J. ROBBINS

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Ab in die Produktion!

Für Menschen, denen die Musik aus Washington, D.C., wie sie vor allem von Dischord Records in den Achtzigern und Neunzigern kultiviert wurde, heilig ist, ist James „J.“ Robbins eine Lichtgestalt. Er begann seine Musikerkarriere in den Achtzigern bei GOVERNMENT ISSUE, tourte mit SCREAM, gründete JAWBOX, später dann BURNING AIRLINES und CHANNELS, spielte in diversen Bandprojekten, etwa REPORT SUSPICIOUS ACTIVITY (mit Vic Bondi), und hat mit OFFICE OF FUTURE PLANS seit einer Weile eine neue, „richtige“ Band, deren Debüt Ende 2011 auf Dischord erschien. Seinen Lebensunterhalt verdient J. seit geraumer Zeit als Studiobetreiber und Produzent mit seinem eigenen Studio in Baltimore, das auf den Namen The Magpie Cage hört. Bands wie CLUTCH, AGAINST ME!, COLISEUM, PAINT IT BLACK, MODERN LIFE IS WAR, THE BOMB oder THE RIOT BEFORE haben dort aufgenommen. Ich fand das aktive wie passive musikalische Schaffen des Mannes schon immer so beeindruckend, dass ich ihn zu seiner Band und seiner Produzententätigkeit befragte.

Das Album von OFFICE OF FUTURE PLANS ist auf Dischord erschienen, du lebst in Baltimore. Gilt die alte Regel nicht mehr, dass Dischord nur Platten von D.C.-Bands veröffentlicht?

Schon, aber zwei von uns leben in Baltimore, das ist 45 Minuten nördlich von D.C., die anderen beiden nur knapp außerhalb der Stadtgrenzen, und so gehen wir wohl gerade noch als D.C.-Bands durch. Ian bringt heutzutage auf Dischord das raus, wovon er wirklich überzeugt ist, das ist das oberste Kriterium. Und wir haben, denke ich, einfach ausreichend tief in Washington gründende Wurzeln, um auf Dischord zu passen. Es ist sein Label, er macht, was er für richtig hält.

Seit JAWBOX hast du alle paar Jahre eine neue Band, doch ob nun BURNING AIRLINES, CHANNELS oder OFFICE OF FUTURE PLANS, deine Handschrift als Songwriter, Gitarrist und Sänger ist immer sehr klar erkennbar. Warum immer ein neuer Name, warum nicht einfach J. Robbins – mit wem auch immer als Begleitung?

Zu JAWBOX-Zeiten haben wir uns viele Gedanken gemacht über das Thema Bandidentität und wie der Austausch eines Bandmitglieds, auch wenn ein anderer der Hauptsongwriter ist, den Sound der Band und deren Identität verändert. Die Bandmaschinerie arbeitet dann einfach anders. Diese Erfahrung habe ich von JAWBOX mitgenommen, und dabei habe ich mich dort nicht mal als Songwriter gefühlt, obwohl ich der Hauptsongwriter war. Ich wollte mich selbst nicht so wichtig nehmen, ich hätte mich blöd gefühlt dabei, zu sagen: „Ich bin der Songwriter bei JAWBOX.“ Die Dynamik der Band war viel wichtiger. Faktisch lief es aber immer so, dass alle mich anschauten, und wenn ich mein Okay gab, war der Song fertig. Dennoch haben alle ihren Beitrag geleistet, etwa beim Arrangement. Neulich nun habe ich mich an diese Erfahrung erinnert, und ich stellte fest, dass sich auch bei OFFICE OF FUTURE PLANS nichts an dieser Arbeitsweise geändert hat. Ich muss deshalb kein großes Ego entwickeln, sondern kann einfach akzeptieren, dass es so ist, und mich der Verantwortung stellen. Was nun deine Frage betrifft ... Nach den Jahren mit JAWBOX kamen BURNING AIRLINES, wir machten zwei Platten, aber zum Ende hin war es recht anstrengend und ich war in Sachen Band recht ausgebrannt. Das mit dem Touren passte mir nicht, alle in der Band waren in den Dreißigern, ein paar hatten die Denke, dass es entweder jetzt mit dieser Band klappen müsse mit dem Durchbruch oder nie, dass das letzte Chance ist, es als Musiker „zu schaffen“, obwohl keiner das zugegeben hätte. Das schwebte die ganze Zeit wie eine dunkle Wolke über uns, und wir hatten ja tatsächlich ganz guten Erfolg, bis dann 9/11 passierte und das Leben nicht mehr so einfach war für eine Band mit dem Namen BURNING AIRLINES ... Zu der Zeit heiratete ich, und ich hatte keine große Lust mehr, ständig auf Tour zu sein.

