KADAVAR

Foto© by Rosa Merino Claros

Der Bart ist ab

KADAVAR melden sich aus der Isolation in der Corona-Pandemie zurück und sind kaum wiederzuerkennen. Die wuchtigen Gitarrenriffs mussten luftigen Keyboardsounds weichen. Aus Rübezahlbärten wurden Pornobalken und der Vertrag mit dem Branchenriesen Nuclear Blast ist Vergangenheit. Ihr sechstes Studioalbum „The Isolation Tapes“ bringen die Berliner Retro-Rocker selbst raus. Sänger und Gitarrist Christoph „Lupus“ Lindemann erklärt, wie es zu dem Wandel kam, und erwähnt noch ganz nebenbei, dass er das Ox abonniert hat.

Der Lockdown wirkte ja bizarrerweise wie eine Befreiung für euch. Erklär doch mal warum.

Seitdem unsere erste Platte vor acht Jahren herausgekommen ist, haben wir uns immer in einem Loop befunden. Eine neue Platte veröffentlichen, danach eineinhalb Jahre damit auf Tour gehen und wieder an neuen Songs arbeiten. Das gleiche Muster haben wir permanent wiederholt. Irgendwie hatten wir auch verlernt, entspannt Musik zu machen, weil wir immer den Druck hatten, eine neue Platte zu machen, um wieder auf Tour gehen zu können. Deshalb war kam Lockdown wie gerufen für uns. Dadurch waren wir gezwungen, nichts zu machen. So haben wir einfach Musik gemacht, ohne nachzudenken. Es war einfach befreiend, in dem Sinne, dass wir uns getroffen haben oder manchmal eben auch nicht. So wie wir das wollten. Manchmal kam etwas dabei heraus, dann haben wir das behalten, und manchmal eben nicht. Dann hatte man trotzdem einen coolen Tag mit seinen Kumpels. Das hatten wir einfach schon längere Zeit nicht mehr, deswegen haben wir das sehr genossen.

Mit dem neuen Album legt ihr einen krassen Soundwechsel hin. Ganz grob gesagt von BLACK SABBATH zu PINK FLOYD. Wie kam es dazu?
Als der Lockdown einsetzte, war unsere letzte Platte nicht einmal ein halbes Jahr alt. Als dann die Tour abgesagt wurde und wir zu Hause saßen, haben wir gemerkt, dass das Leben immer langsamer wird. Teilweise sind nicht einmal Autos gefahren, keine Kinder sind mehr in die Schule gelaufen, die Geschäfte waren dicht. Es war also fast unheimlich ruhig. Deshalb kam es mir nicht in den Sinn, massive Gitarrenriffs in diese Ruhe reinzudonnern. Es war eher etwas Ruhiges gefordert und so ist eben die Idee für diese Keyboardteppiche entstanden. Musik, bei der man sich auch mal hinsetzen und hinhören muss. Das hat einfach viel besser in die Zeit gepasst als die Musik, die wir vorher gemacht haben. So ist diese PINK FLOYD-Attitüde auf dem Album gewachsen.

Ist das der KADAVAR-Sound der Zukunft oder ein Experiment in einer surrealen Zeit?
Das kann ich weder ausschließen noch bestätigen. Jedes KADAVAR-Album ist anders bis jetzt. Es gab immer Wechsel im Sound. Das eine ist härter, das andere eher rockiger. „Berlin“ klingt ganz anders als „Rough Times“. „For The Dead Travel Fast“ war zuletzt sogar eine Art Konzeptalbum. Uns ist einfach wichtig, dass wir uns niemals selbst limitieren oder in eine Ecke manövrieren, wo dann alle angepisst sind, wenn wir Lust haben zu experimentieren. Als die Songs fertig waren, haben wir schon überlegt, wie wohl unsere Fans auf den neuen Sound reagieren würden. Das ist schon ein hartes Brett, das wir den Leuten da ohne Vorankündigung hinwerfen. Gleichzeitig war uns bewusst, dass wir über all die Jahre schon ein bisschen vorgearbeitet hatten. Im Januar 2019 hatten wir zum Beispiel dieses Projekt mit COSMIC RIDERS OF THE BLACK SUN. Da standen wir mit acht oder neun Leuten auf der Bühne und haben viel ruhigere Sachen mit Synthesizer gemacht. Wie haben unsere Fans also schon in diese Richtung gelenkt. Ob das jetzt so bleibt oder sich wieder ändert, wird die Zeit zeigen.

Wie setzt ihr die neuen Songs nun auf der Bühne um? Wird es einen zusätzlichen Keyboarder geben?
Diese Frage kann ich nicht beantworten. Auf dem Album sind natürlich viele Dinge geloopt oder gesamplet und nicht live eingespielt worden, so wie wir das sonst gemacht haben. Außerdem ist nicht abzusehen, wann wir wieder live spielen werden. Als wir das Album geschrieben haben, haben wir überhaupt nicht an die Live-Performance gedacht. Außerdem müssten wir erst mal nur die neue Platte aufführen und uns überlegen, wie wir das mit dem alten Material machen.

