JAM

Die Geschichte von THE JAM ist in erster Linie die von Paul (eigentlich John William, nach seinem Vater) Weller. Geboren 1958, wuchs er im Londoner Vorort Woking in einer musikbegeisterten Familie auf. Sein Vater unterstützte seine Musikbegeisterung von Anfang an und wurde später sogar Manager der Band. Mitte der 70er Jahre, Paul hatte schon einige Erfahrungen in diversen Schülerbands gesammelt, lernte er Bruce Foxton (Bass) und Rick Buckler (Drums) kennen, beide Jahrgang 1955 und auch keine musikalischen Anfänger mehr. So traf man sich des öfteren nach der Schule zum "jammen", daher auch der Name der Band, und hatte schon kurze Zeit später erste kleinere Auftritte in London. Man spielte vorwiegend die üblichen Rock'n'Roll/Pop-Standards, wagte sich aber auch schon an erste eigene Stücke.

Weller war auch einer derjenigen, die ihr kulturelles Schlüsselerlebnis bei einem frühen Auftritt der Sex Pistols hatten: die Musik der JAM wurde ab sofort härter, die Texte wütender. Da die Jungs sich durch ihre Auftritte in London schon einen Namen gemacht hatten, war es keine Frage, daß sie beim legendären "100 Club Festival" am 20./21.September 1976, zusammen mit anderen späteren Legenden wie beispielsweise den SEX PISTOLS, THE CLASH, THE DAMNED, den BUZZCOCKS oder SIOUXSIE AND THE BANSHEES dabei waren.

Obwohl die Band von nun an fester Bestandteil der Londoner Punkszene war, hatte sie mit dem ganzen Sicherheitsnadelzeugs nie was am Hut, im Gegenteil: man zog sich schwarze Anzüge an, band sich Krawatten um und legte sich so eine Art Saubermannimage zu. Outfitmäßig hätten sie ziemlich gut in die 60er Jahre gepaßt, und von dort bezogen sie auch musikalisch einen großen Teil ihrer Inspirationen: THE WHO, KINKS, SMALL FACES und andere Modkapellen der Sixties. Der übersteigerte, offen zur Schau gestellte Konservatismus (Sachen wie Union Jacks und das Logo der Royal Air Force auf Plattencovern und T-Shirts etc.) war vielleicht auch mit eine der Ursachen dafür, daß die britische Presse der Band von Anfang an mehr Wohlwollen entgegenbrachte als den anderen, größtenteils "schmutzigen" Vertretern des "New Wave".

Anfang 1977 unterschrieb die Band dann bei Polydor. Die Plattenmultis hatten es ziemlich eilig, eine von diesen "Punk"-Bands unter Vertrag zu bekommen, denn schließlich waren ihnen schon sowohl die Sex Pistols (EMI) als auch die Clash (CBS) durch die Lappen gegangen. Im Mai kam dann das Debütalbum "In the city", das es bis auf Platz 20 der britischen Charts schaffte, die gleichnamige Single schaffte es immerhin auf Platz 40 (diese drögen Zahlen nur als Verdeutlichung, wie populär die Band damals schon war, ja ja, public image und so). Das Gitarrenriff wurde übrigens kurze Zeit später von Steve Jones für den bekannten Pistols-Schlager "Holidays in the sun" 1:1 übernommen.

Im Sommer dann kam die zweite Single "All around the world" und schon im Herbst desselben Jahres folgte dann das zweite Album "This is the modern world", wiederum begleitet von einer Single mit dem Stück gleichen Namens. Sowohl Musik als auch Outfit hatten sich geändert. Während das erste Album hauptsächlich aus Uptempo-Nummern bestand, schlug man hier teilweise schon etwas gemäßigtere Töne an. Im besten Sinne "sozialkritische" Themen beherrschten von nun an die Texte. Leidet dieses Album vielleicht auch durch eine etwas dünne Produktion, sind doch einige echte Klassiker zu verzeichnen. Man tourte weiterhin pausenlos, und die Popularität von THE JAM wuchs immer noch langsam aber stetig. Dennoch war die Band an einem kritischen Punkt angelangt: das Album wurde von der allmächtigen britischen Musikpresse längst nicht so gefeiert wie das erste, und nach einer desaströsen US-Tour, wo man auf einigen Gigs den Opener für die Hardrock-Band BLUE ÖYSTER CULT machen mußte, hatte Weller von London fürs erste die Schnauze voll und beschloß, wieder zurück nach Woking zu ziehen, um dort in aller Ruhe Songs zu schreiben, die sich fast ausmahmslos als Klassiker entpuppen sollten...

