THE JESUS LIZARD sind alter US-Band-Adel. File under: Punk, Noise, Alternative. Gegründet 1987 in Austin, TX in jener Szene, die auch THE DICKS, BIG BOYS und THE BUTTHOLE SURFERS hervorbrachte. Und die aus SCRATCH ACID hervorging, jener Band, wo David Yow (voc) und David Sims (bs) zuvor zusammen lärmten, Yow noch an der Gitarre. Nach deren Ende entstanden THE JESUS LIZARD, mit Duane Denison an der Gitarre und Schlagzeug vom Computer. 1988/89 der Umzug nach Chicago, wo sie Teil der Touch and Go-Labelfamilie wurden und Drummer Mac McNeilly dazustieß.
Vier Alben und ein paar Kleinformate dort waren die Folge, dann der Wechsel zu einem Majorlabel mit der üblichen Folge: Band kaputt. 1996 das Ende. 2008 ein kurzes Aufflammen, wieder Stille. Dann 2017 die Rückkehr, in Originalbesetzung – aber keine neue Platte. Bis jetzt: im September 2024 kommt auf Ipecac „Rack“. Ein Titel mit vier Buchstaben. Wie immer. Wie das alles kam, das wollte ich mir erklären lassen und vereinbarte ein Gespräch mit Bassist David Sims – und wurde zusammen mit diesem davon überrascht, dass nach zehn Minuten auch noch Sänger David Yow Einlass in unseren Zoom-Call begehrte.
David, wo erwische ich dich? Sieht angesichts von Schallplatten und Stereoanlage nach deinem Wohnzimmer aus.
Sims: Ja, ich bin in meiner Wohnung in New York City.
Zu dir findet sich die Angabe, dass du „Certified Public Accountant“ bist, was so ungefähr dem staatlich geprüften deutschen Buchhalter entspricht. So ein Zahlenjob klingt für viele von uns subkulturell Sozialisierten nicht so spannend. Was hat das für dich interessant gemacht?
Sims: Ja, ich bin seit 2003 Buchhalter. Weißt du, ich hatte schon immer eine gewisse Tendenz in dieser Richtung. In den Bands, in denen ich mitgespielt habe, war ich immer derjenige, der sich um das Finanzielle gekümmert und dafür gesorgt hat, dass wir bezahlt werden. Ich war es, der eine Liste der Konzerte geführt hat, die wir gespielt haben und mit wem wir gespielt haben und so weiter. Ich denke, wer mich persönlich kennt, für den ist diese Berufswahl keine große Überraschung.
Als du deine Prüfung gemacht hast, warst du schon 40.
Sims: Ich habe schon in den 1980er Jahren angefangen, Buchhaltung zu studieren, als ich noch in Austin lebte. Das wurde unterbrochen, als ich nach Chicago zog. In den 1990er Jahren schloss ich dann mein Buchhaltungsstudium an der DePaul University in Chicago ab. Aber dann bin ich nie dazu gekommen, in dem Bereich zu arbeiten, weil ich meinen Lebensunterhalt mit Musik verdiente. Es ist also nicht so, dass ich 2003 ganz plötzlich diesen Beruf ergriffen hätte. Das war seit ein paar Jahrzehnten in Arbeit, aber die Musik hat mich immer wieder abgelenkt.
Würdest du jeder Band empfehlen, jemanden mit soliden Zahlenkenntnissen dabei zu haben?
Sims: Ich glaube nicht, dass es in jeder Band möglich ist, jemanden dabei zu haben, der das macht, was ich mache. Es gibt einfach nicht genug Leute, die so sind wie ich. Aber sie sollten zumindest jemanden außerhalb der Band kennen, dem sie vertrauen und der sich um diese Dinge kümmern kann. Aber ja, das ist auch ein gewisser Aufwand und kann teuer werden. Das ist übrigens meine Arbeit, denn neben THE JESUS LIZARD kümmere ich mich für andere Bands um solche Sachen, also Business Management und so weiter, aber ja, das kann sich nicht jeder leisten. Ich arbeite für Bands, Aufnahmestudios, Plattenfirmen und Musikverlage.
Es klingt vielleicht wie ein Klischee, aber in einer Band zu sein, die schon immer diesen Ruf hatte, extrem und, na ja ... chaotisch zu sein, und dann da auf jemanden zu stoßen, der sehr akribisch ist und sich um die kleinsten Details kümmert, das klingt wie ein Widerspruch. Wie siehst du das?
