JADE TREE RECORDS

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Von wahren Werten



Fast genauso lange wie das Ox gibt es Jade Tree Records aus dem winzigen US-Bundesstaat Delaware, ein 1991 gegründetes Label, das uns solch grandiose Bands wie JETS TO BRAZIL, GIRLS AGAINST BOYS, KID DYNAMITE, LIFETIME, MILEMARKER, PROMISE RING oder STRIKE ANYWHERE bescherte und das für mich bis heute absolut glaubwürdig geblieben ist. Hier erscheinen nur Platten, hinter denen die beiden Chefs Tim Owen und Darren Walters stehen können, Kompromisse aus kommerziellen Überlegungen werden nicht gemacht, und so zählt man mit Revelation, Alternative Tentacles oder Equal Vision zum Rückgrat der US-Hardcore-Szene. Darren begleitete im August PAINT IT BLACK und NEW MEXICAN DISASTER SQUAD als Merchandiser, und vor der Show im Kölner Underground fand bei diversen Bieren dieses Interview statt.



Jade Tree ist für viele Leute eines der größeren, wichtigeren US-Indie-Labels. Erzähl doch mal, wie sich das Label in den letzten Jahren so entwickelt hat.

Also zuerst mal muss ich sagen, dass Jade Tree nicht so groß ist, wie jeder denkt: Im Büro arbeiten fünf Leute, aber dazu kommen noch viele Leute, die freiberuflich für uns arbeiten, etwa Grafiker und Promoter. Wir brauchen also auch gar kein so großes Büro. Unsere Wurzeln die Arbeitsweise betreffend liegen ganz klar bei Labels wie Dischord und Touch & Go, und es war nie unser Ziel, eine bestimmte Größe zu erreichen. Wir sind jetzt so groß, dass alle Leute im Büro, darunter ich und mein Partner Tim Owen, davon leben können. Als wir das Label vor 16 Jahren gründeten, hätte ich es mir niemals träumen lassen, dass wir mal von unserem Label würden leben können. Und ich bin auch heute noch der Meinung, dass, wenn man es darauf anlegt, von Musik leben zu wollen, es besser bleiben lassen sollte - und vor allem kein Label gründen. Viele Probleme im Musikbereich resultieren meiner Meinung nach daraus, dass Leute versuchen, aus der Musik eine Karriere zu machen, das zu planen. Bad idea! Kann sein, dass ich mit dieser Einstellung altmodisch wirke, dass das was mit meinem Aufwachsen mit Labels wie Touch & Go und Dischord zu tun hat, wie man meiner Meinung nach mit Musik umgehen sollte. Und es ist im Laufe der Jahre immer schwerer geworden, diese Vorstellung zu bewahren, denn viele Labels und Bands, die mit uns oder danach angefangen haben, sind sehr groß geworden, sind heute sehr viel größer als Jade Tree.



Du meinst etwa Epitaph oder Victory?

