Aaron Turner ist ein interessanter Gesprächspartner. Ruhig und entspannt sitzt uns der Hydra Head-Labelboss und ISIS-Frontmann in einer Backstage-Katakombe des 013 in Tilburg gegenüber, anders als auf der Bühne mit einer schwarzen Designerbrille auf der Nase, und beantwortet kurz vor dem ISIS-Set seelenruhig unsere Fragen - zum aktuellen Stand der Dinge in Sachen Band, über die Arbeit seines 1993 gegründeten Labels und die Entwicklung jenes Genres, an dessen Verbreitung Turner mit Band wie Label maßgeblichen Einfluss hat und das er mit "thinking man's metal" weit besser beschreibt, als es der Begriff "Post Metal" tut.
Aaron, was hat euch dazu gebracht, hier auf dem Roadburn-Festival zu spielen?
Dazu brauchte es keine großen Überzeugungskünste: Wir bekamen es angeboten, und Cliff, unser Keyboarder, der ja auch bei den RED SPAROWES ist, spielte mit denen letztes Jahr hier. Er sagte, es sei ein cooles Festival, und Stephen von SUNN O))) sagte das Gleiche, sprach von einer tollen Atmosphäre und netten Veranstaltern. Und so sagten wir zu.
Und, hattest du die Chance, selbst ein paar Bands zu sehen?
Leider nicht. Wir mussten heute morgen früh aufstehen, um rechtzeitig hier zu sein, und so sind wir nach dem Soundcheck wieder ins Hotel, um etwas zu schlafen. Heute abend würde ich allerdings gerne noch die ein oder andere Band sehen, und leider müssen wir morgen schon wieder früh los, so dass ich das Programm am Samstag und Sonntag verpasse.
Ein Problem für einen Musikfan wie dich?
So schlimm ist das nicht. Wir touren oft mit Bands, die ich sehr mag, von daher bin ich nicht gerade ausgehungert nach Livebands. Und es gibt ja immer wieder Festivals, bei denen wir länger vor Ort sind und wo ich dann auch mal in Ruhe ein paar Bands anschauen kann. Letztes Jahr war das ATP so eine Gelegenheit, da spielten Patti Smith und SHELLAC. Oder dieses Festival in Barcelona, da konnte ich SONIC YOUTH von der Seite der Bühne aus sehen, und das war wirklich grandios. Es klappt also nicht immer, dass wir die Bands sehen können, die wir gerne sehen würden, aber wir können uns echt nicht beklagen.
Hat sich für dich schon mal das Bild einer Band, deren Fan du bist, verschoben, nachdem du sie kennengelernt hast?
Eigentlich nicht. Es ist einfach klasse, wenn du eine geschätzte Band mal näher kennenlernen kannst. Ein gutes Beispiel sind die MELVINS, mit denen wir vor sechs oder sieben Jahren auf Tour waren: Die MELVINS sind eine der wenigen Bands, auf die sich alle bei ISIS - wir haben einen sehr unterschiedlichen Musikgeschmack - einigen können, und sie kennenzulernen war eine schöne Erfahrung, die mein Bild von ihnen nicht im geringsten getrübt hat. Anfangs waren wir echt so richtig befangene Fanboys im Umgang mit ihnen, aber das hat sich dann jeden Tag ein Stück mehr entspannt. Und ganz allgemein gesprochen bin ich heute sogar ein noch größerer Musikfan als damals, als ISIS begannen Musik zu machen.
Wie gehst du mit Menschen um, die eure Musik in Fan-Manier sehr ernst nehmen?
Erst mal freue ich mich über die Wertschätzung und darüber, dass jemand unsere Musik ernst nimmt. Denn ich selbst nehme Musik sehr ernst. Es ist also schön zu wissen, dass es Menschen gibt, die unsere Musik auf tiefgehende Weise zu schätzen wissen. Was den persönlichen Kontakt zu solchen Menschen betrifft, so ist der okay, wenn eine Person einigermaßen normal rüberkommt, aber es gibt auch Gelegenheiten, wo man sich von jemandem in die Ecke gedrängt fühlt und nur noch weg will. Ich bin aber auch kein besonders kontaktfreudiger Mensch, das kommt dazu, und so habe ich manchmal meine Schwierigkeiten mit einer bestimmten Art von Fans.
