Drummerboy dieser Ausgabe ist Johannes Hinz aus Bergen auf Rügen, der seit nun über zwanzig Jahren für den unverwechselbaren Drumsound seiner Band COR verantwortlich ist. Johannes live zu erleben, ist schon ein Erlebnis der besonderen Art, wenn er sein Schlagzeug wie ein Berserker, aber trotzdem mit äußerster Präzision bearbeitet. Hier wird Schlagzeugspielen zum Vollkontaktsport und es war dringend an der Zeit, Johannes zu seinem Werdegang zu befragen. Das Gespräch fand im Vorfeld eines COR-Konzerts in Quedlinburg statt.
Johannes, hast du auch schon als kleines Kind auf den Töpfen deiner Eltern herumgetrommelt?
Nein, überhaupt nicht. Ich hatte eigentlich gar keine Lust zu trommeln und es war auch nie der Plan, dass ich Schlagzeug spielen wollte. Mein Bruder Friedemann spielte bei uns zu Hause immer Schlagzeug und den habe ich immer dabei beobachtet, aber interessiert habe ich mich dafür nicht. Irgendwann sind einige Mitschüler aus meiner Klasse zu einem Percussion-Workshop an der Musikschule gegangen, zu dem ich eigentlich gar nicht mitgehen wollte, aber es gab da dieses eine nette Mädchen, das mich dann doch dazu überredet hat teilzunehmen. Ich fand das aber ziemlich bekloppt, weil da lauter Kinder waren, die halb so alt waren wie ich und alles viel schneller begriffen. Also habe ich den Workshop abgebrochen und das Trommeln sein lassen. Dann hat mein Bruder sein Schlagzeug bei uns zu Hause in eine nicht mehr benötigte Gartenlaube unserer Eltern gestellt und da stand das dann herum und ich habe begonnen, für mich allein zu trommeln.
Kommst du aus einer musikalischen Familie?
Nein, das kann man so nicht sagen. Es gab da einen Opa, den ich nie kennengelernt habe, der Klavier oder Orgel spielte, aber meine Eltern spielten kein Instrument. Meine beiden älteren Brüder mussten zunächst noch Flöte lernen, aber als die dazu keine Lust mehr hatten und aufhörten, brauchte ich damit zum Glück gar nicht erst anzufangen.
Wie bist du dann als Jugendlicher zum Punkrock gekommen?
Mein Bruder Friedemann ist ja acht Jahre älter als ich und trommelte schon länger in Bands. Mein Vater hat uns zum Glück immer unterstützt und mich und einen Kumpel, der später unser Bassist wurde, zu den Konzerten von meinem Bruder gefahren. Mein Bruder hat immer ganz wild Doublebass gespielt und das fand ich klasse. Außerdem hat mich die Atmosphäre bei den Konzerten begeistert und da war ich schon von der Musik angefixt. Später war eher das Problem, dass bei uns nichts los war, und wenn wir gerade mal nicht hart gefeiert haben, saßen meine Kumpels und ich nachmittags immer nur auf dem Sofa herum. Irgendwann habe ich beschlossen, dass ich doch besser Musik machen könnte, um den Arsch hochzukriegen. Meine Kumpels haben ein halbes Jahr später irgendwie mitbekommen, dass sich da bei mir was tut, und haben ebenfalls angefangen, Musik zu machen.
Zu was für Musik hast du bei euch in der Gartenlaube angefangen zu trommeln?
Ich hatte damals so ein altes Metal-Schlagzeugbuch, das ich mir früh organisiert hatte, und da habe ich für die ersten Basics hineingeschaut. Ansonsten habe ich einfach losgelegt und mir alles autodidaktisch selbst beigebracht. Die Sache mit der Doublebass lief auch gleich von Anfang an relativ schnell sehr gut. Manche Drummer müssen sich das ja ganz langsam erarbeiten, aber ich hatte Glück und konnte das recht schnell lernen. Ich habe mir irgendwelche Sachen vorgestellt und einfach losgelegt. Die Songs mussten nur möglichst schnell sein.
Gab es damals irgendwelche Drummer, denen zu nachgeeifert hast?