Epitaph ist ja schon viel älter und war bereits groß, als wir loslegten, aber sie bewegen sich in einem ähnlichen Bereich, ja. Und Victory fing ungefähr zur gleichen Zeit an wie wir. Wir waren damals mit Victory-Gründer Tony befreundet, wir halfen ihm dabei, sein e erste 7" zu veröffentlichen. Mein Partner Tim hatte damals eine Platte von Tonys Band EVEN SCORE veröffentlicht, und dann wollte Tony selbst wissen, wie das geht, und so zeigten wir es ihm. Wir versuchen bis heute, unseren Wurzeln treu zu bleiben. Ich weiß, das klingt wie eine Floskel, gerade in den USA behauptet das jeder, auch Bands, die längst eine halbe Million CDs verkaufen. Ich sage nicht, dass etwas falsch daran ist, wenn man so viele Platten verkauft, aber falsch ist, dass ein Label, eine Band, erst sehr viel Geld ausgeben muss, um eine große Zahl Platten verkaufen zu müssen. Das lenkt ab vom eigentlichen musikalischen Wert, von der Erfahrung, die jemand mit der Musik selbst machen kann. Seit wir das Label gegründet haben, sind NIRVANA groß geworden und veränderten die Musikwelt, GREEN DAY kamen und hinterließen ihre Spuren, und so weiter. Und auch wir machten die Erfahrung, dass Bands unser Label verließen, sich mit Majors einließen - und irgendwann zu uns zurückkehrten. Aber das kennst du ja, und es fällt manchmal schon schwer, da unbefangen ranzugehen, denn auch ich bin nur ein Mensch und womöglich dafür empfänglich, dass man mich schick zum Essen einlädt, mir teure Hotels bezahlt - was die Majors ja gerne mit Bands tun, die sie signen wollen. Da fängt dann mancher an zu träumen, wie es denn wohl wäre, zukünftig immer in solch schicken Hotels abzusteigen, das ist menschlich. Und doch: Mir behagt all so was nicht, ich will wirklich Spaß daran haben, das ist meine Hauptmotivation bei der Arbeit mit und für mein Label - und ich denke, das wird bei dir und deinem Magazin nicht anders sein: Wenn du keinen Spaß daran hast, kannst du den Job nicht machen. Klar hilft es auch, wenn genügend Geld da ist, aber das ist nicht alles. Wer das Geld in den Vordergrund stellt, wird vielleicht zwischenzeitlich Erfolg haben, aber auf lange Sicht unglücklich sein. Und ich habe ein größeres Interesse daran glücklich zu sein, als viel Geld zu haben.



Hast du denn auch mal was anderes gemacht als das Label?

Ich bin eigentlich Lehrer und habe auch als solcher gearbeitet. Es ist ein schöner Beruf, der aber gerade in den USA nicht gut bezahlt wird. In ein paar Wochen werde ich übrigens wieder als eine Art Lehrer arbeiten: Ich habe einen Lehrauftrag an der Uni im Bereich "Music Business". Der Punkt ist, dass jeder von uns in diesem Musikgeschäft mehr Geld verdienen könnte, wenn er etwas anderes machen würde. NEW MEXICAN DISASTER SQUAD etwa hätten auch andere Möglichkeiten als Pizzas auszuliefern, doch sie haben sich für die Band entschieden und Spaß daran, Musik zu machen und auf Tour zu gehen. Wer sich für die Musik entscheidet, muss daran wirklich Spaß haben und vor allem bereit sein, finanzielle Kompromisse einzugehen. Nur so haben wir es geschafft, als Label 16 Jahre im Geschäft zu bleiben.



Es ist doch aber auch oft so, dass einem Label oft gar nichts anderes übrig bleibt, will es nicht ab einer bestimmten Größe, die eine Band erreicht hat, diese an ein größeres Label verlieren. Also muss ein hoher Vorschuss bezahlt werden, ein teures Studio, eine große Tour, externe Promoter ... und schon ist man da, wo man nie sein wollte. Und mit dem Wechsel von STRIKE ANYWHERE zu Fat Wreck ist doch auch just so ein Fall eingetreten.

Nun, in den letzten fünf, sechs Jahren hat sich die Musikindustrie sehr stark verändert, der Druck von Seiten der Bands ist spürbar gewachsen. Und da mussten wir auch eine bewusste Entscheidung treffen: Sollen wir wirklich mehr Leute einstellen, um vielleicht mehr Platten zu verkaufen? Ist die Szene aber wirklich so groß, dass so eine Erweiterung auch bezahlbar ist? Ich denke nein, glaube eher, dass einige Bands größer werden, zu anderen Labels wechseln, um dann wieder zurückzukehren, auf das Level, auf dem sie sich vorher bewegt haben. Und so haben Tim und ich die schwierige Entscheidung getroffen, dass wir mit dem Label, so wie es jetzt ist, zufrieden sind. Jeder, der da heute arbeitet, hat einen sicheren Job, und den will ich nicht dadurch gefährden, indem ich Bands signe, die vielleicht kurzfristigen Erfolg versprechen. Ich habe einen Beschützerinstinkt, nicht nur für meine Angestellten, sondern auch für die Jade Tree-Fans. Man darf keine kurzfristigen Entscheidungen treffen, sondern muss die langfristigen Auswirkungen im Blick behalten. Jade Tree gibt es seit 16 Jahren, und warum? Weil wir nie eine Entscheidung nach der Priorität getroffen haben, ob uns das als Label größer macht. Wir arbeiten grundsätzlich nur mit Bands, die uns gefallen und sympathisch sind.



