JAWBOX

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Unfallskizzen

Mit „My Scrapbook Of Fatal Accidents“ hat das Hamburger Sammler-Label Arctic Rodeo eine zwei LPs umfassende Zusammenstellung von Nicht-Album-Songs der von 1989 bis 1997 existierenden Washington, DC-Band JAWBOX um den Gitarristen und Produzenten J. Robbins auf Vinyl neu veröffentlicht, die ursprünglich 1998 auf dem bandeigenen DeSoto-Label erschienen war. Neben Peel Session-Tracks finden sich hier Compilation-Songs, Cover-Versionen (BUZZCOCKS, THE CURE) und Live-Aufnahmen. Ich nahm diesen Release zum Anlass, ein paar JAWBOX-Erinnerungen aus J. Robbins herauszukitzeln. In Kürze erscheint über Dischord und DeSoto übrigens auch noch eine remasterte Neuauflage des titellosen vierten Albums von JAWBOX aus dem Jahre 1996, als LP wie auch als CD.

J., wie ist es für einen Musiker, mit etwas konfrontiert zu werden, das 15 bis 20 Jahre zurückliegt?


Es ist schön, wirklich. Es ist toll, dass sich immer noch irgendwer dafür interessiert, was wir mit JAWBOX gemacht haben. Mir erscheint das auch als Teil einer kontinuierlichen Entwicklung, nicht als etwas, das in so weiter Ferne liegt, dass ich damit nichts mehr zu tun habe.

Hast du rückblickend eine Idee, was JAWBOX zu so einer Kultband gemacht haben könnte, dass die Leute auch 18 Jahre nach der Auflösung noch ihre Platten und T-Shirts kaufen?

Ich denke nicht, dass JAWBOX eine „Kultband“ sind. Ich bin sehr stolz auf uns, aber damals gab es eine Menge guter Bands – und die gibt es immer. Es war damals eine inspirierende Zeit, um Musik zu machen. Wir haben sehr hart gearbeitet und uns dadurch verbessert, für uns war nichts selbstverständlich. Außerdem existierte die Band kulturell gesehen in einer glücklicheren Zeit. Damals kam viel positive Energie aus dem Underground, die schließlich auch die Allgemeinheit erreichte. Ich bin ich sehr froh, dass sich immer noch jemand für uns interessiert, denn es passierte damals überall viel Spannendes, und ich hoffe, dass das alles auch heute noch Leute erreicht, die damit etwas anfangen können.

JAWBOX sind zu einem Zeitpunkt von der Bildfläche verschwunden, zu dem ihr auch genauso gut euren Durchbruch hättet erleben können. Bedauerst du das?

Nein, die Band hatte ihr natürliches Ende erreicht – tatsächlich hat unsere Beziehung zu Atlantic Records die Band sogar noch länger am Leben gehalten, wenngleich nicht auf unnatürliche Weise. Ich bezweifle, dass ein „Durchbruch“, was auch immer das genau bedeutet, für uns je im Bereich des Möglichen gelegen hätte. Wir waren eher geneigt, noch verrücktere Sachen zu machen, nichts, das irgendwie zugänglicher gewesen wäre. Es hatte alle ganz schön ausgelaugt, ausschließlich in eine Richtung zu arbeiten, und mit dem Wohlwollen und der Geduld unserer Vertragspartner bei Atlantic war es ebenfalls ganz plötzlich vorbei, außerdem wollte unser Schlagzeuger wieder aufs College gehen. Und wir waren definitiv eine Band, die den Abgang auch nur eines Mitglieds nicht verkraftet hätte. Davon abgesehen hatten wir bereits alles an Positivem erlebt, was einem Band so passieren kann, so dass es einfach an der Zeit war, die Band zu begraben. Es gibt also nichts zu bedauern.

Wer hatte damals die Idee zu „My Scrapbook Of Fatal Accidents“, wer hat es zusammengestellt?

Kim hatte die Idee und zusammengestellt haben wir es alle. Kim hat auch eine komplette Liste mit allen Konzerten, die wir je gespielt haben, was irgendwie das Coolste an der Platte ist. Den Titel habe ich vorgeschlagen. Er bezieht sich auf den Film „Der Mann mit dem goldenen Arm“ von Otto Preminger.

Stehst du noch in Kontakt zu deinen früheren Bandkollegen? Womit sind sie heute musikalisch und sonst so beschäftigt?

Wir sind alle Freunde geblieben. Kim ist Schulbibliothekarin, Bill hat schon seit langer Zeit seine eigene Webdesign-Firma, und soweit ich weiß macht schon länger keiner von beiden mehr Musik. Zack betreibt einen Buchladen, unterstützt die Kreativität seiner Freunde mit seiner Website culturalsociety.org und spielt Schlagzeug in der Instrumentalband BELLS≥.

Ich bin jedes Jahr aufs Neue überrascht, welche alten Bands für Konzerte auf europäischen Festivals wie dem Groezrock wieder zusammenkommen. 2009 habt ihr auch eine exklusive Show gespielt. Heißt für euch „nie wieder“ also wirklich für immer?

Ich sehe auch in Zukunft keine JAWBOX-Reunion. Insbesondere bei Kim und Bill kann ich mir nicht wirklich vorstellen, dass sie wieder Musik machen wollen. So etwas ist eine Menge Arbeit, wir leben alle weit voneinander entfernt und wir würden auch nicht wollen, dass es nur ein schwacher Abklatsch dessen ist, wozu wir auf unserem Höhepunkt fähig waren ... Wir sind einfach schon lange keine Band mehr. Es wäre sinnvoll, es dabei zu belassen. Das Einzige, was ihr noch erleben könntet, das einer JAWBOX-Reunion am nächsten kommt, wäre höchstens ich mit ein paar Akustikversionen unserer Songs. Einige der Stücke sind in mir noch sehr lebendig, es fühlt sich daher gut an, sie mal so zu spielen.

An was arbeitest du derzeit, im Studio sowie als Musiker?

Im Studio vergnüge ich mich gerade damit, eine meiner absoluten Lieblingsbands aufzunehmen, DARIA. Sie kommen aus Angers in Frankreich und sind hier, um ein Album zu machen. Das Studio ist zur Zeit ziemlich gut ausgelastet, hauptsächlich bin ich also damit beschäftigt. Außerdem habe ich ein paar Akustiksachen aufgenommen und Songs geschrieben. Mit CHANNELS, der Band, die ich gemeinsam mit meiner Frau Janet Morgan hatte, haben wir auch eine Reihe Reunion-Konzerte gespielt im Rahmen der Vinylveröffentlichung, die letztes Jahr bei Arctic Rodeo erschienen ist. Seither ist aber nichts weiter passiert. Ich würde sagen, OFFICE OF FUTURE PLANS sind nun meine „offizielle“ Band, zumindest dem Namen nach – wir kommen nicht wirklich oft dazu zu spielen. Aber wir haben die Band auch keinesfalls schon beerdigt. Für 2015 habe ich mir vor allem vorgenommen, endlich mehr Zeit für das Schreiben und Aufnehmen meiner eigenen Sachen zu finden. Wir werden sehen.