Sims: Ich habe das Gefühl, dass diese Element der Präzision in der Band vor allem durch Duane und mich vorhanden ist. Die Detailgenauigkeit steckt in der Musik. Ich denke, Duane und ich stehen eher für den apollonischen Charakter, und Mac und David für das Dionysische, sie sind eher die Elemente des Chaos.
Das war eine sehr schöne Beschreibung. Apollinisch steht dieser Philosophie nach für „Form und Ordnung“ und dionysisch für „Rauschhaftigkeit und einen alle Formen sprengenden Schöpfungsdrang“. Du bist Bassist – war der Bass für dich die erste Wahl?
Sims: Eine interessante Frage. Die erste Band, in der ich spielte, war SCRATCH ACID, und da war ich ursprünglich einer von zwei Gitarristen. Dann verließ unser Sänger die Band und David Yow spielte Bass. David Yow wurde der neue Sänger, also brauchten wir einen Bassisten und Brett war der bessere Gitarrist als ich, also machte es einfach Sinn, dass ich an den Bass wechsle – zudem besaß ich bereits einen Bass. Das war irgendwie ziemlich ungeplant. Ich wollte eigentlich immer Gitarrist sein, aber dann bin ich in ein paar Bands gelandet, wo ich als Bassist relativ erfolgreich war, und so ist jetzt der Bass mein Instrument. Ich bin der Paul McCartney des Punkrocks, haha.
Mittlerweile hast du dich offensichtlich damit abgefunden, denn unter dem Namen UNFACT betreibst du ein Solobassisten-Projekt.
Sims: Als ich begann, mich für Musik zu interessieren, war das eine wirklich großartige Ära, es war der britische New Wave und Punkrock der späten 1970er und frühen 1980er Jahre. Es gab bei diesen Bands eine Menge großartiger Bassisten, und der Bass wurde bei den Aufnahmen oft sehr in den Vordergrund gemischt. Ich denke da an Bands wie BUZZCOCKS, THE STRANGLERS und GANG OF FOUR. Es fühlte sich also nicht so an, als sei der Bass ein weniger wichtiges Instrument. Für den Bass musst du eine andere Sensibilität mitbringen, er benötigt andere Fähigkeiten. Was mein Soloprojekt UNFACT betrifft, so habe ich da schon lange nichts mehr gemacht. Ich sage mir immer, dass ich mal wieder was machen sollte, aber ... eines Tages vielleicht.
Oh! Hallo David Yow. Schön, dass du dich eingewählt hast. Jetzt habe ich zwei Davids im Interview. Nennt ihr euch gegenseitig David oder habt ihr dafür intern andere Namen, um euch auseinander zu halten?
Yow: Er nennt mich Dummkopf.
Sims: Das ist nicht wahr. Wir nennen uns gegenseitig David. Und wir reagieren nicht auf Dave. Aber tatsächlich ist es immer leicht zu erkennen, welchen David die Leute meinen, wenn sie über den einen oder den anderen reden.
Ich habe vorhin einen Artikel von 1995 gelesen, es ging um einen Auftritt von euch bei der Lollapalooza-Tour. Da wurde sehr bildhaft beschrieben, wie David Yow auf der Bühne seinen Penis rausholt. Ich bin 1968 geboren, ich habe Punk in den 1980er und 1990er Jahren miterlebt und weiß, dass man damals auf der Bühne noch mit Aktionen durchkam, die heute als völlig inakzeptabel angesehen werden würden. Was denkst ihr darüber, wie sich die Musikszene im Vergleich zu vor 30 Jahren verändert hat?
Sims: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Ich mache so ziemlich genau das, was ich immer gemacht habe. Ich glaube nicht, dass das, was da im Rolling Stone-Artikel beschrieben wird, mich damals auf meiner Seite der Bühne beeinflusst hat.
Yow: Hm, was mein Geschlechtsteil betrifft .... es ist schon eine Weile her, dass ich das gemacht habe. Außerdem bin ich jetzt 63 Jahre alt. Vielleicht wollte schon damals niemand mein Geschlechtsteil sehen, aber wenigstens war ich damals nicht 63 Jahre alt. Außerdem hatten wir damals einen Song namens „Tight and shiny“ im Programm, ein Instrumentalstück, bei dem ich meine Hoden ans Mikrofon hielt und währenddessen eine Zigarette rauchte. Ich rauche nicht mehr, also kann ich das heute nicht mehr machen.
Ein gutes Argument. Inwieweit spielt das Alter für dich eine Rolle?
