Felduniformen, schwarze Masken über den Gesichtern, Stacheldraht und Sandsäcke: der erste Blick kann durchaus verstören. Kopf der Band ist Frontmann Noise, der aus historischen Briefen von der Front des Ersten Weltkriegs Texte und Lieder macht, die Fans in ganz Europa finden. Alles ist orientiert am Leitbild des „unbekannten Soldaten“, dem die Band ein musikalisches Denkmal setzen will. Geht das Konzept auf, zu verdeutlichen, was die Schrecken des Krieges dem Einzelnen anhaben können? Der Erfolg gibt ihnen recht.
Nicht selten musstest du dir in den letzten Jahren anhören, dass deine Musik und eure Bühnenshow einen falschen Eindruck erwecken und eher kriegsverherrlichend wirken könnten. Sobald man sich mit den Texten beschäftigt, wird es klarer. Mittlerweile steht ihr auch auf internationalen Bühnen – gibt es da keine Sorge, dass Menschen, die kein Deutsch können, das alles missverstehen?
Das muss ich revidieren. Ich habe sehr viel Aufklärungsarbeit betrieben und mit aller Gewalt versucht, die Anti-Kriegs-Message, die KANONENFIEBER innewohnt, in das Bewusstsein der Hörerschaft zu hämmern. Ich war damit sehr erfolgreich. Die Menschen, die uns falsch verstehen wollen, machen das gerade mit Fleiß. Auch im internationalen Sektor hat die Aufklärungsarbeit gefruchtet. Sofern man sich nur fünf Minuten mit dem Projekt beschäftigt, weiß man, woran man ist.
Hattest du je Zweifel, ob du dieses Konzept so durchziehen kannst?
Das Konzept der Band hat sich Stück für Stück entwickelt. Als ich anfing, die ersten Songs in meinem kleinen Heimstudio zu schreiben, hatte ich nicht geplant, eine Band auf die Bühne zu bringen. Zweifel sind somit nie entstanden. Es kam, wie es kam. Direkt nach dem Release von „Menschenmühle“ 2021 kamen die ersten Auftrittsanfragen.
Wie abgefahren ist es, als deutsche Person, die Musik macht wie du, über diesen Krieg, gute hundert Jahre nach dessen Ende in Frankreich auf dem Hellfest zu spielen?
Im ersten Moment habe ich das gar nicht als abgefahren wahrgenommen. Da wir schon vier Mal in Frankreich gespielt haben, bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass dieser Auftritt eine Bedeutung haben könnte. Aber im Nachhinein betrachtet ist die Show in Verbindung mit dem Arte-Stream schon wirklich wild. Falls das Konzert zu einer Form von Versöhnung beigetragen haben sollte, wäre das die größte Belohnung, die ich mir vorstellen könnte.
Denkst du, dass Deutschland die Kriegsschuld gut aufgearbeitet hat?
Wir Deutschen sind uns unserer Kriegsschuld meiner Meinung nach bewusst. Nur woher diese Kriegsschuld stammt, geht mit dem sehr oberflächlichen Geschichtsunterricht unter. Es wird gelehrt, wann, wo, was passiert ist. Aber was das für den Einzelnen bedeutet hat, das wird in keiner Weise beleuchtet. Kriegsfilme, die den Schrecken gut darstellen, gibt es auch nur wenige. Somit versuche ich über meine Musik meinen Beitrag zu leisten, indem ich auf die Schicksale der einzelnen Soldaten eingehe.
Als ich euch das erste Mal live gesehen habe, habe ich mit offenem Mund auf die Bühne gestarrt – aber die Songs sind teilweise echt live-tauglich zum Mitschreien geschrieben. Ist es cool, wenn die Leute zu deiner Musik auch Spaß haben?
Somit ist das Ziel erreicht. Wir wollen in erster Linie eine „unangenehme Show“ bieten. Der Spaßfaktor fürs Publikum darf aber natürlich nicht fehlen, sonst würde niemand zu unseren Konzerten kommen. Und ohne Publikum könnten wir unsere Message nicht verbreiten.
Ihr seid gerade mit AMON AMARTH auf Tour. Was löst das in dir aus?
Mit der Band, die meine Liebe zum Death Metal entfacht hat, zu touren, ist für mich ziemlich das Größte, was mir als Musiker hätte passieren können. Meine Jungs sagen, dass sie mich noch nie so viel haben grinsen sehen wie die letzten Tage. Zu Recht. Ich habe meine größten Idole kennen gelernt. Und das Schöne ist, dass die Jungs von AMON auch noch unfassbar sympathisch sind. In genau diesem Moment fahren wir über die Alpen nach Innsbruck für Show Nummer drei.
Funktioniert KANONENFIEBER noch wie ein Ein-Mann-Projekt oder hat sich das verändert?
Wir sind eine Band. Wenn ich von KANONENFIEBER spreche, dann spreche ich immer im Plural.
War es dir wichtig, dass die anderen Mitglieder auch geschichtlich versiert sind?
Tatsächlich nicht im Geringsten. Am wichtigsten war mir, dass die Jungs sich alle gut miteinander verstehen und Spaß haben. Wir hocken bis zu hundert Tage im Jahr 24 Stunden aufeinander. Da muss das Team einfach harmonieren. Ach ja, Trinkfestigkeit ist natürlich auch ein Kriterium, das man nicht unterschätzen darf, haha.
Wie bist du das zweite Album angegangen?
Mein Historiker-Kumpel und ich haben in mehreren Brainstormings interessante Themen ausgewählt. Als die Arbeitstitel für das Album gewählt waren, haben wir uns beide auf die Suche nach Material für die Texte gemacht. Als ich genug Stoff zusammenhatte, habe ich mich daran gemacht, die Texte um die festgelegten Inhalte herum zu schreiben. Mir war wichtig, möglichst viele Stimmungen mit dem Album aufzugreifen und einen Spannungsbogen zu kreieren. Dementsprechend haben wir viele verschiedene Themen aufgegriffen.
Wie schaltest du nach einem langen Arbeitstag für KANONENFIEBER ab?
Sobald ich anfange, mich an die Texte zu machen, teile ich das meinem sozialen Umfeld mit. In dieser Phase bin ich ziemlich unausstehlich. Ich ballere mir alles an Büchern, Briefen, Filmen und Musik rein, das ich zwischen die Finger bekomme. Alles dreht sich nur noch um die Thematik. Das kann auch gut und gerne mal zwei Monate so gehen. Dass das nicht spurlos an einem vorbeigeht, ist klar. Wir reden von einer der schlimmsten Perioden der Menschheit, in die ich mich hineinzuversetzen versuche. Gerade die sehr persönliche Feldpost, in die ich mich einlese, ist emotional sehr ergreifend. Die Briefe verlieren nie ihre Bedeutung und lesen sich auch hundert Jahre nach ihrer Entstehung wie an dem Tag, an dem sie geschrieben wurden. Die Trauer, die Sehnsucht, der Verlust. Das nimmt mich sehr mit. Sobald die Texte eingetütet sind, entspannt sich das Ganze wieder für mich. Dann wird sich auch gleich mit dem nächsten Projekt wie NON EST DEUS oder LEIPA abgelenkt.
© by Fuze - Ausgabe #108 Oktober/November 2024 und Christina Kiermayer
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