Alles begann mit Hasenkostümen in Köln, und es war nicht einmal Karneval. IT’S NOT NOT spielten eine ihrer berüchtigten Shows und ich wurde Zeuge, wie der Club kochte, wie sich der Schweiß an der Decke sammelte. 2003 hieß es noch „Giving Everything“, heute heißt es „ No Time For Jokes“. Nach unzähligen Shows und neuen Alben mit den beiden „Hauptbands“ STANDSTILL und TOKYO SEX DESTRUCTION haben die vier Spanier es wieder geschafft, ein freakiges Dance-Wave-Album zu veröffentlichen. Ihr neues Werk ist abwechslungsreicher, kantiger und manchmal sogar eingängiger als so manch anderes Release des momentan so angesagten Wave-Hypes. Aber soll der Titel wirklich Programm sein? Hängen die Kostüme jetzt im Schrank? Wird die legendäre Kuhglocke gar nicht mehr erklingen? Per eMail konnte ich die Vier befragen.
Wie funktioniert IT’S NOT NOT? Wer macht was?
„Wir arbeiten wie eine Art musikalische Demokratie im Chaos. Wir treffen uns im Proberaum und lassen unsere Ideen fließen, ohne bestimmte Richtungen vorzugeben. Es gibt keine Startidee und es macht Spaß, dass nach ein paar Minuten des Spielens alles einen Sinn ergibt. Danach arbeiten wir an dem Song, bis wir alle damit zufrieden sind. So funktioniert das sowohl bei den Instrumentals als auch bei den Lyrics. Beim Arbeiten an ‚No Time For Jokes‘ haben wir versucht, weiter zu gehen und diese Philosophie auf das ganze Album zu übertragen. Es ist also nicht einfach eine Ansammlung von Songs, sondern es ist alles miteinander verbunden und hat einen Grund, warum es so ist. Wir bringen das Chaos zur Ordnung, wenn wir aufnehmen, und die Ordnung zum Chaos, wenn wir auftreten.“
Ist es euch wichtig, dass man eure Texte versteht? Warum sind sie auf Englisch und nicht auf Spanisch geschrieben? Schließlich seid ihr Spanier ...
„Uns sind die Texte sehr wichtig. Uns geht es darum, dass die Leute verstehen, was wir sagen, singen und worüber wir schreien. Irgendwie hängen die Musik und die Texte zusammen: Der Text hilft, die Musik zu verstehen und umgekehrt. Wenn man sich mit den Texten beschäftigt, erfährt man, warum wir diese Art von Musik machen. Man betritt dann unsere Welt und kommt nicht mehr aus ihr raus. ‚A warrior without face riding a two head unicorn, mirrors everywhere, the owls worked up and the midnight jewel in the middle of the dancefloor.‘ Bist du einmal in dieser Welt, erlauben wir dir, zu tanzen und Spaß mit uns zu haben. Die Lyrics sind hauptsächlich auf Englisch, da Joel damit besser umgehen kann. Beim Großteil der Musik, die wir hören, wird englisch gesungen. Und übrigens habt auch ihr Deutschen das Recht, bei unseren Shows zu singen!“
Wie soll man den Albumtitel verstehen? Ist er die Antithese zu den Hasenkostümen?
„Es gibt in Spanien Leute, die IT’S NOT NOT missverstehen. Sie denken, dass wir kein seriöses Projekt neben unseren anderen Bands sind, sondern dass alles nur ein Witz ist. Für uns ist ‚No Time For Jokes‘ ein Weg, damit zu spielen. Wir mögen doppeldeutige Konzepte, aber wir sind trotzdem eine echte, hart arbeitende Band mit Leidenschaft und einer Menge Humor. Das zeigen wir mit unserem zweiten Album.“
STANDSTILL und vor allem TOKYO SEX DESTRUCTION gelten als politische Bands, ihr Statement ist eher ernsthaft. Tobt ihr euch bei IT’S NOT NOT richtig aus?
„Ich denke, dass wir bei den Dingen die wir sagen, auch irgendwie politisch sind. Auf der anderen Seite wollen wir mit der Band Spaß haben. Auch die Leute sollen mit uns Spaß haben können. We want to see you with a smile in your face! Ohne diese Einstellung würde IT’S NOT NOT nicht existieren.“
Wie weit geht eure Kunst? Hattet ihr großen Einfluss auf das Layout zum Album? Und warum habt ihr diese kaum lesbare Schrift gewählt?