Warum?

Weil das Touren in den USA größtenteils keinen Spaß macht! Ich fragte mich irgendwann, wie viele Truckstops ich in meinem Leben noch sehen will. Ich hatte alles gesehen und erlebt und beschloss, dass ich das Touren lieber in guter Erinnerung behalten will, als ewig damit weiterzumachen. Das Schöne an einer Band in unserem Kontext ist ja, dass sie es dir ermöglicht, Dinge zu tun, die sonst jenseits des Erreichbaren wären. Eine Europatour, was für eine Erfahrung! Und all die Menschen zu treffen überall, weil diese Szenestrukturen existieren, weil alle ähnlich denken und sich kümmern, das weitet deinen Horizont, das habe ich immer geliebt. Die Touren in Japan und Europa sind bis heute meine liebsten Band-Erinnerungen. Aber zurück zu BURNING AIRLINES: Die Band war vorbei, ich hatte keine rechte Lust auf eine neue, aber dann wollten meine Frau Janet und ich zusammen Musik machen, und parallel dazu fragte mich Darren, der heute bei OFFICE OF FUTURE PLANS trommelt, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm was zu machen. Das war lustig, wir waren eine ganze Weile erklärte Fans des jeweils anderen, und so entstanden CHANNELS, die wohl jene Band waren, die von allen meinem Herzen am nächsten war. Da passte plötzlich vieles auf schöne Weise zusammen.

Wie darf ich das verstehen?

Das fängt damit an, dass keiner der Beteiligten davon ausgeht, dass diese Band irgendwie der musikalischen Karriere dienen könnte. Wir machen das alle aus Liebe zur Musik. Bei JAWBOX war das ja an sich nicht anders, aber ich denke, Menschen zwischen 20 und 30 fallen gerne mal der Selbsttäuschung anheim. Das ist ein Alter, in dem man sich gerne mal was vormacht. Wir unterschrieben damals einen Deal bei dem Majorlabel Atlantic, wir arbeiteten uns den Arsch ab mit dieser Band, wir hatten nur die besten Absichten, aber ich würde lügen, würde ich nicht zugeben, dass wir insgeheim die Hoffnung hatten, vielleicht doch den großen Durchbruch zu schaffen. Es war eine tolle Zeit und eine großartige Erfahrung, aber heute und davor mit CHANNELS ist alles anders, da machen wir uns nichts vor. Darren ist in musikalischer Hinsicht ein Bruder im Geiste, er ist ein phänomenaler Schlagzeuger und ein cooler Typ, und als wir dann endlich die Chance hatten, zusammen Musik zu machen, machte es sofort Klick. Meine Frau Janet ist eine sehr talentierte Musikerin, die aber zuvor nie die Chance hatte, etwas mehr Erfahrung zu sammeln, und so kann ich ihr mit dieser Band die Möglichkeit bieten, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Außerdem hat das den Vorteil, dass wir so auch eine weibliche Stimme in der Band haben. Ich mochte CHANNELS wirklich gern, aber leider bedeutete die Geburt unseres Sohnes Cal vor über sechs Jahren auch das Ende der Band. Wir dachten ja, wir machen irgendwann weiter, aber dann wurde bei Cal Spinale Muskelatrophie diagnostiziert, und das bedeutet eine enorme Verantwortung für uns als Eltern. Alles in allem ist das mit unserem Sohn in Hinblick auf die Unterstützung, die wir von allen Seiten bekommen haben, eine sehr positive Erfahrung, aber ihn zu pflegen ist auch eine Menge harter Arbeit. Janet und ich haben beide keine Verwandten in den USA, entsprechend sind wir da auf uns alleine gestellt, und die Tatsache, dass wir heute überhaupt wieder zusammen Musik machen, grenzt schon an ein Wunder. Wir hatten die letzten Jahre einfach überhaupt keine Zeit, um zusammen in einer Band zu spielen. Ich hatte zwischenzeitlich dieses Projekt mit Vic Bondi ...

