Ich sehe was, was du nicht siehst

Ein Interview mit Pia Lamberty über Verschwörungstheorien

TAU CROSS, DISCHARGE, INTERRUPTERS – nur drei Beispiele für Bands aus dem Punk- und Hardcore-Sektor, bei denen es klar belegte Verbindungen zu Verschwörungstheorien gibt. Unsere Szene, eine aufgeklärte Insel in einer Gesellschaft, in der die absurdesten Dinge für „wahr“ gehalten werden? Ein naiver Traum. Wir wollten genauer wissen, was es auf sich hat mit dem Glauben an Chemtrails, Reptiloide und Bevölkerungsaustausch. Unsere Fragen beantwortet die Psychologin und Verschwörungstheorieexpertin Pia Lamberty.

Wie kommt man als Wissenschaftlerin zum Thema Verschwörungstheorien, was ist daran aus wissenschaftlicher Sicht spannend?


Verschwörungstheorien sind weder ein reines Randphänomen von ein paar „Verrückten“ noch erst durch die sozialen Medien entstanden, auch wenn das nach wie vor viele denken. Sie sind in der Gesellschaft sehr weit verbreitet, das belegen diverse Untersuchungen für unterschiedliche Kulturkreise. Laut einer repräsentativen Studie an der Uni Mainz von 2016 glaubt beispielsweise fast die Hälfte der befragten Deutschen, dass die Hochfinanz die Bevölkerung nach Belieben ins Chaos stürzen würde. Immerhin noch ein Viertel denkt, dass das CIA für den Mord an John F. Kennedy verantwortlich sei und ein Fünftel glaubt sogar an Chemtrails, also dass Flugzeuge im Auftrag der Regierung Chemikalien versprühen würden. Diese enorme Verbreitung, die Verschwörungstheorien haben, macht das Thema natürlich auch für die Wissenschaft relevant. Warum glauben Menschen an solche Narrative, die sich teilweise jeglicher Logik entziehen? Was macht es mit unserer Gesellschaft, wenn ein nicht unbedeutender Teil der Regierung zutraut, die Menschen nach und nach zu vergiften?

In welche Fachbereiche fallen Verschwörungstheorien grundsätzlich und was befähigt einen, in Bezug auf solche Theorien den Durchblick zu behalten, den die Anhänger*innen solcher Theorien ja für sich mit diesen glauben gefunden zu haben?

Das Thema wird von unterschiedlichen Disziplinen beleuchtet. Aktuell existiert beispielsweise ein EU-weites Forschungsnetzwerk, „Comparative analysis of conspiracy theories in Europe“, welches versucht, das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven und Disziplinen heraus zu erforschen. Die Fragestellungen unterscheiden sich dabei natürlich in den unterschiedlichen Disziplinen. Während es in der Geschichtswissenschaft mehr um die historische Perspektive auf die Thematik geht, versucht die Psychologie, die psychologischen Mechanismen hinter dem Phänomen zu beleuchten. Dabei interessiert uns sehr die sogenannte Verschwörungsmentalität, also die generelle Tendenz, eher an Verschwörungstheorien zu glauben – unabhängig von konkreten Erzählungen. Hier geht es etwa darum, wie sehr Menschen abstrakten Aussagen zustimmen wie „Die da oben machen doch, was sie wollen“ oder „Politiker und andere Führungspersönlichkeiten sind nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte“. Dementsprechend bewerten wir also nicht den Wahrheitswert von Verschwörungsmythen und -erzählungen, sondern mehr den generellen Denkstil beziehungsweise die Ideologie dahinter. Man darf auch nicht den Fehler machen, die Neigung, an Verschwörungen zu glauben, mit (un)kritischem Denken gleichzusetzen, es geht hier mehr um das individuelle Verhältnis zu Macht beziehungsweise mächtigen Gruppen und eine Überschätzung von Mustern. Wer beispielsweise dem Item „Es gibt keinen vernünftigen Grund, Regierungen, Geheimdiensten oder Medien zu misstrauen.“ aus der Skala zustimmt, denkt nicht kritisch, sondern vertraut mächtigen Gruppen vollkommen.