Nein, eigentlich habe ich mich nie von anderen Drummern inspirieren lassen. Wir haben als Jugendliche viel so Sachen wie DIE ÄRZTE gehört und später ganz viel PANTERA, aber die Schlagzeuger wollte ich nie kopieren. Später habe ich in einer Progressive-Metal-Band gespielt und die haben mir zum Üben CDs von DEEP PURPLE und BLACK SABATH und diese ganzen Geschichten gegeben und ich konnte mit diesen scheußlichen Sachen wirklich nichts anfangen, habe mich aber doch irgendwie in dieses Thema hineingehört. Mein Bruder hat mir dann CDs von MOTÖRHEAD und PANTERA in die Hand gedrückt und auch da konnte ich zuerst gar nicht verstehen, warum er das so toll fand. Ich habe damals die Musik nie analytisch gehört, sondern selbst einfach immer nur drauflos getrommelt. Nur an eine Geschichte erinnere ich mich, dass ich einen Song von LIFE OF AGONY gehört habe, bei dem der Drummer einen triolischen Wirbel gespielt hat, den ich so abgefahren fand, dass ich ihn mir unbedingt erarbeiten musste.
Hast du später auch mal Schlagzeugunterricht gehabt?
Ich hatte das Problem, dass meine Handhaltung zum Trommeln nicht optimal war, daher hat sich mein Arm immer verkrampft und ich konnte nicht richtig schnell spielen. Um das in den Griff zu bekommen, habe ich mich nach vier Monaten bei der Musikschule angemeldet, aber leider wollte der Musiklehrer irgendwann nur noch in Richtung Jazz unterrichten und ich wollte halt Punk, Metal und Hauptsache schnell spielen. Also haben sich unsere Wege relativ bald wieder getrennt und ich habe die Musikschule noch innerhalb der Kündigungsfrist wieder verlassen. Ich war also nur drei oder vier Mal beim Unterricht, aber immerhin hatte sich das Problem mit der Handhaltung da schon gelöst.
Hast du dir danach die Basics selbst beigebracht oder waren dir Figuren wie Paradiddle und Ähnliches eher egal?
Wenn mir bei Lieblingssongs von mir besondere Schlagzeugfiguren aufgefallen sind, habe ich schon versucht herauszubekommen, was der Drummer da eigentlich spielt. Ansonsten habe ich einfach sehr viel für mich allein geübt. In den ersten Jahren manchmal bis zu drei Stunden am Tag und dann lief die Sache eigentlich ziemlich gut. Als meine Kumpels auch endlich anfingen, Musik zu machen, waren wir auf ganz unterschiedlichen Ebenen, so dass ich schon in einer anderen Band spielte, als sie ihre erste Punkband gründeten. Das war 1998, aber wir waren halt beste Freunde und der Bassist und der Gitarrist waren schließlich mit an Bord, als wir 2002 COR gegründet haben.
Wie kam es dazu, dass du mit deinem sieben Jahre älteren Bruder eine Band gegründet hast?
Friedemann war ja damals mit seiner Band TONNENSTURZ relativ viel unterwegs und wir hatten bei uns in Bergen einen Kulturverein gegründet, der zehn Proberäume und einen Veranstaltungsraum hatte. Mein Bruder hatte mit den Resten von TONNENSTURZ einen Übungsraum neben dem Proberaum meiner Band und da hat er mich eines Tages einfach gefragt, ob wir nicht was zusammen machen wollen. Meiner Band war damals auch gerade der Sänger weggelaufen und wir waren zu dritt auf der Suche nach einem neuen. Friedemann hatte gerade zwei Songs geschrieben und fragte bei uns an, ob wir uns nicht mal zusammen hinsetzen wollten. Von da an ging es Schlag auf Schlag.
War von vornherein klar, dass du der Schlagzeuger sein würdest, obwohl dein Bruder ja auch Drummer war?
Ja, einer von uns musste ja singen und ich bin zum Singen absolut ungeeignet. Ich habe auch keinen Bock, mich vorne am Bühnenrand hinzustellen, und habe nicht dieses große Mitteilungsbedürfnis. Mein Bruder eignet sich viel besser dazu und hat außerdem schon immer die Texte geschrieben. Zum Anfang von COR war das manchmal wirklich wild, weil Friedemann schon gern mal in das Schlagzeug gesprungen ist und bei mir einmal ein Bassdrumbein abgebrochen ist. Und ein anderes Mal hat sich meine Welle von der Doublebass-Fußmaschine verbogen. Bei einem Gig zu Silvester hatte er sich in dem Moment über das Schlagzeug gebeugt, als ich auf das Crashbecken schlug, und hat sich auf der Stirn einen bösen Cut abgeholt. Das war schon eine wilde Zeit.
