Zieht man einmal das Rauschen ab, das Kratzen und Schaben, das Knistern und Brummen, den ultraverzerrten Bass und den ultraverzerrten Gesang (gesungen wird durch Telefonhörer!), diesen ganzen Geräusch-Matsch, der zusätzlich noch einmal durch eingespielte Tapes verunreinigt wird, kommen ganz plötzlich Melodien zu Tage. Glasklare Melodien - und zwar die besten Pop-Punk-Melodien seit den RAMONES! Aber zum Glück legen JAPANTHER diesen ganzen Matsch drüber, zum Glück sind sie keine RAMONES-Klone, sondern der derzeit heißeste Mix, den man sich nur vorstellen kann: Melodiepunk und derber Noise, Extrem-Metal-Ästhetik und HipHop-Grooves, Street-Attitüde und Art-Punk in einem. Aber all das findet bei dem Duo Ian Vanek (Drums, Vocals) und Matt Reilly (Bass, Vocals) nicht als Crossover statt, sondern wird fest zu einer akustischen Kanonenkugel zusammengeschmolzen, die den Hörer mitten in den Magen trifft. Und ins Herz. Denn bei aller Hass- und Lärm-Attitüde sind JAPANTHER sehr knuffig, beschreiben sich selber als Cartoonfiguren, denen jede Verbissenheit fremd ist.
Wie kam es zur Gründung von JAPANTHER?
Ian: Matt und ich haben uns an einer Art-School kennengelernt, und JAPANTHER 2000 in Brooklyn, New York gegründet.
Das klingt nach einer typischen Art-School-Punkband.
Ian: Ja, in gewisser Weise sind wir das auch. Großartige Bands wie TALKING HEADS oder LIGHTNING BOLT kommen aus diesem Art-School-Kontext. Du triffst dort einfach kreative Leute, die ähnliche Ansichten haben und Lust zu experimentieren.
Was sind eure Einflüsse?
Ian: Gibt es Einflüsse bei uns? Ja, klar: MISFITS, RAMONES, Sixties-Girlgroups wie zum Beispiel die RONETTES. Aber wir versuchen trotzdem etwas Eigenes zu machen, etwas, das uns selbst gefällt. Unser Stil ist einfach das Produkt aus uns beiden und wir versuchen, nur wir selbst zu sein und Spaß zu haben, außerdem ist keiner von uns ausgebildeter Musiker.
In einem anderen Interview habt ihr gesagt, ihr wolltet wie SLAYER klingen.
Ian: Wie lieben SLAYER, sie haben einen Rieseneinfluss auf uns. Wir mögen ihre Intensität, ihre theatralische Art, ihre Logos, einfach alles, aber natürlich schaffen wir es überhaupt nicht, nach ihnen zu klingen.
Ihr benutzt gerne düsteres, Metal-mäßiges Artwork und spielt mit Versatzstücken aus Horrorfilmen. Wie ernsthaft ist das?
Ian: Das Artwork von der "Yer Living Grave" ist unser Lieblingsartwork. Wir mögen Bands wie IRON MAIDEN, ihr Outfit, und wie sie klingen. Wir sind definitiv auch vom Heavy Metal beeinflusst.
Anders als andere Noise-Rockbands scheint ihr euch selbst aber nicht allzu ernst zu nehmen, oder?
Ian: Was wir machen, machen wir, weil es Spaß machen soll. Unsere Musik soll Spaß machen. Wir werden nie von unserer Musik leben können oder eine Platte machen, die sich richtig gut verkauft. Warum sollten wir uns nicht einfach darauf konzentrieren, Spaß zu haben und über das, was wir machen, lachen zu können? Manchmal haben wir einen schlechten Abend und ein Auftritt läuft schief, aber das passiert halt, und am nächsten Tag können wir darüber lachen.
Angeblich wurden alle eure Platten sind zu Hause aufgenommen.
