John Lurie war Gründungsmitglied der LOUNGE LIZARDS, ist Schauspieler, Jazzmusiker und war Moderator der US-amerikanischen Kultserie "Fishing with John". Er komponierte Filmmusik sowohl für vier Frühwerke von Jim Jarmusch (wobei er in dreien auch selber mitspielte) als auch für größere Hollywood-Produktionen wie "Get Shorty" und "Excess Baggage". Er hatte Gastauftritte in Werken von namhaften Regisseuren wie Wim Wenders' "Paris, Texas", Martin Scorseses "Last Temptation Of Christ" und "Wild At Heart" von David Lynch. Lurie trat in Modeschauen in Tokio auf und fischte zusammen mit Dennis Hopper in Thailand nach einem riesigen Tintenfisch.
Die Masse der Aktionen, in die er involviert war, ist beeindruckend. Unglücklicherweise ist Lurie seit einigen Jahren schwer krank. Eine Nervenkrankheit - bedingt durch die Infektionskrankheit Lyme-Borreliose, die durch einen Zeckenbiss ausgelöst wird - schränkt ihn stark in seiner Mobilität ein und beendete seine Karriere als Musiker und Schauspieler. Seitdem lebt er zurückgezogen in seinem Apartment in New York und arbeitet als Künstler - mit großem Erfolg.
Der 52-Jährige hat schon immer gemalt, so stammten bereits die Cover der LOUNGE LIZARDS-Alben "No Pain For Cakes" und "Queen Of All Ears" von ihm. Seit 2002 stand er im Mittelpunkt von sehr erfolgreichen Ausstellungen in Amsterdam, Zürich, München und Basel. Er hatte eigene Ausstellungen in New Yorks PSI Contemporary Art Center und im Musée des Beaux Arts in Montréal. Seine Gemälde wurden in die dauerhafte Ausstellung des Museum of Modern Art aufgenommen und werden bald auch im Mudam in Luxemburg gezeigt. Über seine Kunst existieren bereits zwei Bücher: "Learn To Draw", veröffentlicht von Walther König in Köln, und aktuell: "A Fine Example Of Art", herausgegeben vom Künstler selbst und erschienen bei PowerHouse Books - alle darin abgebildeten Gemälde enstanden nach Ausbruch seiner Krankheit.
Eines seiner Gemälde hat in Russland einen seltsamen Trend ins Leben gerufen. Das Bild, "Bear Surprise", zeigt ein Pärchen beim Sex und einen Bären daneben, der die Arme hochreißt und dem Pärchen "Surprise" zuruft. Es ist in Russland unter dem Namen "Preved Medved" bekannt und erlangte im Internet einige Popularität. Ersetzt wurde das "Surprise" hierbei durch das Wort "Preved", einer Mischung aus den russischen Wörtern "privet" (hallo oder hi) und "medved" (Bär) und taucht in verschiedenen Kontexten auf.
Enttäuschungen in der Kunstszene, seine schlechte Gesundheit und die überwältigende Unordnung in seinem Appartement führten dazu, dass er vorläufig nicht malt. Derzeit ist Luries Passion für Online-Poker sein einziges kreatives Unternehmen.
Erzähl mir etwas über deine Krankheit. Wann genau hat sie begonnen?
Das war 1986, als die Platte "No Pain For Cakes" veröffentlicht wurde. Ich reiste nach Frankreich, um das Album zu promoten, und dann nach Japan. Auf dem Rückweg flog ich nach Hawaii, um zu entspannen, und als ich aufwachte, dachte ich, "Ich fühle mich nicht gut. Das ist kein Jetlag, ich habe keine Ahnung, was das ist." So fing es an. Ich blieb drei Monate im Bett und seitdem kommt und geht es.
Und wann begann sie, maßgeblich in dein Leben einzugreifen?
