JACK ENDINO

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Seattle? War da mal was?

13 Jahre hat sich Jack Endino mit einem eigenen musikalischen Lebenszeichen Zeit gelassen, 13 Jahre, in denen sein Platz eher hinter dem Mischpult und nicht davor war, von sporadischen Gastauftritten mal abgesehen. Davor hatte er seit 1985 SKIN YARD, später dann GRUNTRUCK, und trat auch als ENDINO’S EARTHWORM in Erscheinung, wobei seinen Bands immer weitaus weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde als den von ihm produzierten: Er war es, der mit dem Reciprocal Sounds-Studio NIRVANA, MUDHONEY, SCREAMING TREES, SOUNDGARDEN, TAD oder AFGHAN WIGS in der Frühphase zu ihrem Sound verhalf. Nach all den Jahren also hat es Jack Endino mal wieder in den Fingern gejuckt, sich als Songwriter, Sänger und Gitarrist zu verwirklichen, und natürlich hat er sich auch selbst produziert. Das Ergebnis, nicht gerade optimistisch „Permanent Fatal Error“ betitelt, überrascht nicht wirklich: Zusammen mit verschiedenen Gastmusikern entstand ein knochentrockenes, zeitloses Rock-Album, das quasi eine soundmäßige Zusammenfassung dessen ist, was Endino in den letzten Jahren an Bands produziert hat. Die sind zwar im Detail unterschiedlich, doch man kann fast immer erkennen, warum Endino den Job übernommen hat: Es ist dieser Vorliebe für schnörkellose, erdige, trockene Rocknummern, die auch hier den Sound prägt. Ich mailte Jack eine ganze Ladung fragen – wer’s noch genauer wissen will, dem sei die ausführliche Website ans Herz gelegt.

Zunächst einmal: Danke, dass du dir für dieses Interview Zeit nimmst, auch wenn es angesichts der umfangreichen FAQ-Section auf deiner Homepage gar nicht so einfach ist, sich neue Fragen auszudenken. Wir haben aber unser Bestes gegeben. Welche Frage hasst du denn am meisten?

Am meisten hasse ich Fragen vom Schlage „Wie kann ich es im Musikbusiness schaffen?“ oder „Wie komme ich an einen Job in einem Studio?“.

Was hat dich 13 Jahre nach „Endino’s Earthworm“ dazu gebracht, ein weiteres Soloalbum zu veröffentlichen?

Na ja, es hat einfach 13 Jahre gedauert, es fertig zu kriegen. Ich habe mich mehrmals daran versucht, hatte aber aufgrund vieler unschöner Ereignisse in meinem Leben eine ernsthafte Schreibblockade. Deswegen lautete der Arbeitstitel der Platte auch „Six Funerals, Two Suicides And A Divorce“. Ein weiteres Problem war die Frage, wer denn den Produzenten nun produziert, da es mir schwer fällt, meine eigenen Sachen zu produzieren. Doch im letzten Jahr spürte ich endlich, dass es an der Zeit war, dieser Musik Gehör zu verschaffen. Plötzlich war ich voller Kreativität. Und auf einmal war das Album fertig.

Wie unterscheidet sich das Produzieren deines eigenen Materials denn von der Arbeit an den Platten anderer Bands?

Bei anderen Bands ist in der Regel ein Budget und ein Zeitplan vorgegeben, und innerhalb dieses Rahmens muss ich mich bewegen. Ich arbeite hart, mache die Band glücklich, mache mich selbst glücklich und bald darauf ist die Platte fertig. Aber wenn ich meine eigene Platte mache, dann weiß ich nie, ob ich die „Ziellinie“ schon überquert habe. Ich weiß einfach nicht, wann Schluss ist. J Mascis berichtet übrigens von genau demselben Problem.

Ich finde es interessant, dass du nicht zu einem dieser „Starproduzenten“ geworden bist und bis heute mit großen, aber auch kleinen Bands aus der ganzen Welt arbeitest.