Yow: Nur in Bezug auf die Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt, und in der Hinsicht, dass ich körperlich nicht mehr so fit bin. Aber ich versuche, das nicht zu einem Problem werden zu lassen. Ich gehe zum Fitnesstraining, um in Form zu sein und Ausdauer zu haben. Ich tue, was ich kann.
Sims: Ja, ich sehe das ähnlich. Ich meine, ich glaube nicht, dass das Alter wirklich eine Einschränkung ist oder irgendetwas beeinträchtigt, außer in dem Maße, wie es das Leben im Allgemeinen beeinflusst. Manchmal fällt es einem heute eben etwas schwerer, aus dem Bett zu kommen, und dann muss man eben ein bisschen länger im Bett bleiben als früher. Aber das Alter hat nichts mit der Musik in meinem Leben zu tun.
Verändert hat sich aber der Kontext, in dem eure Musik stattfindet. Die Musik ist geblieben, ist gar nicht so anders, aber die Welt drumherum hat sich 35, 40 Jahre später völlig verändert.
Sims: Die Band war ja nicht kontinuierlich in unserem Leben, eher unregelmäßig. Es gab Zeiten, in denen wir nicht aktiv waren. Die Band ist einfach etwas, das uns damals Spaß gemacht hat und auch heute noch Spaß macht. Ich denke, dass sich vielleicht die Motivation oder die Mischung der Motivationen ein wenig verändert hat. Damals haben wir versucht, unseren Lebensunterhalt mit der Musik zu verdienen und gleichzeitig etwas zu tun, das uns wirklich Spaß gemacht hat. Und heute? Wahrscheinlich liegt der Schwerpunkt jetzt mehr darauf, das zu tun, weil es uns wirklich Spaß macht. Der Aspekt, dass wir damit unseren Lebensunterhalt verdienen können, ist in den Hintergrund gerückt, weil wir alle jetzt beruflich anderen Pfaden folgen. Ich meine, wir lehnen das Geld, das uns dafür gegeben wird, nicht ab, aber wir sind nicht mehr so abhängig davon, wie in den 1990er Jahren. Und das ist schön, weil es uns die Freiheit gibt, einfach Dinge zu tun, die uns Spaß machen, denn wir denken, dass Bands genau das tun sollten. Als wir diese Platte gemacht haben, wollten wir sie einfach nur zum Spaß machen. Wir haben nicht darüber nachgedacht, wie wir „modern“ klingen können oder wie wir in der heutigen Zeit relevant sein können. Wenn wir versucht hätten, diesen Impulsen gerecht zu werden, hätten wir wahrscheinlich alles ruiniert. Wir wären die Sache dann völlig falsch angegangen.
Yow: Ich bin froh, dass er diese Frage beantwortet hat. Er ist viel redegewandter als ich. Aber ich kann mich allem, was er gerade gesagt hat, nur anschließen.
Aber was macht THE JESUS LIZARD für dich zu einem relevanten Teil deines Lebens? Du bist ja noch in anderer Hinsicht künstlerisch tätig, du schauspielerst.
Yow: Nun, ich weiß nicht so recht, wie es mit der Schauspielkarriere gerade aussieht. Das ist wirklich, ähm, sehr unbeständig. Es macht mir Spaß, und ich wünschte, da würde mehr passieren, aber es ist gerade nicht so sehr ein Thema. Mit der Band ist es was anderes ... ich liebe die Jungs einfach. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie gut sie das machen, was sie tun. Und es macht einfach Spaß, die alten Lieder zu spielen. Songs wie zum Beispiel „Bloody Mary“ und „Blockbuster“ haben wir buchstäblich tausende Male gespielt, aber es macht immer noch Spaß. Und am Freitag, den 13. September, kommt unsere neue Platte, wahrscheinlich werden wir um diese Zeit herum anfangen, mehr Songs von der Platte live zu spielen. Im Moment spielen wir nur die Single „Hide and seek“. Ich freue mich darauf, einige der anderen Songs live zu spielen.
Was macht das Singen und Spielen der alten Songs mit euch? Fühlt sich das heute anders an als vor 30 Jahren?