... du meinst REPORT SUSPICIOUS ACTIVITY.

Genau. Das war einfach, denn Vic hatte 95% aller Songs geschrieben. Ich spielte nur Bass und wachte als Produzent über die Aufnahmen, das war zu bewältigen. Und es machte Spaß, weil ich mit einem meiner Helden, also mit Vic arbeiten konnte. Und die sechs, sieben Konzerte, die wir spielten, passten auch noch irgendwo dazwischen. Mir gefiel daran, dass es keinen „großen Plan“ gab für die Band, dass ich einfach nur Musik machen konnte, denn Musik zu machen ist für mich sehr erfüllend, ohne Musik fehlt mir etwas, ich brauche das Musizieren, um zu leben. Und immer, wenn da etwas dazwischen kommt, trifft es mich hart. Bei JAWBOX war es damals der Drummer, der der Sache ein Ende setzte. Zachary Barocas wollte wieder studieren, doch da sein Schlagzeugspiel so wichtig war für die Band, war’s das dann auch mit der Band. Das war aber okay, irgendwie war 1997 das Ende der Band einfach gekommen. Mit BURNING AIRLINES, die ich direkt danach gründete, war es dann 2002 auch so. Zum Schluss schleppte sich die Band so dahin, ich war beinahe froh, als es vorbei war. Da hat man dann so Gedanken, ob man das ganze Band-Ding nicht jüngeren Menschen überlassen sollte, man fühlt sich zu alt, aber irgendwann gibt sich das dann wieder. Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden, dass ich die Finger nicht vom Musikmachen lassen kann, selbst wenn ich eines Tages mit der Gitarre an der Straßenecke sitzen sollte. Ich komme damit klar, dass ich, wenn ich eines Tages tot umfalle, wohl eine Gitarre in der Hand halte.

Und wie kam es letztlich zur Gründung von OFFICE OF FUTURE PLANS?

Im Oktober 2008 musste unser Sohn Cal ins Krankenhaus, sechs Wochen lang, und Janet und ich wechselten uns an seinem Krankenbett ab, sie tagsüber, ich nachts. Morgens um acht wollte ich aber nicht einfach nach Hause gehen, und so fuhr ich stattdessen ins Studio und arbeitete an ein paar Songs, einfach nur um den Kopf freizubekommen. Ich dachte, dass ich ein Soloalbum machen könnte, doch dann kam Darren dazu, spielte Schlagzeug. Und als ich dann das Angebot bekam, ein Konzert zu spielen, holte ich Gordon und Brooks dazu, und plötzlich hatte ich eine Band. Anfangs dachte jeder, das sei mein Soloprojekt, doch ich fand, dass man das Ganze besser unter einem Bandnamen laufen lassen sollte.

Du erwähntest mehrfach deinen Sohn, der an der unheilbaren Krankheit Spinale Muskelatrophie leidet. Für junge Eltern ist das sicher ein sehr belastende Situation. Ist deine Musik auch eine Art des Umgehens mit dem durch die Sorge um das Kind ausgelösten Stress?

