JIM LINDBERG

Foto© by Brent Broza

Mehr als nur der Typ von PENNYWISE

Wofür er im normalem Musikerleben bekannt ist, ist klar: Jim Lindberg ist derjenige, der bereits zahllose Teens und angehende Erwachsene mit den Songs seiner Band PENNYWISE auf die Straße gen Punkrock gebracht hat. Am liebsten mit einem Skateboard unter den Füßen, weil wir ja hier durchaus von Helden des Skatepunk sprechen. Und „Bro hymn“ ist längst ein Klassiker. Was bislang so gar nicht bekannt war: Jim Lindberg kann auch andere Songs als Drei-Akkorde-Bretter schreiben. Also ist die Veröffentlichung seines ersten Soloalbums „Songs From The Elkhorn Trail“ durchaus ein Gespräch wert.

Jim, wenn ich auf dein Shirt schaue, das du für unser Zoom-Interview übergestreift hast, dann lese ich auf ihm drei Wörter: „hart“, „schnell“ und „laut“. Das alles ist dein Soloalbum gerade nicht.

Haha, das stimmt. Dann müsste dort stehen: „soft“, „langsam“ und „leise“.

Und es heißt „Songs From The Elkhorn Trail“. Diesen Trail gibt es wirklich, wie ich herausfinden konnte: in Colorado, wo er als Wanderstrecke gepriesen wird. Wanderstrecken sind aber nun nicht das, was zu einem Musiker passt, der normalerweise mit seiner Punkband unterwegs ist.
Du hast recht. Da muss ich ein wenig ausholen: Es gibt einen Song auf dem Album, „Don’t lay me down“, der von meinem Vater handelt, der vor einigen Jahren an Alzheimer gestorben ist. Mein Vater war für mich und meine musikalische Karriere enorm wichtig. Und auch wenn ich weiß, dass die meisten Leute aus der Punk-Szene eher ein schwieriges Verhältnis zu ihren Eltern hatten oder haben, war es bei mir nicht so. Mein Vater hat mich nicht nur darin bestärkt, aufs College zu gehen. Er hat mir auch gesagt „Mach das!“, als ich ihm später eröffnete, ich würde jetzt doch alles hinschmeißen und mit meiner Band auf Tour gehen. Er hat mir meine erste Gitarre gekauft. Er hat mich musikalisch geprägt – lange bevor ich RAMONES, SEX PISTOLS oder BLACK FLAG hörte, kannte ich durch ihn Frank Sinatra, Roger Miller oder Country-Künstler wie Willie Nelson oder Waylon Jennings. Und wir machten mit ihm sehr häufig Ferien in Palm Springs oder Joshua Tree, womit ich sehr viele wunderbare Erinnerungen verbinde. Wir wohnten dort in einem kleinen Ferienhäuschen mit Swimmingpool. Machten Ausflüge in die Wüste. Und eine Straße, in der eines dieser Häuschen stand, hieß eben Elkhorn Trail. In diese Gegend habe ich mich jetzt auch zurückgezogen, um die Songs für dieses Album zu schreiben. Dort hatte ich meine Ruhe. Konnte mich ganz auf die Songs konzentrieren – mit Zigarettenpackungen und Whiskyflaschen um mich herum, haha.

Songs, die mit denen von PENNYWISE überhaupt nichts mehr zu tun haben.
Richtig.

Was ist für dich als Songwriter der Unterschied zwischen einem Solo-Song und einem für deine Band?
Wenn ich einen PENNYWISE-Song schreibe, dann weiß ich genau, für wen ich ihn schreibe und wie er klingen muss. Die Band erwartet ebenso wie die Fans harten, lauten Skatepunk. Im Falle meiner Soloplatte aber ist das anders. Da war nichts geplant. Sie kamen einfach raus aus mir. Ohne Filter. Weil sie sehr persönlich sind und ich sie nicht, wenn man so will, für die ganze Welt schreiben musste. Mit einem PENNYWISE-Song muss ich die Leute vor der Bühne dazu bringen, durchzudrehen und zu tanzen. Jetzt aber ging es um etwas anderes.

Um Storytelling?
Exakt. PENNYWISE-Songs drehen sich zwar nicht nur, aber hauptsächlich um Themen wie „Lebe das Hier und Jetzt!“ oder „Kämpfe gegen die Mächtigen!“ Es geht ums Feiern. Meine Solosachen sind anders. Der älteste, „The basement“, handelt etwa von den Gedanken, die ich als Teenager hatte, wenn ich in meinem Zimmer im Keller war, über mich und mein Leben grübelte und mich dort irgendwie eingeschlossen fühlte. In anderen geht es eben um meinen Vater. Um meine Mutter. Und es geht um die Zeit als Erwachsener – in dem Sinne, dass du dann plötzlich womöglich deinen Job verlierst, dass du wie ein Stück Müll aussortiert wirst. Und dass du vorher, ehe du erwachsen wirst, auf all diese Sachen nicht vorbereitet wirst. Und auf eins erst recht nicht, nämlich dass deine Lieben um dich herum fortgehen, fortziehen – oder eben sterben können. Es geht um Einsamkeit. Ich kenne viele dieser Erfahrungen selbst und möchte anderen Menschen, die sich mit derlei Sorgen womöglich alleingelassen fühlen, sagen: Nein, ihr seid nicht alleine.