In den letzten Jahren hat die Zahl der Bands, die ähnliche Musik wie ihr spielen, enorm zugenommen. Wie siehst du das?
Wir sind selbst eher "Inselexistenzen" in der Hinsicht, dass wir uns kaum darum kümmern, was um uns herum geschieht. Natürlich hören wir auch die Musik anderer Bands, verfolgen was sie tun, aber ein Grund dafür, dass wir uns eine Nische schaffen konnten, ist sicher, dass wir einfach nur das gemacht haben, was wir wollten. Dass sich dieser Musikstil mittlerweile größerer Beliebtheit erfreut, ist gut für uns, alleine schon aus "Überlebensgründen". So konnten wir unsere Jobs kündigen, können viel auf Tour gehen, können uns voll und ganz der Musik widmen, und das wissen wir sehr zu schätzen. Uns ist aber auch bewusst, dass sich in diesem Genre mittlerweile ziemlich viele Bands tummeln, aber das stört uns nicht, denn der Effekt ist, dass wir so musikalisch weitergetrieben wurden, wir uns bewusst um die musikalische Evolution unserer Band gekümmert haben. Wobei ich aber auch so der Meinung bin, dass wir mit keinem Album das davor einfach nur repliziert haben. Natürlich stehen Teile unserer Musik immer noch auf dem Fundament, das wir vor vielen Jahren gelegt haben, aber in andere Aspekten haben wir uns viele Schritte davon entfernt. Und wenn es denn einen Einfluss äußerer Faktoren auf uns geben sollte, dann mit der Wirkung, dass wir uns selbst nur noch stärker darum bemühen, uns weiterzuentwickeln.
Und der Effekt, von den örtlichen Veranstaltern ihrer Meinung nach ähnliche Bands als Support vorgesetzt zu bekommen?
Den vermeiden wir, indem wir uns selbst die Bands aussuchen, mit denen wir auf Tour gehen. Und so kommt es nur sehr selten vor, dass man uns eine Band vorsetzt, die wir nicht selbst ausgesucht haben. Denn es ist uns wichtig Bands auszuwählen, die sich stilistisch von uns unterscheiden. Okay, wir waren in den USA auch mal mit PELICAN auf Tour, und wir sind sicher nicht identisch, aber es gibt schon gewisse Ähnlichkeiten. Ansonsten bemühen wir uns aber wirklich um ein abwechslungsreiches Programm, denn das macht die Shows sowohl für uns wie für unser Publikum interessanter. Kann sein, dass wir die Leute damit auch mal herausfordern, aber generell hat sich das als positiv herausgestellt und uns geholfen, ein so vielfältiges Publikum heranzuziehen wie das, das wir heute haben.
Also steckt dahinter auch die Idee, euer Publikum herauszufordern, es zu "erziehen"?
"Erziehen" ist das sicher kein glücklicher Ausdruck, ich finde es besser, davon zu reden, dass wir sie neuen Einflüssen aussetzen. Wir versuchen Bands zu finden, die musikalisch sehr verschieden von uns sind, mit denen uns aber dennoch etwas verbindet. DÄLEK sind so ein Fall: Die machen HipHop, aber dennoch gibt es auch Parallelen, unsere Einflüsse und unsere Motivation etwa, oder der Anspruch an den Sound.
Wenn man sich einen Song von ISIS mal im Vergleich mit einem der Klassiker von BLACK FLAG oder MINOR THREAT anhört, wo ist da die direkte Verbindung, wie macht man jemandem klar, dass ISIS auch in diesen Kontext gehören, auch wenn es nicht offensichtlich ist für jemanden, der erstmals auf diese Musik stößt?
