JUGHEAD’S REVENGE

Foto© by Merle Gonzalez

Punk braucht mehr Verrückte!

JUGHEAD’S REVENGE tummelten sich seit Anfang der Neunziger Jahre im Dunstkreis der melodiösen Wesctcoast-Punkrock-Szene, obwohl sie auf ihren ersten beiden Alben in puncto Aggressivität und nihilistischer Attitüde eher an POISON IDEA oder BLACK FLAG erinnerten. Aufgrund mehrerer Labelwechsel (Do It!, BYO, Nitro Records) kam aber nie Kontinuität in den Werdegang der Kalifornier. Obwohl man mit allen Größen der Szene die Bühne teilte, blieben JUGHEAD’S REVENGE immer ein Geheimtipp. Von Anfang 2000 bis 2009 herrschte dann komplett Funkstille. Nach einzelnen Auftritten und einer Single im Jahr 2020 scheint jetzt wieder Bewegung in die Sache zu kommen. Es gibt einen erneuten Labelwechsel zu Sbäm Records, eine neue EP namens „Vultures“ und im Juni die erste Europatour seit 1998. Via Zoom erzählt Sänger Joe Doherty über den vergangenen und neuesten Stand der Dinge.

Joe, ihr seid im Moment sehr beschäftigt, wie ist das Jahr bisher verlaufen und was hofft ihr, 2023 noch zu erreichen?

Dafür haben wir keinen Plan. Erfahrungsgemäß passiert mit der Band immer genau das Gegenteil von dem, was wir ursprünglich vorhaben, daher lassen wir das einfach. Aktuell planen wir nur bis zum Sommer. Die neue EP kommt raus und wir haben die Tourdaten für Europa bestätigt. Was danach kommt, weiß ich nicht.

Es gibt eine sehr frühe Verbindung aus den Neunziger Jahren zwischen euch und dem Ox. Kannst du dich daran erinnern?
Ja! Einer eurer Schreiber, Thomas, hatte ein Label namens Do It! Records und er hat damals unsere frühen Sachen in Europa veröffentlicht.

Und es gab eine Split-Single mit NOFX für das Ox mit einer Live-Version von „Fabric of the mind“.
Stimmt! Die ist mittlerweile eine richtige Rarität, oder? Immer wenn das Gespräch mit jüngeren Leuten auf unsere frühen Veröffentlichungen kommt und ich diese Split-7“ mit NOFX erwähne, werde ich angeguckt, als sei ich geistig verwirrt. Niemand kennt diese Platte heute mehr und die Leute denken, ich würde mir das ausdenken, haha. Also danke ich dir sehr dafür, dass du das hier erwähnst und ich noch mal schwarz auf weiß einen Beweis dafür habe.

Stimmt es, dass euer Gitarrist Joey Rimicci damals bei NOFX einsteigen sollte, nachdem Steve Kidwiller die Band verlassen hatte, aber aus familiären Gründen ablehnen musste und El Hefe stattdessen kam?
Ja, das stimmt, Joey war für eine kurze Zeit dabei. Mike hatte damals gerade „Bob“ geschrieben und NOFX probten mit Joey zusammen mit unserem Equipment in unserem Proberaum. Aber Joeys Vater war damals sehr krank und daher entschied er sich, die Familie nicht zu verlassen.

Wo wir gerade bei Raritäten sind, ich habe noch einen Hoodie, den ich in Köln bei einer Show von euch mit den NOBODYS Mitte der Neunziger gekauft habe. Jemand hat mir mal 100 Euro dafür angeboten.
Oh ja, an die Tour kann ich mich gut erinnern. Ich liebe die NOBODYS. Ich glaube, das war 1996. 100 Euro sind eine Menge Geld. Es ehrt mich, dass du ihn behalten hast. Das war auf unserer vorletzten größeren Tour, danach war erst mal Schluss mit der Band.