Nachhaltige Entwicklung nennt man so was.

Ja, genau. Ich habe echt die Schnauze voll von der Musikindustrie, habe so meine Phasen, wo mich alles ankotzt - und dann kommt plötzlich wieder eine Band daher, die mich total begeistert und zum Weitermachen inspiriert. Ein Label zu machen, ist ein verdammt harter Job, manchmal fällt es echt schwer morgens aufzustehen - was niemand versteht, der nicht in der Position ist, der hält das für einen lockeren, lustigen Job. Und klar macht der Spaß, aber du hast 95 Prozent der Zeit mit Bullshit zu tun, leider. Aber dann bist du auch wieder mit PAINT IT BLACK und NEW MEXICAN DISASTER SQUAD in Europa auf Tour, sitzt irgendwo im Biergarten und führst ein Gespräch wie dieses und alles ist gut. Dann fühle ich mich zu Hause, mache mir keine Gedanken, ob eine Band demnächst woanders unterschreibt oder so was. Letztlich gilt meine Verantwortung ja nicht einer Band, sondern dem Label als Ganzem, allen Bands. Und die muss ich alle gleich behandeln, da kommt es nicht in Frage, einer eine Sonderbehandlung zu gewähren im Sinne eines großen Vorschusses. Ich versuche dann auf andere Weise nett zu sein zu der, denn klar, wenn eine Band 50.000 Platten verkauft, dann bin ich natürlich nett zu der. Aber wenn die anfangen zu schachern, damit ankommen, ein anderes Label würde ihnen das Doppelte zahlen oder so, dann halte ich da nicht mit, ich bin kein Spieler. Denn was ist, wenn ich jemandem einen 100.000-Dollar-Vorschuss gebe und ich dafür eine schlechte Platte bekomme? Dann haben wir ein großes Problem, dann war's das mit dem Label, für mich und alle anderen Bands. Und so gesehen entwickelt sich Jade Tree rückwärts, immer weiter zurück zu unseren Anfangstagen.



Gab es auch eine Zeit, wo ihr übermütig geworden seid, wo der Umsatz jedes Jahr stärker anstieg und man die Idee hatte, ein Label wie Epitaph vielleicht sogar einholen zu können?

Klar, damals, als PROMISE RING, LIFETIME, JOAN OF ARC, NEW END ORIGINAL und JETS TO BRAZIL in Europa wie den USA sehr angesagt waren, da war das schon so. Das hielt so fünf Jahre an, damals kauften die Leute alles, was wir rausbrachten, doch das hat sich geändert. Heute gibt es viel zu viele Labels, die viel zu viele Platten veröffentlichen, und die Leute können sich im Internet Songs anhören und im Vorfeld schon entscheiden, dass sie eine Platte gar nicht erst kaufen wollen. Wir hatten also schon so eine gewisse Hochphase, wo ich mir ausgemalt habe, wie ich mich wohl entscheiden würde, wenn mir jemand eine Million Dollar für mein Label bietet. Das ist schließlich eine ordentliche Summe ... Und wenn du so ein Angebot ablehnst, dann hast du wohl echt eine feste Überzeugung, haha.



Oder du bist blöd.

