JENNY DON’T AND THE SPURS

Foto© by Jen Borst

Punk, Country, Country-Punk?

Als „Nummern für die punkaffine Heuschober-Party“ beschrieb ich die Musik von Jenny Don’t mal im Ox, und nach „Fire On The Ridge“ von 2021 ist nun das neue Album „Broken Hearted Blue“ erschienen. Und ja, es ist ein fast lupenreines Countryalbum ... „Outlaw Country“, um genau zu sein. Und Country ist ein Genre, das in Punkkreisen oft mit einem gewissen Dünkel betrachtet wird, sofern die Band nicht SUPERSUCKERS heißt und man nicht gleich von Cowpunk spricht. Aber ... so einfach ist es nicht, und Jenny Don’t und ihr nicht nur musikalischer Partner Kelly Halliburton haben eine lupenreine Punk-Vergangenheit. Kontext is everything: Kelly war ein Teil von P.R.O.B.L.E.M.S., spielte mit Fred und Toody von DEAD MOON bei PIERCED ARROWS, Jenny hat ihren Nachnamen von den famosen DON’T, und am Schlagzeug saß bis kurz vor seinem Tod im Februar 2022 Sam Henry, einst bei der Legende WIPERS. Einfach „nur“ eine Country-Band? Oh nein, wie Jenny und Kelly erklären, die in Portland, Oregon leben, wenn sie nicht auf Tour sind.

Jenny, wie ging es los bei dir mit dem Musikmachen?

Jenny: Mein Streifzug durch die Musik begann Ende 2005 oder Anfang 2006 in Bellingham, WA, direkt nach meinem Highschool-Abschluss. Die lokale Musikszene war damals sehr lebendig und ich stolperte über eine Surf-Band namens THE ALL NIGHTERS, die mich völlig umgehauen hat. Ihre Energie und ihr Sound weckten in mir den Wunsch, selbst auf der Bühne zu stehen. Also kratzte ich genug Geld zusammen, um mir ein Yamaha-Keyboard zu kaufen, und stürzte mich kopfüber ins Songwriting. Mit der Hilfe eines Freundes nahm ich ein Demo auf und ehe ich mich versah, hatte ich eine Band gegründet: LADIES OF THE NIGHT. Ich übernahm Keyboard und Gesang, holte mir einen Bassisten und am 6. Juni 2006 spielten wir unsere erste Show auf einer Hausparty. Damals benutzten wir nur einen Drumcomputer, aber später kamen ein richtiges Schlagzeug und ein Synthesizer dazu, und wir legten richtig los. Es war ein absoluter Knaller.

Und wie ging es danach weiter?
Jenny: Wir haben ein Album aufgenommen und sogar eine US-Tournee gebucht. Leider gab es einen Rückschlag, da unser Van nach nur drei Shows kaputtging und wir den Rest der Termine absagen mussten. Trotzdem haben wir an diesen wenigen Tagen ein paar unglaubliche Leute kennen gelernt, vor allem in Portland. Einer von ihnen ging sogar so weit und fuhr den ganzen Weg nach Lake Tahoe in Nevada, um uns abzuholen und uns seinen Van zu leihen, damit wir zurück nach Bellingham kommen konnten. Wir waren so begeistert von Portland, dass innerhalb eines Jahres die gesamte Band dorthin gezogen ist. Unsere musikalischen Aktivitäten waren leider nicht ganz so erfolgreich, aber wir sind alle immer noch sehr gute Freunde.

