JOHN NIVEN

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Ein netter junger Mann

Der schottische Autor John Niven legte 2008 mit „Kill Your Friends“ einen furiosen Roman hin, der ihn auf einen Schlag in die erste Liga der sogenannten Popliteratur katapultierte. Nach einem Ausflug in den Bereich des Thrillers mit „Das Gebot der Rache“ kehrte Niven mit seinem jüngsten Roman „Straight White Male“ in sein eigentliches Metier zurück: die zynisch-unterhaltsame Satire. Im März war er zum vierten Mal in Deutschland auf Lesetour, begleitet von seinem kongenialen Mitstreiter Nagel. Ich traf John vor seiner Lesung im Münsteraner Gleis 22.



John, im örtlichen Stadtmagazin wirst du als „Poetry Punk“ angekündigt. Ist das okay für dich?


Den Ausdruck höre ich zum ersten Mal. Aber klar, warum nicht? Ich liebe Poesie und ich liebe Punk. Damit kann ich leben.

Hierzulande firmieren deine Bücher als Popliteratur. Gibt es dieses Genre in deiner Heimat Großbritannien auch und was verstehst du darunter?

Nun, wir haben keinen vergleichbaren Ausdruck dafür. In gewisser Weise falle ich, was das angeht, durch das Raster, da meine Bücher nicht literarisch genug sind, damit ich als klassischer Literat durchgehe, sie aber andererseits auch nicht in die typischen Kategorien wie Horror und so weiter passen. Insofern ist die Bezeichnung Popliteratur schon eine geeignete, da meine Bücher sich mit Popkultur, dem Entertainment-Business und eben auch mit Musik beschäftigen.

Dein neues Buch „Straight White Male“ ist nicht umsonst voll mit Erwähnungen von und Anspielungen auf Rock’n’Roll-Bands wie die ROLLING STONES oder THE CLASH und Typen wie Iggy Pop.

Das ist quasi in all meinen Bücher der Fall. Mein Lektor hat sich übrigens die Mühe gemacht, die ganzen Songs, die in „Straight White Male“ vorkommen, auf einer Compilation-CD zusammenzustellen. Insgesamt sind das 15 oder 16, was mir gar nicht so bewusst war. Musik spielte für mich immer schon eine wichtige Rolle. Früher war ich sogar in einer Band und dachte, bis zum Alter von 22 oder so, ich würde ein Rockstar werden, was dann aber nicht so kam, haha.

In gewisser Weise bist du heute einer.

Das würde ich gerne glauben, aber ich fürchte, die Wahrheit sieht sehr viel langweiliger aus, haha.

Dann lass uns über deinen aktuellen Roman reden. Kannst du uns zunächst eine kurze Zusammenfassung geben?

Es geht um einen Typen namens Kennedy Marr, der als Romanautor tätig war, jetzt aber in Hollywood lebt und dort Drehbücher verfasst. Genauer gesagt nimmt er sich bereits fertiger Scripte an und bringt sie in Form, wofür er sehr viel Geld bekommt. So kann er ein glamouröses Leben führen, hat aber tatsächlich viele Probleme: Er gibt noch mehr aus, als er ohnehin schon verdient, er hat enorme Steuerschulden, er ist zweimal geschieden und sieht seine in England lebende Tochter kaum. Und er ist ein sexsüchtiger Alkoholiker. Die meisten seiner Probleme scheinen sich in Luft aufzulösen, als ihm eine Universität einen sehr hoch dotierten Literaturpreis anbietet, für den er allerdings nach England zurückkehren muss, um an der Uni ein Jahr lang Creative Writing zu unterrichten. Dort muss er sich seiner Vergangenheit stellen, da seine Exfrau an der gleichen Uni tätig ist und seine Mutter daheim in Irland im Sterben liegt. Es geht also im Kern um eine Midlife-Crisis.

Dabei scheint der Protagonist Kennedy Marr auf den ersten Blick ein perfektes Leben zu führen mit seiner Villa in den Hollywood Hills, den ganzen Celebrities, die er kennt, und den vielen attraktiven Frauen, mit denen er schläft.