Yow: Du hast vorhin meine Schauspielkarriere erwähnt, und das möchte ich hier aufgreifen. Seit damals habe ich ein paar Schauspielkurse besucht und in einer Handvoll von Filmen mitgespielt. Seitdem habe ich mir angewöhnt, an die Songs ein bisschen mehr wie ein Schauspieler heranzugehen und darüber nachzudenken, was da gesagt beziehungsweise gesungen wird. Ich stelle mir vor, wie eine Person das sagen würde, wenn es eine Filmrolle wäre. Ich mache das nicht bei allen Liedern, aber ich habe damit herumgespielt, und ich weiß nicht, ob ein Beobachter das merken würde. Ich glaube nicht. Aber für mich verleiht es dem Ganzen eine zusätzliche Dimension. Ich weiß nicht, ob das jetzt eine Antwort auf deine Frage ist, aber das ist eigentlich auch egal.
Reflektiert ihr bisweilen euer künstlerisches Tun? Heutzutage und im fortgeschritteneren Alter tendiert man ja vielleicht eher dazu als in jungen Jahren. Ich zumindest frage mich durchaus bei manchen Inhalten aus frühen Ausgaben des Ox, was wir uns damals dabei gedacht haben.
Sims: Vielleicht klingt es egoistisch, aber wir wollten einfach nur Platten machen, die so klingen, wie wir dachten, dass sie klingen sollten. Es war also nicht so, dass wir uns gefragt haben, was andere Leute darüber denken könnten. In erster Linie ging es uns immer darum, dass wir uns die Frage stellten, ob das eine Platte wird, die uns gefällt. Finde ich, dass dieser Song rockt? Ich glaube, wir haben uns einfach nicht beirren lassen, vor allem nicht bei der neuen Platte. Wir haben einfach eine Platte gemacht, von der wir dachten, dass sie uns als Musikfans gefallen würde. Mit diesem Leitprinzip sind wir immer ziemlich gut gefahren.
Yow: Genau. Es gab einige Momente in meinem Leben, wo ich neugierig war, was andere Leute über unsere Musik denken. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass das jemals die Art und Weise, wie wir die Musik gemacht haben, beeinflusst hat. Ich würde nie darauf abzielen. jemandem zu gefallen oder die musikalischen Bedürfnisse anderer zu befriedigen.
Sims: Es ist wahrscheinlich gut, dass wir es auf diese Weise machen. Denn wenn wir versuchen würden, die Bedürfnisse anderer zu antizipieren, würden wir vielleicht versuchen, eine Platte zu machen, die zugänglicher ist, oder ein Album, das irgendwie aktueller und relevanter für die heutigen Hörgewohnheiten ist. Wahrscheinlich würden wir dabei kläglich scheitern und eine Platte machen, die uns nicht so gut gefällt.
Den Gegenentwurf zu eurem Vorgehen erkenne ich in so was wie einer „Pop-Akademie“, wo jungen Menschen beigebracht werden soll, Popmusik zu produzieren, oder in den Songwriting-Camps großer Musikverlage. Da wird dann – so interpretiere ich das –, den Leuten beigebracht, wie man „Content“ erstellt, wie David Ek von Spotify es ausdrücken würde. Das kommt mir vor wie das exakte Gegenteil von dem, was ihr euer ganzes Leben lang mit Musik gemacht habt.
Sims: Ich glaube nicht, dass das für mich funktionieren würde. Aber ich zögere, darüber zu urteilen, wie andere Menschen ihre Freude an der Musik finden. Ich glaube, ich spreche für alle vier von uns, wenn ich sage, dass wir uns schon immer zu vielen verschiedenen Arten von Musik hingezogen fühlten, die aber sämtlich künstlerisch einen, konfrontativen Aspekt hatten. Und das ist nicht das, was sie einem in diesen Camps beibringen.
Yow: Heutzutage gibt es großartige Gitarristen oder Schlagzeuger oder was auch immer wie Sand am Meer, und manche von denen sind erst acht Jahre alt. Es gibt da ein kleines japanisches Mädchen, das neun Jahre alt ist und Schlagzeug spielen kann wie John Bonham oder Kinder, die Gitarre spielen können wie Jimi Hendrix. Das ist einfach unglaublich. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, so was gibt es einfach.
Sims: Die Kinder heute haben Zugriff auf Ressourcen wie etwa YouTube, für die wir in den 1970er Jahren getötet ...
Yow: ... und dann für den Rest unseres Lebens im Knast gesessen und keine Gitarre mehr gespielt hätten.
Warum habt ihr 25 Jahre gebraucht, um ein neues Album aufzunehmen? Ich meine, es hätte doch vorher schon Chancen gegeben, bei der Reunion in den Jahren 2008 bis 2010, und nun seid ihr auch schon seit 2017 wieder zusammen.
Yow: Wir haben wirklich hart an diesen Liedern gearbeitet.
Sims: Haha.
Yow: Nein, wir haben es vergessen.