Musik war für mich schon immer essentiell, ganz losgelöst von meiner Lebenssituation. Musik hat mir schon immer als emotionales Ventil gedient, das hat mich zu einem stärkeren Menschen gemacht. Mit der Situation unseres Sohnes gehen wir von Tag zu Tag um, wie sie sich gerade stellt. Wenn man sich in einer Situation wiederfindet, in der man gesagt bekommt, dass die gesundheitliche Situation deines Kindes hoffnungslos ist, was soll man da tun? Man hat da diesen kleinen Menschen vor sich, der lebt, und du musst damit umgehen. Man macht sich da wirklich viele Gedanken, auch ganz philosophischer Natur, und man stellt fest, dass wir eben nur hier und jetzt leben und mit der Situation so umgehen müssen, wie sie sich gerade stellt. Was weiß man denn schon von der Zukunft? Man kann auch in der nächsten Sekunde von einem Bus überfahren werden. Also muss man sein Leben leben, auch wenn es mir manchmal komplett irrsinnig vorkommt, was ich da mache, also mit meiner Musik und meinem Studio, als Selbstständiger, der sich von Monat zu Monat hangeln muss. Alles ziemlich bekloppt, aber scheißegal, so ist mein Leben, unser Leben. Sollte ich das wirklich eines Tages ändern müssen, dann ist das eben so, aber bis dahin mache ich so weiter wie bisher. Ich glaube stark daran, dass man im Leben das machen muss, was man liebt, und das ist bei mir die Musik.

Hast du jemals eine offizielle Ausbildung absolviert für das, was du da machst?

Haha, nein. Ich habe mal Kunst studiert und das abgebrochen, das ist alles.

Bis heute ist auf der Website von DeSoto Records, dem Label deiner einstigen JAWBOX-Mitstreiter Kim Coletta und Bill Barbot, ein Spendenaufruf zu finden für die Behandlungskosten deines Sohnes Cal, es gab auch Benefizkonzerte. Nun liest man in Europa immer wieder Horrorgeschichten über das US-Gesundheitssystem, dass sich Menschen verschulden müssen, um Arztrechnungen bezahlen zu können. Wie ist eure Situation?

Wir haben wirklich großes Glück gehabt, dass sich so viele Menschen für uns interessiert haben. Die Spenden sind heute viel geringer als zu Beginn, aber damals hat uns die Unterstützung sehr geholfen, denn wir konnten so Therapieformen nutzen, die unsere Krankenversicherung nicht abgedeckt hätte. Wir sind in der glücklichen Situation, dass Maryland, unser Bundesstaat, innerhalb der USA einer der eher fortschrittlichen ist, und im Rahmen von MedicAid, der rudimentären Form einer Krankenversicherung hier in den USA, gibt es einen Fond für Fälle von seltenen, teuren Krankheiten, und da Cal in dieses Raster fällt, hat uns das sehr geholfen. Cals Krankheit ist auf jeden Fall auch eine große finanzielle Belastung, aber man hat uns nicht im Regen stehen lassen. Es sind also auch in den USA Reste eines sozialen Netzes vorhanden. Das Thema macht mir aber in Hinblick auf die anstehenden Wahlen wirklich Angst, denn nicht nur die Republikaner, sondern auch die Demokraten reden ständig davon, dass man aus Haushalts- und Spargründen auch die Sozialprogramme weiter beschneiden müsse. Und wir Amerikaner, die nach außen hin ja sowieso wirken müssen wie ein Haufen Psychopathen, reden nun also auch noch davon, auch noch die Reste unserer Sozialsysteme abzuschaffen. Es gab wirklich schon spannendere Zeiten, Amerikaner zu sein. Aber im Moment geht es uns persönlich noch relativ gut, wir bekommen Unterstützung, und Cal musste auch seit jenem Oktober 2008 nicht wieder ins Krankenhaus. Ich weiß, ich müsste auch die Website für Cal mal wieder updaten, aber ich habe am Ende des Tages immer nur eine begrenzte Menge an Energie übrig, und so verbringe ich die Zeit lieber mit Cal als am Computer.

Das Album von OFFICE OF FUTURE PLANS ist Iain Burgess gewidmet, jenem legendären, heute aber beinahe vergessenen Produzenten, der nicht nur „Novelty“ von JAWBOX produziert hat, sondern auch jede Menge legendärer Chicago-Bands wie NAKED RAYGUN, BIG BLACK, THE EFFIGIES und MINISTRY. Burgess, dessen Schüler Steve Albini war, starb leider im Februar 2010 mit 56 Jahren in Frankreich, wohin er sein Studio in den Neunzigern verlegt hatte. Ist Burgess dein großes Produzentenvorbild?

