Als Erlend Hjelvik 2018 seinen Ausstieg bei KVELERTAK bekannt gab, kam die Nachricht für alle, die der Band bis dahin gefolgt waren, wohl nicht wirklich überraschend. Ein Missverhältnis schien zwischen Band und Sänger schon länger geherrscht zu haben. 2020 hat Hjelvik nun mit seiner eigenen und nach ihm benannten Band ein neues Glück gefunden. Und auch wenn er sich ansonsten sehr entspannt gibt, scheint es ihm während des Gesprächs besonders wichtig zu sein, dass er das Debüt „Welcome To Hel“ im Alleingang komponiert hat und auch bereits für einige Songs seiner ehemaligen Band verantwortlich war. Ein Fakt, der in der Vergangenheit tatsächlich schon mal unter den Tisch gefallen ist.
Aus dem Würgegriff befreit
Du warst für zwei Jahre von der Bildfläche verschwunden. War es die ganze Zeit über klar, dass du mit neuer Musik zurückkehren würdest?
Ich brauchte etwas Zeit, um mich zu sortieren, aber ich bin Musiker. Die Frage, ob ich überhaupt zurückkehre, stand nie im Raum. Der Gedanke, etwas ganz allein auf die Beine zu stellen, hatte mich schon länger begleitet, nur hätte ich nicht gedacht, dass es so schnell passieren würde. Zunächst war da noch der Blick auf eine unsichere Zukunft, aber nachdem ich KVELERTAK verlassen hatte, wurde alles klarer. Es war ein zunehmend inspirierender Prozess und innerhalb von sechs Monaten hatte ich die komplette Platte fertig geschrieben, Musik und Texte.
Als „Soloprojekt“ willst du HJELVIK aber wahrscheinlich nicht verstanden wissen.
Nein, diesen Begriff finde ich tatsächlich ganz schrecklich. Es klingt, als sei niemand anderes beteiligt und nach einem Album wäre auch schon wieder Schluss. HJELVIK sind stattdessen angetreten, um viele Jahre zu bleiben. Mit der Bezeichnung „Soloband“ fühle ich mich ganz wohl. Ich kann ja auch nicht alle Instrumente gleichzeitig spielen.
Nun haben Norweger nicht den Ruf, extrovertierte Menschen zu sein, mit HJELVIK provozierst du es aber mehr denn je, im Mittelpunkt zu stehen.
Tatsächlich bin ich die meiste Zeit auch eher introvertiert, aber wenn es um HJELVIK geht, habe ich eine Art gespaltene Persönlichkeit. Es geht mir aber nicht um Aufmerksamkeit, das ist nicht die Motivation, es geht nur um die Musik und darum, das gesamte Paket zu liefern. Ich mag es, wenn Bands eben auch cool aussehen und tolle Texte haben, GHOST sind das perfekte Beispiel. Viele Black-Metal-Bands machen ebenfalls einen tollen Job. Es geht darum, in eine andere Welt mitgenommen zu werden, und soll nicht so aussehen, als wäre ich gerade von der Arbeit gekommen und direkt auf die Bühne gesprungen – das wäre ein sehr bequemer Ansatz für eine Band. Man sollte seinem Publikum neben der Musik immer eine Extra-Show liefern.
Es muss sich sehr unvollkommen anfühlen, 2020 eine Metalband zu gründen, weil das physische Element ja fast gänzlich außen vor bleibt.
Ich möchte es nicht als zu schlimm bewerten, auch wenn aktuell nicht alles einfach ist. Wenn es mit den Konzerten wieder losgeht, werden die Leute das alles besonders zu schätzen wissen und die Bands noch mehr unterstützen. In der Zwischenzeit erscheint eben noch ein Haufen fantastischer Alben, weil viele sich zur Zeit auf das Schreiben neuer Musik konzentrieren können.
Die Produktion in den USA ist noch ohne Unterstützung durch Nuclear Blast entstanden. Ein recht hohes Risiko, wenn die Zukunft noch nicht in trockenen Tüchern ist.
Meine Frau und ich haben definitiv einen Haufen Geld in das Album gesteckt, trotzdem hat es sich aber nicht so angefühlt, als würden wir ein großes Risiko eingehen. Okay, ab und zu hat es uns schon etwas Angst eingejagt, aber grundsätzlich waren wir schon davon überzeugt, dass sich jemand dafür interessieren würde. Und ansonsten hätten wir es einfach selbst veröffentlicht.
Auf die Hölle folgt die Götterdämmerung
Würdest du dich als Experte für nordische Mythologie bezeichnen?
Nicht unbedingt als Experte, aber ich habe mir einiges draufgeschafft und lerne beständig weiter. Ich habe mich intensiv mit der Snorra-Edda auseinandergesetzt, einer Sammlung alt-nordischer Schriften aus dem 13. Jahrhundert. Ihr Verfasser Snorri Sturluson hat zum Beispiel die Geschichte Norwegens und die der Wikingerkönige niedergeschrieben. Außerdem habe ich die Flateyjarbók gelesen, die umfangreichste Handschriftensammlung der isländischen Frühzeit. Eine interessante, aber auch merkwürdige Mischung aus Geschichte und Mythologie.
Sind die nordischen Sagen Teil des norwegischen Lebens oder muss man sich schon speziell dafür oder eben Metal interessieren, um damit in Berührung zu kommen?
Ich hatte einen Lehrer, der sich sehr gut damit auskannte und der uns aus alt-norwegischen Schriften vorgelesen hat. Aber das war wohl eher eine Ausnahme. Normalerweise wird dieses Thema in der Schule nur kurz angerissen und dann recht schnell abgehakt. Wenn man sich allerdings für Metal interessiert und für die Texte, kommt man nicht an Sagenmotiven vorbei. So war es zumindest bei mir. Ich hatte davon in der Schule gehört und dann gab es Bands wie ENSLAVED, die mein Interesse geweckt haben, noch tiefer einzutauchen.
Bewegt sich „Welcome To Hel“ inhaltlich in diesem Umfeld?
Es geht schon um Geschichte und Mythologie, größtenteils Mythologie, aber es geht mir auch darum, Persönliches mit in diesen Mix hineinzuwerfen, um es für mich interessant zu halten. Ein übergreifendes Thema der Platte ist wohl, dass ein Teil von mir gestorben ist, als ich meine alte Band verlassen habe, sozusagen der KVELERTAK-Erlend. Zwölf Jahre lang, war ich fast niemand anderes als der Sänger dieser Band und plötzlich war ich eben nicht mehr dieser Typ. Die Zeit, als sich mein Leben in einer Art Limbo befand, hat mich dazu inspiriert, das nordische Bild der Hölle zu bemühen. Doch man bleibt eben nicht für immer in der Hölle, auf sie folgt Ragnarök, die Götterdämmerung, und man kehrt wieder zurück, um alle zu töten – so wie es jetzt bei mir der Fall ist.
© by Fuze - Ausgabe #85 Dezember/Januar 2020 und Christian Biehl
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