Was war dein erster Kontakt mit Punk?
Jenny: Mit Punkrock hatte ich eigentlich so gut wie nichts zu tun, als ich damals in die Musikszene von Bellingham kam. Erst als ich in Portland lebte und dort Kelly traf, bin ich richtig in die Szene eingetaucht.
Kelly: Ich erinnere mich an Punkrock aus meiner Kindheit ... Meine Eltern waren ziemlich progressiv und interessierten sich für viele verschiedene Musikrichtungen. Ich weiß noch, wie sie über Bands mit Namen wie DEAD KENNEDYS und RAMONES lachten. Meine Mutter stand in den frühen 1980er Jahren auf New Yorker New-Wave-Musik und hörte oft BLONDIE und TALKING HEADS. 1980 war das Punk, aber für mich war es nur eine Art Hintergrundgedudel. Erst als ich als Teenager viel Thrash und Heavy Metal hörte, entdeckte ich auch andere Underground-Sachen – das war Mitte der 1980er Jahre und Crossover war ziemlich stark im Kommen. Ich sah, dass Mitglieder von Bands wie METALLICA, MEGADETH oder VOIVOD Punk-T-Shirts trugen und Aufkleber von Punkbands auf ihren Gitarren hatten, was mich sehr neugierig machte. Ich hatte damals nicht viel Geld, aber mit jedem Cent, den ich in meinem Job als Tellerwäscher verdiente, kaufte ich mir Platten und entdeckte eine ganz neue Welt mit toller Musik. Die Metalbands mochte ich immer noch, aber die Texte, die ich bei den Punkbands hörte, fühlten sich so viel bedeutungsvoller an als der ganze alberne Satanismus-Quatsch von Bands wie VENOM oder MERCYFUL FATE. Ich begann auch, mich für die Idee zu begeistern, dass Punkrock eine Gemeinschaft mit einer eigenen Kultur ist, was ich in der Welt des Metal nie wirklich gespürt habe. Das alles wurde mir klar, als ich anfing, Maximum Rocknroll zu lesen und vor allem, nachdem ich die „Welcome To 1984“-Compilation entdeckt hatte. Ich hatte schon etliche europäische Metalbands gehört, aber die Tatsache, dass es so viele „exotische“ Bands auf der ganzen Welt gab, hat mich umgehauen. Auch der Austausch per Brief war damals sehr wichtig und brachte mich mit Menschen rund um den Globus in Kontakt. Mit einigen davon bin ich auch nach Jahrzehnten noch befreundet! Ich war viele Jahre lang ziemlich stark in die internationale Punk/Crust/Hardcore-Szene involviert, spielte in verschiedenen Bands, tourte durch die ganze Welt, brachte Platten auf meinem DIY-Label heraus, organisierte Touren – ich lebte diese Kultur. In dieser großartigen Gemeinschaft fühlte ich mich zu Hause. Mit der DIY-Punk-Community fühle ich mich immer noch enger verbunden als mit jeder anderen Kultur, aber ich habe auch gemerkt, dass es wichtig ist, zu wachsen und andere Gebiete zu erkunden.

Und wie passen Country und Americana in dieses Bild?
Jenny: Country- und Americana-Songs gehören zu meinem Leben, so lange ich denken kann. Meine Eltern waren beide Musiker, so dass unser Haus immer voller Musik war. Meine Mutter liebt Patsy Cline sehr und wir haben oft zusammen ihre Lieder gesungen. Eine lustige Erinnerung ist, wie ich im Haus meiner Oma in New Mexico mit meiner Mutter, meiner Oma und drei Tanten am Tisch saß. Alle amüsierten sich, tranken Bier und sangen Patsy Cline-Songs so laut sie konnten. Country war meine erste Erfahrung mit Musik, lange bevor Punkrock kam. Das Rebellische, Trotzige, das so typisch Punk ist, war auch in der Country-Musik verbreitet. So unterschiedlich die beiden Genres sind, in der Hinsicht weisen sie eine überraschende Gemeinsamkeit auf.
Kelly: Ich bin in einer ländlichen Gegend in Oregon aufgewachsen, einem überwiegend landwirtschaftlich geprägten Bundesstaat, und Country-Musik war allgegenwärtig. Ich habe mich natürlich nie für das interessiert, was im Radio gespielt wurde. Country-Musik und Punkrock haben auch hier etwas sehr Wichtiges gemeinsam, nämlich die Tatsache, dass das populäre Zeug, das, was jeder im Radio hört, niemals das repräsentiert, was das Genre wirklich ausmacht. Für mich hat die Art von Country, mit der wir uns identifizieren, ungefähr so viel mit dem Country-Mainstream zu tun wie LIMP BIZKIT, BAD RELIGION, KORN oder OFFSPRING mit Anarcho-Punk! Wie auch immer, ich mag die verschiedensten Musikrichtungen und bin begeisterter Plattensammler. Auch klassischen Rockabilly habe ich immer geliebt, bis ich entdeckte, wie diese Sachen klingen, wenn sie durch die rohe, chaotische Punkrock-Energie einer Band wie THE CRAMPS gefiltert wurden. Danach fing ich an, mich noch intensiver mit den Wurzeln von Americana zu beschäftigen. Es existiert so viel beeindruckende Musik da draußen, so viel rohes, angepisstes Zeug, das in den 1950er und 1960er Jahren von Leuten aufgenommen wurde, die kaum ihre Instrumente spielen konnten. Genau das ist die Art von Country, die mich anspricht. Ich habe kein Interesse an Pop-Country, Folk-Country oder Country-Rock. Ich bevorzuge das heftige Zeug.