Sammelst du selber auch Platten und Shirts? Widerspricht diese Fetischisierung von Dingen nicht dem Grundgedanken des Punk?
Ja, ich habe eine Menge Shirts und Platten. Allerdings kaufe ich Sachen nicht mit dem Hintergedanken, eine Sammlung aufzubauen. Es ist immer eine eher spontane Entscheidung. Was Vinyl betrifft, haben die Platten den größten sentimentalen Wert für mich, die ich am längsten besitze. Meine ersten Platten habe ich gekauft, als ich zehn oder elf Jahre alt war. Einiges davon ist mittlerweile ziemlich im Wert gestiegen, anderes gar nicht. Aber alle sind Teil einer Erinnerung an etwas.

In diesem Zusammenhang ist mir aufgefallen, dass ihr euren kompletten Backkatalog vor den Reissues auf eurer Homepage zum kostenlosen Download freigegeben habt.
Ja, für ungefähr zehn Jahre, komplett mit Artwork und allem. Aber mittlerweile ist er nicht mehr abrufbar. Wir haben uns damals dafür entschieden, weil wir von keinem unserer früheren Labels fair an den Plattenverkäufen beteiligt wurden. Irgendwann haben wir dann gedacht, okay, wenn wir sowieso nichts an den Alben verdienen, können wir sie auch kostenlos anbieten. Dann haben unsere Fans Zugriff darauf, ohne den Labels weiteres Geld in den Rachen werfen zu müssen.

Heute benutzt ihr wieder den kompletten Namen JUGHEAD’S REVENGE. Zwischenzeitlich habt ihr euch wegen eines Rechtsstreits mit den Machern der Archie-Comics JUGG’S REVENGE genannt. Ist der Name jetzt frei von Urheberrechten?
Wir dürfen darüber im Detail immer noch nicht sprechen, eben weil es einen Rechtsstreit um den Namen gab. Der entstand auch erst, nachdem Nitro Records, unser früheres Label, ein Shirt von uns mit einem Motiv aus dem Comic drucken ließ. Die Idee mit der Namensänderung kam nicht von uns als Band. Das war der Kompromiss, auf den sich die Anwälte von Nitro und dem Comic-Verlag einigen konnten.

Eure frühen Platten „Unstuck In Time“ und „It’s Lonely At The Bottom“, die Thee Slayer Hippy von POISON IDEA produziert hat, sind durchweg viel düsterer und aggressiver als die späteren Sachen. Erst mit dem dritten Album „Elimination“ kam der typische Westcoast-Sound.
Ja, unser Stil hat sich im Laufe der Zeit mehrfach verändert oder erweitert. Angefangen hat das damals mit Surf-Songs, die wir in unser Hardcore-Set eingebaut haben. Diese Veränderungen waren aber nie bewusst geplant. Oder sagen wir so, wenn es einen Plan gab, war das Ergebnis immer ein komplett anderes, wie ich vorhin schon erwähnte. Meistens ist uns das aber erst im Studio bei den Aufnahmen aufgefallen, haha. Wenn ich als Sänger beispielsweise versuche, ein neues Element in den Sound einzubringen, beginnt die Chemie in der Band zu arbeiten und das Endergebnis klingt dann völlig anders als die Ursprungsidee. Anfangs haben wir bei unseren Bandproben zwischendurch aus Spaß Surf-Songs gespielt. Als wir dann 1993 zum ersten Mal in Deutschland auf Tour waren, wussten wir nicht, dass die Bands hier den ganzen Abend lang spielen. Aus den USA kannten wir das so, dass Konzerte sechzig bis neunzig Minuten dauern und dann alle nach Hause gehen. Im Hamburger Störtebeker zum Beispiel wollten wir nach unserem Set unsere Sachen einpacken und die Leute waren irritiert und meinten, das könne doch nicht alles gewesen sein, wir sollten noch mehr spielen. Wir antworteten dann, dass wir keine Songs mehr hätten. Das war ihnen aber egal. Und darum fingen wir einfach an, die Surf-Nummern zu spielen, die wir beim Proben einfach aus Jux zum Aufwärmen benutzten. Das Publikum guckte uns anfangs an, als wären wir vom Mars. Damals war es noch ungewöhnlich, dass Hardcore-Bands auch Surf-Einflüsse hatten. Wie gesagt, das war 1993. Ein Jahr später kam „Pulp Fiction“ raus und auf einmal fanden alle Surf-Musik cool. Auf der nächsten Tour wurden dann speziell diese Songs von uns abgefeiert, weil jeder mittlerweile etwas von Dick Dale gehört hatte. Aber vergleiche den Sound der ROLLING STONES aus den Sechzigern mal mit dem in den Siebzigern und du hast eine komplett andere Band. Auch Punkbands verändern sich. Aber es gab bei uns nie einen Plan, radiotauglich oder so zu werden. Als Punkband ist das auch eine ziemlich irre Idee.