Sims: Es gibt da keine einfache Antwort, aber ja, es war ein langer und langsamer Prozess. Es war definitiv ein ganz schöner Trip. Wir haben definitiv mehr als fünf Jahre an dem Album gearbeitet. Es ist nicht plötzlich im letzten Jahr entstanden. Und die Pandemie hat natürlich auch nicht geholfen, aber sie war auch nicht der einzige Faktor. Es war schon deshalb schwierig, weil wir früher alle in Chicago gelebt haben und das gemeinsame Aufnehmen von Platten so viel einfacher war. Jetzt leben wir weit verstreut in vier verschiedenen Städten in den Vereinigten Staaten.
Yow: Es gab eine Zeit, in der wir alle vier zusammen lebten. Wir lebten zusammen, arbeiteten zusammen, spielten zusammen, tourten zusammen. Wir waren ständig in der Nähe des anderen.
Sims: Wir haben eine Zeit lang zu viert in einer Dreizimmerwohnung gewohnt. Wir waren jung.
Was habt ihr in diesen Jahren übereinander gelernt, das ihr heute noch nutzen könnt, um miteinander auszukommen?
Yow: Kennst du das Musical aus den frühen 1960er oder 1950er Jahren namens „Oklahoma“? „Oklahoma, where the wind comes sweeping ...“ Da gab es eine Frau in dem Musical, die sang ein Lied, in dem diese Zeilen vorkommen: „Ich bin nur ein Mädchen, das nicht nein sagen kann.“ Das ist unser Schlagzeuger Mac McNeilly. Er kann nicht nein sagen. Und David und Duane sind einfach verrückt. Und ich kapiere gar nichts. Und so haben wir einfach immer weitergemacht.
Ist es wichtig für die heutige Existenz von THE JESUS LIZARD, dass die Band immer noch quasi in der Originalbesetzung besteht? Hängt es also an der Kombination von diesen vier Personen?
Sims: Ich glaube schon, ja.
Yow: Ja, niemand von uns ist ersetzbar.
Bands können im Innenverhältnis so sein wie ein altes Ehepaar, diesen Vergleich hört man immer wieder mal. Kommt ihr also einfach irgendwie miteinander aus, oder ist da mehr, gibt es Zuneigung, vielleicht sogar Liebe?
Yow: Ja.
Sims: Ja, das gibt es definitiv beides.
Yow: Alle vier von uns lieben die anderen drei.
Sims: Das ist wahr.
Yow: Ich würde alles für diese Jungs tun.
Dann ist es also ein großes Glück im Leben, wenn man in jungen Jahren Menschen gefunden hat, mit denen man gerne zusammen sein will, mit denen man kreativ sein kann – und das über so viele Jahre hinweg?
Sims: Ich glaube, der Ausdruck, den man hier oft hört, ist: „Find your tribe“, „Finde deinen Stamm“. Ich glaube, das kann der Schlüssel zum Erfolg sein im Leben eines jungen Menschen. Es geht darum, Leute zu finden, die dich verstehen. Und manchmal kann das eine Herausforderung sein. Ich bin so froh, dass ich damals David Yow und Duane und Mac getroffen habe. Denn ich habe das Gefühl, dass es nicht immer einfach ist, mich näher kennenzulernen oder mit mir auszukommen. Ich habe David schon ziemlich früh getroffen und wir haben uns gut verstanden. Ich schätze mich also sehr glücklich, dass ich, wie man so schön sagt, schon sehr früh meinen Stamm gefunden habe.
Yow: Ja, ich stimme David voll und ganz zu. Ich war immer schon der Meinung, dass das Wichtigste in einer Band die Chemie zwischen den Leuten in der Band ist. Und unsere Chemie ist wirklich gut. Keiner von uns ist ersetzbar. Ich denke, dass es an sich in einer guten Band möglich ist, dass ein oder zwei der Mitglieder wechseln, und dass sie dann immer noch gut sind. Aber für uns ist es das nicht. Es gab eine Zeit, in der Mac nicht in der Band war, und ich habe es gehasst. Die Band war zu der Zeit wie ein Job und wir waren nicht annähernd so gut, wie wir es mit Mac waren. Dass wir uns wieder zusammengefunden haben in den letzten Jahren und es wieder gut ist, liegt an Mac, sonst hätten wir es nicht gemacht.
Sims: Ja. Wir alle sind uns einig, dass diese Zeit ohne Mac ein Fehler war.
Yow: Uns waren die Hände gebunden, wir hatten nicht wirklich eine Wahl.
