JERRY'S KIDS

Foto

A kid will have his say

JERRY'S KIDS waren einer der ersten HC-Outfits aus Boston überhaupt. Zusammen mit Bands wie SSD, THE FREEZE oder GANG GREEN manifestierten sie Anfang der 80er einen Musikstil, der schon bald typisch sein würde für die amerikanische Ostküste. Schnell, rauh und kompromisslos. Mit ihrem Album "Is This My World?", das 1983 als letztes Album überhaupt auf dem legendären Bostoner Label X-Claim erschien, und auf dessen Cover übrigens, genau, Gitarrist Bob Cenci abgebildet ist, schufen JERRY'S KIDS einen bis heute oft kopierten HC-Meilenstein. Grund genug, eben jenem Bob Cenci, der gerade mit GANG GREEN ein Hand voll Shows in Europa spielte, Platz für einen persönlichen Rückblick auf diese prägende Band einzuräumen. Vorhang auf. Hier nun die Geschichte von JERRY'S KIDS aus der Sicht von Gitarrist Bob Cenci.

Ungefähr 1980 fingen Rick Jones, Chris Doherty und ich an, Musik zu machen. Im Sommer des Jahres 81 spielten wir dann die erste Show. Wir kommen alle aus Braintree, einem kleinen Ort in Massachusetts. Unser primäres Ziel war daher, eine Show in Boston, der nächstgrößeren Stadt, zu spielen. Das war der Beginn von dem, was später als Boston Hardcore bezeichnet werden sollte. An der Westküste gaben zur gleichen Zeit BLACK FLAG und CIRCLE JERKS ihre ersten Shows. Wir hörten damals aber zunächst viel englische Musik, Bands wie G.B.H. oder DISCHARGE., die neben BLACK FLAG den wohl größten Einfluss auf den JERRY'S KIDS-Sound hatten. Unser ursprünglicher Sänger Bryan, der Bruder von Rick Jones, fiel während eines Showtumults so unglücklich von der Bühne, dass er sich ein Bein brach, woraufhin Rick das Mikro übernahm, da Bryans Eltern ihm kurzerhand verbaten, in einer Punkband zu singen.

Nach den ersten Shows ging alles ziemlich schnell. Meist spielten wir All-Ages-Konzerte, die nachmittags im Media Workshop oder dem Gallery's stattfanden. Es ging hauptsächlich um Musik, Alkohol durfte so früh ja nicht ausgeschenkt werden. Straight Edge waren wir aber nicht. Ich hatte bis dato auch noch nie davon gehört. Mir machten diese kurzen Haare und der militante Skinhead-Look, der sich damals in Boston ausbreitete, eher Angst. Einen Dresscode kannten wir nicht. Wir trugen ganz normale Turnschuhe und T-Shirts, das war's. Bands wie SSD oder NEGATIVE FX nahmen das Ganze da schon ernster.

In Boston gab und gibt es immer noch Newbury Comics, einen Comicshop, der damals das Label Modern Method ins Leben rief, um die aktuelle Bostoner Musikszene über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt zu machen. Ihr erstes Release war eine Single von der Band THE OUTLETS, wo Walter, heute am Schlagzeug von GANG GREEN, mitmischte, was aber eher in die Richtung Rock ging. Irgendwann rief mich Chris Doherty, damals noch bei GANG GREEN, an und spielte mir die erste BLACK FLAG-Single am Telefon vor. Nie hatten wir eine Band gehört, die so schnell spielte! Das war unsere Herausforderung, denn wir wollten noch schnellere Musik machen. So fing die Rivalität zwischen Kalifornien und der Ostküste an, und daher auch der Titel der Compilation "This Is Boston Not L.A.", deren Songs wir im Mai des Jahres 1982 einspielten. Al Barile, Bassist bei SSD, war über diese Compilation übrigens überhaupt nicht glücklich. Er hatte ein sehr hohes D.I.Y.-Ethos und wollte, dass die Bostoner Bands sich komplett unabhängig darstellten. Einer Auffassung, der ich bis heute großen Respekt zolle und der Grund, warum er das Label X-Claim gründete, das eine Art Plattform für Bostoner Untergrundmusik darstellen sollte. Er und die Jungs von SSD waren der Zeit damals weit voraus. Sie hatten bereits ein Album draußen und waren die treibende Kraft, zu der wir jüngeren Bands aufschauten.

GANG GREEN lösten sich dann irgendwann auf, als Mike Dean, der Originaldrummer, sich bei den Marines meldete. Also heuerte Chris kurzerhand bei JERRY'S KIDS an der Gitarre an. Vor unserem Debütalbum nahmen wir im November des Jahres 1982 noch ein paar Sessions mit dem Titel "Trained To Kill" im Studio auf, die bis heute aber nie veröffentlicht wurden. Als die Bostoner Band THE FREEZE dann ins Studio ging, um die Single "Guilty Face" einzuspielen, wagten wir ungefähr zeitgleich ebenfalls den Schritt, innerhalb von einer Woche ein Album aufzunehmen.

Nach "Is This My World?", worauf wir nach den Studiosessions unseren ganz eigenen Sound gefunden hatten, entwickelte sich ein komplexerer Musikstil, der sich in Songs wie "Kill kill kill" oder "Breath and fuck" manifestierte. Das war der Anfang vom Ende, keiner wollte mehr diese einfachen Drei-Akkorde-Songs spielen. Chris Doherty schloss sich nach knapp einem Jahr bei uns erneut GANG GREEN an, er wollte seine eigene Band und nicht mehr nur einfach Gitarrist sein. Eine gewisse Progression machte sich unter den Bands breit. Zu der Zeit war METALLICA groß im kommen. Ich interessierte mich eher für ruhigere, kompliziertere Gitarrenstrukturen. Dazu kam, dass Rick zur Universität gehen wollte. Im Dezember 1984 spielten wir dann unsere vorerst letzte Show im Bostoner Paradise Club unter dem Titel "The End Of Hardcore". Während der Show schnappte sich Springa, der Sänger von SSD, das Mikro und brüllte: "We started it and we gonna end it!" Den Kids ist bei diesen Worten fast die Kinnlade runtergefallen! Wir Musiker waren einfach schon ein bisschen weiter und wussten, dass die Hardcore-Phase irgendwann zu Ende gehen musste. Rick Jones ließ aber nicht locker und 1986 standen wir unter dem Titel "Jerry's Kids Cured" wieder von den Toten auf und nahmen "Kill Kill Kill" auf.

Curtis Casellas, Betreiber unseres Labels Taang!, wollte damals auch, dass wir auf Tour gehen, was aber unmöglich war, weil Rick arbeitstechnisch einfach zu viel um die Ohren hatte. Um das Jahr 1990 hörten wir dann endgültig auf mit JERRY'S KIDS. Letztes Jahr sollten wir auf ein paar Festivals spielen, was aber schließlich doch nicht geklappt hat. Mal sehen, wann wir das nächste Mal zusammen finden. Ab und zu juckt es uns allen jedenfalls noch in den Fingern ...