INCA BABIES

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The diseased stranger waltz



Jeder Verweis, die INCA BABIES seien lediglich ein mehr oder minder gut gemeintes Plagiat von Nick Cave und seiner Band THE BIRTHDAY PARTY muss relativiert werden, um sie nicht nur als Fußnote in der Beurteilung der Frage, welchen Einfluss THE BIRTHDAY PARTY auf nachfolgende Musiker dieses Genres hatten, verkommen zu lassen. Aber lassen wir dennoch Reminiszenzen zu, schließlich muss dies nicht unweigerlich zur Identitätslosigkeit der INCA BABIES führen.



Das essentielle Frühwerk der Gruppe aus Manchester, das zunächst auf dem eigenen Label Black Lagoon Records veröffentlicht wurde, besteht aus einigen EPs (unter anderem "The Judge" und "The Big Jugular"-EP) sowie den LPs "Rumble" (1985) und "This Train" (1986). Eine ausgeprägte Seelenverwandtschaft zu den aus Down Under nach Großbritannien importierten Swamprock- und Punkbands wie THE BIRTHDAY PARTY, CRIME AND THE CITY SOLUTION oder THE SAINTS ist unüberhörbar und auch gewollt. Wer Artverwandtes in unseren Breitengraden sucht, wird unweigerlich auf die Berliner Formation DIE HAUT stoßen. Gleichwohl ist ein unverkennbar eigener Sound entstanden, der zwischen Punk, Garage und Großstadtblues pendelt - sehr rau und ursprünglich. Details waren nicht gefragt. Und das ist gut so. Auf der einen Seite verkörpern Stücke wie "Splatter ballistics cop" rohe puristische Energie - immer auch ein wenig gezügelt durch die nonchalante britische Gelassenheit - und andererseits findet sich die Band dort ein, wo zahlreiche australische Bands mit Punk begannen, um sich später als Blues-affine Großstadtcowboys wieder zu finden. Diesen Spannungsbogen zwischen beiden Polen setzt die Band gekonnt in einer Melange aus beiden um. Ein Song wie "The blindman (chiller)" nimmt durchaus vorweg, was in einer wesentlich konsequenteren Form - und zugegeben mit einem umfangreicheren musikalischen Spektrum - in der um Sänger Simon Bonney formierten und teilweise aus ehemaligen Mitgliedern von BIRTHDAY PARTY hervorgegangenen Band CRIME AND THE CITY SOLUTION zum Tragen kam. Man denke hier an "Rose blue" von deren EP "South Of Heaven" - ein Monolith aus der Feder des verstorbenen Epic Soundtracks, der zeitweise bei CRIME das Schlagzeug besetzte. Auch der Australier Hugo Race, der bereits bei NICK CAVE AND THE BAD SEEDS den Bass bediente, sei in diesem Kontext genannt.

Bei den INCA BABIES war das musikalische Rückgrat stets ein treibender und rollend dunkler Bass, der Rest hatte sich unterzuordnen. So wurden einfache und effiziente Strukturen geschaffen, die den denkbar sprödesten Charme verbreiten. Sie rieben sich an dem Ideal des kurzen prägnanten Drei-Akkorde-Song. Für den Bassisten Harry S. muss/mag der BIRTHDAY PARTY-Bassist Tracy Pew Vorbild gewesen sein. Er schrieb den trunkenen Wummerbass zu "She's hit", und Anleihen hieraus finden sich im Stück "Diseased stranger waltz" der INCA BABIES. Die konsequent gelebte Apokalypse, die Nick Cave als ein sich stetig auszehrender und selbstzerstörerischer Performer live entwickelte und haltlos zelebrierte, war allerdings nie Sache der INCA BABIES. Stoisch mag da eher angehen. Sänger Mike Louis, der der Band nach den Aunahmen zur LP "This Train" den Rücken kehrte und dessen Part Bassist Harry S. übernahm, war in seiner reduzierten britischen Art und Weise nicht vom Typus eines Cave, der Mann aus Manchester war live einem Rowland S. Howard näher. Harry S., der nebenbei in Manchester Filmkritiken für eine Zeitung schrieb, war zuständig für ein markantes Gesamtkonzept des Coverartworks der ersten Veröffentlichungen: rudimentär hingeworfene Skizzen, die - ähnlich wie die Songs - stets etwas Improvisiertes und Puristisches hatten. Zu Recht mussten sich allerdings die INCA BABIES den Vorwurf gefallen lassen, dass ihnen textlich der dunkle Humor ihrer australischen Überväter fehlte. Subtile Züge und Verweise blieben hier aus. Ein Äquivalent zur Handschrift eines Nick Cave in Stücken wie "Junkyard" oder "Big-Jesus-trash-can" findet sich bei den INCA BABIES nur schwer, am ehesten noch bei dem Song "Splatter ballistics cop".

Mitte der achtziger Jahre wechselten die INCA BABIES zum deutschen Label Constrictor, welches zu diesem Zeitpunkt mit Erfolgsgarant PHILLIP BOA AND THE VOODOO CLUB um die Häuser zog. Der Sound wurde deutlich abgespeckt und vereinzelt auch flacher. Die Geburtstagsparty war vorbei. Der Bass war nicht mehr tragendes Element und schlimmer: Harry S. versuchte gar ernsthaft zu singen. Musikalisch fügte sich das Ganze nahtlos in den Katalog anderer Bands ein, die ebenfalls bei Constrictor unter Vertrag waren: THE MEMBRANES und THE PALOOKAS, welche mit ihrer Single "Who is afraid of Virginia Wolf" sogar einen kleinen Clubhit vorweisen konnten. Mit beiden Bands gingen die INCA BABIES auf Labeltour. Zu diesem Zeitpunkt war der Sound bereits gefälliger und hatte alles Brachiale verloren. Der Erfolg blieb dennoch aus. Die Alben "Opium Den" (1987) und "Evil Hour" (1988) konnten dann nicht mehr an ihre Vorgänger anknüpfen, die Luft war raus. Bereits zuvor hatte die belgische Formation LA MUERTE um den exzessiven Sänger Marc Du Marais sich den Ruf erspielt, eine noch kaputtere Performance hinzulegen, als es für die frühen BIRTHDAY PARTY jemals üblich war - und das dann auch exakt so im Studio umzusetzen (so auf der EP "The Surrealist Mystery"). Zumindest trugen LA MUERTE wohlverdient den Wanderpokal des Plagiatvorwurfes in Bezug auf THE BIRTHDAY PARTY weiter, allerdings um unterwegs kurz in Griechenland Halt zu machen, um ihn temporär an die Formation YELL-O-YELL weiterzugeben, die ein wirres und wüstes Gemisch aus klaustrophobischen Psychedelic-Sound und Krach zusammenspielten. Auch die Holländer gaben uns mit OH DEV ein veritables Äquivalent zu den Australiern. Die INCA BABIES waren längst Geschichte - aber ein erwähnenswerter Teil zumindest.