Warum Country? Diese Frage wurde in letzter Zeit oft im Zusammenhang mit dem Country-Album von Beyoncé gestellt, aber wie lautet eure Antwort?
Jenny: Diese Musik war schon immer ein selbstverständlicher Teil meines Lebens. Sie prägt mein Songwriting schon viel länger als Punkrock. Wir haben also keinen dramatischen Richtungswechsel hingelegt, sondern uns nur intensiver mit etwas beschäftigt, das uns schon immer begleitet hat, anstatt andere aufzugeben. Sich exklusiv auf ein bestimmtes Genre zu konzentrieren, bedeutet eine extreme Einschränkung. Außerdem ist doch nichts mehr Punkrock als etwas zu tun, von dem alle meinen, man solle es nicht tun. Nach dem, was ich gelesen habe, hat Beyoncé das Album vor allem aus Trotz gemacht – und das ist ziemlich punkig, wenn du mich fragst. Ich bin zwar Country-Musikerin, trotzdem passt unsere Band nicht in das typische Country-Schema. Wir schöpfen aus einem breiten Spektrum von Einflüssen und fügen unserer Musik verschiedene Elemente hinzu, die sich nicht so leicht kategorisieren lassen. Ich mag den Begriff „Cowpunk“, weil er ein breites Spektrum an kombinierten Genres abdeckt. So als würde man die rohe Energie des Punkrock mit der erzählerischen Stimmung und den Motiven des Country mischen und damit die traditionellen Genregrenzen sprengen.
Kelly: Nachdem ich gefühlt über tausend Punk-Platten veröffentlicht und über 25 Jahre lang eine Million Punk-Shows gespielt habe, fand ich es aufregend, mal etwas anderes zu machen. Ich hatte vorher nicht wirklich die Möglichkeit, da sich niemand, den ich kannte, für diese Art von Musik interessierte. Ich hatte 1991 oder 1992 mal eine sehr kurzlebige Rockabilly-Band, aber die kam nie aus dem Übungsraum heraus. Als ich Jenny kennen lernte und wir anfingen, nur zum Spaß zusammen zu jammen, war das ziemlich befriedigend. Zuerst saßen wir nur zu zweit an unserem Küchentisch, Jenny spielte eine akustische Gitarre und ich einen akustischen Bass. Es klang ziemlich einfach und primitiv, da war nicht abzusehen, dass daraus das Ungetüm werden würde, das die Band heute ist. Zu der Zeit spielte ich noch in verschiedenen Punkbands, aber während die sich alle nach und nach auflösten, schafften es die SPURS irgendwie weiterzumachen – und jetzt sind wir hier! Dass Country so ein weites Feld ist, habe ich erst entdeckt, als ich tiefer in das Genre eintauchte. Es gibt so viele großartige Underground-Acts und so viele tolle Lebensgeschichten dahinter. Auch der Look ist etwas, das ich schon immer mochte, sogar in meinen Punkrock-Jahren ... Lemmy trug auch immer Westernhemden, genau wie viele andere coole alte Rocker. Mir gefällt dieser Stil schon ewig, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, selbst so herumzulaufen, bis ich 2007 zusammen mit Fred und Toody Cole von DEAD MOON die Garage-Band PIERCED ARROWS gründete. Sie standen total auf diese Western-Outfits, Schnürsenkel-Krawatten und Cowboy-Stiefel und all das, und ich fand es cool, mal etwas anderes zu tragen als die typische „Punk-Uniform“. Anfangs musste ich viel Spott von meinen etwas orthodoxeren Crustpunk-Freunden ertragen, aber heute kommt mir das alles schon viel selbstverständlicher vor.

