KARDASHEV

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Entwicklung einer eigenen (Klang)Welt

Hierzulande kennt man KARDASHEV wahrscheinlich nur, wenn man sich auf der Suche nach neuen Bands viel im Internet rumtreibt. Bis zu ihrem Signing bei Metal Blade Records nutzte die Band aus Arizona vor allem den digitalen Distributionsweg, um sich eine weltweite Community aufzubauen und ihre Musik zu promoten. Daran wird sich wohl auch mit dem Release von „Liminal Rite“ nichts ändern, wie Schlagzeuger Sean Lang im Interview erzählt.

Inspiriert durch THE CONTORTIONIST, FALLUJAH­ und AEGON, veröffentlichten KARDASHEV 2012 ein erstes Demo, das sich konzeptionell mit der Hypothese der Kardashev-Skala beschäftigte. Es folgte die EP „Excipio“ im Jahr 2013, die an dieses Konzept anknüpfte und die Zukunft für die Band ebnete. Mit dem 2015 veröffentlichten Album „Peripety“ machten KARDASHEV lautstark auf den einzigartigen Sound ihrer Band aufmerksam. Die Veröffentlichung von „The Almanac“ im Jahr 2017 eröffnete der Band eine noch größere Fanbase, bevor „The Baring Of Shadows“ im Jahr 2020 das Interesse von Metal Blade Records auf sich lenkte und 2021 über das Label auch als Vinyl und CD veröffentlicht wurde. Mit „Liminal Rite“ knüpft die Band nun an die Konzeptwerke an und liefert ein Album mit einer ganzen Stunde Spielzeit und einem Sound, den die US-Amerikaner selbst als „Deathgaze“ bezeichnen.

Deathgaze
Entgegen dem im Vergleich nahezu inflationär benutzten Genrebegriff Blackgaze hat sich Deathgaze als Genre bisher kaum etabliert. Mit ihrer ätherischen Klangästhetik zwischen Shoegaze und Death Metal haben KARDASHEV in eigenes Subgenre begründet, das der Band als Alleinstellungsmerkmal dient. „Es gab diese Lücke aus Progressive Death Metal und Shoegaze, die wir gefunden und geschlossen haben“, so Sean, der in seinem Dayjob im Marketing arbeitet. Des Weiteren sieht er in diesem Begriff ein perfektes Mittel, um die Band zu bewerben. Ihr musikalisches Selbstverständnis beruht auf einer ungewöhnlich einzigartigen Mixtur, dennoch lässt sich der Deathgaze-Sound, der bisher nur wenige Nachahmer:innen gefunden hat, laut Sean mit klaren Einflüssen belegen. „Ich habe das Gefühl, dass wir viel von der Emotionalität von ALCEST in unserer Musik festmachen. Darüber hinaus sind wir riesige Fans von LANTLÔS, die einen ähnlich verträumten Klang haben und sich ebenfalls Neuem nicht versperren. Darüber hinaus, auch wenn man es kaum hört, würde ich sagen ähneln wir in manchen Aspekten Devin Townsend und OPETH, insbesondere was die Songstrukturen betrifft. Denn wie bei älteren OPETH-Platten wiederholen wir nur wenige Parts. Wenn sie als Teil der Geschichte erzählt sind, sind sie erzählt.“
Neben der philosophischen Tiefe, die Sänger Mark Garrett in die Lyrics der Band mit einbringt, existiert sogar eine eigene Sprache, die für „The Almanac“ entworfen wurde. „Alunea“ genannt, ist sie ein ästhetisches Gimmick, das in Zukunft mehr ausgebaut werden soll, wie Sean verrät. Doch entgegen den meisten Bands ist es auch die Fokussierung auf den Song und die darin erzählte Story, die ­KARDASHEV für Sean von anderen Bands abhebt. „Ich habe schon in vielen Bands gespielt und meistens stand das Riff im Fokus. Bei KARDASHEV gibt es hingegen immer eine besondere Atmosphäre. Es geht mehr um das Feeling, als darum zu zeigen, wie gut wir performen.“ So würde die Band das Narrativ eines Songs niemals opfern, um ihre Skills zu demonstrieren, sondern konzentriert sich klar auf die emotionale Wirkung und das Storytelling. Darüber hinaus sind es auch Spoken-Word-Parts, die von Sean selbst kommen, die die Erzählung unterstützen und sich in das Klangbild einfügen.