Das liegt zum Teil daran, dass ich nie nach Los Angeles gezogen bin, und da sitzen nun einmal die ganzen amerikanischen Plattenfirmen. Dort fließt das Geld der Industrie, dort werden alle Entscheidungen getroffen. Ich müsste dorthin umziehen und mich mit diesen ganzen Managern, Anwälten und A&R-Leuten anfreunden. Warum ich das nicht gemacht habe? Weil ich das Musikbusiness in L.A. für die Wurzel allen Übels in der Musik halte. Das ist so sonnenklar für mich, dass ich nicht einmal verstehen kann, wieso ich das erklären muss. Außerdem ist Seattle ein viel angenehmerer Ort zum Leben. Wie auch immer, ich bekomme auf jeden Fall nicht die Produzentenjobs, bei denen das „große Geld“ fließt, weil mich diese Geschäftsleute aus L.A. nicht persönlich kennen. Es gibt eine Million Produzenten in L.A., die einen solchen Job eher bekommen würden als ich. Und zwar ganz einfach deshalb, weil sie in L.A. wohnen. Aber das regt mich nicht allzu sehr auf. Ich mag „kommerzielle“ Produktionen ohnehin genauso wenig wie den Großteil an angesagter Musik. Und um in den Vereinigten Staaten ein „Starproduzent“ zu werden, müsste ich an jede Menge sehr schlechter Musik Hand anlegen. Ich arbeite auch deshalb mit Bands aus der ganzen Welt zusammen, weil sie für mich viel interessanter sind als Bands aus den USA. Da ist mehr Vielseitigkeit, ich höre andere musikalische Einflüsse, ja sogar andere Sprachen. Hier bei uns höre ich immer und immer wieder dieselbe Art von Bands. Nach 20 Jahren in diesem Geschäft ist es das Wichtigste für mich, dass ich mein Leben und meine Arbeit interessant halte.

Ich habe den Eindruck, dass du beim Produzieren sehr wählerisch bist. Nach welchen Kriterien entscheidest du, mit wem du arbeitest und mit wem nicht?

Ganz einfach: Mag ich die Songs? Sind das nette Leute? Verspricht es, interessant zu werden und Spaß zu machen? Ist da so etwas wie Originalität?

Was sind deine Grundprinzipien bei der Arbeit im Studio?

Ich versuche, Bedingungen zu schaffen, damit die Leute sich wohl, inspiriert und kreativ fühlen. Ich kümmere mich um den ganzen technischen Kram, damit sie sich darüber keinen Kopf machen müssen. Und dann halte ich mich raus, lass’ es einfach passieren und nehme es auf. Ich sage den Leuten nicht, was sie zu tun haben oder welche Lieder sie spielen müssen ... Aber ich sage natürliche schon meine Meinung.

Interessanterweise bist du immer bei der Musik hängen geblieben, mit der du angefangen hast: schlichter, nun ja ... einfacher, unverfälschter Rock. Was ist der Grund dafür? Überzeugung, Dickköpfigkeit, Geschmack?

Ganz genau. Alles drei. Was mir wichtig ist, ist ein guter Song, ein gutes Riff, ein guter Rhythmus, eine gute Melodie ... eine Hookline. Es ist sehr, sehr schwierig, einen guten Song zu schreiben, der gleichzeitig schlicht und einfach ist. Danach halte ich bei einer Band Ausschau. Ein anderer Grund, warum ich hauptsächlich geradlinige, unmittelbare Rockplatten mache, ist der, dass ich das einfach gern mache und ziemlich gut darin bin. Aber ich hab auch an anderen Sachen richtig viel Spaß. Eines meiner Lieblingsprojekte war die Arbeit an Mark Lanegans erstem Soloalbum „The Winding Sheet“, das komplett akustisch war. Vordergründig scheint es sehr schlicht zu sein, aber die Songs sind großartig und der Gesang ist unglaublich. Ich arbeite mit jedem, wenn die Musik gut ist.

Hast du inzwischen ein eigenes Studio?

Ich habe die Schlüssel zu mehreren Studios in Seattle, mit denen ich oft zusammenarbeite. Sie mögen mich, weil ich dauernd mit neuen Kunden ankomme. Ich habe kein eigenes Studio, wenn man einmal von dem bisschen ProTools bei mir zu Hause absieht. Da mache ich aber nur Editing.

Darf ich dich fragen, wie du deine Miete bezahlst? Mit den Tantiemen aus den NIRVANA-Aufnahmen oder mit dem, was du an einer kleinen Band aus Europa verdienst?

Glaub es oder nicht, ich habe an NIRVANA bis zu dem Zeitpunkt, als das Box-Set veröffentlicht wurde, kein Geld verdient. Ich bezahle meine Rechnungen seit 1985 mit dem Aufnehmen von Indierock-Bands.