Lange Zeit schienen Punk und Country natürliche Feinde zu sein, denn – Klischee! – die Country-Fans sind alles Hinterwäldler. Ich habe den Eindruck, dass es einen ziemlich elitären Touch hat, wenn man Country als die Musik der Trailerpark-Bewohner abtut, deshalb würde ich gerne eure Meinung dazu hören.
Kelly: Ich bin in einer winzigen Stadt an der Küste von Oregon aufgewachsen, wo es in den 1980er Jahren schon mal gefährlich sein konnte, als Metal- oder Punk-Spinner aufzufallen. Wie viele Kids aus meiner Generation damals begegnete ich den Country-Fans mit ebenso stereotypischen Vorurteilen, wie die meisten „Hinterwäldler“ mir. Ich war ein Freak mit komischen Haaren und einer Lederjacke, und sie glaubten wahrscheinlich, ich sei eine Art Satanist oder so. Ich fand mich in vielen unangenehmen Situationen wieder und es war leicht zu unterstellen, dass es sich bei diesen Arschlöchern exakt um die klassischen Country&Western-Fans handelte, die man aus Filmen kannte oder auch aus alten Punkrock-Songs wie „Redneckkk“ von CORROSION OF CONFORMITY, „Goons of Hazzard“ von DEAD KENNEDYS oder „Urban struggle“ von VANDALS. Ich brauchte wohl eine Weile, um das zu überwinden. Die Welt hat sich seitdem sehr verändert, und obwohl es in Teilen der Country-Szene immer noch viele rechte, rassistische Arschlöcher rumlaufen, hören die sowieso nicht eine Band wie uns und kommen auch nicht zu unseren Gigs. Ich muss sogar sagen, dass uns bei allen Gigs, die wir mit der Band gespielt haben, nur sehr selten jemand begegnet ist, der von der Einstellung her in das typische Redneck-Schema passt. Bei meinen alten Bands hatte ich jahrelang mit gewalttätigen Nazi-Skinheads zu tun, aber so was gab es bei den SPURS-noch nie, haha.

Sind Punk und Country also eher wie zwei Brüder, die sich nicht leiden können?
Kelly: Ich glaube, obwohl beide „Seiten“ es wahrscheinlich nur ungern zugeben würden, existieren viele Gemeinsamkeiten zwischen der Country- und der Punk-Kultur. Beide Genres sind aus der Arbeiterklasse hervorgegangen und viele der emotionalen Themen, die in den Texten angesprochen werden, basieren auf denselben Gefühlen. Man könnte sogar behaupten, dass es Punkrock – der im Grunde genommen eine beschleunigte, oft wütende Form von Rock’n’Roll ist – ohne die Country-Musik nicht geben würde. Der Rock’n’Roll wiederum hat seine Wurzeln in der Verschmelzung zweier Musikstile, die in den späten 1940er und 1950er Jahren im amerikanischen Süden beliebt waren: Hillbilly-Country und Blues. Musiker wie Carl Perkins, Charlie Feathers, Jerry Lee Lewis und vor allem Elvis kamen alle aus der Country&Western-Kultur und bewunderten den Blues, den die afroamerikanische Community hervorbrachte. Sie und ein paar andere Verrückte kombinierten die beiden Stile und daraus entstanden Rockabilly und Rock’n’Roll. Es gibt also eine direkte Verbindung von der Country&Western-Musik zum Punkrock, ob es den Punks oder den Rednecks nun gefällt oder nicht! Und, um ganz offen zu sein: Sowohl Jenny als auch ich haben einen Teil unserer Kindheit in Trailern verbracht, also stimmt das Klischee wohl irgendwie doch, haha.