In Songs wie „The world is standing still“ oder „Everything is changing“ habt ihr euch offensichtlich auch inhaltlich mit der Corona-Pandemie beschäftigt.
Das Thema war natürlich sehr präsent und in dieser Zeit sind auch keine anderen Einflüsse auf uns eingeprasselt. Gleichzeitig ist es natürlich eine für alle sehr ungewöhnliche Situation gewesen. Deswegen wollten wir das natürlich kreativ ausschlachten. Als dann klar war, dass die Platte auch noch „The Isolation Tapes“ heißen wird, haben wir alle Texte danach ausgerichtet.

Es gibt aber auch andere Themen. Zum Beispiel im Song „The flat earth theory“.
Der Boom dieser ganzen Verschwörungsfantasien ging ja schon los, als wir die Texte geschrieben haben. Diese ganzen Theorien und die Fraktion der Impfgegner gab es natürlich schon lange davor. Und auch die Theorie, dass die Erde eine Scheibe sein soll, kursiert ja schon ewig, aber durch Corona wurde das erst richtig populär. Mit Bill Gates oder 5G und all diesen Sachen. Obwohl es nur ein kleiner Prozentsatz an Leuten ist, die an so was glauben, wurde es in den Medien natürlich überall ausgeschlachtet. Deshalb haben wir uns dessen auch angenommen und einen Song dazu geschrieben. Durch die jüngsten Demos in Berlin ist das Phänomen ja aktueller denn je, das wussten wir aber zu dem Zeitpunkt, als wir den Song geschrieben haben, natürlich noch nicht.

Was sagst du zu diesen Demos gegen die Corona-Auflagen in Berlin, den rechten Spinnern, Aluhüten und Reichsbürgern?
Diese Menschen haben natürlich die Bilder bekommen, die sie gebraucht haben, um sich zu inszenieren. Im Vorfeld wurden bereits große Fehler gemacht. Dass zum Beispiel der Berliner Innensenator die Veranstaltung aus politischen und nicht aus hygienischen Gründen absagen wollte. Es war natürlich ein Riesenerfolg für die Veranstalter, dass die Demo gerichtlich noch genehmigt wurde, und dazu kamen eben noch die Bilder vom Reichstag. Besser hätte die Demo für diese Leute nicht laufen können. Dabei war ja von allen Seiten vorausgesagt worden, dass die Initiatoren provozieren wollen. Das ist einfach Berlin, da sind oft die falschen Leute am Drücker, um etwas zu entscheiden. Für jeden Menschen, der auch mal an seine Mitmenschen denkt und nicht seine eigene Freiheit in den Vordergrund stellt, ist das natürlich eine Riesenschande gewesen.

Wie geht eine so fleißig tourende Band wie KADAVAR mit dem Lockdown um? Wie hart trifft euch das finanziell?
Mir tut es vor allem für die Leute leid, die für uns arbeiten. Unser Tontechniker, unsere Stagehands, unser Fahrer oder der Mann am Merchandise-Stand. Einfach die ganze Crew, die uns unterstützt. Die hatten ihr gesamtes Jahr mit uns durchgeplant. Diesen Schaden können wir natürlich nicht ausgleichen. Wir selbst haben weniger Probleme, weil wir auch noch Familie haben und unsere Partnerinnen arbeiten gehen. Ein paar Einschnitte gab es natürlich auch für uns, gleichzeitig haben wir aber auch die Chance genutzt und unser eigenes Label Robotor Records gegründet. Von Nuclear Blast hatten wir uns schon im Herbst nach vier Alben freundschaftlich verabschiedet. Mit dem Reingewinn aus dem neuen Album versuchen wir jetzt die Zeitspanne bis zur nächsten Tour zu überbrücken. Davon bezahlen wir unser Studio und private Dinge wie Miete oder Versicherungen.

Dann seid ihr jetzt fast eine lupenreine DIY-Band. Zwei von euch sind sogar gelernte Tontechniker, oder?
Genau, Tiger und ich. Außerdem habe ich früher mal als Booker gearbeitet. Aber Booking und Promotion geben wir gerne in andere Hände. Ich weiß einfach, wie viel Arbeit dahintersteckt. Alles andere haben wir immer gerne selbst erledigt. Es war uns immer wichtig, auf allen Ebenen mitreden zu können. Wir hatten früher mal ein Management, das uns viel Quatsch erzählt hat, und irgendwann haben wir beschlossen, dass wir das nicht mehr brauchen. Deshalb haben wir uns von all diesen Strukturen gelöst. Wir sind also schon eine ziemliche DIY-Band.

Ihr habt euch zudem von euren Rauschebärten getrennt. Gehört das auch zum Konzept?
Das war eher Zufall. Haha. Es sah einfach total bescheuert aus, unter den Mund-Nasen-Masken Vollbärte zu tragen. Dann haben wir sie einfach abgeschnitten, das hatte eher einen praktischen Hintergrund. Darüber haben wir wirklich nicht groß nachgedacht.