INFERNO

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Es war eine wilde Zeit

Die 1981 in Augsburg gegründeten INFERNO fielen mir zum ersten Mal 1983 auf dem „Ultra Hardcore Power“-Sampler von Mülleimer Records positiv auf, wo sie bekannte Bands wie NORMAHL oder CHAOS Z an Geschwindigkeit und Härte noch zu übertreffen vermochten. Noch im gleichen Jahr kam ihr Debütalbum „Tod und Zerstörung“ raus, ebenfalls auf Mülleimer, das im Nachhinein seiner Zeit weit voraus erscheint und auf dem sich bereits einige ihrer Klassiker wie auch „Ram it up“ finden. Wir nehmen die Wiederveröffentlichung dieses Albums auf Power It Up zum Anlass, um mit Archi, INFERNO-Gitarrist von 1982 bis 1987 und später bei TERRORGRUPPE, über Punk in Augsburg, Naziglatzen und andere Punk-relevante Themen der Achtziger Jahre zu sprechen. INFERNO waren seinerzeit außerdem Howie (voc), Zong (bs), und Max (dr).

Wie bist du damals auf Punk aufmerksam geworden und wann hat dich der Virus selbst erfasst?


Das war so 1976 mit elf Jahren. Ich habe zum ersten Mal im AFN, dem Radiosender der US-Streitkräfte, die RAMONES gehört und war hellauf begeistert. Zur gleichen Zeit fing Thomas Gottschalk in seiner Sendung „Pop nach 8“ auf Bayern 3 an, Punk zu spielen. Ich habe die Sendungen dann mitgeschnitten und mir die Punk-Nummern rauskopiert und meine ersten Mixtapes gebastelt. Mit 14 war ich dann Punk im Fasching und bin hinterher einfach und zum Ärger meiner Mutter so geblieben.

Was bedeutete Punk damals für dich – und wie ist das heute?

Punk war für mich die coolste Sache der Welt. Punks waren Outlaws. Man hat ständig Ärger bekommen, war einfach etwas Besonderes. Klamotten, Musik, Konzerte und Fanzines und ein sehr unkonventionelles Gruppengefühl. Eine riesige Gang von Individualisten. Es war eine wilde Zeit. Das passte alles perfekt zu meiner antiautoritären und anarchistischen Grundeinstellung und meiner Pubertät. Die Musik und die Anarchie sind mir geblieben. Als Subkultur hat Punk meines Erachtens nach ausgedient. Punk wurde ab den Achtzigern zu sehr politisiert und reglementiert und hat sich nicht mehr aufregend weiterentwickelt.

Gab es von deiner Seite aus von Anfang an die Idee, Musik zu machen?

Ja, sehr schnell. Ich war schon als Kind am Musizieren interessiert, vor allem mit der Gitarre, und Punk waren die Initialzündung für mich, endlich ernst zu machen.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen INFERNO? Und was bedeutet er für dich?

Der Name kam von unserem Bassisten Zong. Anfangs hieß die Band, glaube ich, DECONTROL. Das war uns dann zu DISCHARGE-mäßig und wir haben uns dann schnell auf INFERNO geeinigt. Ich fand, das passte ganz gut zu dem Sound und dem Speed-Gewitter, das wir da veranstalteten.

Welche Einflüsse hattet ihr?

DISCHARGE und alles, was schneller war. Wir waren wie Staubsauger, jeden neuen Furz, der auf der ganzen Welt rauskam, haben wir uns besorgt, in uns aufgesogen und analysiert.

Wo habt ihr geprobt und wie oft?

Am Anfang waren wir ständig am Umziehen. Etwa ein halbes Jahr lang, bis wir dann einen festen Proberaum im Keller eines Jugendzentrums fanden, in dem wir die meiste Zeit unseres Ur-Bestehens probten.

Wie sah die Punk-Szene in Augsburg aus? Gab es ein autonomes Zentrum, die Möglichkeit, selbst Konzerte zu organisieren?

Ich fand die Augsburger Punk-Szene Mitte der Siebziger bis Mitte der Achtziger eigentlich recht groß. Bisweilen gab es da mehr als hundert Leute, was für eine bayerische Stadt schon recht beachtlich war. Autonom war da allerdings nichts. Es gab ein Jugendzentrum namens „Nr. 1“ in einer alten Villa, welches von einer Biker-Gang und uns Punks besucht wurde. Es gab dort zwar offizielle Sozialarbeiter, aber die ließen uns größtenteils tun, was wir wollten, und die älteren Biker passten ein bisschen auf uns Punks auf. Konzerte fanden in diversen Clubs statt, dafür war das JUZ zu klein. Selbst Konzerte organisiert haben wir auch an den abenteuerlichsten Orten: Bauernhöfe, Sport-Vereinsheime, Discos, überall da, wo sich ein Idiot fand, der sich auf die Punks eben einließ.