Ja, das sagte mein Vater zu mir, als ich ihm Anfang der Neunziger erzählte, dass die SubPop-Besitzer von Warner 20 Millionen Dollar bekommen haben. Ich würde so was niemals tun, sagte ich, und er meinte, dann sei ich ja echt bescheuert. Klar, damit hätten meine Frau und ich ausgesorgt, aber Geld ist ja auch nicht alles, das ist der Punkt. Und klar, auch ich will irgendwie Erfolg haben, ausreichend Geld, aber andererseits: Ich habe das Label, mein kleines Haus gehört mir, ich bin verheiratet und glücklich, was will ich mehr? Wenn ich da nach dem Rasenmähen auf der Veranda sitze und meinen Fischteich anschaue, dann bin ich absolut zufrieden, weil ich weiß, dass ich mit der Arbeit für Jade Tree all das kaufen konnte, und nicht mit einer Million, für die mir jemand das Label abgekauft hat.



Wenn ich schon mal beim Zappen auf MTV lande und all die protzigen Häuser sehe, die sich irgendwelche Deppenbands kaufen, die so unfassbar geschmacklos und unpersönlich sind, dann tun mir diese Leute schon beinahe Leid.

Klar, das ist traurig, die sind ja völlig isoliert vom realen Leben. Ich habe auf meinem Video-iPod ein Foto meines Hauses, und dieses Foto (er zeigt uns das Foto) symbolisiert für mich all das, was mir die D.I.Y.-Szene gegeben hat. Das hat viel mit Inspiration zu tun, mit dem, was mir die Punkszene gegeben hat. Ich habe schon immer Leute bewundert, die Werte haben, an eine Sache glauben, und das ist etwas anderes als ein Millionen teures Haus. Und ich bin heute lieber jemand, der vielleicht auch andere Leute inspiriert, als jemand mit einem teuren Haus. Als wir das Label gründeten, trafen wir überdies die Entscheidung in Delaware zu bleiben, dem zweitkleinsten Staat der USA. Als ich hier aufwuchs, war da gar nichts für Jugendliche, und irgendwie hatte ich immer die dumme Idee, hier zu bleiben mit dem Label, in der Hoffnung, damit vielleicht irgendwen beeinflussen zu können, doch selbst irgendwie aktiv zu werden.



Ist das Jade Tree-Büro in deinem Haus?

Nein, ein paar Meilen davon entfernt. Alle, die dort arbeiten - die Praktikanten mal ausgenommen -, sind aus Delaware. Wir sind echt so was wie eine Familie, und das geht auch gar nicht anders: Wenn man jeden Tag zusammen arbeitet, muss man sich menschlich verstehen, sonst macht das keinen Spaß. Wer verklagt doch gleich noch mal Victory Records? HAWTHORNE HEIGHTS? Ich meine, wer will in so einer Situation sein, von einer seiner Bands verklagt zu werden?



Wie stehst du denn generell zu Labels wie Victory mit einer in Szenekreisen nicht unumstrittenen Geschäftspolitik?

Dazu nur so viel: Tony hat einen guten Job gemacht, was die Promotion seiner Bands anbelangt - die kennt heute jeder. Fragst du mich, ob ich mit der Art und Weise einverstanden bin, wie er das getan hat, ist die Antwort ganz klar Nein. Hat er Erfolg mit dieser Methode? Ja. Ist Victory ein Independentlabel? Durchaus. Aber: Die allgemeine Wahrnehmung, dass Majorlabels böse und Indielabels per se gut sind, halte ich für nicht korrekt. Letztlich kommt es darauf an, wie du deine Geschäfte betreibst. Tony ist ein guter Geschäftsmann und ich bewundere ihn für seine Leistung, Victory so groß zu machen, aber ich hätte an seiner Stelle sicher nicht die gleichen Mittel angewendet und andere Wege beschritten.