Ian: Wir haben mit Vierspurgeräten angefangen und das auch beibehalten, obwohl wir jetzt auch mit Aufnahmetechnikern zusammenarbeiten. Aber es hat immer noch den Stil von Homerecording. Wir versuchen, unseren typischen Sound beizubehalten und geben die Produktion nicht an jemand anderen ab, wie viele andere Bands. Wir entscheiden selbst, wie etwas klingen soll, und versuchen absichtlich LoFi zu klingen, das ist unser Sound.
Der Kern der Band seid nur ihr zwei, aber auf euren Alben werden bis zu zehn Leute genannt, die zu JAPANTHER gehören.
Ian: Die Idee dahinter ist, dass wir uns eher als Projekt und nicht als eine feste Band verstehen. Es ist mehr eine Gang mit rotierenden Mitgliedern. Claudia, die ab und zu Gitarre spielt, Devin, der mit uns aufnimmt, und Marc, der produziert und uns hilft, die Gestaltung zu machen, alle gehören irgendwie dazu und tragen einen großen Teil zu JAPANTHER bei. Wo andere Bands sagen, die Band sind nur wir und danke an die, die uns geholfen haben, sagen wir, diese Leute gehören dazu, das sind unsere Freunde. Schließlich helfen sie uns auf verschiedenste Weise, spielen Gitarre und wir benutzen diese Aufnahmen ja auch in unseren Live-Samples.
Ihr nehmt viele Songs immer wieder in verschiedenen Versionen auf und veröffentlicht sie auf verschiedenen Alben. Warum macht ihr das?
Matt: Das ist bewusste Irritationspolitik!
Ian: Matt macht das gerne, aber das haben die MISFITS oder die RAMONES auch schon gemacht.
Matt: Aber auch, weil wir immer wieder neue Ideen haben, weil ein Song nicht wirklich abgeschlossen sein muss, wenn er irgendwo veröffentlicht ist. So klingt er halt in verschiedenen Aufnahmen einmal so, einmal so.
Ian: Wir mögen alle Versionen unsere Songs. Und nur, weil wir einen Song schon mal auf einem anderen Album veröffentlicht haben, ist das kein Grund, ihn nicht noch einmal aufzunehmen. Es ist schließlich eine komplett andere Umsetzung derselben Idee, und wird vielleicht gerade erst dadurch interessant. Mag sein, dass sich irgendwer darüber aufregt, aber das ist nicht unsere Sache, wir können machen, was wir wollen. Wir haben diese Idee einfach von den MISFITS übernommen und es macht uns Spaß.
Live singt ihr in Telefonhörer und spielt so sehr verzerrt, dass man meinen könnte, ihr versucht absichtlich, so schlecht wie möglich zu klingen.
Ian: Ja, wir mögen Garagerock und sind sehr große Fans dieser LoFi-Idee und ich glaube, das hört man auch. Das kommt von unserer Vorliebe für Low Fidelity, High Energy und Soul. Im Soul muss man nicht genau die Töne treffen, und trotzdem kannst du spüren, was jemand fühlt. Ich glaube, dass man durch einen hohen Grad an Verzerrung und Lautstärke eine ebenso große Intensität erzeugen kann wie im Soul. Obwohl wir es manchmal wie eine Maske oder ein Schild benutzen, hinter dem wir unsere Seele verstecken.
Musstet ihr eure Seele an den Teufel verkaufen, um so großartigen Rock'n'Roll zu machen?
Matt: Nein, diese Musik ist das exakte Gegenteil zum Teufel.
Ian: Wir versuchen eher vom Teufel wegzukommen. Unsere Musik dreht sich um Harmonie und echte Gefühle, und ich denke, der Teufel ist das, was versucht, das zu zerstören. In der Punkszene geht es viel um Hass, aber damit wollen wir nichts zu tun haben. Uns geht es um positive Energie und darum, friedlich miteinander auszukommen.
Matt: Für mich hat es sehr viel mit Punk zu tun, "happy" zu sein.
Aber eure Texte handeln eher von dem, was euch daran hindert, glücklich zu sein.