Gibt es demografische Gruppen, die für Verschwörungstheorien besonders anfällig sind? Und hat diese „Anfälligkeit“ etwas mit der geografischen Herkunft zu tun? Was muss passieren, dass jemand Anhänger*in von Verschwörungstheorien wird? Und naiv gefragt: Holt man sich so etwas wie eine Erkältung, kann das jedem von uns passieren, gibt es Prädispositionen?

Prinzipiell spielen demografische Faktoren wie Alter und Geschlecht für die Ausprägung von Verschwörungsglauben nur eine untergeordnete Rolle. Es konnten auch keine stabilen Zusammenhänge mit den grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften in der Psychologie, wie Offenheit für neue Erfahrungen oder Gewissenhaftigkeit, gefunden werden. Es zeigt sich zwar immer wieder, dass die Tendenz, an Verschwörungen zu glauben, bei Menschen mit niedrigerer Bildung stärker verbreitet ist, das hat aber nicht unbedingt etwas mit der Intelligenz zu tun. Eine Studie aus den Niederlanden ist dieser Frage genauer nachgegangen und konnte beispielsweise zeigen, dass Menschen, die eine niedrigere formale Bildung hatten, sich eher von der Gesellschaft benachteiligt fühlten und das Gefühl hatten, weniger Einfluss auf die Gesellschaft nehmen zu können. Das machte sie dann anfälliger für Verschwörungsglauben. In der Psychologie wird davon ausgegangen, dass Menschen verstärkt an solche Erklärungsmodelle glauben, wenn sie das Gefühl haben, keine Kontrolle zu haben. Das klingt vielleicht erst einmal abstrakt, unter dieses Ohnmachtsgefühl fallen aber viele Situationen des menschlichen Lebens. Arbeitslosigkeit korreliert beispielsweise mit einer stärkeren Tendenz, an Verschwörungen zu glauben. Unter Kontrollverlust sehen Menschen dann auch da Muster, wo vielleicht keine sind. Darüber hinaus gibt es einen mehr instrumentellen Erklärungsansatz: Menschen, die ein starkes Bedürfnis nach Einzigartigkeit haben, neigen eher dazu, an Verschwörungen zu glauben. Dadurch, dass sie eine Meinung vertreten, die oft angezweifelt wird, können sie aus der Masse herausstechen. Eine Studie aus England hat sich mit der Frage befasst, was passiert, wenn Menschen – unabhängig von ihren Voreinstellungen – mit Impfverschwörungen konfrontiert wurden. Sie konnten zeigen, dass es zu einem Anstieg an Verschwörungsdenken und Misstrauen führte, wenn die Teilnehmer*innen der Studie den Verschwörungstext gelesen hatten. Das heißt natürlich nicht, dass jede*r zum Apologeten wird, wenn er oder sie nur einmal aus Versehen im Internet auf Seiten zu „Impfkritik“ stößt. Allerdings können solche Beiträge durchaus Zweifel säen und Misstrauen steigern.

Gefühlt werden gerne „ältere weiße Männer“ fünfzig plus von Verschwörungstheorien befallen. Ist das belastbar?

Ich vermute, dass es hier zu einer Verzerrung in der Wahrnehmung kommt. „Ältere, weiße Männer“ sind eben oft sehr präsent in den sozialen Medien, wenn es um Diskussionen zum Thema Verschwörungen geht.

Was unterscheidet die Verschwörungstheorie von Religion und Aberglauben?