Wie wurde dann aus DON’T dann JENNY DON’T AND THE SPURS?
Kelly: JENNY DON’T AND THE SPURS und DON’T haben lange Zeit parallel zueinander existiert und waren zwei völlig unabhängige Bands. DON’T wurden 2009 gegründet, aber ich bin erst viel später eingestiegen, nämlich 2017. Dennoch war ich von Anfang an immer dabei, denn Jenny und ich sind seit 2009 zusammen. Die meiste Zeit war ich ihr Roadie, Fahrer und Tourmanager als auch derjenige, der die meisten ihrer Platten veröffentlicht hat. Anfang 2012 beschlossen wir, JENNY DON’T AND THE SPURS zu gründen, zunächst waren das nur Jenny und ich. Schließlich kam Sam am Schlagzeug dazu und lange Zeit waren wir zu dritt plus gelegentliche Gastgitarristen. Auch wenn Jenny und Sam in beiden Bands spielten, waren JENNY DON’T AND THE SPURS und DON’T in den folgenden fünf Jahren zwei völlig unterschiedliche Bands mit unterschiedlichen Songs, einem unterschiedlichen Sound und leicht unterschiedlichem Line-up. Als Dave, der Bassist von DON’T, Anfang 2017 ausstieg, war sofort klar, dass ich die Position übernehme, denn ich war ja sowieso immer da. Wenn die Leute also schon durch die Tatsache verwirrt waren, dass Sam und Jenny in beiden Bands waren, wurde es leider noch verwirrender, dass 75% von DON’T auch in JENNY DON’T AND THE SPURS waren. Trotzdem hatten die beiden Bands keinerlei Ähnlichkeit, außer der Tatsache, dass sie die gleichen Mitglieder hatten. Aber die Leute waren immer verwirrter und verwechselten die Bands ständig miteinander. Gleichzeitig wurde die Resonanz auf JENNY DON’T AND THE SPURS immer besser, und die Band bekam wirklich viel zu tun. Schließlich erklärte Jenny, dass sie es leid war, den Leuten den Unterschied zwischen beiden Bands zu erklären, und wir ließen DON’T einen friedlichen Tod sterben. DON’T verabschiedeten sich im Sommer 2017 mit einer letzten Show nach acht fantastischen Jahren, in denen sie in den USA und Europa auf Tour waren, mehrere Platten veröffentlichten und viel Spaß hatten.

Und für diejenigen unter uns, die den klassischen Punk in eurer Musik vermissen ... gibt es andere Aktivitäten in dieser Richtung?
Kelly: Mit der letzten Punkband, in der ich war, P.R.O.B.L.E.M.S., war es vorbei, als sich unser Sänger Jonny Ende 2017 das Leben nahm. Wir haben erst überlegt, uns einen neuen Sänger zu suchen und weiterzumachen, aber das ist einfach nie passiert. Jeder, der schon einmal bei einem P.R.O.B.L.E.M.S.-Gig war, kann bestätigen, dass es ein chaotisches Umfeld war, und um ehrlich zu sein, war ich nicht besonders scharf darauf, das nach Jonnys Tod fortzusetzen. Außerdem hatte ich zu diesem Zeitpunkt schon fast mein ganzes Leben lang in Punk-, Hardcore- und Crust-Bands gespielt und ich hatte das Gefühl, dass es sinnlos wäre, einfach etwas Neues zu gründen, das so ähnlich klingt wie alle anderen, also konzentrierten wir uns mehr auf die SPURS. Nach einer Weile nahmen JENNY DON’T UND THE SPURS immer mehr Zeit und Energie in Anspruch, so dass ich bald auch keine Zeit mehr hatte, eine andere Band zu gründen, selbst wenn ich es gewollt hätte. Trotzdem besteht immer die Möglichkeit, dass ich irgendwann wieder eine Punkband gründe oder bei einer einsteige. Ich liebe Punkrock und das DIY-Ethos, das Teil dieser Kultur ist, und ich höre auch noch meine ganzen Punk- und Hardcore-Platten. Ich sammle seit den 1980er Jahren Punk-Platten, und die aggressive Musik von POISON IDEA, DISCHARGE, ANTI CIMEX, GAUZE und tausend anderen wird wahrscheinlich bis zu meinem Tod mein mentaler Soundtrack bleiben.
Jenny: Ich glaube, während JENNY DON’T AND THE SPURS sich weiterentwickeln, schleicht sich etwas von dem Stil von DON’T in unsere Texte ein. Wenn ich mir unser neues Album „Broken Hearted Blue“ anhöre, habe ich das Gefühl, dass „Flyin’ high“ auch ein DON’T-Song hätte werden können. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Stücke wären auch als DON’T-Songs durchgegangen. „Jealous heart“ und sogar der Titeltrack „Broken hearted blue“. Der Sound ist also immer noch da. So sind wir nun mal!