Iain produzierte einige der Alben, die für mich Punk ausmachen, er prägte meine Vorstellungen. Zu meiner Teenagerzeit, die ich in den Vororten von Washington, D.C. verlebte, ging ich auf viele Konzerte und sah eine Menge großartiger Bands, ich liebte die ganze Dischord-Szene, den „Revolution Summer“, das war meine Zeit. Als Teenager, der sich in eine neue Welt vorwagte, merkte ich aber damals schon, dass die Bands aus dem Mittleren Westen, die Iain produzierte, einen etwas anderen Sound hatten, eine andere Ästhetik, als das, was ich bislang gekannt hatte. Das war nicht die Musik, die meine Freunde hörten, und so hatte ich Spaß daran, etwas entdeckt zu haben, das erst mal nur mir gehörte. Teenager sind nun mal so. Besonders NAKED RAYGUN und BIG BLACK beeindruckten mich, die hatten einen unglaublichen Gitarrensound, das klang unglaublich harsch, aggressiv und cool, das war anders als alles andere, was ich sonst so kannte. Ich achtete auch von Anfang an darauf, was für Namen auf einem Albumcover neben den Musikern noch so auftauchen, was für ein Studio da erwähnt wird, welcher Produzent. Solche Kleinigkeiten interessierten mich, die Entdeckung, dass mit so einer Platte ein Entstehungsprozess verbunden ist. Mit JAWBOX nahmen wir dann unser erstes Album mit Eli Janney auf, den ich ebenfalls sehr bewunderte, weil er meiner Meinung nach die am besten klingenden Washington-Punk-Platten aufgenommen hat. Dann spielten JAWBOX irgendwo in einem Vorort von Chicago ein Konzert mit dem NAKED RAYGUN-Ableger PEGBOY, und bei dem Konzert trafen wir Iain, denn er war der Live-Mixer von PEGBOY. Für mich war er ein kleiner Held, weil er so viele meiner Lieblingsplatten aufgenommen hatte, und so fragten wir ihn, ob er unsere nächste Platte aufnehmen würde, und er sagte zu. Dann mit ihm das „Novelty“-Album aufzunehmen war eine großartige Erfahrung, es machte großen Spaß, und allein der Gedanke, mit dem Kerl arbeiten zu dürfen, der NAKED RAYGUNs „All Rise“ und „Throb Throb“ aufgenommen hatte, versetzte mich in Begeisterung. Der Typ schlief auf meinem Sofa, aß mit uns, nahm unsere Platte auf, stand am Mischpult und schwenkte vor Begeisterung die Fäuste in der Luft, das war unglaublich. Iain war ein echt cooler Typ, der uns im Studio unglaublich motivierte. Er war Jahrgang 1953, ich bin 1967 geboren, er war aus einer anderen Generation. Er war für mich so was wie die Tür zu einer anderen, größeren Welt. Man wächst in seiner eigenen kleinen Welt auf, und dann stößt du auf einen Namen, triffst auf eine Person, und die inspiriert dich so sehr, dass sich da eine Tür zu einer neuen Welt öffnet. Und der Kerl trat plötzlich in unsere Welt und half uns, ein Album aufzunehmen, auf das wir sehr stolz waren. Ich beobachtete genau, was er tat, er war der Mensch, bei dem ich erstmals in Aktion sah, wie man einen „Tape Edit“ macht. Wir hatten mit JAWBOX einen Song, den wir einfach nicht hinbekamen, da war dieser abrupte Wechsel von leise zu laut, und Iain sagte, er bekomme das hin, und dann machte er irgendwas mit Tonband und Rasierklinge, was ich bis heute nicht genau ergründen konnte, aber hinterher klang es so, als hätten wir da einen sehr lauten, perfekten Einsatz hinbekommen. Er war für mich definitiv eine überlebensgroße Gestalt.