„Wir hatten Glück, mit einigen Freunden zusammen zu arbeiten, die wirklich talentierte Illustratoren und Fotografen sind. Das kam uns sehr entgegen, da wir gerne in solche Dinge involviert sind. Dazu kommt, dass einige von uns als Grafiker und Illustratoren arbeiten. Für das Layout von ‚No Time For Jokes‘ haben wir einen Freund gefragt, ob er uns mit ausgefallenen Malereien aushelfen kann. Wir waren vom Ergebnis wirklich begeistert und haben zusammen angefangen, am Layout zu arbeiten, und mit der Zeit haben wir uns um fast alles gekümmert. Es gibt auch zwei unterschiedliche Versionen des Artworks. Das Original-Layout findet sich nur auf der spanischen Version. Da gab es wohl Druckprobleme und deswegen ist das deutsche Artwork nicht die Version, die wir eigentlich wollten.“
Man hört sehr wenig von spanischen Bands, STANDSTILL, DELOREAN und TOKYO SEX DESTRUCTION mal ausgenommen. Wie kommt das?
„Ich denke, der Grund dafür ist, dass viele spanische Bands ihre Platten nur auf spanischen Labels veröffentlichen und diese nicht das Geld haben, die Platten in anderen Ländern rauszubringen. Vielleicht sind sie auch nicht daran interessiert. Ich weiß es nicht genau. Es ist für die Leute und auch für die Medien schwierig, auf eine Band aufmerksam zu werden, die ihre CD nur in einem Land veröffentlicht. Dennoch gibt es hier in Spanien eine Menge Bands, die den Erfolg in anderen Ländern wirklich verdient hätten. Wir selbst haben wirklich Glück, dass unsere Platten in Deutschland veröffentlicht werden. Und wir lieben es, in Deutschland zu spielen.“
Mir kommt es so vor, als wüsste ich mehr über die amerikanische Musikszene als über die europäische. Wie denkt ihr darüber? Wie geht man mit anderen europäischen Bands in Spanien um?
„Die Amerikaner beherrschen die Industrie seit über fünfzig Jahren. Ich denke, es ist normal, dass wir mehr über sie wissen, weil sie schon länger dabei sind. Man sollte auch die englische Musikszene nicht vergessen, irgendwie sitzen die beiden ja im gleichen Boot. Dennoch denke ich, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Rest von Europa nachzieht. Sieh dir nur mal die schwedische Rockszene an.“
Wie ist das Feedback in anderen Ländern? Schließlich ist eure tanzbare Wave-Punk-Mischung im Moment echt angesagt.
„Das Feedback ist großartig. Es scheint, als entstehe eine neue Szene für diese Art Musik und Leute, die sich einfach treffen und sagen: ‚Let’s have fun and dance!‘. Wir aber wollen es in eine andere Richtung treiben und fügen deshalb Wahnsinn und auf eine Art auch Kunst in unsere Musik ein. Radiofreundliche Songs zu machen, nur um Leute zum tanzen zu bringen, ist zu einfach. Das schafft sogar ein Affe und es kann schnell langweilig werden! Also haben wir uns gedacht, lass uns was anderes versuchen: Eine Platte für beide, für den Tänzer und für den Hörer. Wir wollten experimentieren und das Risiko eingehen, etwas Neues zu probieren.“
Warum ist „No Time For Jokes“ kein reines Tanzalbum? Welche Bedeutung haben die atmosphärischen Interludes?
„Ich denke das hat zwei Gründe: Unsere Musik ist eine Weiterführung von uns als Personen. Wir tanzen auch nicht 24 Stunden am Tag. Außerdem ist ‚No Time For Jokes‘ keine reine Tanzplatte, weil wir auch unsere Vorliebe für elektronische Musik haben einfließen lassen. Wir hören alle viele unterschiedliche Musikarten und beschäftigen uns damit. Stell dir mal vor, wie das ist, wenn man uns vier zusammen stellt ... Es ist verrückt. Jedenfalls wollten wir keine reine Tanzplatte machen, obwohl ein paar Leute, die die CD gehört haben, sagen, dass sie tanzbarer ist als ‚Giving Everything‘. Was diese Interludes anbelangt: Wir haben sie eingefügt, um die Songs miteinander zu verbinden. Irgendwie ist es wie ein Hip-Hop-Album.“
Welche Bands haben den Sound von IT’S NOT NOT beeinflusst?