Du spielst vorzugsweise Fender-Gitarren, oder? Was hast du gegen Gitarren von Gibson einzuwenden?

Die einzige Gibson, die ich nicht mag, ist die Les Paul. Sie ist zu schwer und die typischen Les-Paul-Tonabnehmer haben für meine Art zu spielen nicht genug „Biss“ in den hohen Frequenzen. Ich habe einen sehr harten Anschlag und spiele nur sehr selten Barré-Griffe. Ich brauche eine Gitarre, die klar klingt und sich gegen die Verzerrung durchsetzt, die ich verwende. Bei SKINYARD habe ich eine Strat gespielt, habe aber die Stock-Pickups rausgenommen und einen Humbucker eingebaut, weshalb sie zur Hälfte nach Fender und zur Hälfte nach Gibson klang. Der Hauptgrund, weshalb ich eine Strat bevorzuge, ist das Tremolo. Ich benutze es für ein subtiles Vibrato. Ich mag die modernen Floyd-Rose-Vibratos nicht. Aber ich spiele einen Gibson-Bass! Das Lustige daran ist, dass es ein „Les Paul Signature“-Bass ist, der nur 1973 hergestellt wurde. Er ist in der Les-Paul-„Gold Top“-Farbe, hat aber einen Hollow-Body-Look und F-Holes wie eine Akustikgitarre. Als Tonabnehmer verwende ich einen originalen Singlecoil-Pickup von Fender aus meiner alten Stratocaster. Ob du es glaubst oder nicht, er macht sich ausgesprochen gut als Bass-Tonabnehmer. Der Bass klingt jetzt wie ein Rickenbacker. Die Original-Gibson-Tonabnehmer waren furchtbar.

Wo wir gerade von Equipment sprechen, ich erinnere mich, dass dir Anfang der neunziger Jahre in Italien mit SKINYARD dein gesamtes Equipment geklaut wurde. Hast du davon eigentlich jemals etwas wiedergesehen? Im speziellen meine ich jetzt deine „PUS BOP“-Strat.

Das war im November 1991. Wir haben nie etwas davon wiedergesehen. Ich habe mir auch irgendwo die Seriennummer meiner Strat aufgeschrieben, aber das bringt mir auch nichts, weil die Nummer lediglich auf einer Metallplatte an der Rückseite stand. Das ist echt eine bescheuerte Konstruktion von Fender, weil man die Platte natürlich abmachen kann. Es war eine Strat mit Ahorn-Maserung aus den späten 70ern, an der ich einiges verändert hatte. Sie hatte ein abgeflachtes, breites Griffbrett mit richtig großen, breiten, flachen Bünden. Die dunklere, durchsichtige Emaille auf dem Griffbrett war an ein paar Stellen bis auf das Holz abgewetzt. Die Kopfplatte ist im „großen“ Strat-Stil. Der Sattel ist maßgefertigt und aus verschleiertem, weißen Teflon. Als Haupttonabnehmer hatte ich einen Duncan Hot Rails. Wahrscheinlich hat jetzt irgendwer in Europa, der Türkei oder Russland die Gitarre. Ich wünsche demjenigen viel Glück damit, weil sie durch den maßgefertigten Hals für eine Person mit normal großen Händen richtig schwer zu spielen ist.

Gibt es schon wieder Pläne für eine Europatour? Ich kann mich daran erinnern, dich vor ungefähr hundert Jahren in Oberhausen gesehen zu haben.

Das war im Oktober 1991, bei der letzten SKINYARD-Tour. Ich habe es sehr gemocht, durch Europa zu touren, aber ich weiß nicht, ob ich das noch einmal machen werde. Es wäre sicher lustig, aber ich will auch kein Geld verlieren. Wir werden sehen.

Fehlt dir da nicht etwas, wenn du deine Songs nicht live spielen kannst?

Doch und ich bin gerade dabei, etwas daran zu ändern ... DIRTY POWER haben sich freiwillig als meine Backing-Band für ein paar Konzerte gemeldet. Bis jetzt waren die Shows großartig. Im Gegenzug kriegen sie von mir etwas Aufnahmezeit.

Das Foto mit den kaputten Klavieren, das im Booklet deiner neuen CD abgebildet ist, sieht ziemlich interessant aus. Was ist die Geschichte hinter diesem Bild?

