HELLFREAKS

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Geborene Kämpferin

THE HELLFREAKS, die Band aus der ungarischen Hauptstadt, gibt es nun seit zehn Jahren, und obwohl sie musikalisch in den Kontext unseres Magazins gehört, waren bisher nicht mehr als einige Reviews im Ox zu finden. Zur Veröffentlichung ihrer vierten LP „God On The Run“, die auf ihrem neuen Label Sunny Bastards erscheint, wird es also wirklich Zeit, Sängerin und Bandchefin Shakey Sue über den Werdegang ihrer Band zu befragen. Zum Glück lebte das Model aus Budapest zehn Jahre lang in Wien und spricht perfekt Deutsch.

Shakey, 2007 hast du noch Schlagzeug in der Band LOS TIKI TORPEDOES gespielt. Wie kommt eine geborene Sängerin wie du dazu, mit dem Schlagzeug zu beginnen?


Haha! Also geborene Sängerin wäre wohl das letzte, als das mich selbst bezeichnen würde. Geborene Kämpferin wohl eher, denn ich bezweifle, dass ich so talentiert bin, da steckt einfach nur unglaublich viel Arbeit dahinter, viel Fehlermachen und noch mehr wieder aufstehen ... Aber um auf deine Frage zu antworten: Ich bin mit sehr viel Sport aufgewachsen, denn ich hatte ab dem vierten Lebensjahr fünf bis sechs Mal die Woche Training im Geräteturnen, später Trampolin, und war auch Teil der ungarischen Nationalmannschaft. Sport war mein Leben. Aber wie es in solchen Geschichten üblich ist, hatte ich einen Unfall, das wurde gekrönt von einer Wirbelsäulen-OP. Meine Sportkarriere war dank einer unglücklichen Landung von einer Sekunde zur anderen zu Ende. Danach musste ich mich erst einmal wieder finden beziehungsweise wieder neu erfinden, denn ich kannte davor nie so was wie Freizeit und konnte damit absolut gar nichts anfangen. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, den Sinn des Lebens zu verlieren, bis mich mein Onkel mit seiner eigenen Musikervergangenheit auf den Gedanken gebracht hat, es mit dem Schlagzeugspielen zu probieren. Ich habe dadurch endlich wieder ein Ziel gefunden. Das war letztendlich der Anstoß, der mich im Alter von etwa 18 Jahren zur Musik gebracht hat.

Du hast lange in Wien gelebt, dann in Berlin, bist nun wieder in deiner alten Heimat. Denkst du, dass die Unterschiede der Wohn- und Lebenssituationen markant sind, oder ist alles nichts anderes als ein Teil von unserem Europa?

Die Unterschiede sind riesig, aber das Beispiel ist eben auch sehr extrem, da die Lebensqualität in Deutschland und Österreich im globalen Vergleich herausragend hoch ist. Ich liebe Deutschland. Ich weiß, dass für euch die folgenden Punkte Normalität bedeuten, aber in Osteuropa sieht es meist anders aus. Wenn man in Deutschland etwas erreichen will, dann gibt es auch einen Weg. Natürlich mit harter Arbeit, aber der Fleiß wird meistens belohnt. Wenn man hier studiert, bekommt man höchstwahrscheinlich einen Job, mit dem man eine Wohnung bezahlen kann, gesund essen kann, eventuell sogar ein Auto kaufen oder in den Urlaub fahren kann. Das Gesundheitswesen funktioniert, Korruption spielt kaum eine Rolle, Regeln und Gesetze gelten für alle gleich, es besteht Meinungsfreiheit, und wenn ich sage, ich habe Angst, mich über etwas zu äußern, könnt ihr nicht verstehen, wie so etwas sein kann. In Ungarn ist das Leben einfach härter, wie wohl in allen osteuropäischen Ländern: der Mindestlohn beträgt ein Drittel vom deutschen, die Steigerung der Wohnungsmieten war 2019 mit am höchsten in Europa, die Lebensmittelpreise entsprechen dem westeuropäischen Standard. Hier musst du den Groschen also zweimal umdrehen, bevor er tatsächlich ausgegeben wird. Trotz all der Schwierigkeiten liebe ich Budapest und die Menschen hier, die – vielleicht gerade wegen den Schwierigkeiten – unglaublich warmherzig sein können. Ich finde, dass wir uns alle verdammt glücklich schätzen können, denn trotz allem haben wir es noch immer hundertmal besser als die meisten Menschen außerhalb Europas, und das, was wir hier haben, ist wirklich etwas Besonderes. Ich habe es mir nicht verdient, sondern ich hatte einfach nur Glück, in diesem Teil der Welt geboren worden zu sein, und dafür bin ich sehr dankbar.

Dein Gesang klingt von jeher ungeduldig und wütend, manchmal erinnert er mich an Yvonne von JINGO DE LUNCH. Aber vermutlich hattest du gar keine konkreten Vorbilder, oder?