Wer ist aktuell in der Band? Euren langjährigen musikalischen Weggefährten Sam Henry habt ihr ja leider vor zwei Jahren an den Krebs verloren ...
Kelly: Sam war wie ein Bruder für uns, wir waren eine Familie. Wir waren so viele Jahre mit ihm unterwegs und haben so viel Zeit mit ihm verbracht, Musik gemacht, Partys gefeiert und einfach Zeit miteinander verbracht. Als er krank wurde und starb, kam es so plötzlich und unerwartet, dass es uns das Herz gebrochen hat. Wir waren uns nicht sicher, ob wir das alles überstehen würden, ob wir als Band weitermachen wollten, ohne eine so wichtige Figur, wie Sam es war. Es brauchte eine Menge Diskussionen zwischen mir, Jenny und unserem Gitarristen Christopher, bevor wir schließlich entschieden, dass wir weitermachen mussten. Wir hatten das Gefühl, dass all die harte Arbeit, die Sam in die Band gesteckt hatte, umsonst gewesen wäre, wenn wir einfach aufgegeben hätten. Sam hätte auf keinen Fall gewollt, dass wir aufhören, und es fühlt sich gut an, immer noch die Musik zu verbreiten, bei deren Entstehung er uns geholfen hat. Am Anfang war es ziemlich traurig und seltsam, mit einem anderen Schlagzeuger zu spielen, aber Buddy Weeks hat einen unglaublichen Job gemacht, indem er nicht nur die Songs perfekt spielen konnte, sondern auch von der Persönlichkeit her zu uns passt. Es ist ein anspruchsvoller Lebensstil und wir drei sind irgendwie speziell, also ist es ziemlich erstaunlich, dass jemand kommt und sich einfach als Teil der Familie einfügt.
Jenny: Sam war wirklich einzigartig. Es hat großen Spaß gemacht, mit ihm Musik zu machen. Er liebte es wirklich, Musik zu machen und zu touren. Er hat das Leben einfach geliebt. Ich lernte ihn kurz nach meinem Umzug nach Portland im Jahr 2008 kennen, und zwar durch Andrew Loomis von DEAD MOON, der in dem Haus abhing, in das ich zog. Ursprünglich hatten Andrew und ich vor, ein gemeinsames Projekt zu starten, aber es wurde klar, dass er sich nicht so sehr für Musik begeisterte wie ich damals. Da hat er mir Sam vorgestellt ... und der Rest ist Geschichte. Wir haben uns auf Anhieb gut verstanden. Ich spielte Sam einige Songs vor, die später zu Liedern der SPURS wurden, und er war sofort begeistert. Bevor die SPURS gegründet wurden, spielten Sam und ich gelegentlich Akustikshows, bei denen wir zum Spaß Country-Musik auf Restaurant-Terrassen spielten. Nach Sams Tod war es eine schwere Entscheidung, die Band weiterzuführen. Aber ich bin wirklich dankbar, dass wir Buddy Weeks gefunden haben. Wie Kelly schon sagte, er ist großartig! Es macht nicht nur Spaß, mit ihm zu touren, sondern auch sein traditioneller Schlagzeugstil, der dem von Sam ähnelt, passt perfekt zu unseren Songs. Es wäre unmöglich, Sams Stil nachzuahmen, und wir erwarten das auch von niemandem. Mit Buddy Weeks am Schlagzeug beginnt ein neues, positives Kapitel für die Band. Sein Stil bringt eine neue Farbe rein und wir sind wirklich stolz auf das Album, das wir gemeinsam erarbeitet haben. Christopher an der Gitarre ist auch großartig. Ursprünglich ist er für eine Tournee eingesprungen, aber es hat uns so gut gefallen, dass ich ihn gebeten habe, dabei zu bleiben. Das ist nun auch schon sieben Jahre her. Als er dazukam, hatten wir große Tour-Pläne – und haben sogar noch mehr erreicht, als ich es mir vorgestellt hatte. Letztes Jahr haben wir Asien, Australien, Neuseeland und Mexiko bereist. Es ist schon erstaunlich zu sehen, wie sich die ganze harte Arbeit, die wir gemeinsam investiert haben, jetzt auszahlt. Ich bin Christopher unendlich dankbar, dass er sich entschieden hat, bei uns zu bleiben.