Wie siehst du die generelle Entwicklung der Szene, von der ihr ein Teil seid? Ich meine, so sehr wir alle den stereotypen Begriff "Emo" hassen, so war Jade Tree doch von jeher ein Label, das viele wichtige und einflussreiche Bands veröffentlicht hat, die man in diesem Kontext wahrnimmt. Ihr habt diese Entwicklung also kommen, sie wachsen und letztlich "explodieren" sehen, ohne jedoch am heutigen Boom ihrer entfernten Ausläufer teilhaben zu können.

Wir hatten unseren Anteil an dieser Szene, als es noch die Musik war, die uns persönlich interessierte. Das ist eine schwierige Frage ... Lass es mich so ausdrücken: PROMISE RING waren damals eine sehr reale Band, doch viele, die folgten, waren es nicht. PROMISE RING und TEXAS IS THE REASON waren sehr gute Freunde von uns, und dann gab es da diese Bands wie SUNNY DAY REAL ESTATE, EVERGREEN oder SWING KIDS, die plötzlich als "Emo" bezeichnet wurden, wo doch "Emo" für mich und meine Freunde allein Bands wie EMBRACE und RITES OF SPRING bezeichnete. Was wir mit unserem Label machten, bezog sich also allein auf solche Vorbilder, nicht auf Bands, die darüber weinen, dass ihre Freundin mit ihnen Schluss gemacht hat. Was dann aus Emo wurde, ist die Kommodifizierung, die kommerzialisierte Variante, denn was soll das denn, wenn ein Dreißigjähriger darüber singt, dass seine Freundin in der Highschool mit ihm Schluss gemacht hat? Ich selbst habe einen Hardcore-Background, NYHC und Straight Edge und so, und als ich damals selbst in einer Band war, so mit Anfang 20, da war das Leben plötzlich richtig hart zu dir: da macht eine Freundin mit dir Schluss, die Uni will dich rausschmeißen, du bist gerade zu Hause ausgezogen, da bist du in einer emotional sehr angespannten Situation. Und wir waren damals in der Situation, dass wir uns nicht mehr schämten, unsere Gefühle zu zeigen, sie in Texte zu packen - und das war die Saat für die Art von Emo, die dann folgte. Und es war auch eine Zeit, die politisch einen Umbruch darstellte: Ich wuchs in der Zeit des Kalten Krieges auf, die Angst, dass ein Atomkrieg ausbricht, war ganz real, und dann kam der Zusammenbruch des Kommunismus, die Berliner Mauer fiel, und diese ganze Existenzangst war plötzlich weg, man konnte anders als die Bands der Jahre davor plötzlich über ganz banale Gefühle singen.



Steven Blush hat in "American Hardcore" ja genau das gesagt. Also halten wir fest: Emo wurde erst möglich dadurch, dass dieser Druck von außen wegfiel.

Ja, davor hatten wir ja auch einiges, wogegen es sich zu kämpfen lohnte, etwa in den Reagan-Jahren. Wir lebten in einer permanenten Furcht vor der Welt um uns herum, unser Präsident erzählte irgendwas von "Star Wars" und auf wen wir alles Raketen schießen würden. Als dann die Berliner Mauer fiel, war das für alle Amerikaner eine große Erleichterung. Ich war damals 19, 20, und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die Welt näher zusammengerückt sei. Nicht wegen der Demokratie oder der Politik, sondern einfach, weil die Welt kapiert zu haben schien, dass es keinen Sinn macht, sich mit Grenzen voneinander zu trennen. Die Amerikaner hatten Angst vor allem und jedem, das schien sich zu ändern - und heute ist das leider wieder so wie damals. Es gibt unter US-Amerikanern, die nach Europa fahren, den Scherz, dass man sich doch besser eine kanadische Fahne auf die Jacke nähen sollte, um freundlicher behandelt zu werden. Aber das ist doch alles Quatsch, ich denke, wenn ich jemanden mit Respekt behandle, wird er auch mich respektieren. Wir sitzen jetzt hier zusammen am Tisch und unterhalten uns, darauf kommt es an, doch viele Amerikaner müssen noch lernen, dass alle Menschen gleich sind. Teil dieser Musikszene zu sein und reisen zu können, ist da eine großartige Sache, das hilft schon sehr, das zu erkennen.