Bevor wir uns einst für Punk und Hardcore zu interessieren begannen, war da das Interesse für ganz normale Rockmusik, der wir ganz zu Beginn ausgesetzt waren: Jimi Hendrix, BLACK SABBATH, LED ZEPPELIN, PINK FLOYD und so weiter. Andere in der Band hatten über ihre Familie mit Jazz, Klassik oder Folk zu tun, und all diese Einflüsse haben sich dann irgendwie in unsere Musik geschlichen. Als Teenager interessierten wir uns dann für Metal, Hardcore und Punk, und in dem Alter ist man natürlich besonders offen für Einflüsse, das ist das Alter, in dem wir alle anfingen, auch selbst Musik zu machen. Dennoch üben auch die Einflüsse aus der Zeit davor heute ihren Einfluss aus, ebenso wie die aus den späteren Jahren, denn mit dem Älterwerden hat sich auch unser Geschmack erweitert und wir waren als Band bereit, solche Einflüsse zum Vorschein kommen zu lassen. Hardcore oder Punk etwa ist also zwar das Fundament, aber war letztlich dann doch nur das Sprungbrett für das, was folgte - und nicht die strikt zu befolgende Blaupause. Die Debatte, was Punk oder Hardcore ist, gab es ja schon immer, und letztlich kamen ja viele Leute zum Schluss, dass es mehr eine Frage der Ethik und der Attitüde ist als des eigentlichen Sounds. Und das ist auch bei uns der Fall. Wir haben uns schon immer so weit wie möglich in einer D.I.Y.-Manier organisiert, und ich denke, das ist ein zentraler Aspekt unseres Erfolges, wenn du es denn so nennen willst.
Apropos Erfolg: Während die Majors ja sonst schnell auf jeden Trend aufspringen, ist das im Falle des von euch gespielten Sounds bislang nicht der Fall. hast du eine Idee warum?
Ich denke, diese Musik ist immer noch zu unzugänglich. Bestimmte Sounds sind für den Mainstream, für die Majors interessant, aber letztlich kommt es für die immer noch darauf an, dass es radiokompatible Songs gibt. Und Bands, die acht oder zehn Minuten lange Songs schreiben, können die nicht machen. Aber hier und da hört man schon, dass da vielleicht eine gewisse Inspiration - ich will nicht von Beeinflussung reden - erfolgt ist, etwa wenn man sich die neuen Sachen von DEFTONES anhört, und in geringerem Maße ist das auch bei THURSDAY oder THRICE erkennbar. Und die sind ja alle sehr populär. Dennoch: Bands aus dem erwähnten Genre, ISIS inklusive, schreiben keine Lieder nach dem Vers-Refrain-Schema, haben lange instrumentale Passagen. So was konnte man auf kommerziellem Niveau in den Sechzigern noch machen, da hat das eine kurze Zeit funktioniert, aber heute wird so was kein Major anpacken.
Jene Leute, die ISIS zu schätzen wissen und auch dein Label Hydra Head, sind Menschen, denen eine schöne LP oder CD noch etwas bedeutet. Doch wie siehst du die Entwicklung der Musikwirtschaft, wo der Download oder das Streamen von Musik als das Nonplusultra angesehen wird?
Wir haben ein Publikum, das mehr als das anderer Bands oder Labels an physischen Produkten interessiert ist, die ein Album anfassen und ansehen wollen. Die wollen Musik als umfassende Erfahrung, nicht nur den kurzfristigen Kick aus einem Refrain, den sie online gehört haben und den sie dann im Auto mitsingen wollen. Nein, unseren Fans geht es bei Musik um eine tiefere Erfahrung, und dazu gehört das Artefakt, seine Verpackung. Wir haben unsere Arbeitsweise in den letzten Jahren nicht wirklich verändert, sowohl was ISIS wie auch Hydra Head betrifft, und es geht uns darum, eine umfassende, komplette Erfahrung zu schaffen, nicht nur ein Album mit einer Sammlung von Songs. Nein, die Musik, das Artwork, die Verpackung, die Texte, dass soll ein Stück Kunst sein, alle Elemente beeinflussen sich da gegenseitig, und das soll rüberkommen, wenn man sich hinsetzt, die Musik hört, dazu die Texte liest und das Artwork auf sich wirken lässt und so die Welt um sich herum ausblenden kann. Für mich als Musikhörer wie als jemand, der an der Herstellung solcher Werke beteiligt ist, ist das unverzichtbar.
Dennoch hat man ja - uns als Fanzinemachern geht es da nicht anders - das Gefühl, dass die Idioten da draußen mehr werden und immer näher kommen.
