JOE STRUMMER & THE MESCALEROS

Am 22.12.2002 starb mit Joe Strummer einer der für mich persönlich wichtigsten Musiker und Sänger. In den letzten Wochen vor seinem Tod hatte er zusammen mit seiner Band, den MESCALEROS nach einer ausgiebigen Tour bereits schon wieder im Studio gestanden, um an einem neuen Album zu arbeiten. Ich glaube, es besteht kein Zweifel daran, dass es, wenn ein Musiker stirbt, auch immer eine verständliche Nachfrage über sein Schaffen gibt, nur kommt es auf die Art und Weise an, wie dieser Nachlass vermarktet wird.

In der Regel laufen fast zeitgleich die großen Verkaufsmaschinerien an, um eventuell ein letztes Mal das schnelle und große Geld mit dem Vermächtnis des Verstorbenen zu machen. Plötzlich wird der Markt überschwemmt mit schlechten Outtakes, minderwertigen Liveaufnahmen und natürlich „In Memoriam“-Artikeln in großer Auswahl. Tatsächlich scheint Joe Strummer für die Industrie keine derartig wichtige Position eingenommen zu haben, eine Tatsache, die ihm bestimmt gefallen hätte, weil weder R.I.P.-T-Shirts auf den Markt kamen, noch eine ungeheure Flut von unveröffentlichtem CLASH-Material, oder dergleichen aus seiner Solo-Karriere. Im Falle von THE CLASH mag es sein, dass in den letzten Jahren mit diversen CD-Boxen bereits das Pulver verschossen wurde. Im Falle seiner Soloarbeiten gibt es noch so einiges, was bislang nur in kleinen Fankreisen kursiert. Sei es der nie offiziell veröffentlichte Soundtrack zum Film „When Pigs Fly“, zu dem Strummer acht Songs eingespielt hatte, der aber schließlich durch einen anderen, kommerzielleren Soundtrack ersetzt wurde, oder seien es zahllose Outtakes und Kollaborationen mit anderen Musikern.
In den meisten Fällen hätte man davon ausgehen können, dass die letzten Aufnahmen eines Musikers so schnell wie irgendwie möglich auf den Markt gekommen wären, nicht um die Fans zu erfreuen, sondern aus den entsprechenden kommerziellen Gründen. In meinen Augen spricht es für alle Beteiligten, dass die Aufnahmen, die bei den Studiosessions entstanden, erst jetzt, ein knappes Jahr nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Anstatt das Material schnell fertig zu stellen und den oben genannten Verkaufseffekt schnell und ergiebig zu nutzen, ließ man sich die Zeit, die es brauchte, ein gutes Album daraus zu machen, das in erster Hinsicht Joe Strummer gerecht werden sollte.