Spielt ihr mit der Country-Band vor einem anderen Publikum als mit DON’T? Ist es in Europa noch mal anders?
Kelly: Es gibt viele Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Publikum der beiden Bands. Zunächst einmal sind die SPURS-Shows inzwischen viel größer und lustiger als die DON’T-Shows ... Ich glaube, JENNY DON’T AND THE SPURS besitzen eine größere Anziehungskraft. Denn es ist eigentlich egal, ob du auf Punk oder Rockabilly oder Country oder Garage oder was auch immer stehst, es ist wahrscheinlich irgendein Element dabei, das dich anspricht. Wir sind keine wirklich typische Country-Band – wir sind schneller, lauter und kombinieren die verschiedensten Stile, die wir lieben, in nur einer Band. Wir haben die Energie und Intensität von Punkrock und Garage, den Twang und den Hall von Surfmusik und Spaghetti-Western sowie die Ästhetik und die Arroganz von Rockabilly und Country-Musik aus den 1950er und 1960er Jahren.

Jenny und Kelly, ihr seid nicht nur musikalische Partner. Wie beeinflusst das die Arbeit in einer Band und das Schreiben von Musik?
Kelly: Es ist toll, einen Partner zu haben, mit dem man zusammenarbeiten und kreativ sein kann. Eins der Dinge, die uns verbunden haben, ist die Tatsache, dass wir beide gerne Musik machen und unterwegs sind. Man braucht eine ganz spezielle Persönlichkeit, um mit den Unannehmlichkeiten und dem Chaos auf Tour umgehen zu können. Viele Leute denken, es wäre eine einzige pausenlose Party, wo sie Abend für Abend einen Riesenspaß haben. Und wenn sie dann wirklich losfahren, stellen sie fest, dass es hauptsächlich darum geht, stundenlang müde und hungrig in einem Van zu hocken, in dem es zu kalt oder zu heiß ist, schwere Kisten die Treppen hoch und runter zu tragen und hinter der Bühne zu warten, wo man sich zu Tode langweilt. Jenny kam schon ziemlich früh in unserer Beziehung mit auf Tour, da war ich noch Schlagzeuger bei PIERCED ARROWS. Ich war ein bisschen nervös, denn mit einer Freundin auf Tour zu gehen, kann das Ende einer Beziehung bedeuten ... Aber ich war sehr angenehm überrascht, als ich herausfand, dass sie diesen Scheiß genauso liebt wie ich, und von da an passte alles perfekt. 15 Jahre später lieben wir uns immer noch, sind immer noch unterwegs und unser Leben dreht sich hauptsächlich darum, gemeinsam Musik zu machen und all die anderen Dinge, die dazugehören, wenn man eine Band hat und aktiv ist. Wir haben ein Haus in Portland, in dem sich alles um unser Musikleben dreht: Wir proben in einem Raum im Keller, wir betreiben unser Plattenlabel Doomtown Sounds von zu Hause aus und wenn wir es uns abends gemütlich machen, schauen wir uns meistens einen Film an, während wir Plattencover zusammenbauen, Buttons machen oder Aufkleber ausstanzen. Es ist unglaublich, dass es uns gelungen ist, einander zu finden!
Jenny: Als ich Kelly zum ersten Mal sah – es war bei einer PIERCED ARROWS-Show, wo er Schlagzeug spielte –, war es Liebe auf den ersten Blick! Es bedurfte einiger Überzeugungsarbeit, aber schließlich kamen wir zusammen und, wie Kelly schon sagte, sie nahmen mich mit auf Tour – und mir gefiel alles daran. Sogar die harten Seiten. Es ist einfach eine ganz eigene Welt und ein total eigener Lebensstil, und das verstehst du erst, wenn du es lebst – und zwar mit Leuten, die ein System entwickelt haben, mit dem es funktioniert. Ich habe durch PIERCED ARROWS gelernt, wie man auf Tour geht. Bei Fred und Toody Cole von DEAD MOON, auch einem Ehepaar, drehte sich alles im Leben um die Musik. Jetzt sind Kelly und ich das Ehepaar in der Band , bei dem sich alles um die Musik und kreativen Projekte dreht. Wir sind ein gutes Team, wir sind ähnlich drauf und haben die gleichen Ziele. Trotz unserer Gemeinsamkeiten haben wir aber einen unterschiedlichen Ansatz beim Schreiben von Musik. „Broken Hearted Blue“ ist das erste Album, bei dem wir wirklich während des gesamten Schreibprozesses zusammengearbeitet haben. Wir waren uns über unsere Unterschiede im Klaren und haben uns bewusst bemüht, sie zu akzeptieren. Ich bin froh, dass wir es versucht haben, denn es ist mein Lieblingsalbum, das wir bisher gemacht haben. Es war eine tolle Erfahrung, es zu schreiben.