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum, gab es den bei euch oder in eurer Szene? War das der Grund für euren Song „Wodka“?

Alkohol war Suchtproblem Nummer eins bei INFERNO. Ich sage mal, „Wodka“ war so ein halbgarer Versuch, das zu thematisieren. Allerdings überwog da noch die Glorifizierung vor der Selbstkritik. Wir waren damals noch jung und nicht kaputt genug für eine selbstkritischere Auseinandersetzung.

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind dir in besonderer Erinnerung geblieben?

Solche Situationen gab es massenhaft. Einmal hatten wir nach einem Gig in Fürth Streit in der Band und ich stieg aus und fuhr mit meinem eigenen Auto nach der Show allein nach Hause. Die andern bekamen Panik und klauten im Suff der Vorband die Gitarrenanlage. Wahrscheinlich in der Hoffnung, mit Equipment leichter einen neuen Gitarristen zu finden. Es gab eine Anzeige, Gerichtsverfahren und einen Sack voll Sozialstunden für die andern drei und ich hatte eine Hausdurchsuchung.

Habt ihr oft in anderen Städten oder auch im Ausland gespielt. Wie wurden die Konzerte in einer Zeit ohne Internet organisiert?

Wir haben eher selten gespielt. Zwanzig Gigs im Jahr waren da schon eine Ausnahme. Entsprechend selten waren auch unsere Besuche in Italien, Österreich, der Schweiz, Jugoslawien, Holland und Belgien. Gebucht und organisiert wurden die Gigs natürlich per Telefon oder Schneckenpost. Es gab windige Angebote aus den USA, Kanada und Skandinavien, die wir allerdings nie wahrgenommen haben.

Wie ist der Kontakt zu Mülleimer zustande gekommen? Wie hast du die Aufnahmen zu euren LPs in Erinnerung?

Wir hatten das „Anti Hagenbach“-Demotape damals auch an Thomas Ziegler von A.M. Music geschickt und der ließ uns ein paar Nummern für seinen ersten „Ultra Hardcore Power“-Sampler in Pforzheim aufnehmen. Anscheinend war die Resonanz auf unsere Beteiligung so gut, dass er kurz darauf wegen eines ganzen Albums anfragte. Wir fuhren im Spätsommer 1982 nach Böblingen zur Vertragsunterzeichnung und schon im November 1982 holte er uns mit einem schrottigen VW-Bus in Augsburg ab und karrte uns in einer super abenteuerlichen Fahrt, die alleine ein Buch wert ist, nach Berlin ins legendäre Music Lab-Studio, wo wir unter der Leitung von Koryphäe Harris Johns in 33 Stunden „Tod und Wahnsinn“ einspielten und abmischten.

Das Cover zur „Tod und Wahnsinn“-LP hat Pushead gezeichnet. Wie ist er auf euch aufmerksam geworden?

Pushead hatte damals eine Kolumne im Maximum Rocknroll-Fanzine. Er und Jello Biafra hatten das „Anti Hagenbach Tape“ übelst gefeiert und auf Nummer eins ihrer Playlisten gesetzt. Wir waren krasse Fans seiner Arbeit und so haben wir Dolf, unserem damaligen „Manager“ und später Herausgeber des Trust-Fanzines, aufgetragen, den Kontakt herzustellen und ein Cover von Pushead zu bekommen. Für dreißig Freiexemplare hat er dann eine seiner besten Arbeiten abgeliefert, wie ich finde.

Euer Song „Ram it up“ gehört zu euren bekanntesten Stücken, gerade auch durch die Coverversion von S.O.D. von 1985. Wie war es damals, als ihr davon erfahren habt? Und wie seht ihr das heute?

Billy Milano und Scott Ian waren Fans und haben die Nummer gecovert. Wir waren natürlich stolz wie Bolle, klar. Hätten wir damals die Nummer schlauerweise bei der GEMA angemeldet, dann hätte es sogar einen kleinen Geldregen gegeben, nur dafür waren wir noch etwas zu unerfahren. Ich habe S.O.D. dann mal in den Neunzigern auf dem With Full Force Festival getroffen, wo ich mit TERRORGRUPPE spielte, und hatte einen tollen Abend mit diesen zwei sehr charmanten und netten Typen.

Auf der ersten LP findet sich der Song „Steinkopf“. Was war der Grund, hattet ihr damals Probleme mit Stumpf- und/oder Naziglatzen?