Mein Gesangsstil hat sich glücklicherweise in den letzten Jahren dank Unterricht und viel Übung deutlich geändert. Zum Glück, denn wenn ich mir „Boogie man“ anhöre, ist das für mich eine Qual, als würde man mich auf einem Scheiterhaufen lebendig verbrennen. Ein konkretes Vorbild habe ich aber nicht.

In letzter Zeit wird sehr viel darüber diskutiert, ob und warum es so wenige Frauen in Bands gibt. Sind es tatsächlich nur die bösen weißen Männer, die Frauen auf Bühnen verhindern?

Wer mich besser kennt, weiß genau, wie sehr mir die Gleichberechtigung der Geschlechter am Herzen liegt. Ich könnte euch ohne Ende mit Fakten überschütten, wie schrecklich es ist, dass Chancengleichheit sowohl auf gesellschaftlicher Basis als auch bei Arbeitsplätzen noch immer ein Märchen ist. Aber wenn es um die Musikszene geht – oder zumindest das Umfeld, in dem ich mich bewege –, liebe ich es, eine Frau zu sein. Ich werde nicht anders bezahlt, ich werde nicht anders behandelt, es ist einfach irrelevant, was zwischen meinen Beinen ist oder eben nicht ist, es zählt nur, was auf den Tisch gelegt wird. Natürlich gab es Ausnahmen, etwa wenn Veranstalter „Female-fronted Bands“ als ein eigenes Genre betrachten, aber das ist in diesem Fall ja eher unfair meinen männlichen Kollegen gegenüber und nicht umgekehrt. Ich habe auch das Gefühl, dass sich doch immer mehr Frauen überwinden und die Bühne mit uns teilen. Ich bin da optimistisch und denke, dass das noch mehr wird mit der Zeit. Es fehlt hier einfach nur die Tradition.

Ist Sexismus heute noch ein Problem im Musikgeschäft?

In meinen Anfangsjahren war das tatsächlich öfters ein Thema. Wahrscheinlich nur weil ich jünger und unsicherer wirkte. Mittlerweile weiß ich genau, dass es nichts gibt, was man nicht mit einem selbstsicheren Auftritt innerhalb von Sekunden klären könnte. Es ist eher der Gegenteil der Fall, dass Männer Angst vor mir haben zu scheinen.

Nun konkreter zur neuen Platte „God On The Run“. In „Red sky“ heißt es, dass ihr die Hirsche seid, die ihr Geweih zum Kampf erheben. Was sind die übelsten drei Dinge, die ihr bekämpfen wollt mit euren Mitteln?

Die Einschränkung der Meinungsfreiheit, Unterdrückung in jeglicher Form, und Geiz.

Eure Musikclips sind ja aufwendig und schon legendär. Wer ist für die neuen Videos verantwortlich und wie ist es eigentlich, beim Dreh mit einer Ledermaske herumzuturnen?

Die Ideen für die Videos kommen von mir, die Realisierung lag diesmal bei Mihaszna Film. Die Filmcrew besteht eigentlich insgesamt aus zwei Budapester Punks, die dank ihrem DIY-Mindset zu einem der größten Namen in Ungarn geworden sind, wenn es um Musikvideos geht. In einer Ledermaske herumzuturnen, fand ich nicht unbedingt sehr herausfordernd, allerdings war die Beschaffung eine: Ich habe die Maske aus Russland bestellt und an meinen Arbeitsplatz liefern lassen. Ich arbeite bei einer ziemlich großen Firma und bekam dann einen Anruf von unserer Rezeptionistin, dass meine Ledermaske angekommen sei. Ich habe mich gewundert, woher sie den Inhalt des Pakets kennt. Es hat sich herausgestellt, dass der Absender so lieb war, mit dickem schwarzen Edding unter meinen Namen für alle Welt deutlich sichtbar auf das Paket „Black Leathermask“ zu schreiben.

Nenne mir zum Schluss noch zwei Dinge, die jedes Bandleben belasten, und zwei Dinge, die das alles wieder aufwiegen ...

Wenn die Band nicht von der eigenen Musik leben kann, wird das Zeitmanagement mit den Jahren immer schwieriger. Eine andere Herausforderung ist, dass man neben dem Songwriting und Recording, das unglaublich viel Energie und Geld verschlingt, heutzutage noch viel tiefer in die Tasche greifen muss und noch viel mehr Zeit investieren, um überhaupt gehört zu werden. Was das alles vergessen lässt, ist das Gefühl, wenn man zusammen auf der Bühne steht und die ganze investierte Arbeit wie eine Atombombe explodiert, was sowohl das Publikum als auch uns strahlen lässt. Und dass sich das freundschaftliche Verhältnis innerhalb einer Band tatsächlich zur zweiten Familie entwickeln kann. Man wird zu richtigen Soul-Bros!