euch eigentlich noch dafür, was heutzutage so in der Punk/HC-Szene abgeht? Hört ihr euch noch neuere Punkbands an?

Sergio: Manchmal, aber oft sind die neueren Bands so langweilig. Sie wiederholen die gleichen Sachen, die wir und andere Bands schon vor 25 Jahren gespielt haben, und es ist sehr schwierig, etwas originell und neu rüberzubringen.

Beim Konzert vorhin hat der Gitarrist von DE CREW erwähnt, dass sie stolz darauf sind, mit euch spielen. Das kam sehr respektvoll rüber. Hast du eine Ahnung, wie KINA von jüngeren Bands heutzutage gesehen wird? Seid ihr so was wie eine Punk-Legende?

Roberto: Ich denke, das ist eine sehr seltsame Zeit, weil viele Leute versuchen, so etwas wie eine Legende zu kreieren. Als KINA in Italien sehr bekannt waren, hat das, was passiert ist, vielleicht zur Legendenbildung beigetragen. Sie haben in besetzten Häusern genauso wie in guten Orten gespielt und teilweise auch in wirklich schrecklichen Situationen.

Sergio: Die jungen Kids verstehen heute nicht, dass es, als es mit Punk losging, nicht darum ging zu sagen: So, jetzt bin ich Punk und ich will jetzt Punk, Skacore oder was auch immer spielen. Irgendetwas in uns drin lief falsch und wir mussten unseren Ärger ausdrücken, unser Leiden, das da in uns steckte. Wir haben echt in üblen Situationen ganz üble Konzerte gespielt - Konzerte ohne Zuschauer, ohne PA, ohne Mikros, ohne Instrumente, aber heutzutage kennen die Leute das nicht mehr und sagen: Die 80er waren geil und toll und legendär. Das stimmt ja nicht.

Aber sowas passiert schnell, dass man so eine Zeit nostalgisch verklärt ...

Sergio: Das ist ja bei jeder Art von Musikrevival so. Vorher gab es ein New Wave-Revival, davor eins von Beat und jetzt - in manchen Teilen von Italien - eins von 80er Hardcore.

Ihr seid ja beide auch bei FRONTIERA. Könnt ihr denn da so eine scharfe Trennlinie ziehen zwischen beiden Bands, so eine Art von Schalter umlegen - jetzt sind wir KINA und jetzt - klick - sind wir FRONTIERA?

Sergio: Bei FRONTIERA spielen die gleichen Leute, es ist die gleiche Besetzung. Es ist unmöglich KINA und FRONTIERA strikt voneinander zu trennen. Bei einigen Songs und Aufnahmen von KINA und FRONTIERA, da kann man die Unterschiede nicht erkennen. Die Stimme, der Sound, das Schlagzeug, das ist alles dasselbe.

Aber was ist dann der Unterschied?

Roberto: Der Unterschied liegt in der Zeit, in der Entwicklung des Sounds. KINA war immer verbunden mit bestimmten Songs innerhalb der HC/Punk-Szene in Europa. Dann haben wir mit FRONTIERA angefangen und die Situation um uns herum war völlig anders. Es gab eine neue Szene.

Sergio: Als KINA aufgehört haben, weil Gianpiero, der Bassist, nicht mehr spielen wollte, da war die Band 1997 am Ende. Wir spürten, dass sich etwas geändert hatte in der ganzen Szene und bei den Bands, in der Weise, wie man etwa Konzerte organisiert. Viele Bands wurden sehr professionell, viele Konzertorte haben geschlossen und neue Clubs haben aufgemacht. Punk wurde sehr kommerziell. Zum Beispiel solche Sachen wie GREEN DAY, die wurden ja sehr groß, im Fernsehen liefen BLINK 182, NIRVANA und so was. Alberto und ich fühlten, dass wir etwas beenden mussten. Als wir mit Roberto wieder angefangen haben, da war es für uns ganz natürlich, den Namen zu ändern. Wenn wir allerdings für FRONTIERA wegen Konzerten anfragen, ist es viel schwieriger, was zu organisieren als für KINA. Wenn wir sagen: "Hallo wir sind KINA und wollen spielen", dann ist es kein Problem. Wenn wir aber als FRONTIERA anfragen, dann ist es nicht so einfach. Vielleicht war's doch nicht so eine gute Idee, den Namen zu ändern ...

Habt ihr eigentlich eine bestimmte Verbindung zu Berlin, mal von der Pizzeria-Connection abgesehen? Ich frage deshalb, weil man im Artwork der KINA-Platten immer wieder Fotos von Häusern in Berlin finden kann.

Sergio: Alberto ist 1986 für ein Jahr von Aosta nach Berlin gezogen. Wir haben viele Freunde hier. Aosta ist eine sehr kleine Stadt in den Bergen und da ist man nicht sehr offen. Für uns waren die Freunde in Berlin eine gute Gelegenheit, da rauszukommen. Wenn es uns in Aosta zu langweilig wurde, sind wir per Anhalter oder mit dem Zug nach Berlin gefahren und dann eine oder vielleicht auch zwei Wochen geblieben. Wenn ich jetzt nach Berlin komme, habe ich immer ein gutes Gefühl, weil ich immer denke, das ist mein Haus.

Findest du, dass die Stadt sich sehr verändert hat?

Sergio: Ja, finde ich schon. Als wir zum ersten Mal nach Berlin gekommen sind, sind wir in der Waldemarstraße untergekommen, ganz nah an der Mauer. Wir sind mit der U-Bahn gefahren, bis zum Kottbusser Tor, sind die Adalbertstraße runtergegangen und die Mauer war da, dann sind wir links runter und sind an meinem Haus angekommen. Jetzt gibt es dieses Haus nicht mehr, all diese Leute leben woanders. Die Adalbertstraße ist offen und es ist die erste Sache, nach der wir 1989 geschaut haben, ob die Mauer in der Adalbertstraße verschwunden ist. Das war für uns schon ein Schock, dass man da jetzt so durch konnte. Es hat sich halt sehr vieles verändert.