Oberflächlich betrachtet ist sein Leben in der Tat perfekt. An einer Stelle im Buch sagt Kennedy, dass er von einem Leben ohne jede Rücksichten träumt. So etwas gibt es natürlich nicht. Man kann sein Leben zwar so leben, wie man es möchte, kann dabei aber nicht ignorieren, dass man es in seinem Umfeld mit Menschen zu tun hat, auf die man eine gewisse Rücksicht nehmen muss. Kennedy hat dies nie getan. Er befindet sich nun an einem Punkt in seinem Leben, wo er merkt, dass es so nicht weitergeht und dass er sich ändern muss.

Kann man sagen, dass es sich um einen Coming-of-Age-Roman handelt, obwohl der Protagonist bereits in seinen Vierzigern ist?

Ja, durchaus. Kennedy ist sehr unreif, weil er schon sehr früh zu einem erfolgreichen Schriftsteller wurde. Mit 28 wurde er für den renommiertesten britischen Literaturpreis vorgeschlagen und mit seinem Debütroman zum Millionär. Er hat deshalb nie gelernt, mit Verantwortung umzugehen. Ein paar Jahre später ist er dann nach L.A. gegangen und hat den dortigen Lifestyle voll aufgesogen, was seiner Entwicklung alles andere als zuträglich war. Dies rächt sich jetzt und er muss lernen, erwachsen zu werden, wenn man so will.

Beim Lesen von „Straight White Male“ ertappt man sich zwangsläufig bei dem Gedanken, dass es zwischen der Hauptfigur und dir als Autor mehr als nur die eine oder andere Gemeinsamkeit geben muss. Schließlich seid ihre beide in etwa gleich alt und als erfolgreiche Schriftsteller tätig.

Etwas von mir steckt in jedem meiner Charaktere, also auch in Kennedy. Sein Auftreten ist aber deutlich monströser als meines, hoffe ich. Übertreibung gehört nun einmal zu einer Satire dazu. Andererseits teile ich viele seiner Einstellungen. Ich höre immer wieder von Leuten, dass sie Kennedy für ein Arschloch halten, zumindest im ersten Teil des Buches. Für mich aber ist Kennedy ein durchaus angenehmer Typ, was wahrscheinlich eine Menge über mich aussagt.

Wie du schon angedeutet hast, warst du früher in einer Band. Erzähl mal mehr darüber.

Ich ging damals zur Universität und war zwanzig, als es mit unserer Band losging. Wir nannten uns THE WISHING STONES und machten Indierock. Irgendwie bekamen wir einen Plattenvertrag bei einem kleinen Label und gingen drei- oder viermal als Support von Bands wie THE WEDDING PRESENT oder THE WEATHER PROPHETS auf landesweite Tourneen. Es lief eigentlich ganz gut und machte vor allem jede Menge Spaß. Als ich 23 war, spielten wir in London und sahen uns vorher den London-Marathon an und wollten uns ein Eis kaufen, hatten aber nicht genug Geld dafür, weil wir so arm waren. Ich beschloss deshalb, an die Uni zurückzukehren und meinen Abschluss zu machen. Danach bekam ich durch eine Reihe von Zufällen einen Job in der Musikindustrie.

Davon handelt auch dein Roman „Kill Your Friends“, mit dem du deinen großen Durchbruch als Schriftsteller hattest. Wusstest du damals schon, dass du später einmal ein Buch über das Musikbusiness schreiben würdest?

Nein, zu dem Zeitpunkt noch nicht. Was ich wusste, war, dass ich einmal Schriftsteller werden wollte. Als ich dann nach ein paar Jahren die Plattenfirma, für die ich arbeitete, verließ, fing ich mit „Kill Your Friends“ an, was aber nicht richtig hinhaute. Kennedy Marr sagt in „Straight White Male“, dass man die Erfahrungen, die man gemacht hat, erst verarbeiten muss, bevor man darüber schreiben kann. Und das stimmt. Ich widmete mich deshalb einem anderen Roman, „Music from Big Pink“, meinem Debüt. Mit dem Abstand von ein paar Jahren kam ich dann auf „Kill Your Friends“ zurück und konnte den Roman einfach so runterschreiben.