Bei Aberglauben geht es darum, dass Menschen daran glauben, dass es übernatürliche Kräfte gibt, die Einfluss auf die Welt nehmen. Wir sprechen hier also von magischem Denken: Wenn ich einen Glücksbringer mit in die Klausur nehme, werden die Ergebnisse besser. Oder die schwarze Katze, die Unglück bringt, wenn sie den Weg eines Menschen von rechts nach links kreuzt. Verschwörungsdenken ist dagegen weniger von Magie geprägt, hier geht es mehr um das Verhältnis zu mächtigen Gruppen in der Gesellschaft. Es gibt verschiedene Studien, die zeigen konnten, dass mit einer ausgeprägten Verschwörungsmentalität oft eine größere Skepsis gegenüber Gruppen und Personen, die als mächtig eingestuft werden, einhergeht. Das ist auch der Unterschied zu paranoiden Gedanken: Da glaube ich, dass sich die ganze Welt gegen mich verschworen hat, während ich im Verschwörungsdenken davon überzeugt bin, dass böse Mächte der Gesellschaft insgesamt schaden wollen. Natürlich gibt es aber auch gewisse Überlappungen von Aberglauben und Verschwörungsdenken, das zeigt sich auch empirisch. Verschwörungserzählungen zu Reptiloiden beinhalten beispielsweise beides: Es gibt eine mächtige Gruppe von Echsenmenschen, die übernatürliche Kräfte besitzen und so die Welt beherrschen.

Wie verhält es sich mit politischen Orientierungen? Gefühlt ist man beim Thema Verschwörungstheorie in Deutschland schnell bei Reichsbürgern und dann bei PEGIDA und AfD und Holocaustleugner-Nazis. Oder sind Verschwörungstheorien in der „Mitte der Gesellschaft“ und bei Linken genauso verbreitet?

Prinzipiell ist die Verschwörungsmentalität bei Menschen, die sich als links oder rechts verorten, stärker ausgeprägt als in der „Mitte der Gesellschaft“. Bei Menschen, die sich selbst als politisch rechts verorten, ist die Verschwörungsmentalität allerdings am stärksten ausgeprägt. Das stellt sich nicht nur in Deutschland so dar, sondern auch in vielen anderen Ländern. Menschen, die die AfD wählen, zeigen dabei aktuell die stärkste Ausprägung, wenn man sich Studien anschaut. Generell finden wir, dass Menschen, die eine stärker ausgeprägte Verschwörungsmentalität haben, auch eher zu Demokratiemisstrauen, Gewaltbilligung und Gewaltbereitschaft neigen. Wer an Verschwörungstheorien glaubt, neigt auch eher dazu, sich vom demokratischen Diskurs abzukoppeln. Auch zeigt sich, dass mit dem Glauben an Verschwörungsmythen oft antisemitische Einstellungen einhergehen. Viele Verschwörungserzählungen haben einen antisemitischen Kern und beziehen sich auf eine angebliche „jüdische Übermacht“, die im Geheimen angeblich die Welt leiten würde.

Welche Verschwörungstheorien sind je nach politischer Orientierung beliebt?

Es gibt natürlich Verschwörungserzählungen, die sich in verschiedenen politischen Gruppen stärker finden als in anderen. Das Thema „Umvolkung“ ist bei rechten Gruppen verbreitet und spielt bei diesen eine große Rolle bei der aktuellen Mobilisierung. Wer ständig darauf referiert, dass die weiße Mehrheitsgesellschaft bedroht ist, der kann auch eine Abkehr vom Schweinefleisch in einer Leipziger Kindertagesstätte skandalisieren. So eine Entscheidung passt dann auch in das Narrativ des imaginierten „Bevölkerungsaustauschs“. AfD-Bundestagsfraktionsvize Beatrix von Storch sprach von einer „kulturellen Unterwerfung“, in rechten Internetforen wurde das Thema als Beleg für eine angebliche „Umvolkung“ diskutiert. „Linke“ Verschwörungstheorien richteten sich oft eher gegen Finanz- und Wirtschaftseliten. Hier findet dann eine verkürzte Kapitalismuskritik statt, die ebenfalls das Potenzial besitzt, ins Antisemitische abzugleiten. Dann werden schnell die Rothschilds und Rockefellers für das Unglück in der Welt verantwortlich gemacht. Prinzipiell finde ich diese Unterscheidung in „linke“ und „rechte“ Verschwörungserzählungen allerdings oft nur begrenzt hilfreich, die gängige Rechts-Links-Logik funktioniert hier nicht mehr. Viele Verschwörungsmythen finden sich in vielen verschiedenen Gruppen und haben eben genau das Potenzial, diese als Querfront zu verbinden. Das macht auch eine der Gefahren aus.