Erinnerst du dich noch an die Konzerte mit deiner ersten Band?
Das war mit meiner damaligen Band PROBLEMZONE, bei denen ich den ausgestiegenen Schlagzeuger kurzfristig ersetzt hatte. Das war auch wirklich eine problematische Band, denn die haben nie regelmäßig geübt, aber der Bassist hat mir damals erklärt, dass Konzerte spielen total geil ist. Ich war eigentlich anderer Meinung und hatte nicht wirklich Bock aufzutreten, aber irgendwann musste es wohl sein und so haben wir im Nachbardorf auf der Geburtstagsfeier von seinem Cousin unseren ersten Gig gespielt.
Bist du eigentlich mit COR das erste Mal in einem Tonstudio gewesen?
Nein, ich hatte schon vorher mit meiner Band SUMATRA im Studio Harroland bei Harro Müller in Veltheim am Harz erste Erfahrungen gesammelt. Die Band hatte damals dieselbe Besetzung wie COR, nur mit einem anderen Sänger, und wir haben so progressiven Metal mit Fünf-Minuten-Songs gespielt. Wir haben bei unseren Freunden DAY AFTER auf einer Party gespielt und waren eine Woche lang im Harz zu Gast. Jemand auf dieser Party wusste, dass man bei Harro Aufnahmen machen konnte, und so haben wir unsere erste 5-Song-CD aufgenommen. Harro war auch sehr lustig drauf und nett zu uns und hat uns gleich erklärt, dass wir die Aufnahmen am besten ganz locker angehen sollen. Mit COR hatten wir 2001 angefangen, die ersten Stücke zu schreiben, und 2002 haben wir schon unsere erste Platte aufgenommen. Zwischendurch hatten wir eine längere Pause, weil mein Bruder einen Knoten auf seinen Stimmbändern hatte, ansonsten wären wir wohl noch schneller gewesen.
Wir erlebst du die Arbeit im Studio heute?
Also bei Aufnahmen im Studio muss man sich natürlich immer sehr konzentrieren und bei Musik wie der von COR ist das immer ein bisschen wie Sport. Ich muss mich vorher richtig aufwärmen, mache irgendwelchen sportlichen Übungen, dann muss es aber auch losgehen. Je nachdem wie viele Takes ich für einen Song brauche, kann das schon recht anstrengend werden. Seit 2015 nehmen wir unsere Platten mit Eike Freese in Hamburg auf und der hat dieses Talent, dass er aus dir alles herauskitzelt, was geht. Der gibt sich eben nicht damit zufrieden, wenn du einfach nur einen Song durchgespielt hast, sondern versucht, mit dir zu arbeiten und noch das Letzte herauszuholen. Gerade als wir jetzt unsere letzte Platte in den Chameleon Studios in Hamburg mit ihm aufgenommen haben, habe ich extrem viel gelernt, aber das waren auch sehr anstrengende Tage. Aufgrund des Budgets hatte ich zwei Tage Zeit für die Schlagzeugaufnahmen und nach zwölf Songs in zwei Tagen war ich auch fix und fertig.
Würdest du dich eher als Arbeiter oder eher als Techniker bezeichnen?
Das sollte möglichst eine Mischung aus beidem sein. Technisch soll das Spielen natürlich okay sein, aber insbesondere dieser ganze Fluss und die Energie, die in dem Spiel zum Ausdruck kommen, sind mir wichtig. Die Gesamtheit muss stimmen. Ein technisch perfekter Schlagzeuger bin ich sicherlich nicht, denn mir sind eigentlich die Emotionen, die ich transportieren möchte, immer wichtiger.
Wie hat sich in den vergangenen 24 Jahren der Aufbau deines Schlagzeugs verändert?