Das Bild, das du in dem Buch von der Musikindustrie entwirfst, ist ein ziemlich krasses: Die Leute, die dort arbeiten, haben keine Ahnung von guter Musik und interessieren sich nur für Kohle, Kokain und schnellen Sex. Wie viel von dem entspricht der Wirklichkeit?

Nicht alles stimmt natürlich, aber gewisse Aspekte schon. Man muss da unterscheiden. Bei kleinen Labels arbeiten in der Regel Leute der Musik wegen, während bei den Majors – zumindest zu meiner Zeit – eine Kultur der Gier und des Hedonismus vorherrschte. Da ging es in der Tat nur ums Geld- und Partymachen. Man darf dabei nicht vergessen, dass damals erfolgreiche Bands alleine in Großbritannien bis zu 1,5 Millionen CDs zum Preis von 15 bis 20 Euro verkauften und dementsprechend viel Geld im System vorhanden war. Heute werden viel weniger CDs verkauft und das auch noch zu einem geringeren Preis.

Du bist gerade zum wiederholten Male auf Lesetour in Deutschland. Wie muss man sich solch eine Lesung von dir vorstellen?

Ich habe immer jemanden wie Nagel bei mir auf der Bühne, der meine Passagen auf Deutsch vorliest. Wir reden dann darüber und ich lese anschließend den nächsten Auszug auf Englisch vor und streue dabei das eine oder andere Wort auf Deutsch ein, was häufig zu einer gewissen Heiterkeit führt. Zu mehr reicht es leider nicht. Insgesamt lesen wir aus sechs Kapiteln, die in der Summe hoffentlich ein gutes Bild von dem Roman vermitteln.

Ist es wirklich notwendig, jemanden wie Nagel oder Bela B auf der Bühne zu haben? Vermutlich sprechen doch deine Leser ein gepflegtes Englisch.

Das ist sehr unterschiedlich. An manchen Abenden merkt man dies deutlich, da das Publikum schon bei mir viel lacht und nicht erst, wenn die gleiche Passage auf Deutsch vorgelesen wird. Es kommt wohl auf die Mischung an. Außerdem darf man nicht vergessen, dass wir nicht nur Auszüge aus meinem Roman vorlesen, sondern Nagel mich zwischendurch auch interviewt.

Und das Publikum? Kann das auch Fragen stellen?

Ja, das ist häufig der beste Part für mich. Das Publikum in Deutschland ist allerdings sehr zurückhaltend, was das angeht. Ich muss schon sehr eindringlich darum bitten, doch Fragen zu stellen. Wahrscheinlich sind die Meisten einfach zu schüchtern oder denken, es sei uncool. Wenn dann aber der Bann gebrochen ist, kommen mehr Fragen. Für mich sind Fragen immer sehr interessant, weil sie häufig Aspekte ansprechen, die man als Autor so nicht sieht.

Gibt es dabei auch typisch deutsche Fragen?

Oh ja. Manche Fragen sind eher oberflächlich, übrigens auch von Journalisten in Interviews. „Der Protagonist in deinem neuen Buch ist Schriftsteller. Ist das nicht sehr klischeehaft?“ So etwas werde ich nur in Deutschland gefragt, weil ihr Deutsche halt sehr direkt seid. Damit habe ich aber kein Problem, zumal es häufig nicht als Kritik gemeint ist. Erst vor ein paar Tagen fragte mich eine Leserin in Berlin, ob nicht das Ende von „Straight White Male“ sehr „contrived“, also gekünstelt sei, was für einen Muttersprachler wie eine Beleidigung klingt, von ihr aber gar nicht so gemeint war, weil ihr das Ende tatsächlich gefiel. So etwas nehme ich immer mit Humor.