Gibt es Korrelationen zu an sich harmlosen Lebensweisen, wie Naturheilkunde, besondere Ernährungsweisen, wie bio, „frei von“, vegan ...?

Es gibt im Bereich Gesundheit unzählige Verschwörungsmythen – sei es zu Impfungen, AIDS oder die antisemitische „Neue Germanische Medizin“ von Geerd Hamer. Aus diesem Grund wollte ich wissen, wie der psychologische Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und der Nutzung von verschiedenen medizinischen Ansätzen aussieht. Ich habe dazu zusammen mit Roland Imhoff verschiedene Studien durchgeführt und wir konnten zeigen, dass je stärker die Verschwörungsmentalität ausgeprägt war, desto stärker war die Abneigung gegen konventionelle Methoden wie Antibiotika oder Schmerzmittel und umso stärker die Befürwortung von alternativen Ansätzen wie Pilates, Homöopathie, Nahrungsergänzungsmitteln oder Schamanismus. Erklärt werden kann dieser Befund über einen eher ganzheitlichen Denkstil und eine generellen Skepsis gegenüber all dem, was mit Macht assoziiert ist. Wir haben dann ähnliche Studien auch für den Bereich Ernährung durchgeführt. Hier finden sich dann weniger starke Zusammenhänge. Wer vegetarisch oder vegan lebt, ist unseren Ergebnissen nach also nicht anfälliger für Verschwörungsglauben.

Lässt sich eine Trennlinie ziehen zwischen einem „gesunden“ Misstrauen gegenüber dem Staat, seinen Institutionen und Autoritäten sowie Medien, wie es etwa in der Punk-Szene von jeher vorhanden ist, und dem „Abdriften“ in eine von Verschwörungstheoriedenken geprägte Parallelwelt? Also ab wann wird es aus wissenschaftlicher Sicht bedenklich?

Es ist natürlich schwer, eine genaue Trennlinie zwischen „gesundem Misstrauen“ und Verschwörungsdenken zu ziehen. Prinzipiell würde ich immer dafür plädieren, auch eigene Positionen kritisch zu reflektieren. Das fängt ja schon ganz banal bei der Nutzung von Facebook an. Anstatt einfach Dinge vorschnell zu teilen, ist es oft gut, kurz zu recherchieren, ob die Quelle glaubwürdig ist. Ansonsten fällt es bei Verschwörungserzählungen immer wieder auf, dass hier keine wirkliche Kritik stattfindet und es insbesondere keine Alternativen gibt. Stattdessen wird eine apokalyptische Endzeitstimmung beschworen, in der es nur wenig Raum für Partizipation und Veränderung gibt. Es gibt einige wenige, die Böses tun, Strukturen und Systeme werden kaum analysiert.

Ein Beispiel aus dem Punkbereich, das uns als Redaktion ehrlich gesagt „durchgerutscht“ ist: JJ von DISCHARGE sagte im Interview in Ox #126 auf die Frage nach den Inhalten der Texte: „Es gibt mehr als genug Themen dieser Tage. Diese ganze ‚New World Order‘-Thematik spielt mit rein, in einem Text geht es um Abhängigkeit und Sucht, in einem anderen um einen drohenden Atomkrieg, in wieder einem anderen um Geburtenkontrolle und Überbevölkerung, um Dronen, um die Heilung von Krebs und die Lügen, die damit verbunden sind. Es geht um Pandemien, ausgelöst durch Krankheiten aus dem Labor, und so weiter. Ich glaube, viele würden die Themen meiner Songs als von Verschwörungstheorien beeinflusst beschreiben, wobei ich da lieber von ‚Wahrheitstheorien‘ spreche.“ Naive Frage: Wie geht man damit um? Ich bin da etwas ratlos.