Ihr habt vorhin den Begriff „Stamm“ benutzt. Nun, vor ein paar Wochen hat uns ein Mitglied des Stammes verlassen: Steve Albini. Er war auch ein wichtiger Teil eurer Karriere. Was sind eure Gedanken?
Yow: Es ist ziemlich schwer zu akzeptieren, dass ich ihn nie wieder sehen oder mit ihm reden werde. Er war zu jung. Er hatte noch viel mehr zu tun. Es ist absolut herzzerreißend.
Ihr habt das Album mit Paul Allen aufgenommen. Steve Albini mochte es nie, wenn er als Produzent bezeichnet wurde, er hat das immer abgelehnt. Paul Allen wird nun als Produzent genannt.
Yow: Ich glaube, Paul mag den Begriff. Und Paul mag es, wenn sein Name in den Credits steht. Paul war eine Wucht im Studio und er ist wirklich gut. Es hat Spaß gemacht, mit ihm zu arbeiten. Und er sieht gut aus, haha.
Sims: Groß, schlank, sehr gut aussehend.
Yow: Er sieht aus wie der Bruder von Nick Cave.
Sims: Er ist befreundet mit Duane, unserem Gitarrist, beide leben in Nashville. Ich glaube, sie haben sich in der Musikszene von Nashville kennengelernt. Wie Duane ist Paul auch ein wirklich guter Gitarrist. Ich glaube sogar, dass Duane gesagt hat, dass Paul ein besserer Gitarrist ist als er, was Duane sonst nie über jemanden sagen würde.
Yow: Er hat auch einen Grammy gewonnen für einen Song von Crystal Gayle.
Sims: Er ist einer dieser Nashville-Typen, die bei einer Aufnahmesession auftauchen und einfach zu allem, was du machst, ein bisschen Gitarre spielen können – und es passt genau richtig. Solche Typen gibt es in Nashville zuhauf.
Yow: Er hat auch die letzte TOMAHAWK-Platte produziert. Das ist auch ein Teil des Puzzles.
Sims: Und dass wir überhaupt in Nashville aufgenommen haben, liegt daran, dass Duane das größte Haus hat – ein Haus, zentral gelegen, in dem wir alle umsonst wohnen können.
Spielt die Herkunft der Band respektive ihre Homebase heutzutage noch eine Rolle? Ihr kamt aus Austin, habt dann in Chicago gelebt, seid heute über vier Städte in den USA verteilt.
Sims: Ich bin sicher, dass es bei neuen Bands eine kritische Entscheidung ist. Du willst wahrscheinlich an einem Ort leben, an dem du es dir leisten kannst und wo es eine Art Untergrundökonomie gibt, in der du kellnern oder als Barista arbeiten kannst oder was auch immer du tun musst, um über die Runden zu kommen, während du deine Band aufbaust. Und du brauchst eine aktive, kreative Band-Community um dich herum. Die Mitglieder kommen und gehen und du probierst neue Dinge und verschiedene Besetzungen aus, und so weiter. Also ja, ich denke, der Standort ist sehr wichtig für junge Bands und Leute, die gerade anfangen, Musik zu machen. Für uns ist es heute weniger wichtig, denn wir können es uns leisten, zu den anderen zu reisen, und unsere Band ist schon recht etabliert. Wir haben innerhalb der Band eine feste Struktur, und auch unser Support-Team, das Label, das Management, die Promo, all das steht, wir müssen kein neues Netzwerk aufbauen, weil wir all diese Leute schon haben. So, ich muss mich verabschieden, ich habe einen wichtigen Termin, David macht alleine weiter.
Damals war es aber ein Thema, dass eure vorherige Band SCRATCH ACID aus Austin, Texas kam, mit seiner speziellen Szene. Und später bei THE JESUS LIZARD war Chicago wichtig, wo euer Label Touch & Go ansässig war.
Yow: Ich weiß nicht genau, wie ich es beschreiben soll ... Die Szene in Austin mit Bands wie etwa BUTTHOLE SURFERS, THE DICKS, TERMINAL MIND, SHARON TATE’S BABY oder BIG BOYS war eine kleine, gute Szene, wir hatten da Glück. Es war eine offene Szene, in der man zusammen viel Spaß hatte. Wenn Bands aus Kalifornien auf Tour durch Austin kamen, waren sie immer überrascht, dass, wenn jemand beim Tanzen zu Boden ging, die Leute ihm aufhalfen. Jemand aus L.A. sagte dazu mal: „Wow, Mann, in L.A. trampeln sie dich einfach nieder, weißt du das?“ THE DICKS und die BUTTHOLE SURFERS waren auch wirklich mitreißende Livebands, da wurde nicht nur mit den Zehen gewippt. Sie waren auf der Bühne fast schon theatralisch, sie waren emotional und unglaublich kreativ. Ich denke, die Szenen in anderen Städten hatten nicht so viel künstlerische Qualität. In Chicago schien dann alles mehr reglementiert zu sein.