Nach dem Motto: Das hier ist meine Geschichte und ich teile sie mit euch?
Ja. Entsprechend sind das eben keine Songs für, übertrieben gesprochen, feierwütige 14-Jährige. Weißt du, wenn ich eine elektrische Gitarre in die Hand nehme, dann ist mir vollkommen klar: Jetzt kommt ein PENNYWISE-Song. Was bedeutet, ich schreibe ihn nach einem bestimmten Muster. Aber wenn ich eine akustische Gitarre in die Hand nehme und mich mit ihr hinsetze, dann kommt ein echter Song aus mir heraus. Mit einer Geschichte. „Don’t lay me down“ etwa passierte mir auf diese Weise einfach so. Ich spielte – und da war er. Das ist für mich die reinste Form von Songwriting.

Die du wie häufig praktizierst?
Sagen wir so, ich habe über die Jahre schon unzählige Songs auf diese Weise geschrieben. Und ich habe die meisten davon von vornherein aussortiert und sammele sie separat, weil ich weiß, die würden nie zu PENNYWISE passen. Denn es ist schwer, wirklich persönliche Songs in diesem Bandkontext unterzubringen. Dafür aber finden sie sich nun eben mitunter auf „Songs From The Elkhorn Trail“ wieder.

Du sagst „viele“ Songs. Es könnten also noch weitere Soloalben folgen.
So ist es. Das will ich auf jeden Fall. Meine Frau hat nach dem ersten Hören schon gefragt: „Wann nimmst du die nächsten Songs dieser Art auf?“ Haha.

Andere Musiker mit Punkrock-Hintergrund haben ebenfalls schon Soloplatten veröffentlicht, die anders als das klingen, was sie mit ihren Bands machen: Joey Cape von LAGWAGON, Tony Sly von NO USE FOR A NAME, Greg Graffin von BAD RELIGION, Fat Mike von NOFX, Chuck Ragan von HOT WATER MUSIC, Jesse Malin von D GENERATION.
Das ist richtig. Und diesbezüglich ist es mir wichtig zu betonen: Ich bin zweifelsohne inspiriert von dem, was insbesondere Joey Cape, Greg Graffin oder Tony Sly da gemacht haben. Und es wäre auch okay, wenn die Leute am Ende über meine Platte sagen sollten: „Das gefällt mir nicht.“ Aber ich will auf gar keinen Fall, dass sie sagen: „Jim Lindberg macht nur einen auf Trend. Das ist ja nichts anderes als der Frontmann von PENNYWISE mit einer Akustischen in der Hand, der auf Country-Typ macht!“ Die Leute denken ja immer, dass wir Punkrocker nur drei Akkorde draufhaben. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil: Solo habe ich viel mehr Zeit, Botschaften in meinen Liedern zu vermitteln – weil die Tracks nicht mehr nach zwei Minuten vorbei sein müssen.

Und die Leute haben die Gelegenheit, etwas mehr und etwas Persönlicheres über dich, über Jim Lindberg, zu erfahren als in „Bro hymn“?
Ja, auch das, haha. Die Leute wissen danach vielleicht – siehe den Verweis auf meinen Vater –, warum dieser Kerl von PENNYWISE überhaupt mal auf die Idee kam, eine Gitarre in die Hand zu nehmen.

Was ist dein All-time Favorite in Sachen Singer/Songwriter-Alben?
Wenn es um Alben oder auch das ganze Werk eines Musikers geht, dann sicherlich Waylon Jennings. Dann folgt, ein wenig später, ein Künstler wie Billy Bragg. Aber ansonsten ist es vielmehr ein Song: Es gab eine sehr seltsame Zeit in den Siebziger Jahren, in der sich vieles um QUEEN und Elton John drehte, lange bevor Punk losging. Dafür interessierte ich mich nicht wirklich. Wohl aber gab es damals einen Musiker namens Harry Chapin, der das Stück „Cats in the cradle“ schrieb. Darin geht es um einen Vater, der immer nur unterwegs ist und nie Zeit für seine Kinder hat. Das kannte ich erstens auch von meinem Vater, der Verkäufer und nur selten zu Hause war, weil er eben hart für die Familie arbeitete. Und zweitens merkte ich später, dass dieser Song eben auch auf mich zutraf, als ich nämlich anfing, mit PENNYWISE auf Tour zu gehen. Das prägte mich extrem. Auch ich sah meine Kinder dadurch manchmal sehr lange nicht. Das ist ja bis heute so. Und entsprechend hat dieser Song seit jeher einen großen Einfluss auf mich. Umso mehr, als ich irgendwann herausfand, dass Chapin ein sehr guter Kumpel von John Lennon war.