Wir sprechen in der Wissenschaft auch von einer Verschwörungsmentalität, weil Menschen in der Regel nicht nur einer Verschwörungserzählung zustimmen, sondern es sich um eine generelle Weltsicht handelt. Wer also glaubt, dass es eine „New World Order“ geben wird, der stimmt auch wahrscheinlich eher zu, dass 9/11 ein „Inside Job“ der US-amerikanischen Regierung war, oder dass Impfungen zu Autismus führen. Das sieht man ja auch hier. Es werden direkt verschiedene „Wahrheitstheorien“ genannt, die alle eine Endzeitstimmung beschwören und zeigen wollen: Nichts ist, wie es scheint. Prinzipiell finden wir solche Motive immer wieder in der Popkultur. Ein bekanntes Beispiel ist Xavier Naidoo. Nicht nur in seinem 2017 veröffentlichten Song „Marionetten“ finden sich verschiedene Verschwörungselemente. Ähnlich ist es bei Lisa Fitz mit ihrem Song „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Bei beiden werden ganz klassische Verschwörungsbilder bedient. Dunkle Mächte agieren im Hintergrund und ziehen die Fäden. Bei Naidoo sind es die „Puppenspieler“, Fitz nennt direkt „Rothschilds, Rockefeller, Soros & Consorten“. Man kann hier gut sehen, wie schnell Verschwörungserzählungen antisemitische Klischees nutzen. Prinzipiell finde ich es wichtig, solche Elemente nicht einfach unwidersprochen stehen zu lassen, sondern kritisch zu hinterfragen und einzuordnen. Wahrscheinlich ändert die betreffende Person ihr eigenes Weltbild nicht so schnell. Aber gerade wenn wir von Räumen sprechen, die viele andere Menschen adressieren, wie Facebook-Gruppen oder Zeitungen, ist es sehr wichtig, sich zu positionieren und das Gesagte einzuordnen, da es ja viele „stille Mitleser*innen“ gibt.

Aktuell waren wir mit dem Fall Rob Miller von TAU CROSS beschäftigt, der einst Sänger der Anarchopunk-Band AMEBIX war. Ich hätte niemals erwartet, dass der so schlimm abdriftet. Ist am Ende aber der Weg von weit links und anarchistisch zu verschwörungstheorethischem Denken gar nicht so weit?

Auch im linken Spektrum findet sich teilweise eine Tendenz zum Verschwörungsglauben. Diese Überlappung lässt sich auch darüber erklären, dass im Verschwörungsglauben als mächtig wahrgenommenen Gruppen generell mit Skepsis begegnet wird. So finden wir in Studien beispielsweise auch empirisch Zusammenhänge mit Antisemitismus, verkürzter Kapitalismuskritik und Antiamerikanismus. Das bedeutet natürlich nicht, dass kritische Ansätze pauschal als verschwörungsideologisch diffamiert werden sollten. Ich halte es dennoch für wichtig, eigene Denkmuster und Einstellungen immer kritisch zu hinterfragen und nicht in platte Verkürzungen zu verfallen.

Hans Söllner, den ich bislang für einen aufgeklärten Rebellen hielt, entpuppt sich aktuell ausweislich seiner Facebook-Posts als weiteres tragisches Beispiel eines von verschwörungstheorethischem Denken befallenen „alten weißen Mannes“. Hier ist es das Thema Impfen. Alles der normale Wahnsinn – und wie geht man mit so jemandem um, gerade auch im Bekanntenkreis? Meiden, ausgrenzen – oder diskutieren und versuchen zu überzeugen?