Mehr oder weniger wurde das gesamte Album von den beiden MESCALEROS Scott Shields und Martin Slattery fertiggestellt. Mit Slattery unterhielt ich mich am Telefon über die neue Platte und deren Zustandekommen. Im Februar 2002 war die Band erstmals im Studio: „Damals gab es tatsächlich nur allererste Ideen,“ so Slattery. „Wir hatten mehrere Sessions, und tatsächlich entstand vieles von dem, was jetzt auf der Platte ist, bereits zu diesem Zeitpunkt. Allerdings gab es damals nur erste Gitarrenriffs. An diesen Sachen haben wir dann bis zum Sommer immer wieder gearbeitet.“
Einige der Songs wie „Coma Girl“ oder „Get down Moses“ wurden bereits während der „Bringin‘ it all back home“-Tour gespielt. Fast unmittelbar nach Beendigung der Tournee im September ging man gemeinsam ins Rockfield Studio in Wales, um die ersten Songs aufzunehmen. Dabei entstanden die beiden genannten Stücke und einige Instrumentals, für die noch kein Text da war. Von diesen Songs kam allerdings nur „Midnight Jam“ auf das neue Album. „Dieser Song basierte auf einem Gitarrenriff, mit dem unser Bassist Simon Stafford im Tourbus ankam. Es hatte allen direkt gefallen, und so haben wir ihn Ende Dezember als eine der letzten Aufnahmen in Rockfield eingespielt. Joe hatte noch keinen Text dazu geschrieben und daher noch nicht darauf singen können. Das sollte nach der Weihnachtspause geschehen. Es war schließlich meine Idee, einige Wordsamples aus Joes Radioshow World Service dafür zu nehmen. Der Grund war vor allem, weil Joe diesen Song so sehr mochte, also sollte er unbedingt mit auf das Album.“
Wenn man Joe in den besagten Wordsamples sagen hört „This is London Calling“, bleibt natürlich eine gedankliche Hommage an THE CLASH nicht aus. Eine weitere Hommage scheint der Song „Burnin‘ Streets“ zu sein. „Wir hatten diesen Song bereits letztes Jahr zusammen mit Joe für ein anderes Projekt aufgenommen. Als wir ihn später hörten, fanden wir allerdings die Musik nicht wirklich angemessen. Also haben wir den Song überarbeitet. Es war einer von Joes Songs, ob es so was wie eine Hommage, oder nur ein Zitat war, kann ich ehrlich nicht sagen.“
Während der Aufnahme-Session von Johnny Cashs letztem Album „The Man comes around“ befand sich Strummer für eine Woche in L.A., wo die Aufnahmen stattfanden. Strummer hatte für Cash eigens den Song „Long Shadow“ geschrieben und wollte ihm den Song für seine Platte schenken. Rick Rubin erzählt, dass Strummer in dieser Zeit jeden Tag vorbei kam, nur um Cash bei seinen Aufnahmen sehen zu können und schließlich sogar noch eine zweite Woche dranhing, um dabei zu sein. Rubin kam schließlich auf die Idee, dass die beiden ein Duett singen sollten. Zur Auswahl standen „Three Little Birds“ oder der Bob Marley-Klassiker „Redemption Song“. „Joe wollte schon immer was mit Johnny Cash machen. Er bewunderte ihn sehr. Wir hatten das Glück, dass Rick Rubin sehr kooperativ und froh war, dass er die beiden Songs, die bei dieser Session entstanden, zum Album beisteuern konnte. Es war für ihn das Beste, was er mit den Aufnahmen machen konnte. Für uns war es natürlich großartig, dass es diese beiden Aufnahmen gab. Sie passten hervorragend zu dem, was Joe mit uns zusammen gemacht hatte und gleichzeitig hatten, wir zwei Songs mehr für das Album.“
Auch der Song „Silver & Gold“ ist eine Coverversion des Songs „Before I grow to old“ von Bobby Charles. Mir fiel auf, dass der Song bereits 2000 im Liveset vorkam.
„Es war einer von Joes Lieblingssongs. Eigentlich sollte er bereits auf ‚Global a Go-Go‘ erscheinen. Tatsächlich war es einer der ersten Songs, die wir damals für das Album aufgenommen hatten. Da wir am Ende so viele eigene Sachen hatten, passte der Song nicht mehr in den Rahmen und fiel deswegen weg. Das war eigentlich schade, weil alle den Song gut fanden, und Joe eine hervorragende Interpretation daraus gemacht hat.“
Neben den Schwierigkeiten, ein homogenes Album fertig zu stellen, kam natürlich für alle Beteiligten noch der Schock durch Strummers völlig unerwarteten Tod hinzu. Dabei stellt sich auch die Frage, wie man mit der Trauer umgeht, wenn man gleichzeitig an etwas zu arbeiten hat, an dem der Hauptprotagonist nicht mehr beteiligt ist?