Ich bin ein Kind der 1980er Jahre, bin mit den Platten von SONIC YOUTH, BIG BLACK, BUTTHOLE SURFERS, SCRATCH ACID aufgewachsen. Ich klinge vielleicht jetzt wie ein alter Mann, aber ich habe das Gefühl, dass es solche Bands mit so einem extremen, radikalen und kompromisslosen Auftreten nicht mehr gibt. Ich sehe solche Verrücktheit heute nicht mehr.
Yow: Ich bin nicht wirklich am Puls der Zeit, aber ich denke schon, dass es auch heute noch eine Handvoll solcher Bands gibt. Ich habe mich jahrelang immer beschwert, dass es keine Gefahr mehr in der Musik gibt. Dabei hat mich Gefährlichkeit immer sehr angesprochen. Zum Beispiel, wenn man bei einem Konzert in Los Angeles niedergeschlagen wird oder wenn man vom Bassisten der DICKS ins Gesicht geschlagen wird. Dieses Risiko hat mich wirklich angesprochen, und das schien irgendwann verschwunden zu sein. Ich habe jetzt den Eindruck, dass es eine Art Wiederaufleben dessen gibt, wenn ich etwa an die Shows von Bands wie IDLES denke. Oder VIAGRA BOYS, obwohl die eher eine Comedy-Band sind. Oder SKATING POLLY.
Das Cover-Artwork eures neuen Album sieht wieder sehr nach THE JESUS LIZARD aus. Wer steckt dahinter?
Yow: Ich liebe dieses Plattencover. Es ist wieder von Malcolm Bucknall, der auch die Cover für „Liar“ und „Down“ sowie für die Split-Platte mit NIRVANA gemacht hat. Ich bin derjenige in der Band, der sich um die Albumcover kümmert, einfach weil ich weiß, wie es geht. Wir arbeiteten an ein paar Ideen und Duane sagte: „Warum fragen wir nicht Malcolm Bucknall?“ Also setzten wir uns mit seiner Galerie in Verbindung. Als er in der Vergangenheit die Cover von „Liar“, „Down“ und der Split für uns machte, verlangte er keinerlei Bezahlung. Er sagte damals nur, er wolle eine Kopie der Platte, eine Kopie der CD und ein Poster. Und so war es auch bei diesem Projekt. Er wollte kein Geld. Er wollte nur ein Exemplar von jeder Veröffentlichung.
Wie cool. Seine Arbeiten werden mittlerweile ja für sehr ordentliche Summen gehandelt.
Yow: Ja, das ist so cool und so schmeichelhaft. Seine Gemälde und Zeichnungen haben etwas Rätselhaftes, das man einfach nicht versteht. Sie werfen Fragen auf, und ich denke, dass unsere Musik auch so ist: „Was zum Teufel machen die da?“
Deine Texte finde ich schwer entschlüsselbar. Bei Texten von Jello Biafra etwa versteht man sofort, wovon er spricht. Deine Texte sind, ich würde sagen, wie klassische Poesie. Es ist schwer zu sagen, was der Künstler uns damit sagen will.
Yow: Genau. Das ist auch der Grund, warum wir immer ein Textblatt beilegen. Denn ich denke, dass einiges von dem, was ich geschrieben habe, ganz okay ist .Aber einer meiner Lieblingsaspekte in der Rockmusik ist, dass man oft nicht versteht, was der Typ da singt. Als ich als Kind zum ersten Mal LED ZEPPELIN hörte, dachte ich, es sei eine deutsche Band, weil ich nichts von dem, was der Typ sang, verstehen konnte. Und „Led Zeppelin“ ... ich dachte, was zum Teufel soll das bedeuten? Es klang für mich wie eine deutsche Band. Es hat mir schon immer Spaß gemacht, wenn die Texte von Rocksongs missverstanden oder falsch interpretiert werden. Ich finde, dass es wichtiger ist, wie sich der Gesang anhört, als das, was tatsächlich verstanden wird. Es ist wichtiger, dass ein Gefühl vermittelt wird, anstatt unbedingt zu erkennen, was genau da gesagt wird.