Tatsächlich bin ich meinen Basics immer sehr treu geblieben. Bei dem Schlagzeug, das heute im Konzertraum aufgebaut ist, ist die Bassdrum immer noch original. Ich hatte irgendwann einmal alle Kessel, die ich im Laufe der Jahre angesammelt hatte, zu einem Schlagzeugbauer nach Berlin gebracht und der hat mir alle, die noch brauchbar waren, komplett überarbeitet. Das Schlagzeug, das ich heute spiele, ist dabei herausgekommen und die Toms habe ich auch schon so etwa zwanzig Jahre. Zu Hause im Übungsraum habe ich noch ein zweites Schlagzeug stehen, mit dem ich auch ins Studio gehe, aber ansonsten bin ich kein großer Sammelnerd. In dem Rostocker Studio, in dem wir die Drumparts für das letzte Album aufgenommen haben, ist der Besitzer so ein Sammler und hat mir für jeden Song ein anderes Drumset hingestellt. Da brauche ich gar nicht erst anzufangen, mir irgendwelches Zeug zu kaufen, weil der sowieso schon alles vor Ort hatte. Bei mir zu Hause habe mir früher einmal aus allen Trommeln, die ich so hatte, ein richtig großes Schlagzeug mit zwei Bassdrums und vielen Toms zusammengebastelt, aber das brachte viele Probleme mit sich. Man hat dann die Beine viel breiter auseinander und auch die Toms hängen weiter auseinander, so dass alle Wege irgendwie länger und unpraktischer werden. Außerdem muss man ein größeres Schlagzeug bei Konzerten natürlich auch immer hinschleppen und dann jeden Abend auf- und wieder abbauen. Somit war das für mich nie ein Thema. Ich hatte relativ früh mit der Doppelfußmaschine angefangen und bin damit immer noch sehr zufrieden.
Sind dir in den vergangenen Jahrzehnten auf Tour Drummer begegnet, die dich nachhaltig beeindruckt haben?
Als wir 2014 auf Kuba getourt haben, waren wir mit TENDENCIA unterwegs, die später auch in Deutschland gespielt haben. Deren Schlagzeuger war ein ganz junger Kerl, der wirklich beeindruckend war, weil er einfach in sein Spiel diesen südamerikanisch-kubanischen Rhythmus integriert hatte. Der Hintergrund ist auf Kuba ja ein ganz anderer als hier bei uns. In Deutschland kaufst du dir eben ein Instrument, machst Musik und spielst mit deiner Band Konzerte, aber auf Kuba geht es für die Musiker darum, dass die Band ihnen irgendwann einmal die Möglichkeit eröffnet, das Land zu verlassen und durch die Musik andere Länder kennen zu lernen. Das hat man dann auch gemerkt, weil der Typ mit einem ganz anderen Einsatz dabei war als die Drummer hierzulande. Der konnte nicht nur die geilsten Metal-Rhythmen, sondern dazu auch noch fantastisch Percussion spielen. Aber wie gesagt, mich interessieren eigentlich nicht einzelne Schlagzeuger, sondern eher das Gefühl, das eine Band in ihrer Gesamtheit transportiert.
Kannst du dir vorstellen, nach zwanzig Jahren COR noch mal eine ganz andere musikalische Richtung einzuschlagen?
Wenn ich musikalisch etwas Neues machen würde, dann müsste es etwas komplett anderes sein. Mit COR haben wir natürlich ein gewisses Grundgerüst, das sich, trotz aller Variationen, immer wiederholt und von daher könnte ich mir nur vorstellen, mit Leuten zusammenzuspielen, die mich in eine komplett andere Richtung beeinflussen. Ich bin gerade dabei, mich in Richtung Percussion mit Djembén und anderen afrikanischen Instrumenten zu orientieren, weil ich Bock darauf habe, zukünftig Kurse für Kinder anzubieten, und in diesem Zuge habe ich festgestellt, dass es wirklich ganz großartige Workshops in diesem afrikanischen Style gibt. Da hat man so ganz andere Rhythmen und ich bin eigentlich für alle Sachen offen. Es muss aber für mich Neuland sein, das mich musikalisch, rhythmisch wirklich bereichert. Konkrete Pläne habe ich allerdings noch nicht, denn ich bin ja auch in der Band ziemlich eingespannt. Wir haben 2022 über zwanzig Konzerte gespielt und neben dem Booking mache ich ja auch noch das Rügencore-Label und den Siebdruck der Shirts. Damit bin ich ausreichend beschäftigt und es bleibt für andere Sachen wirklich wenig Zeit.
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #166 Februar/März 2023 und Christoph Lampert