Es rumorte in der Szene. Oft stolperte man über den Namen der Band JULITH KRISHUN, doch wirklich zu Gesicht bekam man sie nur schwer. Hören konnte man auch nur etwas, wenn man sich durch den schieren Dschungel aus Kleinstveröffentlichungen gekämpft hatte, an die man aber nur mit erheblichem Aufwand kam. Das alles hat nun ein Ende: Die Chaos-Hardcoreler JULITH KRISHUN aus Dresden veröffentlichen mit ihrem selbstbetitelten Album eine ganz reguläre CD. Die kann man wie gewöhnlich kaufen, nerdy ist das Ganze aber trotzdem. Ein Gespräch über D.I.Y., schlechtes Gewissen und eine Subkultur, die nicht länger als solche wahrgenommen werden sollte.
Kaum zu glauben: JULITH KRISHUN veröffentlichen ein komplettes Album. Und das auch noch auf einer neumodischen CD. Fühlt ihr euch jetzt schlecht?
Paul: Schlecht, warum schlecht? Die meisten Leute hören nun einmal CDs, also war es an der Zeit. Wenn jemand Interesse hat, das Ganze noch als 12" zu veröffentlichen, wir würden es begrüßen. Die 10"-Split mit TRIP FONTAINE, auf der schon drei Songs von dem Album zu hören waren, ist beinahe komplett ausverkauft.
Wollt ihr nun weg von diesem Szeneding und mit einer CD eine breitere Öffentlichkeit ansprechen?
Paul: Sebastian von Sharkmen kam letztes Jahr zu uns und hat gefragt, ob er nicht unsere Songs auf CD veröffentlichen kann. Zuvor hatte er gelesen, wie sich einige Leute immer wieder beschwert haben, dass wir nur Vinyl hätten. Und da sowieso erst die Hälfte der 2006er Aufnahmesession auf Vinyl veröffentlicht war, dachten wir uns: Geil, bringen wir alles zusammen auf CD raus. So freuen sich auch die, die keinen Plattenspieler haben.
In Szene-Umfeld eures Labels stolpert man oft über den D.I.Y.-Begriff. Ist das für euch eine Art Lebenseinstellung oder macht man sich nicht selbst etwas vor und limitiert sich damit?
Paul: D.I.Y ist schon mehr oder weniger eine wichtige Sache, auch wenn wir sie nicht bewusst ausleben. Wir drucken unsere T-Shirts selbst, gestalten die Plattencover und buchen unsere Konzerte. Das alles ist aber nicht unbedingt zwingend. Wenn wir ein Design haben, was wir nicht selbst drucken können oder keine Zeit dazu haben, dann übernehmen das durchaus auch andere. Das Gute am Selbermachen ist, dass es meist schöner aussieht, man individuell arbeiten kann und zudem Geld spart. Vielleicht steckt im Endeffekt auch mehr Liebe darin.
Nico: D.I.Y. finde ich auch extrem wichtig. Gerade in Zeiten, in denen große Teile der Hardcore-Szene in kommerziellere Mainstream-Bereiche abdriften. Deswegen fühle ich mich auch auf großen Konzerten immer recht unwohl, weil der Anteil an Bollos und Mackergehabe oft überwiegt. Merkwürdigerweise ist das bei D.I.Y.-Konzerten viel weniger der Fall. Dort gibt es dadurch schon eine Art Ausgrenzung, weil einfach nicht jeder Bescheid gesagt bekommt, dass das Konzert überhaupt stattfindet. Das mit der Separierung ist zwar immer so eine Sache, aber ich für meinen Teil finde Konzerte einfach angenehmer, auf denen keine Bollos rumrennen, weil ich dann weniger das Gefühl habe, dass es nur um Unterhaltung, Konsumieren und Selbstdarstellung geht. Man könnte sagen, der Wert von Hardcore als Subkultur steht und fällt mit dem Festhalten am D.I.Y.-Gedanken: Je weniger D.I.Y. organisiert wird, desto oberflächlicher wird es. Oder andersrum: Je mehr Mainstream, umso weniger Inhalt hat die Szene. Das ist das Dilemma der Kulturindustrie.
Euch eilt euch ein chaotischer Ruf voraus. Ist das nicht zu engstirnig gedacht? Welche Bedeutung haben dann schleppendere Songs wie "Splintered myself"?
Paul: Wir hören alle unterschiedliche Musik und die Bandbreite vergrößert sich mit den Jahren immer mehr. Schleppendere Songs wie "Splintered myself" entstehen, weil wir da genauso Lust darauf haben wie auf die Prügelsongs. Eine Platte oder ein Konzert, bei dem die ganze Zeit durchgeballert wird, kann schnell langweilig werden. Andersherum ebenso. Deswegen sind wir nicht festgefahren, was die Spielweise angeht.
