Anders Fridén wirkt gelassen und zufrieden. Tage, an denen er mehr als zehn Interviews geben muss, gehören zur Normalität und sind Teil seines Jobs als Musiker. Einen Plan B hatte er nicht, als er sich entschied, den vollen Fokus auf IN FLAMES zu legen, wie er am Tag nach dem offiziellen Pre-Listening zum kommenden Album „Foregone“ in Stockholm erzählt.
Wir haben in einer kleinen Stadt in Schweden angefangen, Musik zu machen, und haben einen Sound entwickelt, den die Leute wiedererkennen. Dieser Sound, der IN FLAMES ausmacht, ist mehr wert als ein einzelnes Musikvideo oder Album. Auf diesen Sound bin ich am meisten stolz, denn dieser Sound sind wir“, resümiert Anders Fridén. Dabei kreieren IN FLAMES eine Musik, die sich konstant weiterentwickelt und verschiedene Aspekte aufgreift, die ihn so einzigartig werden lassen. Dabei in eine Kategorie gesteckt zu werden, gehört zum Business. Auf Genregrenzen legen die Schweden aber nur wenig wert, wie Anders ausführt. „Wir versuchen nicht in ein gewisses Genre zu passen. Wir machen Metal, wie man es am Ende nennt, ist mir egal.“
Für viele sind IN FLAMES eine Gateway-Band inmitten zweier Szenen: der Metal-Szene und der Core-Szene. Das sei jedoch nicht immer so gewesen, so der Sänger: „Als wir anfingen,, gab es noch gar nicht so viele Genres. Wir hatten Riffs und ich habe geschrien und dann hatten wir einen Song. Mittlerweile gibt es so viele Regeln und Kategorien. Wir begannen, bevor es den Begriff Metalcore überhaupt gab, und es ging uns nie darum, in eine gewisse Rubrik zu passen. Folglich ist es uns nicht wichtig, wie man unsere Musik nennt, denn in unserer DNA haben wir alles, was mit Heavy Metal zu tun hat. Ob Metalcore, Grindcore, Hardcore, Hardrock und Melodic Death Metal, fuck it. Wir kreieren Musik und wenn man nur einen unserer Songs mag, ist das super, wenn man alle mag, ist das genauso großartig. Wir machen keinen Unterschied zwischen Oldschool und Newschool, das ist uns ziemlich gleich.“
Dabei sind die Quellen, aus denen IN FLAMES schöpfen, vor allem die Bands, die sie selbst früher hörten. „Wir mochten IRON MAIDEN, JUDAS PRIEST, HELLOWEEN, KORN oder KREATOR. Insbesondere KREATOR waren eine riesige Inspiration. Ich wollte immer genauso klingen wie Mille, das ist eigentlich der Grund gewesen, warum ich angefangen habe zu singen. Ich habe ‚Flag Of Hate‘ gehört und die ersten Demos der Band und für mich war das wie nicht von dieser Welt. Wir haben all diese Einflüsse in unseren Death-Metal-Planeten integriert und unseren Sound kreiert“, so Anders. „Das ist, was Bands heutzutage auch machen. Das ist, wie man diese ganze Metal-Szene nach vorne bringt, indem man Einflüsse in die eigene Musik einbaut. Es gibt nur sehr, sehr wenige Bands, die komplett originell klingen heutzutage. Es ist einfach enorm schwer geworden dadurch, dass wir alle von etwas inspiriert sind.“
Dabei ist sich Anders Fridén bewusst, dass IN FLAMES ihrerseits einen großen Einfluss auf die Metal-Szene der Nuller Jahre haben. „Aber je härter Bands arbeiten, desto mehr finden sie ihren eigenen Spirit. Es wird zu etwas Einzigartigem. Dass wir andere Menschen mit unserer Musik inspirieren können, ist wunderbar und macht mich wirklich glücklich. Ich selbst erinnere mich, als ich IRON MAIDEN mit zwölf das erste Mal live gesehen habe und zu mir sagte: Vielleicht eines Tages, vielleicht ... Das hat etwas in mir bewirkt.“
Dennoch versteht sich der Sänger nicht als Star. Allüren? Fehlanzeige, auch wenn es durchaus vorkommt, dass er auf der Straße von Menschen erkannt wird. „Ich suche nicht danach und wenn ich schnell unterwegs bin, bemerkt mich oft keiner. Aber beim Einkaufen passiert es häufig mal, dass ich auf IN FLAMES angesprochen werde. Das ist cool, liegt aber auch daran, dass es eine TV-Dokumentation gab, bei der die Beginne der Rock- und Metal-Szene beleuchtet wurden. Dort wurden auch wir porträtiert und das hatte einen großen Impact auf unsere Bekanntheit im Land. Metal ist aber dennoch nicht das beliebteste Genre in Schweden. Es kommt und geht immer mal wieder in Wellen. Ich erinnere mich noch, dass Freunde meiner Eltern diese Dokumentation im Fernsehen gesehen haben und sie fragten, ob das wirklich so groß sei. Sie dachten bisher, wir würden ab und an eine Show spielen, hätten normale Jobs und würden das nur für den Spaß machen. Diese Dokumentation hat viel Respekt gezeigt für einige schwedische Bands und eine große Aufmerksamkeit erzeugt. Dennoch werden wir niemals eine Mainstream-Band sein.“
Dass aus IN FLAMES eine Karriere und ein Job geworden ist, war anfangs nicht abzusehen. Anders Fridén hatte eigentlich den Plan, Architekt zu werden, wie er erzählt. „Das war 1997. Ich war kurz davor, auf eine Schule zu gehen und Architektur zu studieren. Das wollte ich wirklich tun, aber wir hatten auch ein neues Album gemacht und ich stand vor einer Kreuzung. Ich hätte umziehen müssen für die Schule und habe IN FLAMES dann noch ein weiteres Jahr gegeben. Wenn es klappt, wäre das großartig – falls nicht, kann ich mich bei der Schule noch mal bewerben. Es hat aber geklappt und heute habe ich keinen Plan B mehr.“