Ian: Klar, in unseren Texten geht es um Tod, Drogen, Schule, Abtreibung. Wir singen über Dinge, die mit unserem Leben zu tun haben. Wenn ich ein Liebeslied schreibe und nicht weiß, was Liebe ist, wie kann der Song gut sein? Aber wenn ich einen Freund hatte, der an Heroin gestorben ist, oder eine Freundin, die eine Abtreibung hatte, dann kann ich von einem ehrlichen Standpunkt aus schreiben, um es der Welt mitzuteilen.
Matt: Wenn du Dinge, die dich fertig machen, mitteilen kannst, dann fühlst du dich auch besser.
Ihr habt zusammen mit THE GOOD GOOD eine 7" für die Tour gemacht. Macht ihr in nächster Zeit auch wieder ein Album?
Ian: Hoffentlich können wir hier ein Album bei einem europäischen Label machen, das hier besser vertrieben werden kann. Wenn wir zurück in New York sind werden wir auch mit den Aufnahmen für ein neues Album beginnen.
Was hat es mit der DVD "Dump The Body In Rikki Lake - A Punk Rock Puppet Show" auf sich?
Ian: Das ist eine Performance, die wir mit Marionetten im Stil einer Gangsta-Rap-Opera gemacht haben, als Persiflage auf Rockopern. Wir haben diese Performance September 2005 in einer Galerie in New York aufgeführt und ein Jahr später ist die DVD endlich fertig geworden. Es ist außerdem noch ein Film von Matt namens "Punk-House" darauf, eine Dokumentation über ein Punkhaus in L.A.
Ihr habt diese "Puppet Show" auch in Wien aufgeführt?
Ian: Das war eine andere Puppet-Show mit dem Titel "Don't Trust Anyone Over Thirty" von dem Künstler Dan Graham. Dort waren richtig viele Leute beteiligt, und wir haben dabei viel gelernt, weil es wesentlich professioneller aufgezogen war als normale Punk-Konzerte, und wir interessieren uns selbst auch viel für Performance Art.
Ihr habt auch schon ein Live-Konzert in einem Schwimmbad mit Synchronschwimmern gespielt ...
Ian: Wir mögen Punk-Konzerte, aber es ist immer wieder das Gleiche und wird irgendwann langweilig. Deshalb spielen wir gerne Konzerte in einem ungewöhnlichen Kontext, um nicht selbst langweilig zu werden. Das Tolle an dem Auftritt mit den Synchronschwimmern war, dass alle daran Spaß hatten: Eltern, Kinder, Teenager, Punks. Alle zusammen sagten: "Cool, so etwas habe ich noch nie gesehen." Zu einem "normalen" Punk- oder Rock-Konzert kommen immer die gleichen Leute. Wodurch unterscheiden sich diese Konzerte überhaupt noch voneinander? Wir wollen etwas Aufregendes machen, um die Leute zu überraschen.
Wenn man Bands wie PARTS & LABOUR, BLACK DICE, ONEIDA oder euch nimmt, dann scheint es so, als gebe es jenseits des STROKES-Hypes einen wahnsinnig kreativen, experimentellen Underground in New York.
Matt: Es gibt eine großartige Kunst- und Musikszene, und jeder interessiert sich dafür, jeder ist wahnsinnig aufgeschlossen und dadurch entsteht viel Neues und Ungewöhnliches.
Ian: Die STROKES klingen exakt wie Tom Petty, und ich mag Tom Petty und ich mag auch die STROKES, weil sie gute Songs haben. Aber du hast Recht: sie machen nichts Neues, sondern wiederholen nur, was schon da war. Wenn man Geld verdienen will, ist das natürlich die sicherste Sache, aber für mich ist jemand wie Sun Ra, der schon in den Fünfzigern experimentelle Sachen gemacht und bis heute nicht die Aufmerksamkeit bekommen hat, die er verdient, viel bedeutender. Aber er hat P-FUNK beeinflusst, und P-FUNK haben Snoop Dog beeinflusst, und der ist gerade der heiße Scheiß. Die Sachen, die das SUN RA ARKESTRA in den Fünfzigern gemacht hat, sind abgedrehter, als das meiste, was es aktuell gibt. Diejenigen, die experimentieren, werden sich immer damit begnügen müssen, weniger Aufmerksamkeit zu bekommen als ihre Nachahmer.
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