Das erste Lebenszeichen auf Vinyl im Jahre 1978 war dann die Single "News of the world", eines der wenigen Stücke aus der Feder von Bruce Foxton, der sich heute ja bekanntlich bei den Überbleibseln der STIFF LITTLE FINGERS sein Gnadenbrot (mehr oder weniger) verdient: vielleicht eine der besten Singles der Band überhaupt.

Im Sommer dann brachte man die Single "David Watts" raus, ein Cover der KINKS (ach ja, wer sich für richtig gute englische Popmusik interessiert, der sollte sich mal ein gutes 60er-"Best of" dieser fantastischen Band besorgen und das dann mit dem Oeuvre der heutigen "Helden" der britischen Popmusik, nämlich OASIS und Konsorten vergleichen, dies nur als Anregung), natürlich drei Ecken härter und schneller als das Original. Auch diese Single schaffte es zu einer recht guten Chartsposition. Interessanter war jedoch die B-Seite "'A' bomb in Wardour Street", einem wahren Zeitdokument über die damalige Gewalt auf den Straßen, in den Pubs und auf Konzerten ("I don't know what I'm doing here ,cause it's not my scene at all ... my head's been kicked and blood started to pour ... and hate and war, it's Doctor Marten's apocalypse"). Die nächste 7" war noch besser: "Down in the tube station at midnight", im Oktober veröffentlicht, schlug textlich in die gleiche Kerbe und wurde zu einem der populärsten Stücke der Band überhaupt. Beide Titel fanden sich dann auf dem Album wieder, welches viele für das beste der JAM halten: "All mod cons" wurde im Oktober veröffentlicht und landete in den Top 10.

1979 war das Jahr des großen Mod-Revivals, und vielleicht waren die frühen JAM für viele der daran beteiligten Bands ("Mods mayday"-Compilation!) der Auslöser, 1964 wieder aufleben zu lassen. Zwar lassen sich auch dort einige Perlen entdecken (SECRET AFFAIR beispielsweise), doch an die Eigenständigkeit und Originalität von THE JAM kam kaum eine der damaligen Kapellen auch nur annähernd heran. THE JAM war zu keinem Zeitpunkt eine plumpe Modrevivalband, genausowenig wie Punk oder Soul oder R&B oder Beat oder weiß der Teufel, THE JAM war immer nur THE JAM.

Im Laufe des Jahres wurden zwei weitere großartige Singles veröffentlicht: "Strange town" und "When you're young" konnten das hohe Niveau des Albums halten, und textlich entwickelte man sich langsam weg von der Sozialkritik hin zu einer "erwachsenen" Melancholie (fast erschreckend abgeklärt, wenn man bedenkt, daß Paul Weller zu der Zeit gerade mal 21 war!). "Setting sons", im Herbst 1979 veröffentlicht, war dann auch eine Art Konzeptalbum über das Erwachsenwerden, über den Frust angesichts der alten Kumpels, die mit Frau und Kind einfach von der Bildfläche verschwanden... Texte wie der von "Thick as thieves" dürften damals vielen Leuten aus der Seele gesprochen haben: Punk war fürs erste gegessen, Zeit für eine Neuorientierung. Das Album kletterte auf Platz 4 der Charts, die Singleauskopplung "The Eton rifles" schaffte es ebenfalls in die Top 10.

1980 waren THE JAM auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: "Going underground" wurde ihre erste Nummer 1. Eine weitere, diesmal wesentlich erfolgreichere US-Tour folgte, und im November dann das nächste Album, "Sound affects". Die Auskopplung "Start!" war eindeutig eines der schwächeren Stücke der Band, außerdem war das Riff eindeutig von den BEATLES "entliehen", nichtsdestotrotz wurde auch diese Single Nr. 1 in England. "Sound affects" enthielt außerdem eine der genialsten Balladen ever, nämlich "That's entertainment". Textlich wurde man wieder etwas konkreter: Mrs. Thatcher und ihre konservative Schweinebande waren seit einem Jahr am Ruder, und Paul Weller begann sich in diversen Organisationen politisch zu engagieren.