Na ja, es hat mich immer behindert, aber ich konnte mich immer zusammenreißen und auf Adrenalin umschalten, um Sachen zu erledigen, also wenn ich auf Tour war, auf der Bühne, oder wenn ich Filmmusik komponiert habe. Aber vor fünfeinhalb Jahren, irgendwann Juni 2002, hatte ich meine erste richtige Attacke. Ich spielte noch in der HBO-Serie "Oz" mit und es sollte eine Nacktszene mit mir geben, also trainierte ich wie verrückt. Und plötzlich fühlte ich mich wie auf LSD in einem Boot auf dem Ozean, alles um mich herum verschwamm, Lichter blitzten und ich konnte mein Gleichgewicht nicht mehr halten. Ich fühlte diese seltsamen Stromstöße, von meinem Herz kommend und meinen linken Arm hinabfließend. Ich ging ins Krankenhaus und sagte: "Ich weiß nicht genau, aber ich glaube, ich könnte gerade einen Herzinfarkt haben." Und sie gaben mir Medikamente. Ich fühlte mich besser und wurde entlassen, aber diese seltsamen Stromstöße gingen noch für etwa zwei Tage weiter. Nach einer Woche habe ich wieder trainiert und es passierte dasselbe. Von nun an passierte ständig etwas - meine Beine wurden taub, meine Hände funktionierten nicht oder ich bekam Sehstörungen. Bienen stachen mich, die gar nicht da waren, Leute kratzten über unsichtbare Tafeln. Mein Blutdruck stieg und fiel willkürlich und erzeugte wirklich angsteinflößende Gefühle in meiner Brust - nach einiger Zeit habe ich aufgehört, zur Notaufnahme zu gehen, weil ich lieber daheim sterben wollte als in deren Obhut.
Und Schulmedizin hat nicht geholfen?
Ich gehe nicht einmal mehr zu Ärzten. Im Moment mache ich eine Ozontherapie - danach fühle ich mich immer für eine halbe Stunde, als würde ich sterben. Die Theorie dahinter ist, dass Ozon die Lyme-Bazillen tötet, aber es fühlt sich wirklich nicht ungefährlich an. Offensichtlich ist es ungefährlich, aber wie ich mich danach fühle, ist absolut grässlich.
Immerhin hast du es geschafft, das Buch herauszubringen. Ich weiß, dass du Schwierigkeiten mit Power House Books hattest, bist du insgesamt trotzdem zufrieden?
Eigentlich gleicht es all die gruseligen Dinge aus, die mit dem Verlag vorgefallen sind. Ich dachte schon, ich würde es hassen, dieses Buch im Haus zu haben, aber sie haben wirklich gute Arbeit beim Druck geleistet, es ist sehr schön geworden und ich bin wirklich stolz darauf. Ich mache ja wie gesagt dieses Ozon-Behandlung. Ich gehe also dorthin, ein Freund ist dabei und hat das Buch mitgenommen. Und diese exzentrische Rezeptionistin fragt: "Was haben Sie da?" Also zeigt er ihr das Buch und sie schaut es sich an. Sie ruft den Chiropraktiker und sie sehen sich zusammen das Buch an. Das Nächste, was ich weiß, ist, dass da auf einmal ein älterer schwarzer Mann, eine Chinesin um die 40, eine Teenagerin und noch eine Frau um die 30 da stehen, und alle schauen sie über die Schulter der Rezeptionistin und sehen sich mein Buch an - einige lachen. Ich gehe zu meinem Termin mit dem Doktor, ich bin etwa eine halbe Stunde drin und als ich wieder herauskomme sind alle in exakt derselben Position, lachen und zeigen auf Dinge im Buch. Sie da so hingerissen stehen zu sehen, über dreißig Minuten, und das in New York, wo doch jeder unter einer Aufmerksamkeitsdefizitstörung leidet, war wirklich cool für mich. Es zeigte mir, dass ich wirklich etwas Bedeutsames getan habe.
Und machst du im Moment irgendwas Kreatives?