Was für eine Spielweise spiegelt dann euer Album wider?
Nico: Schwer zu sagen, eine übergeordnete Idee gibt es nicht. Jeder Text, den ich schreibe, ist sehr persönlich. Da spiegeln sich alle möglichen Sachen wider, die mich beschäftigen, mitsamt allen Widersprüchen, die ich in mir trage. Ein gewisses politisches Bewusstsein ist mir schon wichtig, nur lässt sich das leider nicht mit einem Satz beschreiben. Letzten Endes versuche ich einfach, Texte zu schreiben, die die Leute zum Nachdenken anregen. Mehr kann auch nicht der Anspruch sein, weil ich auch nicht einfach irgendwas vorsetzen will, was dann blind geschluckt wird. Auf jeden Fall ist das eine sehr zwiespältige Sache, bei der ich mich manchmal ganz schön unwohl fühle. Aber eigentlich teile ich ja nur meine Gedanken mit. Besonders ist es ja nur, weil es meine tiefsten Gedanken sind, die nun auf einmal auf dem Präsentierteller liegen. Irgendwie ist das schizophren. Aber die Grundidee der Texte ist auch, einen Blick auf die täglichen Widersprüche zu werfen, die nicht nur mich umgeben. Wenn man sich diesen Blick angewöhnt, wird es automatisch politisch. Aber man kann nur beschreiben, wirkliche Lösungen kann und will ich nicht anbieten. Jeder soll sich seine eigene Meinung bilden.
Musik ist doch aber ein Sprachrohr, dem eine Wirkung nicht abzusprechen ist. Welche Gedanken sollten in der Musik und den Texten mehr thematisiert werden?
Nico: Die Selbstreflexion der Hardcore-Szene kommt viel zu kurz. Es sollte ein zentraler Punkt jeder Subkultur sein, sich selbst zu hinterfragen, wo die Verflechtungen mit einem kapitalistischen System liegen und was das wiederum für Auswirkungen hat. Das ist das A und O, weil man von diesem Punkt aus zu allen möglichen anderen Themen kommen kann, seien es nun Thor-Steinar-Asis auf Konzerten, chauvinistisches Gehabe oder was auch immer. Alle Widersprüche, die man in der Gesellschaft findet, sind auch in der Hardcore-Szene wiederzufinden. Man muss von dem Ansatz der Identifizierung mit irgendwelchen Teilgesellschaften wegkommen. Die Leute gehören zwar der Hardcore-Szene an, sind aber immer noch ein Teil der gesamten Gesellschaft mit deren Werten. Die Welt wäre wesentlich angenehmer, wenn wir uns alle einfach nur als Menschen betrachten würden, nicht mehr und nicht weniger. Dann wäre es auch verdammt schwer, irgendwen zu diskriminieren, sei es durch Hierarchien oder durch Vorurteile.
Von Diskriminierung ist im Zusammenhang mit Ostdeutschland oft die Rede. Ein Vorurteil ist auch, dass - abgesehen von einigen wenigen Bands aus Leipzig, Dresden oder Chemnitz - nichts Überregionales aus eurem Raum kommt. Vermisst ihr ein kreativeres Umfeld, das solche Probleme verhindern könnte?
Paul: In Dresden ist definitiv recht wenig los. Die Szene ist klein und überschaubar, was aber eigentlich ganz gut ist. In manchen anderen Gegenden sehen die Konzerte tendenziell alle gleich aus. Hier in Dresden ist die Szene dafür bunt gemischt. Vielleicht wäre in der Tat ein größeres kreatives Umfeld für neue Impulse besser, aber zur Zeit gibt es noch nichts auszusetzen.
Nico: Es ist immer wieder schade, wenn ich sehe, wie viele Leute hier in der Region Musik machen, sei es elektronische oder gitarrenlastige. Da steckt gewaltiges Potenzial drin, wenn die Leute einfach ein bisschen mehr gemeinsam machen würden. Das wäre inhaltlich und musikalisch bestimmt spannend. Im Übrigen gilt das nicht nur für Dresden, sondern für jeden Fleck auf der Erde. Wie CrimethInc. gerne gesagt haben: "The sky is the limit!"
Christoph Schwarze
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #80 Oktober/November 2008 und
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #78 Juni/Juli 2008 und Thomas Eberhardt
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #92 Oktober/November 2010 und Thomas Eberhardt