„Die Arbeit an ‚Streetcore‘ war deswegen besonders schwer, weil wir während der Arbeit permanent Joes Stimme hörten. Damit meine ich jetzt nicht den Gesang, sondern vor allem die Parts zwischen den Aufnahmen. Wenn Joe an diesen Stellen rief ‚Hey Marty, Hey Scotty, can you blow us back to the top‘, dann war das schon manchmal sehr heftig, man hört es eben so, als sei er mit dir im Studio. Wir fühlten uns aber auf eine Art verpflichtet, das Album fertig zu stellen. Ich weiß, dass es immer Leute gibt, die es nicht in Ordnung finden, wenn posthum noch Sachen erscheinen. Aber ich kann nur sagen, dass es keine einfache Sache ist, die man mal eben so macht, und damit meine ich nicht nur die Arbeit, die wie damit hatten. Ich glaube, dass Joe glücklich darüber wäre, dass wir seine letzte Arbeit vollendet haben.“
Unabhängig davon, dass ich als Fan ebenfalls darüber froh bin, dass diese Aufnahmen nicht unvollendet geblieben sind, gibt es natürlich noch die moralische Frage, wie Menschen dazu stehen, die Joe besonders nahe standen, wie beispielsweise seine Frau Lucinda.
„Joes Frau liebt das Album. Ich glaube, sie war schon sehr glücklich damit, dass wir nach seinem Tod die Entscheidung getroffen haben, ins Studio zu gehen, um zu sehen, was für Material bis dahin fertig war. Es ist für sie wirklich wichtig zu wissen, dass die Leute hören, was Joe gemacht hat, und was er vorhatte zu machen. Wir haben guten Kontakt zueinander, auch innerhalb unserer Familien. Wir treffen uns auch gelegentlich. Sie ist eine wirklich sehr nette Person.”
Mit den MESCALEROS hatte Strummer nach Jahren der Bühnenabstinenz wieder eine Band zusammengestellt, die unglaublich homogen war, die ihren dichten Sound nicht nur im Studio, sondern auch live perfekt rüberbrachte. Die MESCALEROS, betonte Joe Strummer in dem Interview, das ich mit ihm für Ox #48 gemacht hatte, seien für ihn mehr als eine Begleitband. Auch wenn sein Name davor stünde, verstand er sich als Teil der Gruppe. Nach Strummers Tod stellt sich natürlich auch für die Frage, ob und wie es weitergeht.
„Es gibt im Moment keine Überlegung mehr darüber. Am Anfang hatten wir darüber nachgedacht, sind jedoch zu dem Entschluss gekommen, dass es keine gute Idee wäre, weiterzumachen. Wir sind durch Joe zusammengekommen, ohne ihn geht es nicht. Von dem, was wir zusammen gemacht haben, könnten wir sowieso nichts mehr spielen, weil ihn keiner ersetzen kann und soll. Ich glaube, es ist traurig, aber tatsächlich ist die Band mit Joe beerdigt worden.“
Anfänglich war noch im Gespräch, die vorhandenen Aufnahmen mit einigen Liveaufnahmen zu mischen, um ein vollständiges Album daraus zu machen. Dadurch, dass allerdings genug Material vorhanden war, kamen lediglich auf die Singleauskopplung „Coma Girl“ zwei Liveaufnahmen. Tatsache ist, dass es unzählige Mitschnitte von Konzerten der MESCALEROS gibt, was natürlich die Frage aufkommen lässt, ob es posthum auch noch ein offizielles Livealbum geben wird. „Von unserer Seite gibt es vorerst keine Pläne für ein Livealbum. Ich hatte mal die Idee einer DVD eines Konzertes, aber daraus ist nie etwas geworden. Für uns stand tatsächlich nur die Fertigstellung dieses Albums an. Das war das Wichtigste und weitere Pläne gibt es derzeit nicht. Vielleicht sollte man mal sehen und nächstes Jahr darüber nachdenken. Ich fände es schon große klasse, die Band war live absolut großartig, ich habe sie wirklich geliebt.“