Unterstützung
Bisher ist in der Karriere der Band alles andere als gewöhnlich verlaufen. Anstatt auf Live-Shows bauen die US-Amerikaner auf eine Online-Fanbase und ein eigenes Crowdfunding-Programm, wie Schlagzeuger Sean Lang erzählt. Bei dem „Enlisted Traveler Program“, das sie benutzen, bekommen die Fans bereits die Demos der Band zu hören. „Wir geben den Supportern sogar die Chance, Feedback zu geben und aktiv an unseren Songs mitzuarbeiten, indem sie in den Prozess involviert sind“, so Sean. KARDASHEV arbeiten nah an ihren Fans gemeinsam über das Internet und strukturieren sich seit Beginn des Projekts via Online-Meetings. Einen Effekt der Pandemie haben die Musiker dadurch kaum bemerkt. Während andere Bands gezwungen waren, sich neue Strategien zu überlegen, war die entsprechende Infrastruktur bei KARDASHEV bereits vorhanden. Dabei ist sich Sean sicher, dass die Möglichkeiten der Online-Fanbindung bisher erst angekratzt sind. „Dennoch ist die Unterstützung, die wir bekommen, unfassbar und besonders. Unser Ziel ist es, dass diese Community stetig wächst.“

Katharsis
Auf „Liminal Rite“ geht es um philosophische Fragen. Etwa was es bedeutet, in der Vergangenheit zu leben. „Wann wird Nostalgie zur Obsession, zur Schuld oder gar zu einem Gefängnis?“ Damit hat sich Sänger Mark Garrett intensiv auseinandergesetzt. So erforschen KARDASHEV auf ihrem neuen Album einen Weg, der verführerisch und verletzend in einen Strudel der Selbstzerstörung führt. Dahinter steht jedoch auch der Ansatz, anderen Menschen mit ihrer Musik zu helfen, wie Sean erklärt. „Es war immer das Ziel, mit unserer Musik mehr zu erreichen, als bloß zu unterhalten“ Wie sich Nico entsinnt, gab es einige Menschen, auf die „The Baring Of Shadows“ eine kathartische Wirkung hatte. „Manche sagten uns, dass sie nach dem Hören der Musik sofort ihre Kinder umarmt haben oder Freunde anriefen, mit denen sie ewig nicht gesprochen haben, oder auch ein neues Hobby angefangen haben.“ Auf diesem Ansatz baut auch „Liminal Rite“ auf, bei dem Sänger Mark auch sich selbst reflektiert und eine Spirale der obsessiven Nostalgie beschreibt, in der er selbst oft steckte.

Für Sean selbst ist vor allem „Cellar of ghosts” ein besonderer Track auf dem neuen Album. „Der Song basiert auf einer Idee, die von mir kam“, so Sean, der auf seiner Website verschiedene Practice Loops und Playalongs für Schlagzeuger:*innen anbietet. „Ich schreibe schon seit langer Zeit Musik und habe viele dieser Loops für Drummer komponiert. Die schreibe ich primär, um mir selbst Playalongs zu machen, weil die, die online verfügbar sind, meist nicht wirklich gut sind und nur wenig Spaß machen. Eine dieser kurzen Kompositionen klang ziemlich krass nach KARDASHEV. Ich habe ihn Nico geschickt und er machte einen ganzen Track daraus. Jetzt ist „Cellar of ghosts“ mein spezieller Beitrag zu diesem Album.“

Perspektive
Auch wenn sich KARDASHEV als „Online first“-Projekt verstehen, schließt man es nicht aus, auf Tour zu gehen. „Manchmal fehlt es, diesen Aspekt in der Band zu haben“, so Sean. Doch dass trotz der räumlichen Distanz zwischen Sean, der in Vancouver wohnt und dem Rest der Band, der in Arizona zu Hause ist, eine gute Chemie existiert, war ihm schnell klar. Im The Sound Lair Studio in Tennessee trafen sich alle Mitglieder der Band erstmals in ein und demselben Raum, um an „Liminal Rite“ zu arbeiten, nachdem die Band die Tracks räumlich distanziert voneinander aufgenommen hatte. Der Punkt, an dem Sean wirklich bewusst wurde, wie sehr ­KARDASHEV trotz des unkonventionellen Karrierewegs eine richtige Band sind, war jedoch ein anderer.

„Als wir ein Musikvideo für das neue Album gedreht haben und zum ersten Mal zusammen einen Song performt haben, habe ich gemerkt, dass da etwas ist, das uns tiefer verbindet. Es gibt diese Momente, die nur existieren, wenn man mit Menschen im selben Raum ist. Wir haben den Song mindestens 15 Mal gespielt und von Anfang an war da dieses besondere Gefühl, dass das meine Band ist und dass es unfassbar gut zusammen funktioniert – auch wenn wir die meiste Zeit räumlich getrennt sind und über Online-Meetings kommunizieren.“ Ein weiterer Grund, dass die Idee, Konzerte zu spielen nicht auf Ewigkeit ausgeschlossen sein wird, laut Sean. Am Ende des Interviews fügt er an, wie viel es ihm bedeutet, Teil von KARDASHEV zu sein. „Alle in der Band sind unfassbar gut in dem, was sie machen. Ich zolle Nico, Alex und Mark größten Respekt. Während Nico ein Genie darin ist, was das Engagement mit den Fans betrifft, hat er einen Großteil der Musik von KARDASHEV geschrieben. Alex hat ebenfalls einen großen Anteil an der Musik auf ‚Liminal Rite‘, während ich davon überzeugt bin, dass Mark nach dem Release des Albums sehr viel Aufmerksamkeit für seine Vocals bekommen wird. Es macht unfassbar viel Spaß, in dieser Band zu sein, und es scheint, als würde den Leuten gefallen, was wir machen. Das ist alles, was zählt.“