Wie steht Jade Tree, wie stehst du zum aus europäischer Sicht immer wieder erstaunlichen Phänomen der religiösen Hardcore-Bands? Vor zehn Jahren musste man sich darüber keine Gedanken machen, heute kann man keinen Release aus dem Bereich Emo- und Metalcore ungeprüft durchgehen lassen ...

Ich weiß auch nicht ... Es fing damals mit SHELTER und den Hare-Krishnas an ...



... über die zwar damals viel diskutiert wurde, die aber eigentlich ganz harmlos waren. Im Vergleich mit den fundamentalistischen evangelikalen Christen, aus deren Reihen sehr viele dieser Bands stammen.

Nun, wie du vielleicht schon mitbekommen hast, ist die religiöse Rechte in den USA in den letzten Jahren immer stärker geworden. Auch wenn der Melting-Pot-Mythos in den USA immer allgegenwärtig ist, so sieht die Realität vielfach ganz anders aus. Ein Beispiel: Wenn wir einen neuen Praktikanten haben im Büro, gehen wir mit dem immer in ein indisches Restaurant. Und erstaunlicherweise haben die meisten noch nie vorher indisch gegessen! Für mich ist das ein Beleg dafür, wie wenig "fremden" Einflüssen amerikanische Jugendliche heute ausgesetzt sind. Klar, in New York City, Los Angeles oder Chicago ist das anders, aber in der Provinz, in Delaware etwa, da hast du als weißer Amerikaner außer mit Mexikanern mit keiner anderen Bevölkerungsgruppe zu tun. Zwischen den großen Städten gibt es also eine Menge flaches Land, wo kaum Menschen verschiedener Hautfarbe und verschiedener Religionen leben. Im Zusammenhang mit den Konflikten der letzten Jahre wird von diesen Menschen dort gerade der Islam als große Bedrohung wahrgenommen, und ich persönlich glaube, dass es auch global gesehen zu einer Art religiösen Krieg kommen wird. Lass mich dazu noch etwas ausholen: Die Achtziger standen in den USA im Zeichen des Exzesses: Kokain, Sex, Yuppies, Geld ... Die Neunziger wurden dann noch verrückter, und darauf kam dann die Reaktion: Wir wollen weniger Gewalt, weniger Sex, weniger Drogen, weniger brutale Computerspiele. Wenn ich nun heute viele Computerspiele und Filme für dumm und brutal halte, dann hat das nichts mit religiöser Überzeugung zu tun, doch im Falle der Bevölkerungsmehrheit ist in Sachen Werte ein klarer Backlash zu verzeichnen, wo Computerspiele, das Fernsehen, Filme generell als schädlich und das Übel schlechthin dargestellt werden. Wenn nun Kinder unter solchen Bedingungen aufwachsen und dann trotzdem irgendwie auf Punkrock stoßen, ergeben sich seltsame Kombination, ja, sie finden eine Version von Punk, die nicht akzeptierend ist, sondern ausgrenzend. Viele Kids wachsen in Familien auf, die jede Woche in die Kirche gehen, die eine ganz bestimmte Erziehung genießen, die aber trotzdem Spaß an lauter, harter Musik haben. Und so stoßen sie dann auf diese christliche Rockmusik, die zwar schnell, laut und hart ist, bei er es aber okay ist, wenn man sie anhört, es ist ja schließlich christliche Musik und die Eltern sind auch damit einverstanden.



Eine erschreckende, aber auch einleuchtende Erklärung.

Die USA werden eine immer religiösere Gesellschaft, jedoch waren die USA schon immer religiös geprägt, das liegt in der Geschichte ihrer Gründung.