„Wir werden von vielen Dingen beeinflusst. Ich denke, unsere persönlichen Erfahrungen haben einen größeren Einfluss auf uns als irgendwelche Bands. Der Großteil der Lyrics handelt von Dingen, die uns in der Vergangenheit passiert sind: verrückte Sachen, Sachen, die du siehst, wenn du betrunken bist, Leute, die unerwartet handeln ... Alles.“
Wie soll/kann man den Text von „The midnight jewel“ verstehen, wer ist der schlechte Tänzer?
„Der Song handelt vom Nachtleben in Barcelona, den Plätzen, wo wir hingehen, und den Leuten, die wir dort sehen ... Irgendwie auch von Dingen, die wir mögen, Dingen, die wir nicht mögen, und wie wir uns in der Mitte von allem bewegen. Er handelt von der Zweideutigkeit, dass man manche Dinge nicht mag, aber irgendwie trotzdem mitmacht. Überall Zweideutigkeiten ... Ich hoffe, keine schlechten Tänzer bei unserer Wintertour in Deutschland zu sehen!“
Auffallend viele Bands aus eurem Umfeld werden in Deutschland durch Defiance Records vertrieben. Wie kam es dazu?
„Sie haben uns die Möglichkeit gegeben, unsere Platten in Deutschland zu vertreiben, und mit der Hilfe von Target Concert konnten wir dann eine Tour starten. Mittlerweile sind wir innerhalb von einem Jahr zweimal in Deutschland gewesen und wir verdanken denen viel. Aber, als wäre das noch nicht genug, sind sie auch noch echt nette Kerle und gute Freunde von uns. Big kisses to Hoffi and Roland.“
Was macht ihr, wenn ihr mal keine Musik macht? Vielleicht irgendwas Politisches, Literarisches oder gar Artistisches?
„Musik nimmt bei uns viel Zeit in Anspruch, vor allem wenn man in zwei Bands spielt. In der wenigen Zeit, die dann noch übrig bleibt, machen wir das, was alle machen: Experimentelle Mathematik und Leute kidnappen.“
Was bedeuten euch eure Songs? Was bewirken sie in euch, wenn ihr sie live spielt?
„Sie zeigen uns, was wir sind, und der Moment, in dem wir sie spielen, ist für uns, als teilen wir uns anderen Leuten mit. Wir brauchen den Kontakt zum Publikum. Manchmal sind die Leute lustig und gut drauf und manchmal sind sie sauer, weil sie denken, dass wir scheiße sind. Es kann sein, dass man bei unseren Shows taub wird, schließlich mögen wir es, laut zu spielen. Uns ist es wichtig, dass die Leute mit einem von uns erzeugten Gefühl den Club verlassen ... Normalerweise ist es ein Lächeln – und genau so was lieben wir! Wenn wir die Songs live spielen, unterscheiden sie sich um einiges von der Albumversion ... Wir mögen es, den Songs ein anderes Gesicht zu geben.“
Nehmt ihr auch diesmal die legendären Kuhglocken mit auf Tour? Und was können wir noch von IT’S NOT NOT erwarten?
„Natürlich bringen wir die Glocken mit! Jimbao will never die. Und erwartet alles oder nichts, das ist der Schlüssel. Wir wissen selbst nicht genau, was in den nächsten Monaten passieren wird, niemand weiß das. Eigentlich ist genau das unsere Art, Musik zu machen: Bei Null anfangen. Komm einfach zu unseren Shows und wir werden versuchen, dich zu überraschen. Wir werden nach Deutschland kommen, noch bevor das Jahr endet.“
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #62 Oktober/November 2005 und Sebastian Wahle
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #77 April/Mai 2008 und Sebastian Wahle
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #76 Februar/März 2008 und Sebastian Wahle
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #56 September/Oktober/November 2004 und Joachim Hiller
© by Ox-Fanzine - Ausgabe #61 August/September 2005 und Sebastian Wahle