Welche Bands und Alben mögt ihr beide zur Zeit besonders?
Kelly: Es gibt hier in Portland einige tolle Bands, wir spielen oft mit unseren Freunden ROSELIT BONE und FEDERALE zusammen. Beide Bands machen unglaubliche, umwerfende Musik. Wir treffen natürlich viele Bands, die wir mögen, auch auf Tour ... NOELLE & THE DESERTERS und THE UGLY in Kalifornien, ANDREA AND MUD in Georgia, THE STRIPP, die großartigen, energiegeladenen Punk’n’Roll spielen, in Australien, genau wie DEAD, SCHKEUDITZER KREUZ, SIN CITY und einige mehr. In Neuseeland gibt es RATSO, KENDALL ELISE und ADAM HATTAWAY AND THE HAUNTERS. Zu Hause höre ich allerdings sehr viel altes Zeug ... entweder klassischen internationalen Punkrock oder Garage, Surf, Exotica und Rockabilly. Ich bin ein fanatischer Musikliebhaber und Plattensammler, also geht mein Geschmack in viele Richtungen.

Macht ihr noch etwas anderes, außer in einer Band zu spielen?
Kelly: Wir konzentrieren uns hauptsächlich auf die Band, aber wir arbeiten auch manchmal in unseren alten Jobs ... Jenny arbeitet ein paar Tage im Monat in einem Musiklokal hier in Portland und ich arbeite immer noch gelegentlich als Bauarbeiter und im Landschaftsbau. Die Band nimmt jedoch den Großteil unserer Zeit in Anspruch, da bleibt nicht viel für anderes. Die Band in Schwung zu halten, ist mehr oder weniger ein Vollzeitjob für uns. Wir sind sehr aktiv und versuchen immer noch, so viel DIY wie möglich beizubehalten. Wir veröffentlichen die meisten unserer Platten auf unserem eigenen Label, wir drucken viele unserer Poster, Plattenhüllen und Werbematerialien selbst und wir haben viel Einfluss darauf, wo wir auf Tournee gehen oder welche Gigs wir spielen werden. Wenn wir mal nicht auf Tour sind und uns um das tägliche Überleben auf der Straße kümmern müssen, sind wir die meiste Zeit damit beschäftigt, die tausenden kleinen Details zu koordinieren, die nötig sind, um die Band am Laufen zu halten. In der wenigen Freizeit, die wir haben, näht Jenny oft ihre eigenen Bühnenoutfits, und ich schraube gerne an den kaputten, halb reparierten Motorrädern herum, die unsere Einfahrt blockieren.

Apropos Texte: Zumindest in den Songtiteln eures neuen Albums geht es um Herz, Liebe, Blue(s) ... Konzept oder Zufall?
Jenny: Reiner Zufall ... Ich glaube, so habe ich mich während des Schreibprozesses gefühlt. Es war definitiv nicht beabsichtigt, aber ich finde es gut, dass es so gekommen ist. Wenn man sich für ein Konzept entscheidet, kann sich das Ganze manchmal etwas konstruiert anfühlen. Doch es war einfach der natürliche Lauf der Dinge.