Dieses Geheimnisvolle ist fast verloren gegangen in Zeiten von KI und Musikstreaming, wo automatisch zu jedem Song und Video der Songtext ausgegeben wird und Websites für Songtexte existieren. Früher wussten wir einfach nicht, was eine Band singt, wenn kein Textblatt dabei war.
Yow: Das ist wahr. Aber einige dieser Text-Websites liegen auch völlig falsch. Ich weiß nicht warum, aber mir scheint, als ob jeder einfach die Texte einstellen und sagen kann: „Hier sind die Texte“. Zum Beispiel gibt es den SCRATCH ACID-Song „Mary had a little drug problem“. Wenn du im Internet nachschaust, findest du eine Seite mit dem Text, wo kein einziges Wort stimmt. Jemand, der sich das Lied anhört und den Text da liest, denkt dann wohl, ich hätte das wirklich so gesungen. Es macht mich wütend, weil jemand das lesen wird und sich denkt: „Wow, warum schreibt David Yow so dummes Zeug?“ Wenn ich dummen Scheiß schreibe und das wirklich meine Worte sind, ist das in Ordnung, aber wenn jemand anderes es geschrieben hat und die Leute dann glauben, dass ich es war, will ich nicht die Lorbeeren für die Dummheit eines anderen einheimsen.
Auf dem neuen Album gibt es einen Song namens „Alexis feels sick“, und laut eurem Pressetext geht es da um euren Freund Alexis Fleisig von SOULSIDE und GIRLS AGAINST BOYS. Was ist deine Verbindung zu Alexis? Und warum taucht er in diesem Liedtext auf?
Yow: Er ist ein alter Freund. Ich habe ihn kennengelernt, als er mit GIRLS AGAINST BOYS unterwegs war. Meine Frau ist Immobilienmaklerin hier in Los Angeles. Alexis ist hierher gezogen und wollte ein Haus kaufen, und meine Frau hat ihm geholfen, ein Haus zu finden, das ihm gefällt, und er hat es gekauft und so weiter. Und dann, vor ein oder zwei Jahren, haben wir drei uns über das politische Klima in der Welt und besonders in den USA unterhalten, mit dummen Arschlöchern wie Donald Trump. Und Alexis sagte: „Yeah, it just makes me feel sick.“ Der Satz ist mir irgendwie im Kopf geblieben, auch wegen der Alliteration von „Alexis“ und „sick“. Es klingt einfach gut. Das war also der Auslöser für den Text, der abgesehen davon nicht unbedingt etwas mit Alexis zu tun hat.
Da du das politische Klima in den USA erwähnt hast ... Wie geht es dir angesichts der anstehenden Wahlen und dem, was kommen könnte?
Yow: Es ist völlig unglaublich. Ich kann nicht glauben, was für eine Shitshow die Vereinigten Staaten geworden sind. Schon die Tatsache, dass bei Menschen, die 17 Jahre und jünger sind, die häufigste Todesursache die Schusswaffe ist, ist inakzeptabel. Die Positionen dazu sind so polarisiert, Es gibt so viele Idioten, die meinen, jeder müsse mit einer Waffe herumlaufen dürfen, und die andere Hälfte findet, dass man das nicht tun sollte. Das ist einfach mehr als beschissen. Und Demokratie besteht aus der Wahl zwischen Donald Trump und Joe Biden. What the fuck ...
Verzweiflung?
Yow: Ja. Verzweiflung. Frustration. Traurigkeit. Wut.
Anfang 2025 werdet ihr in Großbritannien spielen, aber ich habe bislang keine Termine für das europäische Festland gesehen.
Yow: Ja, aber wenn wir mit dieser Tour fertig sind, werden wir auf dem europäischen Festland spielen.
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Diskografie
„Pure“ (12“-EP, Touch and Go, 1989) • „Head“ (LP, Touch and Go, 1990) • „Goat“ (LP/CD, Touch and Go, 1991) • „Liar“ (CD, Touch and Go, 1992) • „Lash“ (MC, Touch and Go, 1993) • „Puss/Oh, The Guilt (7“, Split w/NIRVANA, Touch And Go, 1993) • „Down“ (LP, Touch and Go, 1994) • „Shot“ (LP/CD, Capitol, 1996) • „The Jesus Lizard“ (CD/EP, JetSet, 1998) • „Blue“ (CD, Capitol, 1998) • „Rack“ (LP/CD, Ipecac, 2024)
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