2022 begann der Krieg in der Ukraine, während sich die Welt noch von der Pandemie erholt. Das Thema, mit dem sich „Foregone“ beschäftigt, ist dabei aktueller denn je, es geht um die Zeit. „‚Foregone‘ behandelt das unvermeidbare Ende, auf das wir zusteuern. Wir alle haben eine innere Uhr in unserer DNA – wissen aber nicht, wann sie abläuft. Die ganze Welt geht momentan den Bach herunter, was ich traurig finde. Ich dachte, nach der Pandemie achten wir mehr auf uns selbst und einander und haben mehr Verständnis und Liebe im Umgang mit anderen, aber es wurde nur noch schlimmer. Krieg ist ein so unmoderner Weg, Politik zu machen, von dem ich dachte, dass wir das hinter uns haben. Ein Land zu überfallen, das verstehe ich nicht. Stattdessen geht es mir darum, dass wir uns alle gegenseitig respektieren, egal welches Geschlecht, welcher Hintergrund oder welche Hautfarbe wir haben. Wir müssen keine Grenzen erweitern, wir müssen lernen, miteinander gut umzugehen. Vor einigen Jahren dachte man, dass die Welt 2022 von Robotern zerstört wird, aber es ist schlimmer. Wir selbst werden das tun.“
Wie wichtig ist die Musik als Vehikel des Eskapismus in solchen Zeiten? Gerade harte Musik scheint gefragt zu sein, als Kompensation von all dem, was momentan passiert, oder? „Ich denke Musik war schon immer so. Es war immer ein Weg zum Entfliehen aus der Realität. Deshalb arbeiten wir mit Artworks, Comics, Videos und allem. Ich will, dass die Leute sich dadurch ein wenig wegträumen können. So habe ich es auch gemacht, als ich jünger war. Ich habe mir die LP ganz genau angeschaut und bin gedanklich weggedriftet. Meine Imagination hat mich davongetragen und man malt sich ein ganz eigenes Bild in seinem Kopf. Das funktioniert aber nur mit Musik, die Tiefe hat und nicht darauf getrimmt wurde, Streams zu generieren.“
Ist es schwieriger geworden, die Menschen zu erreichen? Auch weil soziale Medien und das Musikbusiness so im Umbruch sind? „Ich denke, die Metalfans kümmern sich noch sehr über weite Strecken. Natürlich gibt es auch die, die nicht tiefer dringen, als auf eine Playlist zu klicken, und es macht mich wirklich traurig, wenn Menschen eine Band und ihre ganze Karriere nach dreißig Sekunden abstempeln. Aber so läuft das heutzutage. Manche Menschen essen nur bei McDonald’s und werden nie auf einem Bauernhof eine frisch geerntete Karotte probieren. Das war schon immer so, durch Social Media wurde es aber krasser. Jeder weiß immer, was jeder überall tut, und präsentiert das perfekte Leben. Was Spotify betrifft: Einige Bands haben dadurch viele Klicks bekommen und sind bekannter geworden. Aber auch hier sehen wir uns in der Pflicht: Wir waren schon immer eine Band, die gerne andere Musiker supportet, unabhängig von Klicks und all dem. Deshalb hatten wir IMMINENCE und ORBIT CULTURE auf unserer Tour dabei, zusammen mit unseren Freunden AT THE GATES. Ich will, dass unsere Fans diese Bands sehen, und hoffe, dass sie irgendwann dasselbe tun für noch jüngere schwedische Bands, wenn sie groß genug sind. Das ist, was ich an dieser Szene so schätze. Wir haben Glück gehabt, dass wir bereits so früh angefangen haben. Es ist einfacher geworden, seine Musik heutzutage zu veröffentlichen, aber es ist so viel schwieriger geworden, auch wirklich Gehör zu finden. Einfach weil es so viel Musik da draußen gibt. Dass Journalist:innen aus Europa nach Stockholm kommen, um mit mir zu sprechen, ist etwas, das ich sehr wertschätze. Wir hatten sehr viel Glück im Vergleich zu anderen Bands, die jeden Tag darum kämpfen, gehört zu werden, aber auch diese Kämpfe haben wir sehr lange geführt.“
Was ist Anders’ Hoffnung mit Blick auf „Foregone“? Gibt es etwas, das er sich von den Fans wünscht? „Ich hoffe, die Leute hören es als Ganzes. Wir schreiben keine Singles, wir schreiben Alben. Ich sehe es als Gesamtwerk, das nur in der Gänze wirklich funktioniert. Ich würde mir wünschen, dass die Menschen es sich zweimal in Gänze anhören und sich dann ein Urteil bilden.“ Doch wie groß ist die eigene Antizipation auf das nun schon 14. Album der Band? „Ich freue mich darauf, dass die Menschen das Album endlich hören können. Das ist der Grund, warum wir es gemacht haben. Bis heute hat es wahrscheinlich keiner so oft gehört wie wir selbst. Wir wollten es so perfekt machen wie möglich und sind im Mixing bis in die kleinste Nuance gegangen. Bislang scheinen die Fans das neue Material zu feiern, das fühlt sich wirklich gut an. Wenn ich selbst nicht aufgeregt wäre über neues Material, sollte ich wahrscheinlich jetzt aufhören.“
© by Fuze - Ausgabe #98 Februar/März 2023 und Rodney Fuchs
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