Bald nach diesen Aufnahmen zog Iain, der ja Engländer war, inklusive seines Studios nach Frankreich um.

Er redete zu unserer Studiozeit 1991/92 schon davon, ein altes Bauernhaus in Frankreich zum Studio umbauen zu wollen, um dort zusammen mit Peter Deimel das Black Box-Studio zu betreiben. Es war sein großer Traum, und ich bewundere ihn dafür, diesen Traum umgesetzt zu haben. Ich verfolgte über all die Jahre seine Arbeit, die mit SHELLAC, mit Steve Albini und THE EX, mit dieser genialen französischen Band DARIA, mit PAPIER TIGRE, und ich hätte mir gewünscht, ich hätte mit einer meiner Bands das Geld gehabt, nach Frankreich zu fliegen, um noch einmal mit Iain aufzunehmen. Wir blieben aber über all die Jahre in Kontakt, zeigten immer Interesse an der Arbeit des jeweils anderen.

Wenn man Kommentare und Artikel über Iain Burgess liest, gewinnt man den Eindruck, dass er die Art von Produzent und Studiobetreiber war, der sich aktiv in die Arbeit einer Band einmischte, dem Sound seinen Stempel aufdrückte.

Als wir damals „Novelty“ aufnahmen, hatte Ian MacKaye Angst, Iain könnte so ein typischer Musikbusiness-Produzent sein, der, wie es oft üblich ist, auch noch mit Prozenten an den Einnahmen aus den Albumverkäufen beteiligt sein will. Und so saßen sich Iain und Ian im Dischord-Haus an einem Tisch gegenüber, unterhielten sich, und irgendwann hatte Ian verstanden, dass Iain wie er jemand ist, der das, was er tut, vor allem aus Liebe zu seiner Arbeit macht. Für Iain war seine Arbeit mehr eine Berufung als etwas, das man tun muss, um sein Geld zu verdienen. Und er war ein totaler Rock’n’Roller: Als ich bei „Novelty“ meine Stimme zu verlieren drohte, gab er mir den Tip, mir eine Flasche Jack Daniel’s zu kaufen – und das sagte der mir als ehemaligem Straight Edger, denn von 16 bis 21, 22 trank ich keinen Alkohol. Ich verzichtete auf diese Medizin, haha.

Ich finde es schade, dass Iains Name leider etwas in Vergessenheit geraten ist. Nichts gegen Steve Albini, aber angesichts der gottgleichen Verehrung, die viele Indierock-Fans im zuteilwerden lassen, fragt man sich schon, warum die nicht auch dessen „Lehrmeister“ auf dem Schirm haben.

Wenn man Albini fragen würde, wer in Sachen Aufnahmetechnik den größten Einfluss auf ihn ausgeübt hat, würde er sicher auf Iain Burgess verweisen.

Wie gehst du an die Arbeit mit einer Band heran? Wie analysierst du ihren Sound, was tust du, um zu verstehen, was eine Band will?

Ganz wichtig ist, sich ihre Musik anzuhören. Wenn mich eine Band kontaktiert, bitte ich sie als Erstes, mir ihre Musik zukommen zu lassen. Und dann geht das darum zuzuhören, sich vorzustellen, worauf diese Band hinauswill, was sie von dem erwartet, der in der Rolle des Produzenten ist. Es gibt Bands, die haben die Vorstellung, der Produzent sei dazu da, mit ihnen zusammen Songs zu schreiben. Solche Berichte gibt es immer wieder, ich lese und höre davon, dass Bands mit kaum mehr als ein paar Riffs ins Studio gehen und der Produzent dann in wochenlanger Arbeit versucht, zusammen mit der Band Songs daraus zu machen.

Solche Geschichten kenne ich aus der Welt der großen Rockbands, die mit großen Produzenten für Monate im Studio verschwinden, und wo die Labels Unsummen dafür ausgeben müssen. Ich habe aber nie verstanden, was das soll.