In der Nähe meines Hauses gab es ein großes Klaviergeschäft. Doch das Geschäft wurde aufgegeben und das Gebäude gammelte für ein paar Jahre einfach so dahin. Eines Tages ging ich daran vorbei und sah, dass es von Planierraupen abgerissen wurde. Auf dem Parkplatz standen Dutzende zum Teil zerstörte Klaviere. Ich bin sofort nach Hause gerannt, um meine Kamera zu holen, habe das Foto geschossen, das jetzt im Booklet ist. Am nächsten Tag war der Parkplatz leer.

Die Taktarten auf „Permanent Fatal Error“ sind ein richtiges Durcheinander. Bleibt es nur so interessant für dich? Oder kann man das auch als eine Antwort auf den starren 4/4-Takt, den man üblicherweise bei Rock’n’Roll vorfindet, verstehen?

Ich beantworte beide Fragen mit „Ja“. Ich setze mich jetzt nicht hin und versuche Sachen in skurrilen Taktarten zu schreiben. Die Riffs kommen einfach so aus meinem Hirn. Wenn man es richtig macht, dann bemerken die meisten Leute die ungeraden Takte gar nicht, sie bemerken lediglich, dass etwas an dem Song fremdartig und neu klingt. Nachdem ich eine Menge Zeit in Brasilien verbracht habe, musste ich feststellen, dass westliche Musik – damit meine ich Musik aus den Vereinigten Staaten und Europa – aus rhythmischer Sicht unglaublich langweilig ist und auf Nummer sicher geht: Alles im 4/4-Takt, immer geradeaus! Erst wenn man an andere Orte kommt und sieht, wie die Leute dort mit anderen Rhythmen improvisieren und dabei immer noch funky sind und wie verrückt swingen, stellt man fest, wie viel man erreichen kann, wenn man sich einfach nur ein bisschen mehr Mühe gibt. Hey, auch die BEATLES und LED ZEPPELIN haben mit verschiedenen Rhythmen und Taktarten gespielt, aber heute sind die meisten Bands einfach faul oder gehen auf Nummer sicher.

Der „Studio Talkback“ am Ende des Hidden Bonus Tracks ist wirklich urkomisch. Irgendein Kommentar dazu?

Der Song handelt davon, dass ich zu viel Zeit bei der Arbeit im Studio verbringe. Der Arbeitstitel lautete eigentlich „Crazy Jack (he’s lost it)“. Er handelt von meinen Gefühlen, wenn ich über zu viele Monate hinweg – mit einer anderen Band – im Studio bin. Ich habe einfach festgestellt, dass ich den Leuten Tag für Tag immer wieder dieselben 25 Sachen über die Gegensprechanlage des Studios sage. Und das seit Jahren ...

Du hast „Permanent Fatal Error“ bei dem sicherlich guten, aber kleinen und kaum bekannten Label Wondertaker veröffentlicht. Wie kam es dazu?

Ich wollte im Besitz meiner Aufnahmen bleiben, und ich wollte etwas Kontrolle über die Promotion und das Marketing behalten. Die Platte ist gar nicht dazu gedacht, „kommerziell“ erfolgreich zu sein, sie soll in erster Linie mir gefallen. Ein Majorlabel hätte nur nach der Single gefragt. Ich gebe einen Scheiß auf eine Single. Deshalb erschien mir ein Indielabel als die einzige Wahl. Ich habe die Aufnahmen an ein paar Indielabels geschickt, die ich respektiere. Alle wollten es entweder nicht haben oder haben mir nicht einmal geantwortet. Ich kenne Sluggo von Wondertaker jetzt seit fast 20 Jahren, er ist ein großartiger Grafikdesigner und war aufrichtig daran interessiert, es rauszubringen.

Wie regelmäßig schreibst du Lieder? Müssen wir erneut 13 Jahre auf ein neues Album warten?

Ich schreibe nicht sehr oft, aber ich habe immer eine Menge halbfertiger Songs auf Lager. Das nächste Album wir VIEL früher fertig sein. Ein paar Songs sind sogar schon geschrieben. Außerdem war „Permanent Fatal Error“ ja fast ein Doppelalbum.

Was sind deine Lieblingsbands zurzeit?

Lieblingsbands?!? Ich hasse Musik, haha!!!



Übersetzung: Thomas Renz