Heute hat der Sound der Neunziger Jahre für unsere Generation etwas Nostalgisches. Wie viel Nostalgie verträgt Punkrock, ohne inhaltlich irrelevant zu werden?
Das ist eine schwierige Frage! Innerhalb des Genres gibt es immer viel Bewegung und unterschiedliche Trends. Nach dem ganzen 77er-Punk-Zeug kam Hardcore mit BLACK FLAG, CIRCLE JERKS und so weiter. In dieser Zeit bin ich auch angefixt worden. Ab 1986 erschienen dann die ersten Crossover-Sachen, Thrash Metal, Crust und später wurden viele Leute zwischendurch mal Straight Edge oder Skinheads. Trends kommen und gehen. Was sich mit diesen Trends verschiebt, ist meiner Meinung nach die Messlatte dafür, welche Bands als Punk etikettiert werden. Nimm die Sachen aus den frühen Achtzigern. Aus heutiger Sicht können jüngere Leute nicht verstehen, dass einige dieser Bands damals als Punks bezeichnet wurden.

ALLEY CATS, WEIRDOS, so etwas in der Art?
Genau! Sachen, die einfach ein bisschen verrückter sind. Und ich habe das Gefühl, dass wir heute wieder mehr dahin kommen, offener zu sein. Der Mikrokosmos Punkrock öffnet sich aktuell wieder für verrücktere Ideen. Und das ist auch notwendig. Neulich wurde ich in einem Interview gefragt, wo ich Punkrock in zehn Jahren sehe. Darauf habe ich geantwortet, dass ich noch nicht einmal sagen könnte, wo er in drei Jahren ist, weil gerade so viel passiert. Er wird jedenfalls nicht sterben, aber sich zu etwas Neuem verändern. So viel steht fest.

Gab es für euch einen bestimmten Grund, ab 2009 wieder weiterzumachen?
Der Grund war der zwanzigste Jahrestag unserer Bandgründung. Anfangs waren nur ein, zwei Shows zum Jubiläum geplant, daraus ergaben sich immer mal wieder Einzelshows. Im Lockdown hingen wir dann wie alle Leute gelangweilt herum und daraus entstand die Idee, neue Songs zu schreiben. 2020 kam also die Single „American gesture“, der erste neue Songs nach knapp zwanzig Jahren.

Eure neue EP, die jetzt bei Sbäm rauskommt, ist eine Mischung aus Hardcore, Pop-Punk und ein paar Achtziger-Jahre-Reminiszenzen.
Ich finde, das neue Zeug ist eine Schnittmenge aus den Alben „Image Is Everything“ und „Just Joined“, also zeitlich gesehen aus unserer mittleren Phase. Natürlich glauben wir wie jede Band, dass die neuen Songs unsere besten bislang sind.

Der Titel „Vultures“ lässt sich mit „Aasgeier“ übersetzen. Aasgeier ernähren sich von Kadavern oder wehrloser Beute. Inwieweit ist das für eure neue EP sinnstiftend? Wer sind diese Aasgeier?
Der Track „Isolation time“ handelt davon. Es geht darum, seine Energie und Kraft in Leute zu investieren, die einen emotional aussaugen und entkräften und einen sinnbildlich wie Geier umzingeln. In den USA leben die Menschen momentan dauerhaft gefühlt mit einem Stresslevel von 8 auf einer Skala von 10. Jeder versucht irgendwie klarzukommen. Der Song beschreibt die Wahrnehmung, dass von allen Seiten an einem herumgezerrt wird.