So eine Arbeitsweise hat sich aber auch hier und da in die Indie-Welt eingeschlichen. Wenn eine junge Band solche Vorstellungen hat, ist die Antwort simpel: Warum seid ihr eine Band? Setzt euch gefälligst hin und schreibt Songs! Und dann kommt ihr zu mir ins Studio und wir nehmen auf. Sollte es dann einen Grund für mich geben, mich einzumischen, dann werde ich das auch tun, aber ich bin sicher nicht der Typ, der sich diktatorisch in anderer Leute Musik einmischt. Ich sehe meine Rolle als jemand, der als unabhängiger Beobachter seine Meinung äußert, Ratschläge gibt. 95% der Zeit beschränkt sich meine Arbeit im Studio auf die Rolle des Toningenieurs, der hier und da etwas Hilfestellung leistet – auch wenn es nur so simple Dinge sind wie die Frage, ob jemand seine Gitarre gestimmt hat, oder zu wissen, wie man ein Schlagzeug stimmt. Eigentlich besteht meine Rolle also darin, den Leuten ein perfektes Umfeld zu bieten, so dass sie ihr Bestes geben können. Erfreulicherweise konnte ich bislang fast immer mit Menschen arbeiten, die wussten, was sie wollen. Um es etwas bildhafter auszudrücken: meine Rolle besteht darin, für die Glasur auf dem Kuchen zu sorgen.

Unterschätzt du deine Rolle da nicht etwas? Schließlich suchen sich die Bands dich und dein Studio aus gutem Grund aus, ist „Produced by J. Robbins“ ein Markenzeichen.

Also mein Bemühen gilt wirklich der Schaffung einer angenehmen Arbeitsumgebung, und das bedeutet auch, dass ich eine gewisse Sympathie haben muss für die Menschen, mit denen ich arbeite. Das darf man nicht unterschätzen, und ich weiß das aus eigener Erfahrung, denn ich habe schon unter Bedingungen aufgenommen, wo das nicht der Fall war. Wenn ich zwölf Stunden intensiv mit einer Band arbeite, widme ich mich ihr in dieser Zeit zu 100%, und das ist vielleicht meine Stärke. Und ich liebe Musik, ich mag die verschiedensten Musikstile.

Empathie, das ernsthafte Bemühen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, hat das nicht auch was mit den zwischenmenschlichen Beziehungen in der Punk- und Hardcore-Szene zu tun, wo es doch immer auch um mehr geht als eine reine Geschäftsbeziehung?

Da hast du auf jeden Fall Recht. Eine große Sache an Punkrock war für mich als Teenager, dass die Leute das alles so persönlich nahmen. Punkrock war nicht einfach nur ein Musikstil, den man mochte, sondern der erforderte vollen Einsatz. Du warst nicht nur Konsument, sondern aktiver Teil des Ganzen. Das machte damals den Reiz von Punk für mich aus, und das ist auch heute noch so.

An was arbeitest du derzeit?

Nach unserem Gespräch dürfte eine Band namens NEW YORK RIVALS eintreffen, später diesen Monat stehen Aufnahmen mit Neil Fallon von CLUTCH an für ein Nebenprojekt, und LEMURIA werden eine Single bei mir aufnehmen. Und danach geht es, wie es derzeit aussieht, auch geschäftig weiter, etwa mit der neuen Band von Jason Hamacher von FRODUS oder auch mit Blake Schwarzenbach und seiner neuen Band.

Bleibt zum Schluss die Frage, ob man dich mit OFFICE OF FUTURE PLANS irgendwann in Europa auf einer Bühne wird sehen können.

Ich bezweifle das. Wir hätten sicher alle Lust darauf, aber jeder von uns hat so viele andere Sachen zu tun, dass das nicht sehr realistisch ist. Dabei draufzuzahlen können wir uns nicht leisten, aber auch nicht, lange auf Tour zu gehen.

Oder jemand bietet richtig viel Geld für eine JAWBOX-Reunion. 2009 habt ihr das zumindest mal für einen Auftritt in Jimmy Fallons Late-Night-Show gemacht ...

So eine Reunion wird es nicht geben, sorry. Ja, das könnte sogar Spaß machen, aber zur Zeit kann ich mit Sicherheit sagen, dass es nicht passieren wird.