Europa hat über Jahrhunderte seine religiösen Spinner in die Neue Welt geschickt, um sie loszuwerden ...

Genau, und die USA sind beispielsweise auch eines der größten katholischen Länder, nur mal so als Beispiel. Die Frage ist, inwiefern der Katholizismus etwa die Außenpolitik der USA beeinflusst - nämlich eher weniger. Das Problem beginnt, wenn man ein paar christliche Ideen nimmt und die zur Maxime des Präsidenten werden, dann beeinflusst das eine große Anzahl an Menschen. Wenn dann Kinder in seiner Regierungszeit aufwachsen - Bush junior ist jetzt seit ein paar Jahren dran, davor hatten wir acht Jahre Clinton, davor aber waren Bush senior und Ronald Reagan dran -, dann hat das unweigerlich Auswirkungen auf das Denken der Menschen. Die USA sind also seit vielen Jahren schon ein sehr konservatives Land. Und so gibt es jetzt Leute in meinem Alter, so Ende dreißig, die in den Reagan-Jahren aufwuchsen, die sagen, dass in den Yuppie-Jahren ja echt vieles aus dem Ruder lief, dass ein Buch und Film wie "American Psycho" niemals hätte geschrieben beziehungsweise gedreht werden dürfen, es hätte niemals ein Videospiel wie "Grand Theft Auto" geben dürfen. Und diese Leute sehen es jetzt als ihre Aufgabe an, diese "Fehler" zu korrigieren, die sind der Meinung, viele Probleme der US-Gesellschaft rührten daher, dass diese "gottlos" geworden sei.



Und da sind Sachen wie Schwule, die heiraten dürfen, oder das Recht der Frauen auf Abtreibung natürlich zu bekämpfen.

Ja klar! Ich selbst bin ja auch katholisch erzogen worden, aber der Punkt ist, ob es mich etwas angeht, was andere Menschen tun. Wenn jemand überzeugt ist, dass einer für sein Tun zur Hölle fahren wird, dann muss der dem das doch nicht ständig erzählen, dann wird der das eines Tages schon selbst erfahren, hahaha. Ja, wir haben in den USA heute ein echtes Problem mit Religion, und die Welt wird immer polarisierter, was das Thema anbelangt, jeder wird gezwungen, Stellung zu beziehen, egal ob Christ, Moslem oder Buddhist. Das Problem: Ich selbst habe nichts gegen Moslems, aber ich wurde katholisch erzogen. Und da wir nicht in einem Land leben, in dem irgendwie ein Gleichgewicht zwischen den Religionen und Hautfarben besteht, ist man immer wieder gezwungen, Stellung zu beziehen, läuft Gefahr, wegen seines kulturellen Hintergrundes in einer voreingenommenen Weise Stellung zu beziehen. Und vor diesem Hintergrund, weil Menschen eben gezwungen werden, sich für eine Seite zu entscheiden, habe ich auch die Befürchtung, dass es zu einem Krieg der Religionen kommen könnte. Punkrock nun bedeutet für mich, dass man sich kümmert, dass einem nicht alles egal ist, dass man gegen Diskriminierung von Frauen ist, von Menschen mit anderer sexueller Ausrichtung, und so weiter. Ich weiß, dass alle Menschen im Kern gleich sind, dass Religion irrelevant ist. Und es macht auch keinen Sinn, Menschen wegen ihrer politischen Einstellung zu hassen. Mein Vater ist Republikaner, soll ich ihn deshalb hassen? Ich bin der Meinung, dass dein Wertesystem dich noch nicht per se zu einem schlechten Menschen macht, doch es bedarf großer Anstrengung, so ein Denken zu überwinden. Ich bin der Meinung, dass man miteinander auskommen können muss, auch wenn man konträre Ansichten hat. Deshalb haben wir als Amerikaner auch die Einstellung, dass man bei einem schönen Abendessen nicht über Politik und Religion reden sollte.

Darren, besten Dank für das Interview.