In dem Song „Bridges“ singst du: „I’ve been on stage and I’ve been in jail.“ Stimmt das wortwörtlich? Kannst du etwas darüber erzählen?
Ja, es stimmt wortwörtlich. Und nein, ich möchte da nicht ins Detail gehen. Man kann den Song aber einfach als Bild dafür nehmen, dass es im Leben auf und ab gehen kann. Ich habe neben sehr guten Erfahrungen auch ein paar sehr beschissene gemacht. In „Bridges“ geht es eigentlich um Selbstermächtigung und die Erkenntnis, dass scheinbar unlösbare Probleme gelöst werden können. Und darum, dass du nicht alleine damit bist, sondern dass du einer von vielen Menschen bist, die sich gerade einem Problem stellen müssen. Nimm aus der jüngsten Vergangenheit die ganze Corona- und Lockdown-Sache. Jede:r fand sich in der gleichen Situation wieder, in der über Nacht dein Alltag nicht mehr funktioniert. Und „Bridges“ beschreibt den Zeitpunkt, in dem man zur Lösung eines Problems Dinge hinter sich lassen und dazu eben Brücken abreißen muss. Viele Menschen haben Angst davor, Dinge hinter sich zu lassen. Aber wenn es sich dabei um mehrheitlich schlechte Dinge handelt, will ich diesen auch keine Brücke hinterlassen, über die sie mich wieder einholen können.

Plant ihr auch noch ein komplettes Album? In letzter Zeit geht die Tendenz ja eher zur EP. Sind Alben deiner Meinung nach noch zeitgemäß?
Sogar BLINK-182 wollen nur eine EP anstatt eines Albums rausbringen. Ja, im Moment fühlt es sich besser an, nach dem Prinzip All Killer/No Filler zu arbeiten. Zumal wir eine so lange Pause gemacht haben. Da sehe ich gerade die Notwendigkeit von mehr Material nicht.

Haben sich deine eigenen Hörgewohnheiten verändert? Bist du noch ein Album-Hörer oder schon ein Playlisten-Hörer?
Beides! Je nach Tagesform. Als Mensch, der selber Musik aufnimmt und herausbringt, bedaure ich es aber, dass Alben immer weniger als kohärentes Stück Kunst wahrgenommen werden. Das Downloaden einzelner Songs versperrt dir die Sicht auf die Dramaturgie eines Albums. Die Wahrnehmung von Songs im Kontext eines Albums geht dadurch verloren. Ich finde, dabei entgeht einem beim Hören einiges. Andererseits beinhaltet auch nicht jedes Album ein bestimmtes Konzept. Und letztendlich ist ein sich wandelndes Hörverhalten auch die logische Konsequenz aus den technischen Veränderungen der digitalen Verfügbarkeit von Musik. Schallplatten kannst du nicht skippen.

Ihr kommentiert eure aktuelle Situation als Band auf eurer Website sinngemäß so: „Lasst uns etwas von dem Spaß haben, den das normale Leben uns genommen hat, und lasst uns einfach sehen, was passiert“. Das könnte auch ein Zitat aus den Anfangstagen einer Band sein, oder?
Am Anfang haben wir nicht einmal geplant, eine richtige Band zu sein. Zuerst haben wir nur als Freunde ein paar Coversongs gespielt. Die Stücke für unser Debüt „Unstuck In Time“ entstanden erst später. Und dann ging alles sehr flott. Erst kam die Platte und kurz danach waren wir auf einmal auf Tour in Deutschland und wunderten uns, warum das so schnell ging. Neulich habe ich auf YouTube eine Aufnahme von uns im Conne Island in Leipzig von 1993 gesehen und überlegt, wie spontan sich diese ganzen Entwicklungen als Band früher ergeben haben. Und diese Mentalität haben wir uns bewahrt. Wir reagieren immer auf eine Möglichkeit, die sich bietet. Pläne sind nichts für uns.

Was würdest du mit der Band gerne noch machen, was ihr noch nicht erlebt habt?
Ich würde gerne noch mal in Südamerika und Japan spielen. Vor ein paar Jahren waren wir in Australien mit BLACK FLAG und SNUFF. Das war ein Highlight für uns als Band. Aber ich habe keine Bucketlist mehr in dem Sinne. Wir haben im Laufe der Jahre mit so vielen tollen Bands gespielt, die ich seit meiner Jugend liebe und verehre. An unerfüllten Wünschen ist da ansonsten nichts.