Nein, vielleicht ist es einfach an der Zeit, für eine Weile Pause zu machen. Wenn ich alles katalogisieren würde und hier rausschaffen, um es irgendwo zu lagern; wenn ich wüsste, dass alles an einem sicheren Ort wäre, geordnet ... Wenn ich nur ein bisschen Ordnung in all mein Zeug bekommen könnte, wenn ich etwas Luft bekäme, wenn ich irgendwo anders wäre, würde ich wahrscheinlich wieder anfangen, an irgendwas zu arbeiten. Aber ich habe Angst! Ich bin keine Kämpfernatur mehr, ich habe keinerlei Kraft mehr. Meine Nerven kommen mit der Arbeit nicht mehr klar, also, wenn irgendwer unfreundlich zu mir ist oder zu spät kommt - ich kann damit einfach nicht mehr umgehen.
Bekommst du gelegentlich Fan-Mails aus Russland wegen deines Bildes "Bear Surprise"?
Ja, aber meistens sind das nur Ansammlungen von seltsamen Wörtern mit Ausrufezeichen. Diese ganze Sache ist total bizarr für mich. Ich meine, sie benutzen meinen Bären für Werbung. es gibt eine Bank, die ihn auf ihren Geldautomaten abbildet, und ungefähr 20 Kondomhersteller benutzen ihn auch. Aber ich habe keine Ahnung von Urheberschutzrechten in Russland, habe keine Ahnung, was ich eigentlich tun sollte. Während eines Fußballspiels lassen sie meinen Bären auf der Anzeigetafel erscheinen und das ganze Publikum springt auf und ruft: "Preved!" Das ist doch total seltsam, oder?
Hast du viele Fans in Russland?
Nein, ich glaube, die meisten wissen nicht einmal, wer ich bin. Sie benutzen das Bild einfach, weil sie denken, es sei lustig.
Es gibt einige Motive in deinen Bildern, die sich regelmäßig wiederholen - Kruzifixe oder Leute, die von Erscheinungen überrascht werden. Oder bedrohliche lustige Tiere.
Ja, aber nichts davon ist besonders durchdacht. Es passiert halt einfach, ich plane das nicht wirklich. Es ist eher so, dass ich denke: "Hier sollte noch ein X sein." Und dann mache ich eins. Es ist also eher das Unterbewusste, welches sich auf meinen Gemälden abbildet.
Erzähl mir etwas über "Hittites Attaching the Schnabel".
Das war sozusagen ein bisschen Rache für den Film über Basquiat. Basquiat war ein guter Freund von mir. Julian Schnabel spielte ein bisschen Stalin, so wie er die Geschichte umschrieb, und das regt mich auf. Ich und Vincent Gallo, zwei wirklich wichtige Personen in Jean Michels Leben, werden beide von Benicio del Toro gespielt - wir wurden in eine Person umgewandelt. Und dann Julian selbst, eine Randfigur, von dem besten Schauspieler dieser Zeit gespielt, Gary Oldman. Ich habe mir den Film deshalb nie angesehen. Es gibt sicher auch viel Gutes über Schnabel zu sagen, aber ich will seine Filme nicht sehen.
Okay, wechseln wir das Thema. Die New Yorker Musik-Szene Ende der 70er, Anfang der 80er erscheint mir so riesig und cool. Du hast ja damals noch Leute wie JAMES CHANCE AND THE CONTORTIONS sehen können ...
Sie waren unglaublich. Man wird das nicht verstehen, wenn man nur die Studioaufnahmen kennt, aber live war es das Beste, was ich jemals gesehen haben. Sie beeinflussten mich gewaltig. Ich war Jazzmusiker, aber Jazz machte einfach keinen Sinn mehr für mich, der Fortschritt fehlte. Ich meine, ich liebe das, was Ornette Coleman, John Coltrane oder Eric Dolphy gemacht haben. Aber es gibt echt vieles, was ich nur maßlos übertrieben finde. Dann sah ich die Band und ich dachte nur: "Das ist perfekt!" Sie haben mich wirklich sehr beeindruckt.
Und was hörst du jetzt?
Nichts.
Nichts?!
Na ja, es ist einfach anstrengend für mich. Erstens bin ich zu krank, um selber Musik zu machen, also es ist schrecklich, welche zu hören. Zweitens kann es neurologisch wirklich schwierig sein. Ich höre mir nicht oft irgendwas an.
Du wirst also nie wieder Musik machen?
Es sieht ganz danach aus.
Allan MacInnis
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #80 Oktober/November 2008 und