Nun, die Idioten waren gegenüber dem Rest, gegenüber uns, schon immer in der Überzahl. Ich verschwende also keine Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, sondern versuche einfach mein Bestes zu tun. Aber klar, mir macht es auch etwas Angst, dass da draußen vielleicht bald kaum noch Plattenläden existieren werden, doch andererseits ist der Verkauf von Vinyl in den letzten Jahren wieder steil angestiegen, und das ist für mich sehr ermutigend, aber es könnte natürlich auch nur ein kurzlebiger Trend sein. Ich sehe eine Tendenz dahin, dass Leute einerseits digitale Musik für ihren iPod haben wollen, aber auch die LP fürs Regal. Und das ist für mich die beste Lösung, denn im Gegensatz zur CD hat man bei der LP natürlich für das Artwork ganz andere Möglichkeiten. Und das analoge Audioformat gefällt mir natürlich auch besser. Die LP hat außerdem den Vorteil, dass der Zuhörer sich viel mehr mit der Musik auseinandersetzen muss: Er muss die Schallplatte aus der Hülle holen, sie auflegen, zwischendurch aufstehen, um sie umzudrehen - das erfordert einen ganz anderen Einsatz als eine CD. Mit Vorhersagen sollte man ja vorsichtig sein, aber ich denke, dass Menschen in Zukunft wieder mehr Wert legen werden auf "the real thing", und spätestens, wenn dir dein Computer abstürzt und deine gesamte Musiksammlung weg ist ...
... wirst du dich fragen, was du eigentlich auf dem Flohmarkt verkaufen willst, wenn du mal Geld brauchst, haha. Aus persönlicher Betroffenheit noch die Frage, was du vom Vorgehen von Labels hältst, die dazu übergegangen sind, an Journalisten kaum noch CDs zu verschicken, sondern nur noch Download-Codes?
Wir haben in dieser Hinsicht auch schon Zugeständnisse machen müssen, wobei weniger der finanzielle Aspekt im Vordergrund stand als vielmehr, dass Journalisten ein Album schon Wochen und Monate im voraus hören müssen oder wollen. Da ist ein Mediaplayer auf unserer Website die einfachste Möglichkeit, sich das mal anzuhören. Aber wenn es irgendwie geht, ist es uns natürlich wichtig, dass Journalisten, besonders die von Publikationen, die wir mögen, eine richtige CD in die Hand bekommen. Wir schicken von jedem Release ungefähr 2.000 Promo-CDs raus und 150 fertige CDs - an die Leute, von denen wir wissen, dass sie das zu schätzen wissen. Aus geschäftlichen Gründen muss man eben hier und da Zugeständnisse machen an die Arbeitsweise der Musikindustrie, aber ich denke, die Kompromisse, die wir eingehen, sind nur minimal, und ansonsten machen wir alles so, wie wir das für richtig halten.
Was können wir in der nächsten Zukunft von ISIS und Hydra Head erwarten?
ISIS sind gerade dabei, ein neues Album zu schreiben. Das ist immer wieder ein interessanter Prozess, der letztlich sehr befriedigend ist, aber der Weg dorthin ist anstrengend und beschert mir die ein oder andere schlaflose Nacht. Mit jedem Album sind wir uns selbst gegenüber härter, setzen immer stringentere Standards, und das kann auch Stress bedeuten. Aber am Ende des Jahres ist dann alles gut und wir werden ein neues Album fertig haben. Wir arbeiten zudem an einer neuen DVD und noch einer Live-Zusammenstellung. Und was das Label betrifft, so werden wir dieses Jahr eine Menge Releases haben, und das ist schön, denn wir schaffen es in einer Zeit und in einem Wirtschaftsbereich erfolgreich zu sein, der nach Maßstäben der Musikindustrie im Niedergang begriffen ist, und das ist für mich ein Zeichen, dass wir wohl was richtig machen und es schaffen, die Aufmerksamkeit der Leute zu erringen, deren Aufmerksamkeitsspanne noch intakt ist und die Musikfans sind, nicht Musikkonsumenten.
Aaron, vielen Dank für das Gespräch.
Joachim Hiller, Thomas Renz
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