Es wundert mich bis heute, dass wir den Song nicht „Skinhead“ genannt haben, ich glaube, wir wollten noch differenzieren und suchten einen zweisilbigen Begriff für Nazi-Skins, ähnlich wie Boneheads, nur in Deutsch. Anfang der Achtziger Jahre wurde die Skinhead-Szene in Deutschland stark von Neonazis bedrängt, politisiert und rekrutiert. Die Neonazis brauchten eine Schlägertruppe. Ungefähr zur selben Zeit, wie die BÖHSEN ONKELZ umgedreht wurden. Meine ganze Weltsicht konnte mit Nazis und Skinheads nie etwas anfangen.

Die Chaostage 1984 in Hannover waren für viele ein einschneidendes Erlebnis. Warst du selbst da und wie sind deine Erinnerungen? Falls nicht, haben sich diese Chaostage auch bei euch bemerkbar gemacht?

Ich wollte hin, es war auch schon alles organisiert, aber ich konnte aus irgendeinem Grund, der mir entfallen ist, nicht reisen. Ich glaube, ich war krank. Nachdem dann allerdings die meisten Augsburger Punks die meiste Zeit in Hannover im Knast gesessen hatten, bin ich 1985 auch nicht hingefahren. Ich fahre doch nicht durch halb Deutschland, um mich mit Ansage ein Wochenende in eine Sammelzelle zu setzten. Not my style.

Im Rückblick: Wie war es für dich, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben? Was ist der Unterschied zu heute?

Es war ein Riesenabenteuer und hat mich stark geprägt. Heute ist alles wesentlich organisierter und professioneller, was aber auch gut so ist. Denn darum bin ich auch wahrscheinlich heute noch am Leben.

Hast du das Gefühl, dass eure Texte immer noch aktuell sind? Und wenn ja, wie fühlt sich das für dich an?

Eher weniger, hier und da vielleicht. Hauptmotivation damals waren der Alkohol und die nukleare Bedrohung. Die INFERNO-Texte waren sehr persönlich. Diese Musik und die Texte waren für uns ein Ventil. Wir waren keine politische Band, die Zusammenhänge langfristig erkannt hat und Analysen dazu von sich gab.

Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?

Da ich heute noch Songtexte schreibe, stellt sich für mich die Frage so nicht. Alles, was wir vor 35 Jahren machten, musste für uns so sein und machte Sinn. Der Vergleich zu heute stellt sich da nicht.

Sind nach den Wiederveröffentlichungen der ersten beiden LPs auf Power It Up weitere Rereleases geplant? Und wie sind die zustande gekommen?

Es sind sogar drei Wiederveröffentlichungen. Das „Anti Hagenbach Tape“ hatte Thomas von Power It Up ja auch auf Vinyl wiederveröffentlicht. Ich weiß nicht, ob er sich noch für andere Aufnahmen interessiert. Mal sehen.

Käme eine Reunion für dich infrage?

Nein!

Wie sieht es mit deinen früheren Bandkolleg*innen aus? Machen die noch Musik, habt ihr noch Kontakt?

Ab und zu habe ich mit Howie Kontakt. Mit Zong nur noch via Mail, aber auch da ist er sehr unkommunikativ. Er spielt noch Bass in einem eher experimentellen Projekt namens DEEP. Und Max, der Schlagzeuger, lief mir beim letzten TERRORGRUPPE-Gig in Augsburg über den Weg. Er scheint noch in lokalen Bands dort zu trommeln.

Heute wird der Status von Musikerinnen stark diskutiert. Wie männlich/machistisch oder emanzipatorisch hast du die damalige Szene wahrgenommen?

Punk war für mich immer die emanzipatorischste Subkultur schlechthin. Frauen hatten, zumindest in meiner Umgebung, immer einen völlig gleichwertigen Platz in der Szene und das auf eine sehr unaufgeregte und apolitische Art. Es war einfach selbstverständlich. Aber natürlich spielt sich Punk auch nicht im luftleeren Raum ab und es gab auch prollige beziehungsweise sexistische Dudes, die aber zumindest in meinem Umfeld recht schnell gemaßregelt und isoliert wurden. Das Problem mit dem Mangel an Musikerinnen in der Popkultur allgemein sollte wirklich auch mal intelligenter, wissenschaftlicher angegangen und diskutiert werden als nur rein ideologisch. Momentan fängt die Diskussion mitten bei den Symptomen des Problems mit einer unnötigen Quote an, wo doch alle wissen, dass es einfach zu wenige Musikerinnen gibt. Ich vermute und kann das auch mit eigenen Erfahrungen und Beobachtungen belegen, es ist ein Zusammenspiel aus vielerlei Gründen, die meist in der Pubertät zu suchen sind, warum Frauen sich gegen dieses Leben in einer Band entscheiden. Gerade ist in den USA allerdings wieder ein Hype zu beobachten. Frauen scheinen sich wieder mehr für Punk zu interessieren und gründen Bands. Das finde ich toll und ich hoffe, dass das auch zeitnah nach Europa schwappt und vor allem anhält.