Langsam war man der Routine müde, und so wurde 1981 kein besonders produktives Jahr: ein paar Kurztourneen und zwei Singles ("Funeral pyre" und "Absolute beginners", beides nicht unbedingt die Reißer) waren die etwas magere Bilanz. Was das nächste (und letzte) Album betraf, so hatte sich Paul Weller in den Kopf gesetzt, sowas wie die "perfekte" Platte zu machen. Die Vorabsingle "A town called Malice", veröffentlicht im Januar 1982, war dann tatsächlich auch recht vielversprechend. THE JAM waren mittlerweile dermaßen populär, daß sie als zweite Band nach den BEATLES die "Ehre" hatten, beide Seiten der Platte in der gleichermaßen blöden wie beliebten "Top of the Pops"-Fernsehshow spielen zu dürfen. Überflüssig zu erwähnen, daß es wieder ein "von 0 auf 1"-Erfolg wurde. Doch das Album dann ("The gift" vom dem März 1982), na ja, wohlwollend könnte man vielleicht sagen, der geniale Songschreiber Weller wollte eben irgendwann mal was anderes machen. Seine Vorliebe.für alten Soul und Rhythm'n'Blues hatte er bisher ja schon auf jedem Album dokumentiert und in der rotznäsigen, unbekümmerten Art, wie er eigene und Fremdkompositionen normalerweise an den Konsumenten zu bringen pflegte, wußte er auch meistens Leuten zu gefallen, die mit dieser Art von Musik normalerweise herzlich wenig anfangen können.

Diese Platte aber ist bis auf "A town called Malice" und zwei oder drei andere Stücke ziemlich daneben: einerseits stellt sie so was wie eine endgültige Rückbesinnung auf die alten Soul-Wurzeln dar, andererseits wirkt sie aber dermaßen überladen und bombastisch, daß man doch ziemlich oft den Lift am Plattenspieler betätigen muß. Außerdem war nicht mehr zu überhören, daß dem guten Paul langsam die Melodien ausgingen. Hier wurde schon deutlich, in welche musikalischen Gefilde es Weller mit STYLE COUNCIL, seiner Nachfolgeband, verschlagen würde.

Zwei letzte Singles wurden noch veröffentlicht: erst im September "The bitterest pill", das den schlechten Eindruck von der LP bestätigte, zwei Monate später dann "Beat surrender", bei der das Trio zumindest auf der A-Seite noch mal zu alter Form auflief und völlig zurecht ein letztes Mal die Charts toppte. Der Split war jedoch bereits von Weller beschlossene Sache und man startete eine letzte UK-Tour, auf der THE JAM es schafften, fünfmal hintereinander im Wembley-Stadion vor voller Hütte zu spielen. Das letzte Konzert fand am 11. Dezember 1982 in der Mod-Haupstadt Brighton statt: Schluß, aus, Vorhang, Ende der Legende.

Auf den Paul Weller der 80er und 90er soll sich jeder seinen eigenen Reim machen. Ich für meinen Teil gehöre zu denen, die sich die ersten STYLE COUNCIL-Scheiben noch interessiert angehört haben und das eine oder andere Stück sogar ganz gelungen fanden, aber das Interesse ließ dann irgendwann Mitte der 80er nach. Seine letzten Soloscheiben (macht der jetzt wirklich Hardrock???), verkauften sich in England übrigens immer noch dermaßen gut, daß uns ein JAM-Revival in absehbarer Zeit wohl erspart bleibt.

Denjenigen, die sich einen Überblick über die Musik von THE JAM verschaffen wollen, sei wärmstens die posthum erschienene Doppel-LP "Snap!" (nicht die gleichnamige CD, auf der fehlen nämlich gleich acht Tracks, zumeist aus der besten Phase der Band!) ans Herz gelegt.

Thomas Kröger