Leider ist „Impfskepsis“ in Deutschland weit verbreitet – und hier in Deutschland insbesondere in akademischen, eher liberalen Kreisen. Die Auswirkungen sieht man ja leider aktuell auch an dem Anstieg von Maserninfektionen. Nicht ohne Grund hat die WHO Impfgegner*innen zur globalen Bedrohung erklärt. Wenn es darum geht, sich gegen solche Mythen zu stellen, kommt es immer auch darauf an, wie überzeugt die jeweilige Person ist. Wenn Eltern beispielsweise aus Unsicherheit zum „Impfstammtisch“ gehen, können hier Gespräche zumindest kritische Impulse setzen. Wenn aber jemand komplett davon überzeugt ist, dass Aliens die Erde beherrschen, die Erde eine Scheibe ist und Angela Merkel ein Echsenmensch, wird das vermutlich nicht viel nutzen. Dennoch halte ich es immer für wichtig, sich zu positionieren. Das gilt insbesondere dann, wenn Verschwörungserzählungen menschenfeindlich werden und das passiert leider sehr schnell.

Ganz pauschal: Für wie groß schätzt du die Bedrohung für offene demokratische Gesellschaften durch Verschwörungstheorien ein?

Ich halte Verschwörungsmythen durchaus für eine Gefahr für die Gesellschaft – das Potenzial hatten sie schon immer. Wenn man sich die Ideologien von terroristischen Gruppierungen anschaut, kann man erkennen, dass Verschwörungstheorien eine ganz zentrale Rolle für die Mobilisierung und den Zusammenhalt gespielt haben und es auch immer noch tun. Schon im Mittelalter wurden Pogrome über Verschwörungstheorien mobilisiert und gerechtfertigt. Das sieht man auch aktuell. Der Attentäter von Christchurch in Neuseeland, der sich übrigens selber als „Öko-Faschist“ bezeichnete, hat sich der Verschwörungserzählung des Bevölkerungsaustauschs bedient und diese herangezogen, um seine Morde zu rechtfertigen. Dieses „Umvolkungs“-Narrativ ist auch in Deutschland nach wie vor in rechten Kreisen beliebt. Die AfD bezieht sich auch immer wieder darauf. Nach dieser Verschwörungserzählung kommt es durch die angebliche „zunehmende Islamisierung“ zu einem geplanten „Bevölkerungsaustausch“. Alexander Gauland sprach 2016 auf einer Rede in Elsterwerda zum Beispiel von einem angeblichen „Versuch, das deutsche Volk allmählich zu ersetzen“. Auch auf individueller Ebene lässt sich zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und der Befürwortung von Gewalt gibt. Es wird davon ausgegangen, dass Verschwörungsmythen und -erzählungen, Menschen immer mehr von der Gesellschaft wegtreiben. Kritische Stimmen, die die Verschwörungserzählung in Frage stellen, werden als Teil der Verschwörung oder unwissende „Schlafschafe“ abgetan. Da bleibt dann wenig Raum für eine kritische Auseinandersetzung.

 


Pia Lamberty, M. Sc.

Pia Lamberty, M. Sc., hat Psychologie an der FernUniversität Hagen und der Universität Köln studiert und promoviert in der Sozial- und Rechtspsychologie an der Universität Mainz. Als Minerva Fellow forschte sie an der Universität in Be’er Sheva in Israel. Sie war u.a. im GIF-Projekt „Seventy Years Later: Historical Representations of the Holocaust and their Effects on German-Israeli Relations“ beschäftigt. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Verschwörungsdenken, Antisemitismus und Wahrnehmung von Geschichte.

 


Mit Aluhut und Iro

Unter diesem Titel schrieb Daniel Schubert in Ox #129 über „Verschwörungstheorien und Punk“. Der Artikel ist auf der Ox-Website nachlesbar.